Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0592: Saint Lucia


Ich war nicht nur niemals in New York, sondern auch noch nie in der Karibik Würde ich aber gerne ‘mal. Vielleicht wäre ja Saint Lucia ein geeignetes Ziel? Um das sich Franzosen und Briten zweihundert Jahre lang geklopft haben? Auf jeden Fall eine „wechselhafte“ Geschichte.

Download der Episode hier.
Opener: „Santa Lucia“ von Marina Morozova Soprano
Closer: „Robin Williams – The French“ von statlerundwaldorfde
Musik: „Caribe sin memoria (2009)“ von DR. PACHANGA / CC BY-ND 3.0

Santa Lucia! Die heilige Lucia von Syrakus! Die Lichtbringerin! Die Schutzheilige bei Augenleiden, Blutfluss, Halsschmerzen und Ruhr! Patronin der Armen, der Blinden, der reuigen Dirnen, der kranken Kinder, der Anwälte, Bauern, Elektriker, Glaser, Kutscher, Messerschmiede, Näherinnen, Polsterer, Sattler, Schneider, Schreiber und Weber und der Städte Syrakus und Venedig.

Kein Wunder, dass so einer vielbeschäftigten Heiligen nicht nur Kerzen geweiht werden, sondern auch ganze Inseln, ganze Staaten nach ihr heißen. Eben die Insel Santa Lucia in der Karibik. Oder eben Saint Lucia in der offiziellen Landessprache. Eine der „Inseln der Winde“, im Süden von Martinique, im Norden von Barbados gelegen.

Mit einer sehr – äh, sagen wir ‘mal wechselhaften Geschichte, ihr werdet gleich hören, was ich meine.

Es beginnt alles mit den sagenhaften Ciboney-Indianern irgendwann vor unserer Zeitrechnung, aber die verschwimmen im Nebel der Geschichte, von archäologischen Belegen habe ich im Internet nichts ausgraben können. Um das Jahr 200 kommen dann die Arawak-Indianer an und leben hier erst einmal 600 Jahre in Frieden. Angeblich. No one ther to tell the tale. Die hinterlassen uns hauptsächlich Scherben ihrer Töpferei. Um das Jahr 800 kommen die sogenannten Karibenrein geschneit und übernehmen den Laden. Das geht recht einfach, wenn man alle Männer tötet und die alle Frauen heiratet.

Der Legende nach kommte Christopher Columbus vorbei und sieht die Insel auf seiner zweiten Fahrt. Und danach Juan de Cosa, dessen Entdeckung der Insel wiederum auf einem Globus im Vatikan aus dem Jahre 1502 zu sehen ist. Bloß, (hüstel) dass es keinen Globus aus dem Jahre 1502 im Vatikan gibt. Oder überhaupt einen aus dem frühen 16ten Jahrhundert. Leider.

Der wahrscheinlich erste westliche Entdecker dieser kleinen Insel war ein Mann namens „Holzbein“. An diesem malerischen Beinamen kann man gleich die Profession erraten: Herr Holzbein war ein hauptberuflich Pirat der Karibik. Er persönlich ist schuld an diesem Holzbein-Klischee, gegen das die Piratengewerkschaft so lange gekämpft hat! Mit bürgerlichem Namen hieß Holzbein übrigens François Le Clerc.

Der überfiel von seinem Lager jahrelang gemütlich spanische Galeonen und verstarb im Jahre 1563 auf einer Azoreninsel. Reich, aber tot.

Nummer zwei der europäischen Siedler waren dann um das Jahr 1600 die Niederländer. Die errichteten genau dort eine Festung, wo jetzt der Ort „Vieux Fort“ ist. Französisch für „Alte Festung“. Doch die Holländer wurden alle Opfer des Tropenklimas. Wahrscheinlich… Je weet niet…

Auf jeden Fall waren sie bei Landnahme Nummer drei schon nicht mehr da. Ein englisches Schiff strandete auf der Insel. Statt wie geplant auf Guyana errichteten die 69 wackeren Briten ihre Siedlung spontan auf Saint Lucia, war ja auch sonst nicht viel zu tun. Fünf Wochen später schon waren aber 50 Siedler bereits tot. Aufgrund von Krankheiten… Zu denen auch Pfeil- oder Speerspitzen im Körper gehörten.
Die Kariben hatten gar nichts für Flüchtlinge übrig…

1635 erklärten die Franzosen erst einmal aus der Ferne, dass sei jetzt ihre Insel. Finis! Aber Landnahme Nummer drei waren doch wieder die Briten, die sich um diese Erklärung wenig scherten und 1639 die nächste Siedlung errichteten. Aber diese Pfeil- und diese Speersache, die wiederholte sich, man war auf karibischer Seite weiter xenophob.

Nummer Vier waren dann doch endlich die Franzosen. 1643 schaffte es Gouverneur De Rousselan tatsächlich hier eine Siedlung zu halten, indem er eine Karibin ehelichte und so quasi zur Familie gehörte. Ach, und die Insel offiziell „kaufte“. Nachdem er 1654 friedlich entschlummerte luden die Ureinwohner aber die verbleibenden Franzosen wieder nachhaltig aus, das mit dem Kaufvertrag, das hatten die ganz anders verstanden und sie reklamierten auf ihre herrlich direkte Art.

Als Nummer Fünf waren dann 10 Jahre später schon wieder die Briten da, nämlich Thomas Warner mitsamt 1000 Soldaten. Sollten doch die Franzosen wieder kommen! We are not amused! Na ja, zwei Jahre später waren genau noch… 89 Soldaten übrig. Dieses Mal weniger wegen Pfeile und mehr wegen Fieber, aber im Endeffekt: Wech ist wech!

Darum, Nummer sechs, kamen 1666 wieder die Franzosen mit ihrer Westindien-Company und machten aus Saint Lucia eine Kronkolonie. Doch das Gezoffe ging weiter und 1723 einigt man sich: Die Insel ist ab jetzt neutral, kein Brite oder Franzose setzt da einen Fuss darauf? Do you understand?

„Je ne me soucie pas“, sagte der Franzose und holt sich die Insel 1743, Nummer sieben, wieder zurück. Dann wird sie wieder mal neutral – nicht dass man mit den Briten nicht verhandeln könnte und dann französich. Acht.

1762 haben die Angelsachsen die Nase voll und erobern das Eiland. Neun. Um im Jahr darauf von den Franzosen wieder vertrieben zu werden. Zehn. 1778 kommen die Briten wieder, elf. 1783 die Franzosen, zwölf. 1796 die Briten. Dreizehn. 1802 wieder die Franzosen, ein letztes Aufbäumen. Vierzehn.

1803 weht dann wieder der Union Jack über dem Governeursgebäude. Fünfzehn. Und so bleibt das dann auch, denn Napoleon hat das mit dem Imperialismus durch seine Niederlagen für die Franzosen erst einmal gründlich verkackt.

Vierzehn Mal ging es also hin und her. (Einmal die Holländer, die gülten nicht.) Gerechterweise muss man sagen, dass die Insel von der Kultur her und der gesprochenen Sprache bis 1814 eigentlich immer französisch blieb. Es waren die Franzosen, die umfangreiche Zuckerrohrplantagen errichteten und die meisten Siedlungen gründeten. Und, nicht zuletzt: Die ganzen Sklaven aus Afrika auf die Insel transportierten.

Noch heute sind 82,5% der Bevölkerung Nachkommen dieser Zwangssiedler. Die Sklaverei war natürlich Voraussetzung für die Gewinnspannen der Plantagenbesitzer. Und die Franzosen hatten den großen kaufmännischen Fehler begangen eben diese im Jahre 1794 alle frei zu lassen. Fraternite, Egalite, Aufklärung, Guillotine, das waren so die Konzepte…

Worauf die reichen Plantagenbesitzer die Engländer überhaupt erst wieder einluden. Denen war das Hin und Her eigentlich schon zuviel geworden. Also führten sie die Sklaverei wieder ein, zwei Jahre später, aber konnten die Situation nicht mehr so richtig beruhigen.

1803 waren zwar die meisten Rebellen und Aufständischen tot oder hinter Gittern. Aber schon 1804 errichteten eben Sklaven nebenan, auf Haiti eine freie Republik und warfen alle weißen Sklavenbesitzer von ihrer Insel. Übrigens nach Frankreich die zweite Republik weltweit. Trotz ständiger Unruhen nahmen sich die Briten noch bis 1834 Zeit, bis sie selber erwogen, die Sklaverei abschafften. Und dachten sich zusätzlich noch so Torturen aus wie eine dreijährige „Lehrzeit“, in der die Ausgebeuteten immer noch an vier Tagen die Woche für ihre ehemaligen Besitzer weiterschuften mussten. Unentgeltlich, klar, wegen des Profits.

Es gab dann noch eine kleine zweite Einwanderungswelle. Als nämlich Ende des 19ten Jahrhunderts mit Zucker – ohne den Profit aus der Ausbeutung – nur noch schwer Gewinn zu machen war, „lieh“ man sich Arbeiter vorwiegend aus Indien. Mit Vertrag, alles mit Brief und Siegel, aber natürlich Ausbeutung vom Feinsten. Die waren einfach bereit zu einem noch geringeren Lohn zu arbeiten, als die Ex-Sklaven auf der Insel.

Deren Nachfahren sind die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe. Sogar 3% der Kariben – das waren die auf der anderen Seite der Pfeil- und Speerspitzen – leben noch auf der Insel. Und ein paar Nachfahren der ehemaligen Sklavenhalter auch. Alle zusammen sind erst 1979 komplett unabhängig geworden.

Zuckerrohr braucht keiner mehr, der Exportschlager Nummer eins ist jetzt die clip:Banana. Aber der Tourismus verdient den 180.000 Inselbewohnern trotzdem deutlich mehr Geld.

Noch einmal, zum Merken, eine stark geraffte Kurzfassung der Geschichte von Saint Lucia: Meine Insel! Nein, meine Insel! Pah, jetzt wohn ich hier! Jetz aber nicht mehr, ellabätsch, L’ile, c’est moi! This is a British island now, Au contraire! If you don’t mind! Gardez, combinards! O.k. Let’s attack!, Pardonnez moi!, May I? N’a pas d’importance! If you could just… Au revoir, Brits! Oh, what the hell, would you just shut up! Une chose encore… Shut up!


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 January 25, 2017  15m