Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0597: Sieg des Elektroautos!


Mein erstes Auto ist immer noch mein Traumauto. Citroén 2CV. Ente. Nimmt man irgendetwas vom Design weg, ist es kein Auto mehr. So muss das sein. Aber ein Elektroauto war meine Ente leider nicht. Hätte aber beinahe so kommen können. Im Ernst.

Download der Episode hier.
Opener: „Hanks GM EV1, saving the world Dave“ von Ryan Fulcher
Closer: „Tim Allen Car Jokes“ von AMAZING VIDEOS
Musik: „Les gens ne sont jamais contents (2011)“ von Freak / CC BY-NC-SA 3.0

Da bin ich wieder! Am Samstag des Nachtens ward ich ob meiner Darmaktivitäten gezwungen, so lange sitzend auf der Klobrille zu verweilen, bis die Muskulatur meiner Oberschenkel mir durch Taubheit signalisierte, dass es des Hockens nun zu lange ward. Kurz: Ich wurde ein Opfer irgendeines Abkömmlings aus dem grausamen Stamme der Noroviren.

„Drei Tage war der Frosch so krank. Jetzt raucht er wieder, Gott sei Dank!“, um ‘mal wieder Wilhelm Busch falsch zu zitieren und euch weitere unappetitliche Einzelheiten… aus dem dicken Fantasybuch zu ersparen, dass ich in den zwei Tagen im Bett geschmökert habe. Nur so viel: Moderne Fantasyromane werden anscheinend immer blutrünstiger. Muss dass „Game of Thrones“-Syndrom sein…

Doch heute soll es ja um Geschichte gehen. Um eine ganz besondere und ein bisschen vergessene Geschichte. Um eine Geschichte, die in Achéres spielt, einem kleinen Ort, der mittlerweile vom Großraum Paris aufgefressen wurde. Aber heute, im Jahre 1899 gibt es noch diese neue, schmucke kleine Landstraße, die schnurgerade nach Paris führt und recht wenig befahren ist.

Es ist April und noch nicht gerade warm. Eher kühl, denn erst in der Nacht vorher hat es geschüttet wie aus Kübeln. Die Straße ist klatschnass. Zwei Männer haben sich heute für ein Duell getroffen. Doch dieses Duell wird nicht mit Degen ausgefochten, noch mit Vorderladern oder gar erhobenen Fäusten. Sondern mit Automobilen.

Da steht auf der einen Seite Gaston de Chasseloup-Laubat, der schnellste Mann der Welt. Mit seinem Benziner hat er im Vorjahr den sagenhaften Rekord von 92 km/h in der Stunde aufgestellt. Er trägt einen Ledermantel mit Gurt, eine Fliegerkappe mit Brille, hohe Stiefel und Handschuhe und kurbelt gerade sein Gefährt an. Das ist ein bisschen kräftezehrend und aufwendig, aber irgendwie auch herb männlich. Öl, Benzin und Männerschweiß!

Und da ist sein Herausforderer. Der belgische Konstrukteur Camillie Jenatzy mit seinem Einsitzer, der „La Jamais Contente“, der „Niemals Zufriedenen“. Schaut ein bisschen aus wie ein Zeppelin auf Rädern. Oder wie ein ehrgeiziges Seifenkistenauto. Allerdings war dieses Gefährt trotzdem fast eine Tonne schwer wegen seiner zwei 25 kW-Motoren und den schweren Blei-Akkus.

Als der Benziner endlich angesprungen ist, zieht sich der schmächtige Jenatzky seine Kapitänsmütze auf, steigt in sein Auto und lässt es an. Das Rennen beginnt. Und schon nach wenigen Sekunden ist klar, wer gewinnen wird. Das Elektroauto von 1899 ist deutlich schneller in der Beschleunigung und lässt den Benziner hinter sich. Und es ist auch schneller im Ziel! Neuer Rekord! Ab jetzt ist der Rotschopf Jenatzky der schnellste Mann der Welt! Seine Jamais-Contente hatte in der Ziellinie beinahe 106 km/h auf dem Tacho!

Allen Beteiligten ist es damit endlich klar, auch seinem Konkurrenten Chasseloup-Laubat, der Jenatzky als erster gratulierte: Das ist der Durchbruch für die Elektroautos!

War ja auch klar, denn diese Benzinkutschen haben ja eigentlich nur Nachteile. Sie sind furchtbar laut, sie stinken erbärmlich, sie haben so viele bewegliche Teile, dass dauernd etwas kaputtgeht und dann dieses Benzin! Hochgefährlich ist das, leicht brennbar und man kann es nur in Apotheken kaufen.

Wie sagte Colonel Albert A. Pope, der Präsident der Pope Manufacturing Company in Hartford: „Man wird wohl kaum jemanden überzeugen können, sich auf eine Explosion zu setzen!“ Schon im Jahre 1897, zwei Jahre vor unserem Wettrennen, hatte er die sagenhafte Zahl von fünfhundert Autos verkauft. Elektroautos. 1897.

Das neue Jahrhundert wird das Jahrhundert des Elektroautos werden, das liegt auf der Hand. Ferdinand Porsche präsentiert auf der Pariser Weltausstellung 1900 z.B. seinen Porsche Lohner, ein Elektroauto, dass umjubelt wird und ihm sogleich aus den Händen gerissen. Ein Berliner Taxiunternehmen kauft vom Fleck weg 48 Lohner, trotz des horrenden Preises von 6000 Goldmark. Das sind, umgerechnet auf den heutigen Euro ca. 12 Fantastillionen Cent.

Und auch von Daimler gab es bald ein Elektroauto, den „Mercedes Electrique“, von dem sich Kaiser Wilhelm höchstpersönlich gleich einmal drei Stück kaufte. Das ist jetzt zwar noch kein „echter“ Daimler, selbst wenn er von Daimler gebaut wird, sondern die Entwicklung einer kleinen französische Herstellerfirma. Soviel zur Legende um den Namen „Mercedes“, nebenbei.

Es kam dann , wie es die Vernunft gebot. Das Elektroauto setzte sich durch. Am schnellsten setzten sich die Automobile in den USA durch und da am allerschnellsten in New York. Mehr als 40% aller Autos waren um 1900 Elektromobile, der Rest teilte sich auf dampfbetriebene Autos – solche, die man mit Kohlen vorheizen musste – und eben die stinkenden, unbeliebten Benziner.

Klar, 80 Meilen ist keine tolle Reichweite, aber bei weitem genug für den innerstädtischen Verkehr. Dafür waren E-Autos kinderleicht zu bedienen. Einsteigen, anlassen, losschnurren lassen. Das brauchte keinen Führerschein, das brauchte keine Kupplung und keine Gangschaltung. Ein Hebel zum Lenken, einen zum Beschleunigen und ein Pedal zum Bremsen.

Das war so einfach, das konnten sogar Frauen! Nein, ich glaube nicht, dass Frauen schlechter Autofahren können als Männer, das Gegenteil geht ja aus den Statistiken aller Kraftfahrzeug-Versicherer hervor. Ich gebe nur wieder, wie die Elektroautos damals beworben wurden. Zitat; „Ja, im Pope Waverly, der völlig lautlos ist, werden auch die teuersten Abendgewänder nicht schmutzig! Kein Benzin, kein Öl und keine Abgase! Ideal für die Dame von heute!“

Dem geneigten Zuhörenden im Jahre 2017 drängt sich anhand der Klima-Erwärmung nun natürlich folgende Frage auf: „WTF! Wieso haben wir über hundert Jahre später eine Milliarde stinkender, lärmender, umweltverpestender Benziner auf dem Planeten und nur knapp über 1 Million Elektroautos!“

Gut, dass Du fragst, geneigter Zuhörender, denn das hat gar nichts mit Verschwörungen zu tun, wie es z.B. beim vorzeitigen Tod des beliebten Electric Vehicle #1 von General Motors im Jahre 2003 durchaus der Fall war. Und nein, und es hat auch nichts mit den unmöglich schweren Blei-Akkus zu tun, die damals üblich waren.

Drei Dinge waren für den Niedergang des Elektroautos entscheidend.

Zum einen war es lange um vieles leichter, eine Tankstelle zu betreiben als eine Stromladestelle. Der Wechselstrom war eine brandneue Erfindung, aber trotzdem sollte es noch bis spät in Zwanzigerjahre dauern, bis auch wirklich ländliche Gebiete an das Stromnetz angeschlossen waren. Das E-Auto war an die Städte gefesselt, die dauernd beworbenen Überlandfahrten gab es nur mit dem Benziner, dessen Reichweite auch bald konkurrenzlos besser war. Schaut euch Werbeplakate von damals an. Ein Auto in freier Natur.

Zweitens wurde der Anlasser erfunden. Man klaute dem Elektroauto einfach ein Stückchen Technologie und packte in den Benziner einen Elektromotor, der das Ankurbeln des Motors übernahm. Man brauchte jetzt also auch für den Benziner keine Bärenkräfte mehr, um ihn anzulassen. Konnten – im äußersten Notfall – sogar Frauen.

Und drittens – und das ist ein Element, das man nicht unterschätzen sollte – waren Benzinautos männlich. Gestank, Explosionen, viele Teile, an denen man herumschrauben konnte, das Abenteuer Autofahren – Mann zu sein hatte einen neuen Aspekt. Das lässt sich heute noch bewundern in jedem Männermagazin im redaktionellen und dem Anzeigenteil und in Fernsehsendungen wie „Top Gear“.

So war das. Von wegen Daimler & Benz hätten das Auto erfunden. Und damit ist nebenbei auch der Beweis geführt, dass wir endlich richtige Emanzipation brauchen und den dummen Sexismus aus unseren Köpfen kriegen müssen, denn der ist – indirekt – schuld an der Klima-Erwärmung! Jawoll!

Na ja, das war jetzt vielleicht doch zu steil. Könnt ihr mir folgen? Ähem. Also, o.k., anderes Fazit: Ich finde „Top Gear“ doof! So, jetzt aber…


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 February 8, 2017  14m