Sie messen nicht die Wirklichkeit. Und sie führen zu schlechterer Politik.
Meinungsumfragen sind mächtig. Das ist ein Problem: zum einen, weil sie nicht das messen können, was sie messen sollen und zum anderen, weil sie zu schlechterer Politik führen. Erster Schritt gegen ihre Vormachtstellung: Meinungsumfragen und ihre Schwächen verstehen. Darum geht es in dieser Folge 9 vom Y Politik-Podcast.
Meinungsumfragen in der Politik: Mehr als die SonntagsfrageDie bekannteste Meinungsumfrage ist die Sonntagsfrage: Menschen in ganz Deutschland kriegen die gleiche Frage gestellt: “Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre?”. Die Ergebnisse dieser Stichprobe werden dann gewichtet, also unter bestimmten Annahmen auf ganz Deutschland hochgerechnet, und die Institute geben an, welche Partei gerade bei wieviel Prozentpunkten steht.
Doch es gibt noch andere Meinungsumfragen: zu politischen Inhalten, zur Priorisierung von Themen und zur Beliebtheit von Politikerinnen und Politikern. Viele Akteure haben ein Interesse an diesen Ergebnissen und geben daher solche Studien in Auftrag: JournalistInnen möchten mehr über die Stimmung in Deutschland erfahren und welche Themen gerade wichtig sind. Die Bundesregierung möchte erfahren, was das Volk von ihren Vorschlägen hält und Parteien setzen auf jene Wahlplakate, die in der Fokusgruppe am besten ankamen.
Die Daten erheben Meinungsforschungsinstitute wie z.B. Forsa, Infratest Dimap, Forschungsgruppe Wahlen oder das Allensbach-Institut meist per Telefon- oder Onlinebefragung (jeweils ca. 36 % am Befragungsmix). Anschließend gewichten sie die Rohdaten nach ihren eigenen geheimen Methoden.
Problem 1: Umfragen messen nicht das, was sie messen sollenNatürlich gibt es Umfragen, insbesondere im Internet, die gar nichts taugen. Sie sind weder repräsentativ, noch neutral und dazu leicht manipulierbar. Aber auch repräsentative Umfragen sind problematisch, weil:
Meinungsumfragen sind nicht genau: Für eine repräsentative Umfrage müssen ca. 1.000 Personen befragt werden, aber selbst dann stimmt das Ergebnis nur zu 95 % und kann mit +/-3 Prozentpunkten abweichen. Ob also in der Sonntagsfrage eine Partei einen Prozentpunkt hinzu gewinnt, sagt wenig aus. Um die Fehlergrenze auf +/- 1 Prozentpunkt zu drücken, müssten Institute mindestens 10.000 Menschen befragen. Das ist ihnen jedoch zu teuer.
Umfrageinstitute erreichen nicht alle: Bestimmte Bevölkerungsteile können oder wollen nicht antworten, andere sind hingegen schlecht zu erreichen wie beispielsweise Pendler und junge Leute.
Die Fragestellung beeinflusst die Antwort: Allein schon die Reihenfolge der Antwortmöglichkeiten verändern die Antworten der Befragten. Ebenso kann die Wortwahl oder Art der Frage (offen/geschlossen) das Ergebnis beeinflussen.
Befragte sagen die Unwahrheit: Eine sehr große Fehlerquelle ist der Faktor Mensch: Befragte können keine Ahnung, aber trotzdem eine Antwort geben. Oder sie geben “sozial erwünschte” Antworten, wenn sie beispielsweise gefragt werden, ob sie wählen gehen wollen. Statt auf Umfragen sollten SozialforscherInnen mehr auf jene Daten zurückgreifen, die die Menschen freiwillig in ihrem Alltag preisgeben – zum Beispiel in der Google-Suche.
Problem 2: Umfragen führen zu schlechterer PolitikSelbst wenn die Ergebnisse der Meinungsumfragen noch so perfekt wären, gäbe es weiterhin genug Gründe sie zu ignorieren:
Falsche Interpretation: Daten und Statistiken werden von JournalistInnen nicht immer richtig interpretiert. Gerade die Fehlertoleranz wird oft unterschlagen. Außerdem werden Umfragen als Vorhersagen präsentiert, was sie nicht sind.
Beeinflussung: Außerdem nehmen Statistiken, egal wie richtig oder falsch sie sind, Einfluss auf das Wahlverhalten. Sie können Leute mobilisieren oder demobilisieren. Meinungsforschung bildet Politik nicht nur ab, sondern macht Politik.
Entpolitisierung: Politik sollte die Gesellschaft gestalten. Je mehr sich Politik jedoch an Meinungsumfragen ausrichtet, desto mehr reagiert sie auf tagesaktuelle Trendthemen, anstatt große Zukunftsvisionen zu entwickeln. Der Status quo wird zementiert und Mut unterdrückt. Das führt zu einer Entpolitisierung der Politik. Gerade kurz vor Wahlen kann man beobachten, wie es nur noch darum geht, welche Partei gerade bei wieviel Prozent steht und Themen keinen mehr interessieren.
Zugabe: Souverän mit Umfragen umgehenDer Buchtipp
Everybody Lies von Seth Stephens-Davidowitz zeigt auf, was Big Data kann und was es nicht kann. Dabei beschreibt er auch wie man mit z.B. Google-Suchanfragen von Menschen Erstaunliches rausbekommt.