Off/On – der Podcast von netzpolitik.org – netzpolitik.org

Medium für digitale Freiheitsrechte

https://netzpolitik.org

subscribe
share






Abschluss des NSA-BND-Ausschusses: Keine Revolte gegen die Geheimdienste (Update)


Bundestagsdebatte zum Bericht des NSA-BND-Untersuchungsausschusses vor vielen leeren Sitzen. 28. Juni 2017. Screenshot Phoenix

Der Bundestag war gestern die Plattform für sechzig Minuten politischer Reden zum Bericht des „1. Untersuchungsausschusses (NSA)“. Damit endet die mehrjährige Untersuchung, die ihren Anfang wenige Monate nach Beginn der Veröffentlichungen von Edward Snowden im Juni 2013 nahm. Der Abschlussbericht des NSA-BND-Ausschusses wurde Bundestagspräsident Norbert Lammert übergeben und die Erkenntnisse im Rahmen von kurzen Reden von Abgeordneten aller Fraktionen diskutiert. Der Bericht beinhaltet zwei unterschiedliche Sichtweisen auf die Ergebnisse der umfänglichen Untersuchung und gibt entsprechend voneinander abweichende Einschätzungen von Koalition und Opposition ab.

Wer sich den zähen Folianten (hier der Bericht als pdf) nicht selbst durchlesen möchte: Für die Koalition taugt nichts zu einem Skandal, die bisher bekannten Aktivitäten sowohl der NSA als auch des BND bewegen sich im Rahmen ihrer Aufgaben. Die Opposition sieht in der fortwährenden Massenüberwachung von NSA, BND und Co. allerdings sehr wohl einen solchen, vor allem aber darin, dass die Koalition keine Schritte unternommen hat, die Praktiken der Geheimdienste einzudämmen.

Im gemeinsamen Sondervotum der Opposition sind keine Forderungen enthalten, die dem Leser wegen ihrer Radikalität die Schuhe ausziehen würden. Der Unterschied zu den Bewertungen der Koalition besteht darin, dass die in vielen Monaten erlangten Erkenntnisse ohne Blatt vorm transatlantischen Mund bewertet sowie moderate Schlüsse daraus gezogen werden. Niemand fordert jedoch darin, mal wirklich auf den Tisch zu hauen und schlicht ein radikales Ende der Spionage zu verlangen.

Die Empfehlungen des Ausschusses bei den ausländischen Geheimdiensten gehen weitgehend in die Richtung, Gespräche anzustreben und hie und da Entgegenkommen bei den Partnerländern zu erbitten. Das ist nach drei Jahren Aktenwälzen im Geheimdienst-Untersuchungsausschuss und unzähligen öffentlichen und nicht-öffentlichen Zeugenbefragungen nun alles andere als eine Revolte gegen die Geheimdienste, auch nicht seitens der Opposition. Die Empfehlungen sind der Versuch, minimale realpolitische Forderungen niederzuschreiben, als sei in den vier Jahren nicht viel passiert. Die zahlreichen offenen Rechtsbrüche der Geheimdienste und auch die bisher ungeklärten Rechtsfragen bei der Kommunikationsüberwachung, die Thema im Ausschuss waren, werden so verklärt.

Was die Regierungskoalition angeht, mag man dort nicht mal anerkennen, dass es ein Problem gibt. Die beschriebenen Geheimdienstprogramme der NSA könnten zwar technisch möglich sein, aber Beweise für die Erkenntnisse aus den Snowden-Veröffentlichungen gäbe es nicht. Zugleich sind jedoch konkrete Belege und Berichte, Antworten und Auskünfte im Abschlussbericht penibel verzeichnet.

Das Kanzleramt in der Verantwortung

Hans-Christian Ströbele, der nach dem Ende der Legislaturperiode mit 78 Jahren aus dem Bundestag ausscheidet, sagte es in der Bundestagsdebatte für die Opposition wohl am deutlichsten: Die NSA habe nicht nur weltweit, sondern eben auch in Deutschland anlasslos und „millionenfach“ Menschen und Institutionen ausgespäht.

Ströbele machte auch ohne Umschweife klar, wer die politische Verantwortung für die geheimen Machenschaften des Bundesnachrichtendienstes (BND) trägt: das Bundeskanzleramt. Das Amt hat die Rechts- und Fachaufsicht über den BND. Es sei nicht nur Mitwisser der massenhaften Überwachung, sondern habe die Operationen des BND auch „gedeckt“. Überdies hätten die damalige Regierung und für das Kanzleramt namentlich Ronald Pofalla die Bevölkerung absichtlich „irregeführt“ und ein „No-Spy-Abkommen“ mit den Vereinigten Staaten wegen der damals anstehenden Wahlen schlicht „erfunden“.

In seiner Rede erwähnte er explizit die „Operation Eikonal“. Ströbele betonte, dass im Ausschuss klar herauskam, dass diese Kabeloperation „Eikonal“ dem Kanzleramt bekannt war. Mindestens zwischen 2004 und 2008 lief sie als geheime Kooperation zwischen BND und NSA. Ziel war das Anzapfen von Daten der Deutschen Telekom. Ausgespäht wurde dabei übrigens nicht nur an der Erfassungsstelle in Frankfurt am Main, sondern zusätzlich auch über Leitungen der Telekom Austria.

Politisch verantwortlich für „Eikonal“ sind zwei Männer, die auch heute noch Spitzenämter innehaben: Innenminister Thomas de Maizière, der ab 2005 Chef des Bundeskanzleramts und Beauftragter für die Geheimdienste des Bundes war, sowie sein Vorgänger Frank-Walter Steinmeier, der heutige Bundespräsident.

Union: Keine massenhafte Überwachung Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion fasst die Haltung der Unionschristen auf Twitter zusammen.

Bei der Koalition drückte für die CDU/CSU wohl Tankred Schipanski am eindeutigsten aus, wie die Union das Ergebnis der Untersuchungen sieht. Der Vorwurf der massenhaften Überwachung Deutscher „war und ist falsch“, sagte er. Das gelte für die Five-Eyes-Geheimdienste ebenso wie für den BND.

Fakten seien keine Skandale, sagte der Abgeordnete. Er benannte beispielhaft die Programme „Prism“ und „Tempora“, die zwar nach Aussage der Sachverständigen plausibel seien und technisch „nachvollziehbar“, jedoch sei ihre tatsächliche Funktionalität aufgrund des „fragmentarischen Charakters der Dokumente nicht als seriös“ zu bewerten.

Der Vorwurf der Wirtschaftsspionage sowie des „Ringtausches“ – also der Weitergabe von Daten und länderübergreifende „Kooperation“ in Geheimdienstkreisen – sei ausgeräumt worden. Auch „die Problematik des geheimen Krieges wurde ausgeräumt“. Damit dürfte Schipanski den Drohnenkrieg und die Relaisstation Ramstein gemeint haben.

Tankred Schipanksi warf der Opposition (nicht nur auf Twitter) Populismus vor.

Geheimdienste würden nur ihre Aufgabe erfüllen, nämlich die Gewährleistung von Sicherheit. Die Lauschposten in der US-Botschaft in Berlin und im Generalkonsulat in Frankfurt am Mai scheinen den CDU-Mann nicht zu stören. Folgerichtig setzt Schipanski an das Ende seiner Rede einen Dank an die Mitarbeiter der Geheimdienste.

Ohne direkten Bezug zum Abschlussbericht fügt er eine Medienschelte in seine Rede. Die Presse hätte nicht korrekt berichtet, namentlich nannte er dabei den „Spiegel“. Buchautoren bezichtigte er der Falschberichterstattung. Schipanski merkte auch an, Verschwörungstheorien solle man nicht aufbauen. Linke und Grüne würden verzerren und fehlinformieren und „gemeinsam mit Medienvertretern bewusst in die Irre führen“, das erschrecke ihn. Für einen echten Trump fehlte nur noch der Hinweis, dass die Mainstream-Medien die Opposition seien.

Update: Schipanski distanzierte sich am 17. Juli von seinen eigenen Aussagen in der Plenardebatte. Die angesprochenen Autoren hätten doch nicht ungeprüfte Informationen als Grundlage für ihre Berichterstattung übernommen und nicht gegen journalistische Sorgfaltspflichten verstoßen. Schipanski schreibt:

Nach konstruktiven Gesprächen mit Holger Stark, einem der Autoren des Buches „Der NSA-Komplex“ und mit Christian Fuchs, Autor von „Geheimer Krieg“ komme ich zu einer anderen Bewertung. Ich finde, Fehler muss man auch eingestehen können. Das möchte ich an dieser Stelle tun. Mein Vorwurf gegenüber den beiden Buchveröffentlichungen ist unrichtig. (Grammatikfehler im Original)

Großbritannien hört auch mit

Viel Konkretes aus dem langen Bericht brachten die Parlamentarier nicht zur Sprache. Es mag der Kürze der Zeit für die jeweiligen Reden geschuldet sein, dass die NSA und der BND im Mittelpunkt der Debatte standen. Die Aktivitäten des britischen GCHQ blieben so am Rande, obwohl der Geheimdienst als strategischer Partner und Datenlieferant von herausragender Bedeutung für die Überwachung der Europäer ist.

Immerhin ist aber eine Empfehlung an eine künftige Regierung enthalten. Es sei möglich, dass…

…Gespräche mit den britischen Partnern über einen wirksamen Schutz der Privatsphäre und gemeinsame Standards bei nachrichtendienstlichen Kooperationen trotz des Brexit durchaus mit Aussicht auf Erfolg geführt werden können. Mit Blick darauf empfiehlt der Ausschuss, auch den Austausch mit Aufsichtsgremien in Großbritannien zu intensivieren.

Während die Briten also weiterhin über das „Tempora“-Programm an den Unterseekabeln schnorcheln, wird man vielleicht künftig mal reden.

Die eigentliche Abstimmung der Parlamentarier, die sich an die Debatte anschloss, bestand übrigens nur darin, ob der Ausschuss empfehlen solle, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen. Die Koalition und die Grünen stimmten mit „ja“, die Linke enthielt sich.

Nach den Reden zu urteilen, hat jedoch die Koalition nicht tatsächlich zur Kenntnis genommen, was auch außerhalb des Parlaments dank Snowden und auch dank der Arbeit der Parlamentarier im Ausschuss längst jeder weiß. Und über die Hacking-Operationen der Geheimdienste wurde kaum je gesprochen.

Hier das Audio der Debatte als MP3:

http://static.cdn.streamfarm.net/1000153copo/ondemand/145293313/7124832/7124832_mp3_128kb_stereo_de_128.mp3

Hilf mit! Mit Deiner finanziellen Hilfe unterstützt Du unabhängigen Journalismus.


fyyd: Podcast Search Engine
share








 June 29, 2017  1h13m