Alles Geschichte - History von radioWissen

Wir beleuchten die Zusammenhänge zwischen gestern und heute und erzählen einfach gute Geschichten. Ein History-Podcast von radioWissen.

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JÜDISCH-BAYERISCHE SPURENSUCHEN - Die Fischacher Laubhütte


Sie ist das wohl weitest gereiste Schmuckstück des "Israel Museums" in Jerusalem: eine aufwendig bemalte Laubhütte aus dem bayerisch-schwäbischen Fischach. Irgendwann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab der Kaufmann Jakob Deller diese "Sukkah" in Auftrag. Mit der rituellen Nutzung einer solchen Laubhütte erinnern gläubige Jüdinnen und Juden an den Auszug aus Ägypten. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Laubhütte durch einen waghalsigen Transport per Zug und Schiff nach Palästina gebracht. Von Lukas Grasberger (BR 2023)

Credits
Autor: Lukas Grasberger
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Susanne Schroeder, Annette Wunsch
Technik: Roland Böhm
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview: Rahel Sarfati, Bernhard Purin, Klaus Wolf, Bernd Päffgen, Naomi Feuchtwanger-Sarig

Ein besonderer Linktipp der Redaktion:

Wir bedanken uns bei der Ad hoc-Arbeitsgruppe „Judentum in Bayern in Geschichte und Gegenwart“ an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die uns bei dieser Folge wissenschaftlich beraten hat. Mehr Infos zum Projekt gibt es HIER.

Linktipps:

Die Fischacher Laubhütte im Isreal Museum, Jerusalem

Jüdisches Leben in Fischach, Infos des Hauses der Bayerischen Geschichte

Literaturtipp:

Heike Specht (2006): Die Feuchtwangers. Familie, Tradition und jüdisches Selbstverständnis. Wallstein Verlag

Sie waren Stammgäste im Hofbräuhaus, fühlten sich in den Alpen wie zu Hause, liebten die Theater und Museen der Stadt, pflegten die landesübliche Feindschaft gegenüber Preußen und in »unserem München« galt ihnen auch der Berliner Jude als Zugereister. Über drei Generationen verband die Familie Feuchtwanger eine strenge jüdische Orthodoxie mit einer ausgeprägt bayerisch-barocken Lebensweise. Die Geschichte der Feuchtwangers ist aber auch eine Geschichte von Familienzusammenhalt und Familienzwist, von arrangierten Ehen und leidenschaftlicher Liebe, von glänzenden Erfolgen und bitteren Niederlagen. Hier geht’s zum BUCH.

Rachel Sarfati (2013): Restoring the Fischach Succa

In early 2004 the Israel Museum presented the exhibition “Succot from around the World.” A painted wooden succa that had been part of the permanent exhibition for many years was taken apart and rebuilt in the exhibition hall. When the exhibition closed, it was decided that the succa’s being dismantled and the museum’s being closed for renovations provided a fortuitous opportunity to have the 19th-century succa sent out for restoration - this revealed an intriguing history. Hier geht’s zum ARTIKEL.

Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:


Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.

Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. 

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:

TC 00:15 – Intro
TC 02:39 – Ihr sollt sieben Tage in Hütten wohnen
TC 05:15 – Die Kunst aus Fischach
TC 09:20 – Ein Inventar für jüdische Kultur
TC 13:15 – Holz, das die Welt verbindet
TC 21:50 – Outro

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

TC 00:15 – Intro

Musik

Erzählerin
Der Münchner Hauptbahnhof, ein Tag im Jahr 1937. Reisende wuseln zu ihren Bahnsteigen, Abschiede allerorten, herzlich hier, wehmütig dort. Eine Mutter mit fünf Kindern und schwer beladen erregt Aufmerksamkeit. Berta Fränkel ist Jüdin – bald wird sie den Zug nach Triest besteigen, um dann per Schiff nach Palästina auszuwandern: Ob ihres sperrigen Gepäcks argwöhnisch beäugt von der allgegenwärtigen nationalsozialistischen Ordnungsmacht.

O-Ton 1 Rachel Sarfati, Kuratorin, Israel Museum, Jerusalem engl.
Sprecherin dt. OV
„...und dieser Polizist beobachtete sie eine Weile, wie sie ihre Sachen in einer riesigen Holzkiste verstaute. Er ging zu ihr, und fragte Berta Fränkel: „Warum schleppen Sie diese riesige Holzkiste in die neue Heimat?“ Und sie antwortete: „Dort, in der Wüste, gibt es kaum Bäume. Ich brauche dieses Holz, um mir dort, in Israel, ein neues Haus zu bauen.“

Musik

Erzählerin
Der neugierige Polizist gab sich zufrieden, und ließ ab von Berta Fränkel. Dadurch entging ihm – Überlieferungen zufolge - der wahre Charakter der vermeintlichen Frachtverpackung.

O-Ton 2 Sarfati
Sprecherin OV
„Die Innenseite dieser Holzplanken war nämlich kunstvoll bemalt. Es waren die Wände einer Sukkah, einer Laubhütte. Es war sehr mutig, sie so außer Landes zu schmuggeln. Denn damals hatten die Nazis den Export von Kulturgütern bereits untersagt. Durch diese Aktion Berta Fränkels blieb die Sukkah erhalten: Als eine von ganz wenigen Laubhütten, die die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg überleben sollten. Bis heute ist die Fischacher Sukkah ein faszinierendes Ausstellungsobjekt.“

Erzählerin
...sagt die israelische Historikerin Rachel Sarfati, Kuratorin am Jerusalemer Israel Museum, wohin die aus Bayerisch-Schwaben stammende Laubhütte letztlich auf abenteuerlichen Wegen gelangen wird. Mit Objekten wie der Fischacher Laubhütte beschäftigt sich auch die Ad hoc-Arbeitsgruppe „Judentum in Bayern in Geschichte und Gegenwart“ der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in einem Teilprojekt namens „Spurensuche“.

TC 02:39 – Ihr sollt sieben Tage in Hütten wohnen

Musik

Doch: Was ist das überhaupt - eine Laubhütte? Und welche Rolle spielt eine „Sukkah“ in der jüdischen Kultur und Religion?

O-Ton 3 Bernhard Purin, Leiter Jüdisches Museum München, Teil 1
„In der Bibel ist – unter den vielen Geboten die man dort findet – ein Gebot: „Und ihr sollt sieben Tage in Hütten wohnen“. Das soll an den Auszug aus Ägypten und die Rückkehr ins Heilige Land erinnern.“

Erzählerin
...erklärt der Kulturwissenschaftler Bernhard Purin. Er leitet das Jüdische Museum München.

O-Ton 3 Purin Teil 2
„Darum gibt’s jedes Jahr im Herbst das Laubhüttenfest, wo man aus seinem Haus quasi auszieht, und im Garten oder vor dem Haus, am Balkon – oder wo auch immer – eine Holzhütte aufstellt, die als besonderes Merkmal hat, dass sie kein Dach hat. Sondern nur ein Gitter, auf dem Laub liegt.“

O-Ton Bernd Päffgen NEU 1
„Die Laubhütte wird eine Woche lang aufgestellt, vom 15. bis 21. Tag im jüdischen Herbstmonat Tischri. Hier geht es, ja, um Erntedank, vor allem aber um Gastfreundschaft. Diese einmal ganz konkret, im Kreis der eigenen Familie. Aber auch enge Freunde werden eingeladen.“

Erzählerin
...ergänzt der Münchner Archäologieprofessor Bernd Päffgen, der die
 Ad hoc-Arbeitsgruppe „Judentum in Bayern in Geschichte und Gegenwart“ leitet.

O-Ton Päffgen NEU 2
„Und dann gibt es aber auch den höheren Sinn: Man lädt auch Abraham, Isaak, Jakob, Moses, Aaron, Josef und David ein. Man feiert nicht nur, man besinnt sich, bekennt sich zum jüdischen Glauben.“ 

Musik

Erzählerin
In der Laubhütte wird gebetet, gegessen, und zuweilen auch übernachtet. Was in unseren Breiten zuweilen empfindlich kalt werden kann – wenn das Laubhüttenfest dem jüdischen Kalender gemäß, in die zweite Oktoberhälfte fällt. Hierzulande nutzt und nutzte man daher auch Dachböden mit zum Himmel offenen Luken als Laubhütten. Doch auch die traditionellen, mobilen Holz-Sukkot waren verbreitet, erklärt Bernhard Purin. Diese boten ein Erscheinungsbild...

O-Ton 4 Purin
„...ähnlich wie man sich heute Gartenhütten vorstellen kann: Die außen ganz einfach waren, mit Fenster und einer Tür. Zerlegbare Hütten, die man im Garten aufgestellt hat. Die innen aber oft sehr reich bemalt waren, mit Bildern, die auf die Feiertage, auf´s Laubhüttenfest Bezug nehmen. (…) Man hat großen Wert auf diese Laubhütten gelegt – und die auch sehr schön ausgestaltet.“

TC 05:15 – Die Kunst aus Fischach

Erzählerin
Wohlhabendere Juden beauftragten Maler, um die Innenseiten der Laubhütten künstlerisch auszuschmücken. Wie etwa der Kaufmann Jakob Deller aus Fischach, einem Dorf gut 20 Kilometer südwestlich von Augsburg. Dort, im ländlichen Bayerisch-Schwaben, waren Juden von christlichen Grundherren aus wirtschaftlichen Motiven angesiedelt worden, erklärt der Augsburger Mittelalter-Experte und Universitätsprofessor Klaus Wolf.   

O-Ton 5 Klaus Wolf, Prof. für Deutsche Literatur und Sprache in Bayern, Uni Augsburg
„Wir wissen ja, dass ab 1438/40 die Juden aus der Reichsstadt Augsburg vertrieben wurden. (…) Fischach gehörte zu Bayerisch-Schwaben, das damals natürlich kein Bestandteil von Bayern war, sondern weite Teile gehörten zum sogenannten Vorder-Österreich, waren also Habsburgisch. Und in diesen Territorien wurde es den Juden ermöglicht, sich anzusiedeln. Das hat die Obrigkeit natürlich nicht aus philanthropischen Gründen getan, sondern der steuerlichen Einnahmen wegen.“

Musik

Erzählerin
Jüdische Familien eröffneten für das wirtschaftliche Leben des Ortes bedeutsame Betriebe: Bald gab es jüdische Metzger und Bäcker, dazu kamen Textilgeschäfte, Viehhandlungen – oder der Laden für Zigarren, Wein und Spirituosen des Kaufmanns Deller. Fischach wuchs und florierte. Mitte des 19. Jahrhunderts war nahezu die Hälfte der gut 500 Einwohner jüdisch. Juden engagierten sich in allen Bereichen des öffentlichen Lebens: In der Freiwilligen Feuerwehr, im Gemeinderat. Es gab eine israelitische Volks- und Religionsschule, eine Synagoge und auch einen jüdischen Friedhof. Und die Juden von Fischach begingen ihre Feiertage – wie das Laubhüttenfest. Die wohlhabenderen, weiß Bernd Päffgen, gaben bei örtlichen Künstlern und Handwerkern hölzerne Laubhütten in Auftrag.

O-Ton 6 Prof. Bernd Paeffgen, Prof. für Archäologie, LMU München und Co-Sprecher der Ad hoc-AG „Judentum in Bayern in Geschichte und Gegenwart“, BAdW
„In der Biedermeierzeit, da beauftragten kurz vor 1840 Jakob und Esther Deller in Fischach einen einheimischen Schreiner mit dem Bau dieser Laubhütte. Ein schwäbischer Maler bekam den Auftrag, die Innenwände der Sukkah in diesen sehr kräftigen Farben zu gestalten. (…)
Erzählerin
Wie damals auch in Kunstwerken der christlichen Kultur nicht unüblich, ließ sich auch der Auftraggeber der Fischacher Laubhütte, Jakob Deller, mit seiner Frau Esther in seiner Sukkah verewigen.

O-Ton Päffgen NEU 3
„Zu sehen ist da eben Fischach, mit dem jüdischen Viertel und der Synagoge. Das ist gewissermaßen ein kleines Jerusalem in Bayerisch Schwaben, das da dargestellt ist. (…) Und Frau Deller steht mit weißer Kittelschürze stolz vor der Eingangstüre ihres Hauses - so als will sie gleich Gäste in Empfang nehmen. Und ein ganz vornehmer Herr mit Gehrock und Zylinder geht mit einem Jäger und Jagdhund in den westlichen Wäldern auf die Jagd.
Erzählerin
Klaus Wolf, Professor für Deutsche Literatur und Sprache in Bayern und Vorsitzender der Synagogenstiftung im schwäbischen Ichenhausen ergänzt:

O-Ton 7 Wolf
„Ja, das ist so die Zeit zwischen Wiener Kongress und 1848, und das ist hier wunderbar eingefangen. Und das ist in dieser Form, will ich sagen, einzigartig. Es ist ein ganz wichtiges Zeitdokument und auch ein wichtiges kunstgeschichtliches Dokument.“

O-Ton 8 Naomi Feuchtwanger-Sarig, Kunsthistorikerin, Jerusalem, engl., Sprecherin dt. OV
„Die Darstellungen sind einerseits eingebettet in die örtliche Umgebung, sehr typische Volkskunst aus dieser Region Deutschlands. Buchstäblich auf der anderen Seite der Sukkah findet man aber Bilder aus Jerusalem wie den Felsendom - oder biblische Motive wie etwa Moses auf dem Berg Sinai oder jüdische Festtage. Wie die Fischacher Sukkah solche Szenen verschmilzt: Das ist sehr besonders – und einzigartig.“

TC 09:20 – Ein Inventar für jüdische Kultur

Musik

Erzählerin
Die Einzigartigkeit der Fischacher Sukkah, von der die Kunsthistorikerin Naomi Feuchtwanger-Sarig hier spricht: Sie musste auch ihrem Großvater Heinrich Feuchtwanger bewusst gewesen sein, als er sie entdeckte. Dieser hatte vor rund hundert Jahre eine Mission: zusammen mit dem Kunsthistoriker Theodor Harburger reiste er quer durch Bayern, um jüdische Kunst- und Kulturdenkmäler zu inventarisieren.
Von Feuchtwangers und Harburgers akribischer Arbeit profitiert der Münchner Museumsleiter Bernhard Purin für ein Editionsprojekt zu den Inventaren der bayerischen Synagogen noch heute.

O-Ton NEU Purin
Er hat an die 3000 Objekte schriftlich beschrieben, handschriftlich auf kleinen Zetteln, die er mit nach Palästina genommen hat. Die seit vielen Jahrzehnten in einem Archiv in Jerusalem liegen. (…) Und es ist ein Ziel von unserem Projekt, herauszufinden, welche Objekte noch erhalten sind.

Erzählerin
Was nach einer nüchternen schlicht bürokratischen Aufgabe klingt, war dennoch fundamental, um jüdische Kultur zu bewahren -  auch diese Fischacher Laubhütte, wie sich später herausstellen wird. Denn zu jener Zeit der Weimarer Republik lösten sich die jüdischen Landgemeinden in Bayern auf – ursprünglich mehrere Hundert an der Zahl. Da viele Juden seit dem 19. Jahrhundert nach Amerika ausgewandert waren und auch immer mehr Landjuden in Städte wie München oder Nürnberg zogen.

O-Ton 9 Purin
„Und dann hat irgendwann mal im ausgehenden 19. Jahrhundert der Punkt begonnen, wo Antiquitätenhändler durchs Land gezogen sind und von den letzten Gemeindemitgliedern die Sachen abgekauft haben. Und da hat dann der Landesverband der jüdischen Gemeinden gesagt: Das müssen wir verhindern und hat Anfang der 20er Jahre die Regelung beschlossen, dass sich auflösende Gemeinden ihre Ritualgegenstände an den Landesverband geben müssen. Aber so eine Vorschrift kann man nur vollziehen, wenn man weiß, was es gibt. Und darum hat man dann den Kunsthistoriker Theodor Harburger beauftragt. Der hat über 200 Synagogen besucht und hat genaue Inventare gemacht und hat dann aber auch, wenn er an den einzelnen Synagogenorten war, sich so ein bisschen umgesehen, weil ihn das als Kunsthistoriker interessiert hat, was in Privatbesitz ist. Und so hat er dann die Fischacher Laubhütte gesehen.“

Erzählerin
Die bevorstehende NS-Herrschaft, die Zerstörung der jüdischen Kultur, die Shoah: Sie waren also nicht der Anlass der Bestandsaufnahme. Spätestens mit Beginn der NS-Diktatur muss Heinrich Feuchtwanger aber die existentielle Bedrohung für jüdisches Leben in Deutschland geahnt haben. Noch zu Zeiten der Weimarer Republik plante Feuchtwanger ein Museum, das die Vielfalt jüdischer Kultur und Geschichte darstellt und bewahrt – ähnlich dem jüdischen Museum, das 2007 schließlich am Münchner Jakobsplatz eröffnet wurde.
 Seine Enkelin Naomi Feuchtwanger-Sarig erinnert sich.

O-Ton 11 Feuchtwanger-Sarig OV
Sprecherin dt. OV
„Er und Harburger hatten versucht, ein solches Museum in München zu etablieren, aber es kamen schreckliche Zeiten auf. Deshalb streckte mein Großvater seine Fühler zum Museum nach Palästina aus, denn dorthin hatte er bereits Kontakte. Er selber war bereits 1935 emigriert, seine Familie folgte Anfang 1936.

Erzählerin
Die Fischacher Laubhütte, so hatte er es geplant, sollte einen Platz im Museum in Palästina finden.

Fortsetzung O-Ton 11
Sprecherin dt. OV
Doch wie sollte er jetzt die Sukkah heraus aus Deutschland bekommen? Er fragte Berta Fränkel, eine enge Verwandte, die in München lebte, und ebenfalls auf dem Sprung nach Palästina war, ob sie die Laubhütte nicht mit einpacken könnte. Und so entstand die Idee, die Laubhütte als Kisten-Verpackung zu tarnen.“  

TC 13:15 – Holz, das die Welt verbindet

Musik

Erzählerin
Es sollte noch bis 1937 dauern, bis die Fischacher Sukkah ins damals britische Mandatsgebiet Palästina gelangte. Der Transport war ein heikles Unterfangen. Denn die Nationalsozialisten hatten schon ein Auge auf die Feuchtwangersche Sammlung geworfen und bereits einige wertvolle Goldmünzen beschlagnahmt. Die Sorge, auch die Sukkah könnte den Nazis in die Hände fallen, war groß.
 
O-Ton 13 Päffgen
„... Man hat die einzelnen Bretter auseinandergenommen und hat daraus großformatige hölzerne Transportkisten (...) gemacht, die nach Palästina ausreisten, die bemalten Innenseiten, die hat man mit billigem Stoff bespannt, damit die nicht beschädigt wurden, aber auch nicht gesehen werden konnten. Und die Kisten wurden dann also von München nach Jerusalem verschifft. Kontrolliert wurde natürlich nur der Inhalt. An diesen Holzkisten war man natürlich nicht interessiert, und so kam die Fischacher Sukkah nach Jerusalem, da wurde sie wieder zusammengesetzt, und zunächst verwahrte sie Doktor Heinrich Feuchtwanger bei sich, in seinem Haus.“

Erzählerin
...ergänzt der Archäologe Bernd Päffgen, der zur jüdischen Geschichte in Bayern forscht. Die Laubhütte aus Bayerisch-Schwaben sollte schnell zum Schmuckstück und Anziehungspunkt im Bezalel Museum werden. Der Münchner Museumsleiter Bernhard Purin schreibt es der unermüdlichen Inventarisierungs-Arbeit von Feuchtwanger und Harburger am Vorabend der Shoah zu, dass die Sukkah, zahlreiche liturgische Gegenstände, weltliche wie religiöse Kunst und Kunsthandwerk gerettet und nach Palästina gebracht werden konnten.

O-Ton 14 Purin
„Das gab´s nur in Bayern, an keinem anderen Ort Deutschlands. Und Harburger ist dann immer an den Ort Deutschlands gefahren, wo es Synagogengemeinden gab, (...) und Stücke, die ihm interessant erschienen, hat er dann auch fotografiert. Und wir haben schon vor fast 25 Jahren die Fotos veröffentlicht: So circa 800. Und da kann man mit Erstaunen feststellen, dass sich doch relativ viel erhalten hat.“

Erzählerin
Wie die Fischacher Laubhütte, deren wechselvolle Geschichte mit ihrer Ankunft in Palästina noch lange nicht zu Ende erzählt ist. Für Naomi Feuchtwanger-Sarig ist diese Geschichte auch eine Familiengeschichte. Die Sukkah aus Schwaben: Sie ist der Enkelin von Heinrich Feuchtwanger seit ihrer Kindheit präsent.

O-Ton 15 Feuchtwanger-Sarig Teil 1
Sprecherin OV
„Ich erinnere mich an lebhafte Diskussionen, als ich ein kleines Mädchen war. Ich habe nicht viel verstanden – aber es ging wohl darum, ob man die Sukkah noch einmal nach Deutschland transportieren sollte. In Köln war für das Jahr 1964 eine Ausstellung von jüdischem Kulturgut geplant, bei der die Fischacher Laubhütte gezeigt werden sollte. Mein Vater – damals Kurator im Bezalel-Museum, wo diese Sukkah ausgestellt war – war vor allem aus konservatorischen Gründen dagegen, denn sie war in relativ schlechtem Zustand.

Erzählerin
Die Fischacher Laubhütte erneut auf Reisen nach Deutschland zu schicken – das war für Heinrich Feuchtwanger aber auch aus einem anderen Grund problematisch, sagt seine Enkelin.

O-Ton 15 Feuchtwanger-Sarig Teil 2
Sprecherin OV
„Als Jude, der vor den Nazis geflohen war, war er der Meinung, dass aus Deutschland gerettete jüdische Kulturgüter nicht mehr dorthin zurückkehren sollten. Er hat sich dann letztlich doch gebeugt. Er konnte überzeugt werden davon, dass mit einer erneuten Reise dieser Sukkah nach Deutschland quasi eine verbindende Brücke gebaut werden könnte. Mein Großvater wollte dieses Zeugnis des Judentums all dem Hass, all der Entfremdung entgegenhalten, und er reiste zur Vorbereitung der Ausstellung Anfang der 60er-Jahre dann auch selber in die Bundesrepublik. Diese Reise war sehr schwer für ihn, und möglicherweise emotional zu anstrengend. Er ist kurz danach gestorben.“ 

Erzählerin
Heinrich Feuchtwangers Sorge um die Unversehrtheit der Fischacher Sukkah – sie sollte sich letztlich als berechtigt herausstellen.

O-Ton 16 Sarfati
Sprecherin OV
„Die Ausstellungsmacher in Köln haben quasi als Dankeschön eine Restaurierung der Laubhütte vorgenommen. So kam es zu diesen, sagen wir mal, unprofessionellen Veränderungen der Fischacher Sukkah.“

Erzählerin
…weiß die Jerusalemer Kuratorin Rachel Sarfati.

O-Ton 17 Safarti
Sprecherin OV
„Ich habe eine neue Farbschicht entdeckt, die viele Fehler enthielt. Farben wurden von Hell nach Dunkel, und von Dunkel nach Hell verändert.“

Erzählerin
Veränderungen, die zunächst unbemerkt blieben, sagt die Kunsthistorikerin Naomi Feuchtwanger-Sarig. Es erstaune sie, dass die „Verschlimmbesserung“ der Malereien bei einem so bekannten Objekt – das zudem als Leihgabe in anderen Museen ausgestellt war – zunächst niemandem auffielen. Naomi Feuchtwanger-Sarig veröffentlichte zwar 1988 eine Forschungsarbeit zur Sukkah aus Fischach und deren schicksalhafter Historie. Dass die Laubhütte vor Jahrzehnten unsachgemäß übermalt worden war – das fiel indes erst Mitte der 2000er-Jahre auf. Damals wurde die Sukkah abgebaut, um sie während der Renovierung des Museums routinemäßig einer Überholung zu unterziehen.

O-Ton 19 Feuchtwanger-Sarig
Sprecherin OV
„Ursprünglich wollte man nur das Holz konservieren. Es war dann ein großer Schock, als man bei der Reinigung der Paneele entdeckte, dass es unter der oberen Farbschicht eine weitere gab.“

Erzählerin
Die weitgereiste Fischacher Laubhütte ging daher erneut auf große Fahrt. Diesmal auf Erholungsurlaub, sozusagen.

O-Ton 20 Sarfati
Sprecherin OV
„Ja, die Sukkah und ich, wir haben dann eine nette Zeit zusammen in Frankreich verbracht“ (lacht). Aber im Ernst: Israel ist ein sehr junger Staat, wir haben daher keine Tradition und Erfahrung mit Holzmalerei. Deshalb haben wir ein Labor im Ausland gesucht – und eines in West-Frankreich gefunden.

Musik

Erzählerin
Die Restaurierung zog sich hin. Dass die Fischacher Laubhütte in ihren Originalzustand überhaupt zurückversetzt werden konnte – das ist einem Nachfahren ihres ursprünglichen Besitzers Jacob Deller zu verdanken: Alberto Deller, der als Kind vor den Nationalsozialisten nach Ecuador floh, besuchte Israel – und wollte dort die Sukkah seiner Vorfahren besichtigen.

O-Ton 21 Sarfati
Sprecherin OV
„Alberto Deller stand jedoch vor verschlossenen Türen, denn das Museum war wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Die Sukkah seiner Familie war abgebaut und im Depot zwischengelagert worden – bis wir das Geld für ihre Restaurierung auftreiben würden. Diese Geschichte war also das Einzige, womit ich aufwarten konnte. Und ich erzählte ihm von der schwierigen Finanzierung der Restaurierung. Ich wusste damals nicht, dass Deller sehr wohlhabend ist und sich bereits einen Namen als Mäzen der Hebräischen Universität hier in Jerusalem gemacht hatte. Schließlich bot er an, die Kosten für die Restaurierung zu übernehmen.“

Erzählerin
Nun ist die Fischacher Laubhütte wieder in ihrem Originalzustand, in ihrer alten, neuen Heimat Israel Museum.

Musik

Erzählerin
Die Laubhütte von Fischach: Sie verbinde Familien und Generationen, über die Kontinente hinweg, sagt die israelische Kuratorin und Kunsthistorikerin Rachel Sarfati.

O-Ton 23 Sarfati
Sprecherin OV
„Ja, es gibt Verbindungen, die sich über die ganze Welt erstrecken. Die Sukkah verbindet die Deller-Familie und ihre Nachfahren, die Sterns. Sie verbindet die Familien Fränkel und Feuchtwanger. Sie verknüpft die Kontinente und Länder: Israel, Europa – und Lateinamerika. Die Fischacher Laubhütte ist ein so seltenes und einzigartiges Stück, dass auch ich mich in besonderer Weise verbunden fühle.“  

TC 21:50 – Outro



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