Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Pornflakes. Oder: Hipster-Sexismus


Willkommen im Zeitalter der Ironie! Vorbei die rückständigen Zeiten, als man noch so etwas Archaisches brauchte wie eine eigene Meinung oder etwas Primitives wie eine Aussage!

Jetzt, im Zeitalter der Ironie können wir endlich sagen und schreiben, was wir wollen! Und wenn es jemandem nicht passt, dann war das halt ironisch gemeint. Und der Anklagende entlarvt sich als dumm und humorlos.

Darum können wir endlich auch wieder Titten und Frauenärsche in die Werbung kleben, dass es nur eine Freude ist! Denn sexistische Werbung ist heutzutage ja nicht mehr sexistisch, sondern ironisch sexistisch! Hurra!

Frau Anders, Ex-Werberin, denkt darüber ein bisschen anders. Und kann sich über diesen Hipster-Scheiß so richtig aufregen. Wie in dieser Sendung.

Download der Episode hier.
Musik: „Man and Women“ von Bo Burnham

Skript zur Sendung

Ich habe echt die Schnauze voll und muss hier in der Sendung einfach mal meine Meinung raushauen: Ich finde Männer sind nur zum Ficken da, sonst können die rein gar nichts! Sozial komplett unterbelichtet, permanent latent aggressiv und immer nur auf Schwanz-Vergleich aus. Noch dazu sind die meisten Männer dreckig! Und stinken nach vergammeltem Rehragout!

War witzig, oder? Voll lustig, oder? Ihr habt alle furchtbar gelacht, oder? Voll der Schenkelklopfer! Das, meine Damen und Herren, das ist sogenannter ironischer Sexismus…

Weil der voll intelligent mit den Rollenbildern spielt! Denn wir sind ja eigentlich mit dem Thema Sexismus schon durch. Weiß ja jeder, dass das scheiße ist. Und darum können wir jetzt, voll intelektuell, da so ironische Witze drüber machen!

Das ist cool, gell? Weil, wenn Du als Mann das Intro gerade doof gefunden hast, dann bist Du halt selber doof. Sorry. Völlig spaßbefreit, oder was? Hör‘ mal genau zu, gekränkter Mann: Das war IRONISCH! Hallooo!

Apropos hallo: Hallo auch an unsere muslimischen Hörenden! Na, habt ihr euer Fasten fertig? Und, schon die neueste Mode bei Sprengstoffgürteln im Dark Web angekuckt? Schade, dass ihr Kameltreiber nichts im Kopf habt außer unsere Mädchen zu vergewaltigen. Denn eigentlich finde ich ja so eine Burka ein richtig cooles Modeteil. Vor allem, wenn es von Muslimen getragen wird. Dann muss man nicht die ganzen ungepflegten Bärte sehen!

Und auch ein Hallo an unsere dunkler pigmentierten Hörenden! Ich hoffe, unsere Diskussionen auf Facebook und Twitter haben euch gezeigt, dass ihr einfach nur zu Sklavenarbeiten taugt. Hat der liebe Gott so gewollt und euch deswegen farblich von uns Herrenmenschen unterschieden.

Na? War das nicht der Humor-Hammer? War das nicht super-duper-lustig? Könnt ihr mich überhaupt noch hören, oder ROFLt ihr gerade noch?

Weil, das war natürlich auch total ironisch! Wenn ihr das nicht kapiert, dann seid ihr halt zu dumm. Ihr Spaßbremsen! Man muss doch über sich selber lachen können!

Wir in den Werbe-Agenturen, wir machen das dauernd! Wir reden praktisch nur noch ironisch miteinander. Das ist nämlich so furchtbar schlau.

„Na, Du Creative-Director? Bist Du wieder voller Antideppresiva heute, weil Du, statt Künstler zu werden, jetzt für den Baumarkt Flyer mit attraktiven Sanitär-Lösungen layouten musst?“

„Und Du Kontakter? Heute schon ausgerechnet, wievielen Kunden Du Fernsehwerbung verkaufen musst, bevor Du Dir die Dröhnung Koks für’s Wochenende leisten kannst?“

Wusstest ihr Werber eigentlich, dass ihr alle kleine, fiese Wichser seid, die in uns Bedürfnisse wecken sollen, damit wir auch noch jeden Scheiß kaufen, den wir nicht brauchen und uns sogar noch krank macht?

Lieber sich täglich vom Kapitalismus ficken lassen, aber trotzdem in Cannes so tun, als hätte euer überflüssiger Scheißdreck irgendetwas mit Kreativität zu tun!

Findet ihr lustig, oder? Der Knaller, stimmt’s?

Tja. Leider muss ich euch sagen: Das war gar nicht ironisch gemeint. Das meine ich eigentlich schon ernst. Wir haben da ein ernstes Problem, liebe Werbung!

Und das Problem ist der sogenannte Hipster-Sexismus in der Werbung. Gerne auch ironischer Sexismus genannt. Das ist natürlich nur der alte, bescheuerte Sexismus, bloß in feige. Der versteckt sich hinter dem Schild „Ironie“.

Ironischer Sexismus ist keine neue Erfindung. Der Begriff „Hipster-Sexismus“ ist aus dem Jahre 2012 und stammt von Alissa Quart. Um den Retro-Sexismus kennzuzeichnen, der scheinbar schlau in Anführungszeichen daherkommt.

Zum ersten Mal aufgefallen ist mir das 2013. Bei der Printkampagne für die „Neue Nordhäuser Zeitung.“ Ein Regionalblatt aus Thüringen, kein kleines, aber auch kein richtig großes.

Die warben für ihr Blatt in doppelseitigen Anzeigen. Mit einem Schwarzweißfoto. Man sieht ein zerknittertes Bett und eine Frau, die darauf Zeitung liest. Man weiß, dass es eine Frau ist, weil man von ihr die Arme sieht und den Ausschnitt. Mehr nicht.

Der Claim ist: „Die Neue. Kommt schneller als die Alte, ist besser gebaut und macht, was man ihr sagt.“

Da möchte man beim Betrachten sagen: Das ist sexistisch. Die Frau auf dem Bild ist die Neue. Und die ist besser als die Alte. Weil sie eine Figur nach den gängigen Schönheitsidealen hat und fügsam ist und leichter zum Orgasmus kommt.

Weit gefehlt, konterte damals Chefredakteur Peter-Stefan Greiner! Denn: Erstens schalte man diese Anzeige schon seit 12 Jahren und zweitens ist das ironisch gemeint!

Der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Nordhausen riet er darum väterlich, doch besser alle Medien zu vermeiden, wenn sie denn keinen Spaß versteht.

Weil die Kampagne ja nur ironisch ist, Du Femi-Nazi-Spaßbremse! Reg‘ Dich nicht auf!

Na ja. Soviel zum Werbe-Aufreger 2013. Ich dachte mir, vielleicht regt mich das halt als Ex-Werberin besonders auf. Und so langsam werden die Dinge besser, hatte ich so den Eindruck.

Die Telekom wirbt mit Trans-Männern und dem Slogan „Für alle, die Familie sind“. Müssen halt nicht Mama, Papa und 1,4 Kinder sein.

Die Bahn fährt eine Recruiting-Kampagne, in der sie gezielt nach Elektronikerinnen sucht. „Du willst tonnenschwere Maschinen unter Strom setzen? Perfekt, bei uns kannst Du viel bewegen.“
Auf dem Plakat sieht man dazu eine echte, lebende Frau. Ohne Photoshop.

Der Baumarkt Hornbach wirbt mit einer Frau, die alte Vorurteile mit dem Vorschlaghammer abreisst und selbst bei der Milchschnitte steht der Mann in der Küche, die Mädchen sind wilde Kriegerinnen und im ganzen Spot taucht weder Pink noch Hellblau auf.

Selbst die erz-konservative Sparkasse setzt auf eine männliche Glücksfee in Röckchen und mit Bart. Ohne das dann in der Kampagne auch nur ein einziges Mal zu thematisieren. Ohne blöden Spruch.

Man könnte also denken, die Dinge entwickeln sich langsam. Und das wir langsam in einer viel bunteren und gerechteren Welt ankommen.

Doch es gibt halt immer herbe Rückschläge.
Und der heftigste Rückschlag kam dann vor ca. drei Wochen.
Das muss ich von vorne erklären.

Da gibt es eine Firma, die stellt Aromen her zum Vapen. „Vaping“ ist der coole Ausdruck für die elektrische Zigarette. Die funktioniert so, dass man eine Flüssigkeit zum Verdampfen bringt. Und diese Flüssigkeit, in cool „Liquid“, die kann man aromatisieren.

Zum Beispiel mit Zitronen-, Melonen-, Popcorn-, Litschi- oder Cornflakes-Aroma. Kann man mögen, muss man nicht.

Aber der Markt für diese Liquids ist eng und ein Newcomer hat es schwer, aufzufallen. Also braucht man eine fetzige Kampagne und einen coolen Namen.

Da kommt dann die Werbeagentur zum Einsatz. Da sind dann die Kreativen und zermartern sich das Hirn, wie sie an das Geld des Kunden kommen. Äh, oops, sorry – das war ironisch!

Ich meine, wie sie dem Kunden helfen können.

Und die Kreativen haben dann ein voll witziges Konzept.

Womit fangen wir an? Wie vermarkten wir das Popcorn-Aroma? Klar, mit Kino! (Clip)

Und das Melonen-Aroma? Was fällt euch bei Melonen ein, Jungs? (Clip)

Und Litschi? Das klingt schon so bisschen uncool. Wie können wir das aufwerten? (Clip)

Bleibt noch Corn Flakes. Die schmecken ja an sich jetzt nicht so intensiv. Da brauchen wir etwas besonders Griffiges! (Clip)

Der Werbeclip zeigt einen vollbärtigen Hipster. Wir sehen, wie er sich im Bett mit drei Models räkelt. Dann macht er drei Push-Ups, lässt sich in seinen Bademantel helfen und flaniert durch sein Playboy-Apartment, während er süffisant mit uns talkt.

Die Models schmiegen sich an ihn, schlecken ihm den Ellbogen ab, halten ihm ihre Melonen hin und warten auf dem Sofa auf allen Vieren, dass sie besprungen werden.

Die Printbegleitung der Kampagne kommt absichtlich laut und neon daher. Ist bunt und trashig, prollige Versionen von Playboy-Bunnies oder Fifties-Pinups kleben um die Produkte.

Und, weil wir besonders ironisch sind, wir Kreativen, nennen wir das Produkt auch noch „Roofys“.

Ihr merkt jetzt die Ironie nicht, weil ihr die Buchstaben nicht seht. „Roofys“ schreibt man wie Goofys, bloß mit ironischem „R“.

Gesprochen klingt das identisch wie „Roofies“. Und das wiederum ist der umgangs-sprachliche Ausdruck für Flunitrazepam. Das ist ein Betäubungsmittel aus der Gattung der Benzodiazepine und auch als Date-Rape-Droge bekannt.

Bei uns auch Vergewaltigungsdroge genannt. Und Roofies sind der beste Grund, warum man in Clubs am auf sein Getränk aufpasst.

Dieses Problem ist immerhin so verbreitet, dass Flunitrazepam mittlerweile so produziert wird, dass es Flüssigkeiten blau färbt und Klumpen bildet.

Oder so verbreitet, dass es deswegen in den USA vom Markt musste.

Ihr kennt vielleicht die Bill-Cosby-Story, oder? Der benutzte Roofies.

Und? Ist das nicht der Ober-Ironie-Hammer? Nennen die ihre Aroma-Dämpfe wie eine Vergewaltigungsdroge! Wie super ironisch und wie super witzig!

Also, liebe Firma High-Class-Liquid aus dem schönen Unna. Und besonder Du, lieber Daniel Koch, Geschäftsführer dieser Firma. Ich erkläre das einmal mit der Ironie in der Werbung.

Werbung macht man, um ein Produkt besser zu verkaufen. Also stellt man die Vorteile dieses Produkts in den Vordergrund. Sollte ein Produkt keine Vorteile haben, wie zum Beispiel Zigaretten oder Cola oder eben Deine Liquids, dann verbindet man das Produkt mit einem gewissen Image.

Darum gibt es den Marlboro Mann und die coolen Typen von Coke Zero, die happy Party-People von Bacardi oder auch die sehr beliebten Markenautos in James-Bond-Filmen.

Um eine Marke emotional aufzuladen, wie wir Werber das nennen. Die Konsumenten denken dann nicht mehr über die Vorteile des Produkts nach, sondern möchten etwas von dieser Emotion auf ihr Leben übertragen.

Und ist ja auch gut, dass die nicht nachdenken. Denn farbige Zuckerplörre mit Süßstoff oder giftige Tabakkrümel in Papier gewickelt haben ja nicht so irre viele Vorteile.

Deswegen versuchen wir Werber das Image, das sich die Zielgruppe gerne selber geben würde, in der Werbung zu transportieren. Und zwar so, dass es unbewusst wahrgenommen wird!

Dazu reichen Sekundenbruchteile. Oder Blicke aus dem Augenwinkel. Dafür müssen wir diese unbewusste Botschaft häufig streuen und verbreiten. Viele Plakate kleben, viele Spots buchen. Oder heute: Viral zu werden. Klicks zu haben.

Penetration heißt das in der Werbung. Und das meine ich nicht im geringsten ironisch, das heißt wirklich so.

Wir versuchen also als Werber unbewusst bestimmte Emotionen mit der Marke unserer Kunden zu verknüpfen. Ist ein fieses Gewerbe. Darum mach‘ ich das ja auch nicht mehr.

Und: Ironisch geht das nicht. Ironisch kann man niemals ernsthaft eine Marke etablieren!Ironie ist eine Übertragungsleistung des Verstands. Um Ironie zu erkennen, müssen wir den Kontext anhand einer gemeinsamen Semantik als unrealistisch verstehen.

Oh, war das jetzt zu schwierig, Daniel?

Lass es mich anders formulieren: Würden wir in einer Welt leben, in der Frauen keine Sexobjekte wärend und Werber nicht versuchen würden, mit Brüsten, Pos und Unterwürfigkeit Produkte zu verkaufen, dann könnte Deine Werbung ironisch sein…

In so einer Welt könnte ich vielleicht auch darüber lachen.

Aber die haben wir nicht. Deine Kampagne wäre dann ironisch, wenn der Erzähler kein Hipster wäre, sondern eine Frau. Und sich Männer an ihrem Körper rekeln würden. Und sie dabei wegen mir abschlecken würden.

Das wäre das Gegenteil des gesellschaftlichen Standards und damit im Wortsinn ironisch. Aber auch nicht lustig. Und dazu auch aüßert einfallslos. Und über Geschmacksrichtungen wie Eierlikör oder Pimmelbeere möchte ich gar nicht nachdenken… ihr versteht schon, alles superironisch!

Aber, unter uns, Daniel. Lass uns ehrlich sein: Ich weiß, wie das gelaufen ist.

Du hattest da diese Idee, neue coole Produkte zu machen. Und dann hatte Dein Kumpel Kontakt zu dieser Agentur.

Und die haben dann eine Marktstudie gemacht oder aber eine geklaut.
Um zu schauen, wer denn so E-Zigaretten raucht und wer genau Deine Liquids so kauft. Zielgruppenanalyse.

Und dann haben sie bemerkt: Hoppla, sind ja fast nur Männer! Alle so zwischen 25 und 45. Und alle nicht so supertop gebildet. Und statistisch auch noch auffallend: Total viele Singles!

Und dann haben die Werber gesagt: Das ist ja genau die Zielgruppe, die wir früher mit Titten und Ärschen erwischt hätten. Zu blöd. Da fahren die nämlich voll drauf ab. Aber das kann man heute ja nicht mehr bringen. Es sei denn… wir superschlaui’s haha…

Und so war das Daniel. Da gehe ich jede Wette drauf ein.
Nix da „ironisch sexistisch“. Papperlapapp.
Einfach nur sexistisch. Du Blödmann!
Pornflakes? Echt jetzt?
Aber Pornflakes oder Fruitboobs – das wäre ja allein noch nicht mal so schlimm. Das wäre einfach nur doof.

Aber weißt Du ‚was, Daniel?
Was ich Dir echt übel nehme?

Roofys!
Das ist Dreck, Mist, einen Haufen Scheiße, den Du da auf Kosten anderer verkaufst. So etwas ist geschmacklos und armselig, arglistig, abstoßend, amoralisch und asozial.


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 June 27, 2018  25m