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Audio-Mitschnitt und Transkript der Pressekonferenz: Justizminister Heiko Maas präsentiert die Vorratsdatenspeicherung


Wir waren vorhin auf der Pressekonferenz von Justizminister Heiko Maas, als er die Neuauflage der massenhaften und anlasslosen Telekommunikationsüberwachung verkündete. Das Justizministerium hat selbst einen Audio-Mitschnitt seiner Rede online gestellt – darin fehlen aber die Nachfragen und Antworten.

Glücklicherweise haben wir einen vollständigen Mitschnitt erstellt (mp3, auch ein Transkript) – und das Glück, dem knapp angebundenen Minister die letzten beiden Fragen gestellt zu haben.

Der Europäische Gerichtshof stellte in seinem Urteil klar:

Die Richtlinie 2006/24 betrifft nämlich zum einen in umfassender Weise alle Personen, die elektronische Kommunikationsdienste nutzen, ohne dass sich jedoch die Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert werden, auch nur mittelbar in einer Lage befinden, die Anlass zur Strafverfolgung geben könnte. Sie gilt also auch für Personen, bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte. […]

Zum anderen soll die Richtlinie zwar zur Bekämpfung schwerer Kriminalität beitragen, verlangt aber keinen Zusammenhang zwischen den Daten, deren Vorratsspeicherung vorgesehen ist, und einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit; insbesondere beschränkt sie die Vorratsspeicherung weder auf die Daten eines bestimmten Zeitraums und/oder eines bestimmten geografischen Gebiets und/oder eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte, noch auf Personen, deren auf Vorrat gespeicherte Daten aus anderen Gründen zur Verhütung, Feststellung oder Verfolgung schwerer Straftaten beitragen könnten.

An dieser Anlasslosigkeit, pauschalen Verdächtigung und mangelnder räumlicher und zeitlicher Eingrenzung krankt auch der neue Vorschlag. Der Justizminister meinte dazu, dass das technisch zu schwierig sei.

Zudem behauptet der Minister:

Insbesondere dürfen auch keine Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellt werden.

Doch nur wenige Stunden vorher haben wir enthüllt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz ein eigenes Referat hat, das Bewegungsprofile und Beziehungsnetzwerke erstellt. Hierzu führte der Minister aus, dass in seinem Gesetz kein Zugriff durch den Verfassungsschutz vorgesehen ist.

Aber auch das ist ein Taschenspielertrick. Sein Gesetz regelt erst einmal nur die Speicherung. Den Zugriff regeln andere Gesetze, zum Beispiel G-10-Gesetz, BfV-Gesetz und BND-Gesetz. Maas‘ „Leitlinien“ sehen auch explizit Zugriffsregeln vor, die von den Bundesländern einzeln festgelegt werden.

Dass der Verfassungsschutz keinen Zugriff bekommt, ist daher so glaubwürdig wie die Aussage, dass es keine Vorratsdatenspeicherung geben wird.

Update: Hier das Transkript, danke an Kathrin Maurer.

Heiko Maas: Ja, wir legen heute einen Kompromiss vor zur Einführung von Speicherfristen, um schwerste Straftaten in Zukunft besser aufklären zu können, und aber vor allen Dingen, um den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs gerecht zu werden. Das heißt, wir schaffen eine ausgewogene Balance zum einen zwischen Sicherheitsinteressen und zum anderen den Bürgerrechten, und das ist die Grundlage der Vorlage, die wir heute vorgestellt haben.

Es geht im Wesentlichen darum, Speicherfristen zu definieren, die Höchstspeicherfristen sind für Telefonie-Daten, für Standortdaten und auch für IP-Adressen, mit denen Straftaten wie Mord, Totschlag, Kinderpornografie, sexueller Missbrauch, Menschenhandel besser aufgeklärt werden können. Dabei werden kurze Fristen definiert, hohe Eingriffsvoraussetzungen mit einem Richtervorbehalt, Berufsgeheimnisträger werden ausgenommen, und auf die Art und Weise werden wir auch den Urteilen vom Bundesverfassungsgericht und des Europäischen Gerichtshofs gerecht.

Justizministerium: Gibt es Nachfragen?

Journalist: Ja, wie ist das denn, Herr Maas, wenn der E-Mail-Verkehr davon vollständig ausgenommen wird? Dann ist das ja eine Einladung für alle die bezeichneten Kriminellen, sich jetzt nur noch per E-Mail zu unterhalten.

Maas: Es gibt jetzt schon eine Vielzahl von Möglichkeiten, Speicherungen zu umgehen, mit vorgetäuschten IP-Adressen. Es gibt eine Vielzahl von anderen Kommunikationsmöglichkeiten. Wir sind nicht ganz frei, sondern wir haben die Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs zu berücksichtigen. Der EuGH sagt, eine anlasslose Speicherung aller Daten ist unzulässig, deshalb können wir gar nicht alle Daten abspeichern. Die Telefonie-Daten, die Standortdaten und die IP-Adressen im Web-Verkehr sind die besonders wichtigen Daten für die Verbrechensaufklärung, die sind von dem Gesetz erfasst. Und die E-Mail-Kommunikation ist eine Massenkommunikation, die von vielen Bürgerinnen und Bürgern, die völlig unbescholten durchs Leben gehen, genutzt werden, um miteinander zu kommunizieren. Die werden nicht erfasst. Und das schafft die Ausgewogenheit des Gesetzes, denn diese Gesetze oder dieses Gesetz, das wir auf den Weg bringen, soll und muss auch gerichtsfest sein.

Journalist: Können Sie nochmal sagen, ist das jetzt ein gemeinsamer Kompromiss, den sie mit dem Innenminister gemacht haben, oder ist das Ihr Kompromissvorschlag, der Kompromissvorschlag Ihres Hauses, der dann eben noch zu bereden sein wird?

Maas: Das ist der Kompromissvorschlag des BMJV, das ist unser Vorschlag. Wir werden daraus einen eigenen Gesetzesentwurf entwickeln. Der ist allerdings in den Details mit dem Kollegen de Maizière so abgestimmt.

Journalistin: In welchen Fällen und wie umfassend werden Standortdaten erfasst?

Maas: Standortdaten sind besonders sensible Daten, weil über die sogenannte Funkzellenabfrage auch Bewegungsprofile angelegt werden könnten. Das heißt, wer war wann wo. Deshalb dürfen diese Daten nur vier Wochen gespeichert werden, die anderen Daten dürfen zehn Wochen gespeichert werden. In vier Wochen wird es nicht so einfach sein, Bewegungsprofile anzulegen. Trotzdem ist es zur Verbrechensaufklärung notwendig, zu wissen, wer zum Tatzeitpunkt etwa am Tatort gewesen ist. Dafür reichen aber vier Wochen Speicherfrist aus.

Journalist: In der vergangenen Legislaturperiode haben sich Ihre Vorgängerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, und Herr Friedrich vier Jahre in dieser Frage überkehrt, die Vorratsdatenspeicherung. Sie haben es jetzt geschafft. Warum nutzen Sie die schöne Gelegenheit nicht, um mit Herrn de Maizière gemeinsam aufzutreten? Und was ist für Sie der zentrale Punkt dieses Kompromisses – von dem Sie sagen, es sei ja ein Kompromiss –, von dem Sie auf jeden Fall nicht runtergehen werden.

Maas: Also, wichtig ist doch, dass ich mit Herrn de Maizière gemeinsam in die gleiche Richtung gehe. Herr de Maizière stellt seine Gesetzesentwürfe selbst vor und bespricht sie vorher auch intensiv mit uns. Und genauso machen wir das auch umgekehrt. Das ist außerordentlich konstruktiv gewesen mit ihm in den letzten Wochen, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir jetzt auch sehr zügig ein Gesetz vorlegen werden und dieses auch zügig ins parlamentarische Verfahren bringen können. Am Schluss kommt es darauf an, ob man in der Sache einen gemeinsamen Weg geht, nicht, ob man unbedingt immer gemeinsam vor den Kameras steht.

Journalist: Auf welchen Kern wollen Sie nicht verzichten, war noch die Frage, dieses Gesetzes.

Maas: Ja, wir haben in den Leitlinien eigentlich alles stehen, was wir für richtig und deshalb auch umsetzbar halten. Natürlich wird das parlamentarische Verfahren, wie das üblich ist, von den Fraktionen, das alles nochmal miteinander bereden. Aber ich glaube, das, was wir vorgelegt haben, ist eine gute Grundlage und ist vor allen Dingen, nach meiner Einschätzung, in der Substanz nicht mehr veränderbar, weil wir ansonsten Gefahr laufen, die Urteile vom BVerfG oder EuGH nicht ausreichend zu berücksichtigen. Und dann kann ein Gesetz, wenn es beschlossen ist, sehr schnell auch wieder von einem Gericht zu Fall gebracht werden, das will niemand.

netzpolitik.org: Andre Meister von netzpolitik.org. Zwei Fragen: Der EuGH hat unter anderem bemängelt, dass es keine räumliche und zeitliche Eingrenzung der Speicherung gäbe. Die sehe ich hier drin auch nicht. Zweitens schrieben sie: „Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile dürfen nicht erstellt werden“, schreiben aber im nächsten Absatz nur von Strafverfolungsbehörden. Und die Länder können eigene Gesetze machen. Von Geheimdiensten steht da gar nichts. Wir haben heute erst veröffentlicht, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz ein eigenes Referat hat, dass Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile erstellt. Wie geht das damit einher?

Maas: Naja, in den Genuss dieses Gesetzes kommen nur die, die auch erwähnt werden, also nicht der Verfassungsschutz. Der ist auch nicht aufgeführt als eine Behörde, die dort abfragen kann zur Gefahrenabwehr. Bei dem Gesetz gab es im Grunde genommen zwei Möglichkeiten: Entweder wir definieren einen Anlass, also zeitlich, räumlich, eine Veranstaltung, ein Großereignis oder was auch immer, und ab dann können Daten gespeichert werden. Das ist technisch, praktisch außerordentlich schwierig möglich. Die Frage ist, in welchem Raum werden dann Daten gespeichert, die technischen Voraussetzungen dafür sind nicht klar gewesen. Und deshalb haben wir uns für den zweiten Weg entschieden. Der EuGH hat nämlich gesagt, dass die anlasslose Speicherung aller Daten unzulässig ist. Das heißt, wenn ich anlasslos speichere, aber eben nicht alle Daten. Und deshalb nehmen wir den großen Bereich der E-Mails inklusive der IP-Adressen der E-Mails komplett raus. Das heißt, es ist eben nicht möglich mit den gespeicherten Daten, die im Übrigen über eine sehr kurze Zeit gespeichert werden. Wir sind damit mit Abstand, und zwar mit weitem Abstand im europäischen Vergleich, das Land, das Daten sehr, sehr kurz speichert und glauben, dass wir auf die Art und Weise auch dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gerecht werden können.

netzpolitik.org: Also der Verfassungsschutz kriegt keinen Zugriff?

Maas: Der Verfassungsschutz, das Verfassungsschutz-Amt ist in dem Gesetz nicht vorgesehen für einen Zugriff nach den Regeln, die wir in diesem Gesetz vorschlagen werden.

Justizministerium: Vielen Dank.


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 April 15, 2015  n/a