Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0664: Unterhosen


Ich kann mich ja immer noch nicht für einen bestimmten Typ Unterhose entschieden. Nach 52 Jahren. Vielleicht hilft mir die Recherche von Ellen da weiter. Ich habe heimlich schon Ausschnitte gelesen – wird echt interessant. Bin gespannt auf die heutige Sendung.

Download der Episode hier.
Closer: „Gilmore Girls – monkey monkey underpants“ von jdanddpt
Musik: „The Underpants Song by Rudy“ von rudy

Mich interessierte es schon immmmmmer, ab wann denn die Damenwelt in die Unterhose steigen durfte. Ich erinnere mich an zahlreiche Szenen quer durch die letzten Jahrzehnte, viele Frauen mit Röcken gesehen zu haben, die NICHTS darunter trugen. In Filmen hauptsächlich. Eigentlich überwiegend. Im Grunde nur….

Und tatsächlich, beim Nachblättern wurde schnell klar: Frauen trugen generell bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts keine Unterhose. Es war durchaus möglich, das Bäuerinnen eine Hose als Kälteschutz unter ihren Röcken trugen. Doch es galt als anzüglich darüber zur reden und wahrscheinlich waren es die Hosen des Ehemannes, die die Gattin sich zum Zusatzschutze ausborgte. Aber genau wegen dieser Ungehörigkeit, die sich einem umgehend an die Fersen heftet, wenn man versucht sich eine historische Übersicht über dieses Thema zu verschaffen, bleibt es sehr sehr schwer geschichtliche Fakten oder gar profunde Sozialgeschichte zu Tage zu fördern.

Als einziger gesicherter Hinweis gilt das Experiment Caterina de Medici. Die im 16. Jahrhundert als eine der ersten Frauen, die italienische Mode des Tragens von Unterhosen an den französischen Hof brachte.

Außerdem wird ihr (nebenbei) auch noch die Erfindung des Damensattels zugesprochen. Dieser erlaubte es den Damen erstmals an einer königlichen Jagd-Eqiupe teilzunehmen. (natürlich jetzt in Unterhosen) Bis dahin durften die Edelfrauen nur auf einem stuhlartigen Gestell Platz nehmen, das an der Seite eines Pferdes befestigt war. Um dann, träge (bzw. dämlich) hinter den Herren der Schöpfung her zu wackeln.

Und um Caterina dann auch wieder arrividerci zu sagen… noch ein letzter Satz zu ihr als Person. Durch ihre Hand eröffnete sich der französischen Küche nachhaltig unbekannte Genüsse… Bisher eher einfach und rustikal, verwandelte Caterina diese durch ihre italienischen Köche, erlesenen Zutaten und aufwendiger Zubereitung, in die art culiniaire – die sich heute die hohe französische Kochkunst nennt. Und 10 Thronfolger schenkte sie auch noch der Krone.

Zurück zur Unterhose, diese konnte sich damals wahrscheinlich gesellschaftlich noch nicht durchsetzen, denn Jahrhunderte lang ging die Frau von Stand entblößt unter ihren Röcken und Überkleidern. Die Krinoline und der Reifrock verbarg alles sehenwerte. Außerdem gingen die Damen immer hinter den Herren, so natürlich auch beim Treppensteigen, …von dem her also drohte keine Gefahr. Nur Dirnen, Tänzerinnen und ähnlichen Gespielinnen war die Unterhose ein ständiger Begleiter. Ganz einfach weil den Mädels z.B. auf den klapprigen Hinterhofstiegen wo sie ihrem Auskommen nachgingen, dauernd unter die Röcke geschaut wurde.

Bei den Germanen gab es wohl schon Hosen die unter Kittel und Umgänge getragen wurden. Die Römer schätzen ihre knielange Tunika und nannten Hosen barbarisch. So erzählt es die “Germania” des Cornelius Tacitus. Lange Zeiten jedenfalls wurden nur Hemden getragen, hinten länger und an den Seiten geschlitzt, das dann bei Bedarf zur Genitalverhüllung durch die Beine gezogen wurde. Das war prinzipiell Ober-, Unter-, Nachthemd und Unterhose gleichzeitig. Daher wohl auch die Redewendung “mach dir nicht ins Hemd.”

Wenn man ein um die Hüften geschlungenes Tuch schon als Unterhose bezeichnen möchte, dann waren die alten Ägypter wohl bei den Ersten die so etwas wie Slips trugen. Bis zur richtigen Unterhose trugen die Männer des Mittelalters allerdings normalerweise die Bruche oder Brouche, eine Art Unterhosengürtel an den dann die Beinlinge angenestelt wurden. Diese Kombi wurde dann Anfang des 15. Jahrhunderts durch unsere bekannte Strumpfhose mit Schamkapsel abgelöst. Die sich, das hatten wir schon einmal, kindskopfgroß auswattiert passend zum Brokatüberwurf vorm Hosenlatz wölbte. Ohne einen Rückschluß auf den Inhalt zuzulassen und nur bei den Patriziern und sonstigen Reichen… versteht sich. Genau Hosenlatz, auch noch so ein Thema…ohjeee, da läßt sich ja schon wieder ein Buch drüber schreiben.

So dauerte es… , den ideologischen Überbau lieferte, (mal wieder) das alte Testament: “Ein Weib soll nicht Männertracht tragen, und ein Mann nicht Frauenkleider anziehen, denn ein Gräuel ist dem Herrn, deinem Gott ein jeder, der solches tut” (Mose5,22,5)

Dann: Intellektuelle Aufklärung, neue bürgerliche Moralvorstellungen und die industrielle Revolution, erodierten jegliche Kleiderordnung. Es wuchs das Verständnis für Sauberkeit und Hygiene und man erkannte den Zusammenhang zwischen Schmutz, Ungeziefer und epidemischen Krankheiten.

Als der Brite James Hargraves 1764 seine Spinning Jenny entwickelte, kam die entscheidende Wende. Die erste industrielle Spinnmaschine für Baumwolle gab einen anhaltenden Ruck in der Kleidungsproduktion. Zwischen Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich die Baumwollproduktion in den sklavenhaltenden US Südstaaten ver-vierzig-facht. Unglaublich! Fast ein Viertel der Weltproduktion kam als preiswertes Massengut auf dem Markt. Die Industrialisierung war da!

Ab 1805 gab es dann “offiziell” (also gesellschaftlich anerkannt) die ersten Beinkleider für die Damenwelt, die unter dem Kleid getragen werden durften. Das waren Hosen aus Baumwolle oder Leinen ähnlichem Stoff, der im Schritt offen war. Die sogenannte “Stehbrunzhosen” wie ma do in Bayern sogt hod.

Später wurde diese Sitte sogar ein gewissenhafter Pflichtteil bei der täglichen Wahl der Garderobe. (Ich frage mich, ob und wenn, wer das wohl kontrolliert hat?) Pflichtteil nicht jedoch bei dem einfachen Volk, die hatten ja auch existentielle Probleme stattdessen zu meistern.

Das sich die Unterhosen bei Männern früher als bei Frauen durchsetzte, lag auch an der Kleiderordnung der wachsenden Armeen. Das Militär machte es vor, in der kalten Jahreszeit jedem Mann mit einer Unterhose aus Baumwolle auszustatten. Ende des 19. Jahrhunderts waren die Unterbeinkleider im Militär nicht nur aus Reinlichkeit und Hygiene unentbehrlich, sondern ganz einfach ein Schutz vor grausamer, todbringender Kälte.

Für Frauen wurde es zum Beginn des ersten Weltkrieges ganz allmählich selbstverständlicher, Unterhosen zu tragen. Sie forderten Bewegungsfreiheit ein und außerdem wurden die Röcke deutlich kürzer. Aber erst als eine amerikanische Tennisspielerin in Wimbledon unter ihrem kurzen Rock einen spitzenbesetzten Slip hervorblitzen ließ, rückte der Damenslip in den Blick der Öffentlichkeit.

Dann erfindet der amerikanische Hersteller Jockey die kurzen Unterhosen für Männer. Die Astronauten der 60er wurden damit ausgestattet. Bis heute gibt es noch immer 120 Lizenznehmer díeses Modells. Exklusiver Schnitt, garantierte Passform, kein Scheuern, langlebiges Gummi, einhundert Prozent gekämmte Baumwolle!

In den rebellischen 60ern entstand dann auch der Bikinislip, für Männlein und Weiblein. Der Bund rutschte immer tiefer, bis unter den Bauchnabel. Die 70er ließen alles bunt werden und extrem gemustert. In den 80ern dann kam der hohe Beinausschnitt und in einer bis dahin undenkbaren Farbe! Schwarz!

Dann kam Calvin Klein, er stellte die Welt der Männerunterhosen auf den Kopf. Schlichte weiße Unterhosen mit breitem Bund und dem fett gedruckten Name des Designers…
Calvins Tochter, die Arme, soll einmal gesagt haben:”Immer, wenn ich kurz davor bin, mit einem Typen ins Bett zu gehen, erschlägt mich der Name meines Vaters auf einer Unterhose…”
Das stell ich mir mal richtig scheiße vor… Leute?!

Heute gibts natürlich alles! Schließlich galt es nicht nur Unanständiges praktisch zu verdecken, sondern es gilt immer noch mehr denn je, Unanständiges hübsch zu verpacken. Neben den üblichen Basics, alle erdenklichen Formen und Farben, sowohl für Männer als auch Frauen.

Trend ist, Individualität mit Funktionalität zu verbinden, Sportler lassen sich in Funktionsunterwäsche Leinwandgroß vor unsere Augen inszenieren und Makel existiert nicht mehr. Oder aber, wir haben alles zur Hand um darüber hinwegzutäuschen.

Der perfekte Körper ist längst nicht mehr nur Frauensache! Auch die Männerwelt muss sich mittlerweile auspolstern und das sicherlich nicht nur hinten… Unterwäsche die das bietet gibts es natürlich schon, alles ist möglich.

Aber was passiert, wenn wir die nudefarbenen Bauchweghose oder den ausgestopften Penisvergrößerer irgendwann doch wieder ausziehen müssen? Mist! (welch Qual!) Hoffentlich wird uns das nicht zum Liebestöter!


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 June 28, 2017  16m