Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0582: Die Fett-Epidemie


Ich kann auch nicht anders: Ich achte auf meine Figur. Und auf das, was ich esse. Selbst, wenn ich nicht davon überzeugt bin, dass es gesundheitlich so dolle ist. Denn fett darf man nicht sein, das verbietet sich! Igitt. Komisch, dass wir alle so denken und trotzdem immer dicker werden, oder?

Download der Episode hier.
Opener: „Ricky Gervais – Fat People“ von Eugene Pimenov
Closer: „George Carlin on Fat People“ von MasterMilkshake
Musik: „Money“ von Nectar / CC BY-SA 3.0

2016 war ja als Jahr nicht besonders beliebt. Dabei hat es einige interessante Rekorde produziert. Eine dieser faszinierenden Tatsachen war, dass es im Jahr 2016 zum ersten Mal mehr fette Menschen auf dem Planeten gab als Hungernde.

Fett heißt dabei wissenschaftlich gesehen, Menschen mit einem BMI über 30. Der BMI ist ja aus guten Gründen nicht mehr so richtig populär. Denn das ist ein Wert, der sich ganz simpel aus dem Verhältnis von Größe und Gewicht errechnet.

Und darum können richtig kleine Menschen kugelrund sein und gelten trotzdem nicht als adipös. Wie die nudeldicke Dirn. Umgekehrt bei richtig langen Menschen. Der spannenlange Hansel kann mit einem BMI von 28 immer noch athletisch aussehen.

Und dann noch die Kraftsportler, Bodybuilder oder überhaupt Menschen mit zuviel Muskelmasse für ihren Bürojob. Die macht der BMI auch alle – rein rechnerisch – fettsüchtig. „Ha ha, Do you really imply I’m living an unhealthy lifestyle?“ Das war meine Schwarzenegger-Imitation. Sorry. Und zur gestellten Frage: Na ja…

Nun haben wir aber den BMI schon einmal eingeführt und müssen jetzt mit ihm leben. Basta. Statistisch gesehen nivellieren sich die Nudeldicken und die Spannenlangen ja auch. Und dann bleibt einfach der Fakt übrig, dass der Durchschnittsmensch auf diesem Planeten jedes Jahrzehnt 1,5 kilo zugelegt hat.

Und weil man in weiten Gebieten Asiens und Afrikas noch immer hungert, werden wir anderen dafür umso dicker. Im Medizinerjournal „Lancet“ wurde eine Studie veröffentlicht, die so genau wie keine vorher Daten aus der ganzen Welt ausgewertet hat. 1.700 Bevölkerungsstudien aus 186 Ländern aus den Jahren 1975 bis 2014. Die Daten von 19 Millionen Menschen.

Kurz gesagt: Wir sind viermal so fett wie 1975. Über 700 Millionen Menschen weltweit haben einen BMI über 30, sind also adipös. Früher nannte man das fettsüchtig. Ein seltsamer Ausdruck…

In den USA sind 30% von dieser Adipositas betroffen, europaweit sind es mittlerweile auch schon 15 % der Männer und 20 % der Frauen. In Deutschland sind wir mit ungefähr 24% für beide Geschlechter auch gut in den vorderen Rängen vertreten – wir sollten uns nicht wirklich über unsere Basen und Vetter jenseits des Atlantiks lustig machen.

Am dicksten in Europa sind die Männer in Irland, auf Malta und in Zypern und die Frauen in Moldawien. Am schlanksten sie die Damen in der Schweiz und die Herren in Holland. Ach, und am allerdicksten auf dem Planeten sind die Polynesier: Hier gilt praktisch jeder Erwachsene als adipös. Kein Witz.

Dafür sind die Menschen in Ost-Timor und in Äthiopien im Mittel mit einem BMI knapp über 20 alle beinahe unterernährt. Ja, das sind die Menschen, die unsere dicken Politiker jetzt nicht mehr ins Land lassen wollen. Weil wir nämlich nicht genug zum Teilen haben…

Abschwiff, wurstegal. Das war bis jetzt alles nicht neu oder aufregend, wir hatten nur noch nie so eindeutige Belege wie dank dieser Studie. Wir werden also alle unaufhaltsam immer fetter. Jahr für Jahr. So läuft der Hase auf jeden Fall seit 1975. Heißt das, kann man so lesen…

Denn: Eigentlich, wenn man darüber nachdenkt, ist das ja keine schlechte Nachricht. Unser Planet scheint mehr als genug zu produzieren, um uns alle zu ernähren. Und statistisch gesehen ist ein kleiner Bauch auch eine gute Gesundheitsvorsorge – die Schönheitsideale sind dem Körper nämlich egal.

Aber nein: Die Fettsucht ist der Untergang des Abendlands, mal wieder. Die werden im Alter alle Diabetes haben und Herzinfarkte und kaputte Knie und Schlaganfälle. Die Dicken. Und dann uns normalgewichtigen Krankenkassenpatienten die Medikamente wegfressen! Darum wollen die deutschen Krankenkassen in Zukunft Übergewicht auch bestrafen mit höheren Beiträgen.

Das ist doch eine tolle Idee, oder? Raucher, Übergewichtige, Computerspieler, Sportverweigerer und überhaupt Leistungsunwillige – deren Daten werden erfasst, gemessen und bewertet und dann werden die alle so richtig bestraft. Bis endlich alle Menschen diesem Fitness-Wahnsinn verfallen. Jeder mit seiner Uhr jeden Schritt zählt und jede Kalorie. Nieder mit den Konditoren! Genuss ist etwas für Unmenschen!

Im Ernst: Das mit dem Übergewicht ist natürlich ein Problem, das kann man nicht einfach wegdiskutieren. In den USA, die uns beim Shoppen und Fressen immer noch voraus sind, sinkt die Lebenserwartung zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder deutlich. Das liegt nachweislich an der Diabetes. Soviel ist wahr.

Aber da könnte man aber auch einmal nachdenken, woher unsere Rettungsringe um die Hüfte kommen? Denn in Wirklichkeit machen wir nämlich genau das, was von uns verlangt wird. Wir konsumieren tapfer, um unsere Volkswirtschaft anzukurbeln. Und wir glauben halt der Werbung, die uns ungewollt und ungefragt überall um die Ohren gehaut wird.

Es liegt doch auf der Hand, dass man durch Magnum-Eis schlank und supersexy wird. Wie, das hat über 400 Kalorien, wie, das deckt 70% des Tagesbedarfs an gesättigten Fetten? Aber die Models schauen doch alle total spirrlig aus! Werden wir da etwas angelogen?

Und warum sagt uns keiner, dass im Aceto Balsamico Zucker ist oder in den tollen, tollen Vollkornbroten und Unmengen an Zuckern in Proteinriegeln, Joghurts, Eistees, oder in Fertigsaucen versteckt wird. Oder gar in den nun wirklich unverdächtigen Smoothies. Im Starbucks Orange Mango gleich 37 Gramm, kann mit dem Magnum mithalten.

Warum darf die Industrie ihr dunkles Geheimnis so umfangreich verstecken? Das Geheimnis, dass sie absichtlich alles voller Zucker und Fett stopfen. Soviel nur eben möglich ist. Auf den Packungen steht dann nicht einmal unbedingt Zucker, da steht dann Dextrose, Glucosesirup, Traubensüße, Laktose, Fruktose, Maltodextrin oder Molkenerzeugnis: Ist aber in Wahrheit: Alles einfach Zucker.

Es ist wirklich nicht leicht, sich zucker- und fettnormal zu ernähren. Im Prinzip ist man dann darauf angewiesen, sich alles, auch Brot und Belag, selber herzustellen. Wir alle sind seit Jahren systematisch abhängig gemacht worden von Zucker und Fetten. Das wurde uns als der wahre Genuss verkauft. Weil unser Körper das nämlich belohnt und sich da gerne ‘mal mit eindeckt. Könnten ja auch wieder magere Zeiten kommen.

Der Ausweg kann meiner Meinung nur sein, denn Genuss wieder zu entdecken. Und gezielt seine Geschmacksnerven wieder zu trainieren. Denn, ganz unter uns, dem furchtbaren Magnum-Eis schmeckt man nämlich deutlich an, dass es nur durchfallweiches Fett mit viel zu viel Zucker ist.

Hoffnung könnten uns da z.B. unsere französischen Nachbarn machen. Die stehen ja sicher nicht in dem Ruf, Kostverächter zu sein. Die französische Küche hat ihren Ruf nicht von Fett und Zucker. Und siehe da: In welchem untersuchten europäischen Land hat sich der durchschnittliche BMI in vierzig Jahren nicht verändert?
In Frankreich, genau. Die machen den Angelsachsen eben nicht gleich alles nach…

Essen ist eine körperliche Lust und wir sollten uns das wieder zurück erobern.
Kalorienzählen auf der anderen Seite macht nämlich auch krank.
Da gibt’s halt bloß noch keine Untersuchung dazu…


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 January 9, 2017  13m