Y Politik-Podcast | Lösungen für das 3. Jahrtausend

Politik bedeutet schon immer Probleme anzugehen. Aber das dritte Jahrtausend braucht neue Lösungen. Diese stellen Tanja Hille & Vincent Venus im Y Politik-Podcast vor – nicht neutral, niemals perfekt und doch immer optimistisch. Damit Du nicht nur mit neuen Gedanken aus der Folge gehst, kriegst Du jedes Mal noch was Handfestes zum Mitnehmen: von Alternativen zum Wahl-o-Maten, über den besten politischen Kinderfilm bis zu Deutsche Bahn-Hacks. Der Podcast für alle, die Helmut Schmidts Spruch “Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen” für genau so blöd halten, wie er später auch.

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episode 6: Nudging: Warum Regierungen Psychotricks anwenden [Y Politik 06]


Modernes Regierungsinstrument oder undemokratische Massenmanipulation?

Was ist Nudging? Wie wirkt es und solltet ihr dafür oder dagegen sein? Diesen Fragen gehen wir in Folge 6 nach. Dabei denkt sich Vincent in die Perspektive des Staates hinein und Tanja in die der genudgten Bürgerinnen und Bürger. Ohne zu viel zu verraten: über den Wert des Nudgings werden sich beide nicht einig. Für alle, die bis zum Schluss Nudging positiv gegenüber stehen, gibt es in der Zugabe Tipps, wie man die Anstupser im Alltag selbst anwenden kann.

Definition von Nudging und welche Regierungen es nutzen

Ein Nudge beeinflusst menschlichen Entscheidungen, indem die Entscheidungsarchitektur verändert wird. Ein Beispiel: wenn in der Mensa das gesunde Obst auf Augenhöhe platziert wird und das Dessert weiter unten, dann greifen die Studierenden öfter zum Salatteller.

Die Definition von Nudging umfasst,

  • dass durch die Veränderung der Entscheidungsarchitektur keine Option ausgeschlossen wird,
  • dass der Nudge im Interesse der Person bzw. des Gemeinwohls ist,
  • dass der Nudge unterbewusst wirkt und die Psychologie von Menschen nutzt,
  • dass der Nudge auf einer systematischen Auswertung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse beruht.

Geprägt wurde die als Nudging bekannte systematische Beeinflussung von Menschen von dem Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler und dem Rechtswissenschaftler Cass Sunstein mit ihrem 2008 erschienen Buch Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness (DE: "Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt").

Doch Nudging ist nicht bloße Theorie, sondern wird von einigen Regierungen bereits in der Praxis genutzt. Vorreiter war der britische Premierminister David Cameron, der das Behavioral Insights Team (“Nudge-Unit”) bereits 2010 installierte. Erst im Jahr 2014 schrieb das deutsche Bundeskanzleramt Stellen aus, für die drei ReferentInnen gesucht wurden mit "hervorragenden psychologischen, soziologischen und verhaltenswissenschaftlichen Kenntnissen". Seitdem wird in der Projektgruppe “Wirksam Regieren” daran gearbeitet, Nudging in die deutsche Politik einfließen zu lassen.

Die Perspektive der Nudger: Was bringt das dem Staat?

Aus Sicht einer Regierung ist Nudging ein Instrument unter vielen:

  • Der Klassiker: Gesetze. Du musst das tun, oder wir bestrafen dich (z.B. Steuern zahlen).
  • Die Alternative: Anreize. Wenn du das tust, dann geben wir dir was (z.B. Geld für die Solaranlagen auf dem Dach).
  • Das Neue: Nudging. Wir helfen dir, dich für das Richtige zu entscheiden.

Zwei Argumente sprechen für Nudging als Regierungsinstrument: Erstens ist es eine kostengünstigere Methode, um zu regieren. Zum Beispiel konnte eine Studie in den USA feststellen, dass Nudging Menschen wesentlich effizienter dazu bringt, sich impfen zu lassen. Mit dem gleichen Budget konnten drei Mal soviele Menschen zu diesem Schritt bewegt werden, als wenn der Staat mit Geld gelockt hätte. Ähnliches gilt für die Altersvorsorge oder Stromsparen.

Zweitens rückt beim Nudging der Bürger oder die Bürgerin wieder stärker ins Zentrum des Regierens. Während Gesetze und Anreize Menschen als rationale Wesen voraussetzen, akzeptiert Nudging, dass Menschen fehlbar sind und von vielen Faktoren beeinflusst werden.

Die Perspektive der Genudgten: Was haben die Bürgerinnen und Bürger davon?

Um aus der Perspektive der Genudgten zu urteilen, muss man zwei Arten von Nudges unterscheiden: Die paternalistischen Nudges und die Gemeinwohl-Nudges.

Die paternalistischen Nudges haben als Ziel, das Individuum zu einem “besseren”, gesünderen, nachhaltigeren Lebensstil zu bewegen. In diesen Fällen entscheidet der Staat, was ein guter Lebensstil für den einzelnen Menschen ist. Kritiker bemängeln allerdings, dass es den Staat Nichts angehe, wie das Individuum sein Leben gestaltet. Gäbe es nicht auch ein Recht auf Unvernunft? Und wenn ja, wird dieses nicht durch paternalistische Nudges eingeschränkt?

Allgemeinwohl-Nudges zielen darauf ab, das gesellschaftliche Allgemeinwohl zu vergrößern. Im Fall der Organspende beispielsweise hat die Verhaltensforschung gezeigt, dass ein Opt-Out-System (Österreich) einem Opt-In-System (Deutschland) überlegen ist. Kritiker wenden ein, dass die Allgemeinheit zwar profitiere, es aber trotzdem in einer Demokratie auch noch höhere Prinzipien gäbe, die mit Psychotricks schwerlich vereinbar seien: Transparenz, Kontrollmöglichkeiten, Nachvollziehbarkeit und öffentliche Teilhabe an der Gesetzgebung.

Fakt ist: In vielen Fällen kann mit Hilfe von Nudging Politik betrieben werden, ohne das dafür Gesetze erlassen werden müssen. Oft reichen Veränderungen in der Administration aus.

Mehr zum Widerspruch Nudging-Demokratie hört ihr in der Podcastfolge “Nudging: Der Apfel auf Augenhöhe” von Deutschlandfunk Nova.

Zugabe: Wie ihr selbst nudgen könnt

Mit dem Buch Pre-Suation von Robert Cialdini könnt ihr selbst zu Nudgern werden – von anderen, aber auch von euch selbst. Drei Tipps aus seinem Buch:

Erster Tipp für alle kreativen Aufgaben, z.B. Schreiben: arbeitet dort, wo sich eure Zielgruppe aufhält oder druckt euch Fotos von dieser aus. Der Effekt: ihr passt Stil und Wortwahl für euer Publikum an.

Um euch in in eine bestimmte Stimmung zu versetzen, macht es wie Barney Stinson und hängt Motivationsposter auf. Klingt verrückt, hat aber zu 20 % höherer Produktivität in einem Call Center geführt. Bei dieser Methode hängt der Effekt von der Bildauswahl ab: “Der Denker” hat eine andere Wirkung als eine Marathonsiegerin.

Ultimativer Tipp, der viele Psychotricks vereint: sei freundlich und großzügig gegenüber anderen. Ein Effekt ist: sie werden euch mehr mögen und vertrauen. Ein anderer ist, dass sie sich revanchieren werden. So funktionieren z.B. Testsnacks in Supermärkten, die den Absatz der Produkte steigern, oder das unerwartete Dessert aufs Haus im Restaurant, das zu mehr Trinkgeld führt. Nebeneffekt dieses Psychotricks: mehr Freundlichkeit auf der Welt ;-)


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 January 29, 2018  46m