Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

https://morgenradio.de

subscribe
share






Das Nicht-Glück


Wenn man der versammelten Weisheit der Buchtitel in jedem Bücherladen glauben darf, dann geht es im Leben darum, glücklich zu werden. Und unsere Übereinkunft ist es auch, dass sich das durch bestimmte Methoden auch erreichen lässt.

Das ist so sehr Allgemeinwissen, dass es schon fast einen Zwang gibt, glücklich zu sein. „Verdammt noch einmal! Wenn Du nicht glücklich bist, dann tu‘ doch ‚was dagegen!“

Frau Anders ist nicht glücklich. Und erklärt heute, warum sie der Meinung ist, dass das nicht behandelt gehört, sondern völlig in Ordnung ist.

Download der Sendung hier.
Musik: „Sad, Depressed and Lonely“ von Dazie Mae / CC BY-NC-ND 3.0
Buchempfehlung: „Das Leiden am sinnlosen Leben“ von Viktor Frankl

Skript zur Sendung

Ich bin nicht glücklich. Muss hier einmal deutlich gesagt werden: Ich bin nicht glücklich!
Darüber wollte ich heute einmal reden.

Ich bin auch nicht unglücklich! Das muss ich vielleicht dazu sagen.

Aber es ist so, dass ich auf die Frage: „Bist Du glücklich“ nicht mit „Ja“ antworten würde. Und das auch nie getan hätte.

Wenn Menschen einem diese Frage stellen, dann scheint es so zu sein, dass es nur zwei Aggregatszustände gibt. Entweder wir sind glücklich oder wir sind unglücklich.

Man muss also entweder happy sein, alles erreicht haben, was man wollte und jeden Tag fröhlich pfeifen. Und andere mit der eigenen guten Laune anstecken – gefälligst!

Oder aber man ist gerade unglücklich. Man sagt auch: Nicht gut drauf. Aber eigentlich steht man dann sofort im Verdacht, depressiv zu sein. „Die nimmt ja auch Tabletten, wusstest Du das?“

Wir sind also sehr einfache Wesen. Scheinbar. Entweder wir sind glücklich. Oder wir sind unglücklich. Jeder Tag wie ein Münzwurf. Auf der einen Seite ein Smiley, auf der anderen das heulende Emoji.

Ich muss euch Lieben hier etwas gestehen: Ich war mein ganzes Leben lang nicht glücklich.
Ich weiß schlicht nicht, was das sein soll!

Das bedeutet nicht, dass ich nicht für mein Leben dankbar wäre. Wenn meine Töchter stolz ihre ersten Schritte im Garten gemacht haben und da war nichts, was sie davon abhalten hätte können, die Welt zu erforschen. Da war Freude.

Und ich bin dankbar für Momente, die so voll waren mit allem, dass ich erfüllt war und mit allem im Reinen. Das es in mir gestrahlt hat. Das war Glück. Aber war ich „glücklich“?

Irgendwie nicht. Denn „glücklich“ scheint eben nicht nur ein paar Sekunden Seligkeit zu bedeuten. Wenn man gefragt wird, ob man „glücklich“ ist, dann ist nicht dieses „ozeanische Gefühl“ gemeint.

Nein, „glücklich“ ist scheinbar ein anhaltender Aggregatszustand.
Und es gibt scheinbar auch Methoden, diesen Zustand zu erreichen.

Die Amerikaner haben in ihrer Unabhängigkeits-Erklärung drei menschliche Grundrechte besonders hervorgehoben.

Das Recht zu leben.
Da kann man sich schnell darauf einigen, finde ich. Das ist sozusagen die Grundbedingung. Aber man sieht an den Argumenten rund um den Paragrafen 218, dass man auch das diskutieren kann.

Das Recht auf Freiheit.
Das klingt auch selbstverständlich. Wird aber ein bisschen sarkastisch, wenn man weiß, dass Mr. Thomas Jefferson, der die Erklärung entworfen hat, ein Sklavenhalter war.

Und das Recht auf das Streben nach Glück.
Steht da als drittes Grundrecht. Pursuit of happiness. Ich glaube ja, genau an dieser Stelle fing das Ganze an, aus dem Ruder zu laufen…

„Pursuit“ ist ja auch ein bisschen mehr als „Streben“. Nicht das „Streben“ nicht schon furchtbar genug wäre – klingt jaaa ganz schön schweißtreibend.

Aber „Pursuit“ ist eher eine Verfolgung. Sogar eine Verfolgungsjagd. Denke ich mir nicht aus, schaut in ein Wörterbuch.

Das Recht, sein Glück zu verfolgen, also. Vorne weg rennt das Glück. Und ich hinterher. Und ich habe das Recht, ihm hinterher zu hecheln. Das Grundrecht sogar. Ich verzichte, vielen Dank! Kennt ihr den berühmten Esel der einer Karotte an der ängenden Angel über seinem Maul ewig hinterher rennt?

Verfolgungsrennen macht ganz sicher nicht glücklich. Das, was ich als Glück verstehe kommt zu einem, wenn man es nicht verfolgt. Das schleicht sich von hinten an und überrascht einen.
Zack! Isses da! Und wenn man es halten will ist es – zack – auch wieder weg.

Das kann es also nicht sein, diese Pursuit. Diese ewige Jagd… oder?

Bei Umfragen nach dem wohl weisesten lebenden Menschen steht oben immer der Dalai Lama. Gefolgt vom Papst, interessanterweise.

Seltsam, dass in einer nicht-religiösen Welt alle die Weisheit bei der Religion suchen. Aber das nur nebenbei.

Und der Dalai Lama wird regelmäßig nach dem Sinn des Lebens gefragt. Klar. Verständlich, oder?

Und der weiseste Mensch der Welt – per Abstimmung – antwortet dann, auch regelmäßig:
„Der Sinn des Lebens ist es, glücklich zu sein.“

Glücklich sein ist also das Ziel.

Glücklich sein, dass muss sich so anfühlen, wie wenn das Leben ein Computerspiel wäre und man hat irgendwann den Endgegner weggeräumt. Das Endziel ist also erreicht!

Wie wenn es ein dickes Buch wäre und wenn man dann die letzte Seite endlich erreicht hat, dann ja dann ist man glücklich und muss nie wieder etwas lesen.

Dann hat man das Leben gemeistert. Den Endlevel erreicht. Ende.
Man ist fertig, ganz, abgeschlossen oder, in der Sprache der Bibel: Man ist heil.

Und scheinbar ist dieser Zustand zu erreichen.
Sagt der Dalai Lama. Der muss es ja wissen.

Und scheinbar muss man diesen Zustand nur anstreben, sagt Thomas Jefferson.

Ich will aber gar nicht glücklich sein.
Und ich will auch nicht danach streben.
Warum sollte ich etwas anstreben, von dessen Existenz ich nicht im geringsten überzeugt bin?

Und, bevor ihr jetzt antwortet: Nein! Es ist auch nicht der Weg das Ziel! Nein! Nein!

Bei diesem Klischee verstehe ich wenigstens, was das bedeuten soll. Aber es ist halt auch nicht mehr als ein Klischee. Und ein Paradoxon auch noch.

Ohne Ziel gibt es keinen Weg. Ohne Ziel nennt man das nicht einen Weg, man nennt das „zielloses Herumirren“. Ohne Ziel, ja wo soll ich denn dann bitte schön hinrennen…

Und zielloses Herumirren macht einen sicher auch nicht glücklich. Zielloses Herumirren, das ist es, was Menschen machen, wenn sie im Bücherladen bei den Lebensratgebern stehen, um sich die nächste Portion Weisheit zu kaufen. Oder die neueste Packung Erleuchtung.

Eine Prise Liebe, eine bisschen Achtsamkeit und eine wenig Genügsamkeit, kann auch icht schaden. Alles in einen Becher Zufriedenheit geben, kräftig schütteln und mit Bildern von Blumen, dem Weltall oder von Zen-Gärten garnieren.

Praktisch, wenn dann bei jedem Gang etwas Zitierbares rausfällt, was man auf Kalenderblätter drucken kann.

„Der Weg, der das Ziel ist.“

Ich pfeif‘ nicht nur auf das Ziel, ich pfeif‘ auf den Weg gleich mit!
Immer muss man „auf dem Weg“ sein.
Immer muss man unterwegs sein… diese verdammte Karotte schnappen!

Man muss sich ständig bewegen, man muss sich ständig entwickeln. Das Leben eine ewige Fortbildung. Dauernd muss man besser werden oder gelassener oder weiser oder eben glücklicher.

Ich kündige. Ich mache da nicht mit.

Ihr könnt euer „Glück“ behalten. Ich glaube nicht, dass es „Glück“ gibt.
Außer in diesen seligen Sekunden. Aber nicht als anzustrebender Dauerzustand.
Das wäre mir auch zu ermüdend, ehrlich gesagt.

Dann bin ich nicht glücklich.

Vielleicht habe ich einen Baufehler. Kann schon sein. Irgendwann zwischen der Gewalt in meinem Leben und der Auflehnung dagegen, ist vielleicht etwas kaputt gegangen.

Oder bei den vielen Versuchen, etwas Stabiles im Leben aufzubauen. Etwas Belastbares. Etwas Verlässliches. War natürlich kindisch, zugegeben.
Aber vielleicht hat das meinen „Glücks-Muskel“ beschädigt?

Vielleicht wissen Thomas Jefferson, der Dalai Lama und die Menschen, die mich fragen, ob ich denn glücklich bin, einfach mehr als ich.

Vielleicht könnt ihr da alle etwas ganz Elementares, was ich niemals gelernt habe!

Es kann gut sein, dass ihr alle recht habt und ich nicht. Wäre nicht die einzige Sache.

Aber vielleicht ist das alles auch einfach nur heiße Luft.
Bullshit.

Vielleicht habe auch ich recht und Thomas Jefferson, der Dalai Lama und die Menschen, die mich fragen, ob ich denn glücklich bin, haben schlicht und einfach unrecht.

Ich bin nicht glücklich.

Aber ich bin auch viel zu sehr mit dem Leben beschäftigt, um mich um Glücklich-Sein zu kümmern.

Wenn ich im Garten vor mich hinwerkele. Den Tomaten ein paar vertrocknete Blätter abzupfe. Und die armen Rosen von diesen kleinen grünen Raupen befreie… die alle abpflücken und wegtragen ich sag euch, dass is AAArbeit. Oder unsere Feige bewundere, die sich jetzt – wo unsere Hündin nicht mehr ihre Blätter abfressen kann weil sie auf dem Balkon steht – die jetzt tatsächlich Früchte entwickelt.

Oder wenn ich in der Küche stehe und Gemüse kleinschnippele und dabei unsere Sendungen höre – das mach‘ ich wirklich! – und sehe, wie sich die kleinen Sprossen von dem neu gesääten Basilikum aus der Erde kämpfen.

Oder wenn ich an einer Sendung arbeite und mit dem Herrn Wunderlich um einzelne Wörter streite! Oder darum, ob das Bild von dem Huhn mit dem schwarzen Hintergrund besser ist als das mit dem weissen. Oder um die Musik! Es gibt wirklich kaum etwas, wo wir beide den gleichen Geschmack haben.

Oder wenn ich in der Plüschkabine sitze. Das sind die intensivsten Minuten an jedem Tag. Wenn wir dann das machen, was wir den ganzen Tag vorbereitet haben und es dann doch ganz anders wird, als geplant. Irgendwie ein eigenes Leben bekommt.

Oder wenn ich sehe, dass wir euch wirklich erreichen können. Dass ihr uns nicht nur zuhört, sondern dass wir euch auch manchmal berühren. Dass bedeutet uns beiden richtig viel.

Ich bin also nicht glücklich. Oder halt ganz selten. Ein paar Sekunden.

Aber ich mache halt Dinge. Und diese Dinge halte ich für wirklich bedeutsam. Und wesentlich.

Auch die Raupen von den Rosen pflücken ist für mich eine genauso wichtige Beschäftigung. Ohne eine besser oder schlechter zu finden. Wertfrei.

Ich fühle mich dabei aber völlig in Ordnung. Ich fühle mich dabei friedvoll.
Für mich ist völlig in Ordnung, nicht glücklich zu sein.

Glück – ist immer abhängig, dass ich die Umstände als positiv empfinde, dass ich meine Karotte bekomme!
Glück oder Unglück, gut oder schlecht.
Jenseits von Glück oder Unglück ist für mich Frieden!
Weder gut noch schlecht, weder positiv noch negativ.

Manchmal baut man Dinge auf und manchmal haut man sie wieder kaputt.
Manchmal muss man sich schützen und manchmal nicht.
Manchmal muss man sich erst verletzen, dass man heilen kann.

Es gibt am Ende nichts zu gewinnen und deswegen am Anfang auch nicht.

Und das ist völlig in Ordnung so.

Bevor das jetzt zu gelassen klingt und zu weise, es gibt auch genug Dinge, die nicht in Ordnung sind. Und genug Dinge, die geändert werden müssten.

Nicht nur in der Gesellschaft, der Welt oder der Politik, sondern auch hier im Haus oder in unserer Partnerschaft.

Aber das sind dann halt auch Dinge, die man macht.

Wichtig ist nicht, dass die Dinge glücklich machen.
Wichtig ist, dass die Dinge, die man macht, wesentlich sind.
Wichtig ist nicht, dem Leben Glück abzuringen.

Das Leben ist kein Spiel, das man meistern kann oder gewinnen.

Viktor Frankl hat geschrieben:

„Es kommt nie und nimmer darauf an, was wir vom Leben zu erwarten haben, vielmehr lediglich darauf: Was das Leben von uns erwartet.

Das Leben selbst ist es, das dem Menschen Fragen stellt. Er hat nicht zu fragen. Der Mensch ist vielmehr der vom Leben Befragte. Er ist der, der dem Leben zu antworten hat.“

Also, – was ist es was ihr dem Leben zu anworten habt?

Die ewige Jagd nach dem Glück, die Jagd nach der Karotte, da bin ich mir sicher, führt nicht zu einem wesentlichen Leben.

Ich bin nicht glücklich.
Da bin ich wirklich dankbar dafür.

 


fyyd: Podcast Search Engine
share








 July 30, 2018  20m