Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0642: Wo sind die Stars?


„Hast Du schon den neusten Film von (Name einsetzen) gesehen? Den musst Du sehen. Weil (Name einsetzen) die Hauptrolle spielt!“ Kommt euch das bekannt vor? Nicht? Mir auch nicht mehr. Denn es gibt keine Stars mehr.

Download der Episode hier.
Opener & Closer: „Norma Desmond – I am a Star“ von MrGatherfield
Musik: „A Journey to a Star“ von Georgie Stoll and his Orchestra, feat. Judy Garland / Public Domain Mark 1.0

Es gibt einen wichtigen und wirklich tollen Klassiker zum Thema „Movie Star“. Oh, Mist, jetzt habe ich DAS Wort gesagt. Movie Star. Na, toll! Jetzt habe ich wieder den ganzen Tag – /Clip Harpo – jetzt habe ich wieder den ganzen Tag einen Ohrwurm. Vielen Dank auch! Na ja, ihr jetzt wenigstens auch…

Zurück zum Thema. Dieser wichtige und tolle Klassiker ist natürlich „Sunset Boulevard“. Mit „Boulevard der Dämmerung“ recht einfühlsam ins Deutsche übersetzt. Regie und Drehbuch von Billy Wilder. In den Hauptrollen William Holden, Erich von Strohheim und die fabelhafte Gloria Swanson. Die im Prinzip hier autobiographisch arbeitet, denn der Film handelt von einem Star der Stummfilmzeit, der nicht bemerkt hat, das selbige bereits 22 Jahre her ist, jetzt, im Jahre 1950. Und das es gar keine Stars mehr gibt.

Diese filmische Todesanzeige für das Stardom in Hollywood war vielleicht verfrüht, denn einige männliche Stars und einige weibliche Stars sollten erst noch groß werden. Marylin Monroe oder Marlon Brando, Audrey Hepburn oder Paul Newman, um nur ein paar zu nennen.

Aber dann rufen wir halt hiermit heute das Ende des Stardoms aus. Ich behaupte hiermit, es gibt gar keine Hollywood-Stars mehr. Die ganze Mechanik funktioniert nicht mehr. Das ganze System ist veraltet und überholt. Oder, positiv ausgedrückt: Die Studios vermarkten kein Menschenfleisch mehr.

Und eigentlich ist das ganze Getue um ein paar einsame Schauspieler ja auch nie so richtig geplant gewesen. Ganz am Anfang von Hollywood steht New York. Nachdem Thomas Alva Edison die Stromkriege verloren hatte, wandte er sich sehr erfolgreich dem Film zu. Und verdiente nicht schlecht an seinen Patenten.

Aber nach dem iPhone kommt das Samsung, wie wir wissen und mit den Biograph Studios startete eine kleine Filmfirma, die Edisons Studio einfach eins zu eins nachbaute und die Flut von Edisons Klageschriften einfach ignorierte.

Und die hatten dann tatsächlich noch mehr Erfolg als Edison selber, der ja seine Patente eigentlich auch nur zusammen geklaut hatte.

Die Menschen strömten in die Zelte und Buden – Kinos wurden gerade erst im Hinterhof gemauert – um diese eine junge Frau zu sehen. Zwar kannte keiner ihren Namen, aber es war dieses „Biograph Girl“, das die Leute sehen wollten. Dieses Mädchen von der Firma Biograph.

Den Namen kannte keiner, weil das Studio Angst hatte, das die Schauspielenden dann zuviel Geld wollen, denn jetzt arbeiteten sie für ein Taschengeld und eine Brotzeit. Und so blieb das „Biograph Girl“ einfach dieses Mädchen von Biograph.

Bis D.W. Griffith in das Studio einstieg und erkannte, dass da Geld auf der Straße rumlag. Und so war der erste Star der Geschichte geboren! Florence Lawrence! Hast Du schon den neuesten Film von Florence Lawrence gesehen, fragten die Leute. So wie sie später sagten: Hast Du schon den neuesten John Wayne oder den neuen James Dean gesehen?

In der großen Zeit der Hollywood-Stars waren Gesichter wichtiger als der Dialog. Waren die Stars und die Archetypen, die sie verkörperten, entscheidender für den Erfolg eines Films als das Drehbuch. Es gibt nicht wenige Filmposter aus der Goldenen Ära, auf denen der Name des Stars größer prangt als der Titel.

Man lernte das damals beeindruckend schnell in Hollywood. Florence Lawrence selber wechselte 1911 das Studio für einen neuen Vertrag, der sie damals schlagartig reich machte. Oder sagen wir sehr wohlhabend.

Und so baute jedes Studio seine eigene Riege an Stars auf. Holte hübsche Gesichter von der Straße, gab ihnen Schauspielunterricht und Anweisungen, wie man mit den Medien umgeht. Was man sich an Skandalen leisten darf und was nicht.

Für jeden Star gab es eine ökologische Nische, einen Typ, einen Mythos, die er oder sie zu erfüllen hatten. Marylin Monroe hatte die blonde Sexbombe zu sein und Cary Grant der smarte, aber ein bisschen schusselige Brite. Charlie Chaplin hatte lustig zu sein und Lawrence Olivier bitteschön nicht. Geht ja gar nicht. Ging auch nicht.

Denn: So hätten wir das gerne bitteschön! Hey, ich habe einen Cheeseburger bestellt! Ich möchte bitteschön das gleiche Brötchenschlabberdings und die gleiche viel zu bittere Gurkenscheibe wie immer! Ist mir wurst, ob das hier der McDonalds in Peking, Paris oder Partenkirchen ist!

Es ist doch so: Die Queen hat die Queen zu sein und das Baby von Victoria hat süß zu sein! Das ist schließlich unser Recht! Dafür zahlen wir schließlich Steuern… Oder auch nicht. Eher nicht. Nee, gar nicht…

Was war meine Behauptung noch einmal? Ah, richtig: Jetzt gibt es keine Stars mehr! Oder? Oder?
Wie? Tom Hanks? Im Ernst? Tom Hanks? Was ist das nächste coole Projekt mit Tom Hanks, bitteschön? Es ist „The Circle“. Kommt in ein paar Tagen raus und weit und breit sind keine Trailer zu finden, kein Poster wird geleakt und kein cooles Filmblog schreibt darüber.

Und bei den Damen? Wen nehmen wir da? Nehmen wir halt Emma Watson. Gerade im Kino mit dem recht erfolgreichen „Die Schöne und das Biest“. Sie spielt die Schöne. Nicht das Biest. BTW. Das hat man mitbekommen, da gab’s Trailer und Teaser und Blogposts und Tweets noch und nöcher. Was macht die also als nächstes? Ach ja, „The Circle“. Na ja, siehe oben.

Die Studios verpflichten keine Schauspieler mehr. Und sie investieren auch nicht mehr in deren Image, deren Nische oder deren Archetyp. Das müssen wir ab jetzt alles selber machen. Die Schauspieler müssen ihr eigenes Image pflegen, sonst sind sie morgen weg vom Fenster. Und wir müssen irgend etwas auf diese Personen projizieren, die eigentlich ganz normal wirken.

Ist Chris Pratt nicht genauso wie Du oder ich? Und die Jennifer Lawrence erst, mit der könnte man glatt einen Cheeseburger in Partenkirchen bestellen und über peinliche Pupserlebnisse kichern.

Vorbei ist der Glamour. Gott ist tot. Die Götter und die Göttinnen von Hollywood sind tot.

Denn das Geld und das Engagement fließt jetzt nicht mehr in die Gesichter und die Personen, das fließt jetzt in die Special Effects. Und das Marketing. Schon betreten die ersten künstlichen Schauspieler, vom Computer generiert, die Bühne. Peter Cushing spielt seinen Grand Moff Tarkin in „Rogue One“ recht überzeugend. Merkt man gar nicht, dass der schon 1994 an Prostatakrebs gestorben ist.

Wenn man erahnen will, wass das einst war, dieses Stardom, dann muss man heute nach Indien kucken. Da gibt es zum Beispiel die drei Khans. Die heißen Shah Rukh Khan und Salman Khan und Aamir Khan. Clip:/ Khaaaaan! Sorry. Tut mir leid. Musste sein.

Die drei sind nicht verwandt und tragen den Khan auch nicht als gültigen Nachnamen, sondern mehr wie einen Ehrentitel. Jedes Jahr macht jeder einen Film und jedes Jahr werden diese Filme große Erfolge. Weil eben der Amir, der Salmon oder der Hauruck mitspielen. In Bollywood gibt es noch Stars.

Obwohl… …die sind alle auch schon über 50 und so richtige Nachfolger scheinen die auch nicht zu haben, wenn mein Hindi mich nicht täuscht. (Oder wenn Danny Bowles von den Filmschoolrejects das richtig übersetzt hat…)

Vielleicht ist es halt ganz vorbei mit den Stars. Wahrscheinlich. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich traurig sein soll, denn das oben beschriebene System hat Menschen einfach versklavt und bei mangelndem Interesse ausgespuckt wie… äh… wie… Cheeseburger-Gürkchen-Ekelscheiben.

Gut. O.k. Dann. Ähem. Na ja. Dann vergöttern wir halt in Zukunft wen anders! Keine Filmstars mehr, sondern, sagen wir ‘mal… Podcaster. Wäre zumindest mein Vorschlag.


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 May 4, 2017  14m