Y Politik-Podcast | Lösungen für das 3. Jahrtausend

Politik bedeutet schon immer Probleme anzugehen. Aber das dritte Jahrtausend braucht neue Lösungen. Diese stellen Tanja Hille & Vincent Venus im Y Politik-Podcast vor – nicht neutral, niemals perfekt und doch immer optimistisch. Damit Du nicht nur mit neuen Gedanken aus der Folge gehst, kriegst Du jedes Mal noch was Handfestes zum Mitnehmen: von Alternativen zum Wahl-o-Maten, über den besten politischen Kinderfilm bis zu Deutsche Bahn-Hacks. Der Podcast für alle, die Helmut Schmidts Spruch “Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen” für genau so blöd halten, wie er später auch.

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episode 21: Warum wir den Armen einfach Geld schenken sollten [Y Politik 20]


Von dieser Idee würden alle profitieren.

Die Menschheit ist reich wie nie, doch viele Menschen sind immer noch arm. Darunter leiden nicht nur sie, sondern nachweislich Demokratie, Wirtschaft und Gemeinsinn. Wir stellen zwei radikale Ideen vor, die Armut beenden und unser Sozialsystem und die Entwicklungshilfe viel, viel, viel besser machen würden.

Warum ist Armut ein Problem?

Arme führen ein schlechteres Leben. Aber Armut wirkt sich auch auf die Gesellschaft als Ganzes aus: mehr Kranke, mehr Gewalt, höhere Kriminalität, weniger Produktivität und Gemeinsinn.

Das Bittere: Armut müsste es heutzutage nicht mehr geben. Es gibt genügend Wohlstand für die Menschheit – doch diese muss gerechter verteilt werden.

Dabei ist arm nicht gleich arm: In Deutschland gelten knapp 20 Prozent der Bevölkerung als von Armut betroffen oder gefährdet. Diese haben weniger als 1033 Euro pro Monat zur Verfügung (2015). Absolute Armut wird von der Weltbank definiert: wer heutzutage weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag zur Verfügung hat, gilt als arm. 150 Millionen Menschen leben unter dieser Armutsgrenze.

Was bedeutet Armut für die Betroffenen? In einem entwickelten Land wie Deutschland zum Beispiel, dass man bei Lidl den Einkauf zusammenrechnet, bevor man sich an die Kasse traut. Oder sich nie einen Kinobesuch leisten kann. Oder seinen Kindern keinen Urlaub ermöglichen kann. Im globalen Süden heißt arm zu sein, hungrig ins Bett zu gehen. Oder sich keinen Arztbesuch leisten zu können. Oder kein Dach über dem Kopf zu haben.

Auch wenn Armut je nach Land einen anderen Anstrich hat, so bedeutet es doch immer, dass Arme nicht normal leben können: Weder können sie am gesellschaftlichen Leben voll teilnehmen, noch können sie selbstbestimmt handeln.

Vorschlag 1: Jeder hat das Recht auf 1.500 Euro im Monat

Vincent schlägt vor, dass erwachsene BürgerInnen das Recht haben sollten, 1.500 Euro monatlich überwiesen zu bekommen. Es gibt keine Bedingungen, aber alle zwei Jahre würde diese Art des Grundeinkommens auslaufen. Ähnlich wie bei den Mitgliedsbeiträgen von Parteien müssen die BürgerInnen selbst einschätzen, ob sie den Betrag brauchen.

Dann werden die Leute faul und hören auf zu arbeiten! Aller Voraussicht nach nicht. Es gab im 20. Jahrhundert viele Studien in Nordamerika, die gezeigt haben, dass die Grundeinkommenbezieher zumeist einfach weiterarbeiten und ihre Arbeitszeiten nur leicht verringern. Berühmtes Beispiel dafür war "Mincome" (Minimum income) im kanadischen Dauphin in den 1970er Jahren. Alle armen Familien der 13.000-Einwohner-Stadt erhielten umgerechnet zum heutigen Wert 19.000 US-Dollar im Jahr. Nach vier Jahren kam eine konservative Regierung an die Macht und stoppte das Experiment – es geriet in Vergessenheit. Erst 2009 wurde es ausgwertet (von Professorin Evelyn Forget). Das Ergebnis: Die Mincome-Bezieher arbeiteten kaum weniger. Die, die es taten, kümmerten sich um Kinder oder ihre Ausbildung. Die genialen Nebeneffekte: Krankenhausaufenthalte, häusliche Gewalt und psychische Probleme sanken.

Wen das nicht überzeugt, sollte sich die schwache Leistung unseres bisherigen Systems vergegenwärtigen: wir haben immer noch 2,8 Millionen Langleistungsbezieher von Arbeitslosengeld 2 obwohl durch die Hartz 4-Reformen Mitte der 2000er Jahre ein starker Druck auf die Bezieher aufgebaut wurde und gleichzeitig die Wirtschaft seit Jahren brummt. Arme werden momentan kaum befähigt oder motiviert – im Gegenteil, wie dieser Tweet beispielhaft veranschaulicht: "Hartz 4 ist der größte Scheiss.

Als Kind von ALG2 Empfänger*innen, darf man für nicht mehr als 100 Euro im Monat arbeiten, alles darüber wird zu 80% abgezogen.

Kann mir jemand erklären, wie man sich einen Auszug leisten soll, wenn man nichts zurück legen kann?" von @saarahhnr

Geld zu verschenken können wir uns nicht leisten! Wahrscheinlich schon. Erstens würde ein Grundeinkommen andere Sozialleistungen ersetzen (schon heute bezieht jeder zehnte staatliche Hilfe). Zweitens würden Ausgaben in anderen Bereichen (Justiz, Gesundheitssystem) sinken. Drittens ist die Verwaltung unseres aktuellen Systems sehr, sehr teuer. Allein die Jobcenter zur Steuerung von Arbeitslosengeld 2 kosten unglaubliche 4,5 Milliarden Euro pro Jahr – nur die Verwaltung! Von diesem Betrag könnten 250.000 Menschen jeden Monat 1.500 Euro erhalten.

Unsere Gesellschaft würde kollabieren! Nein. Unsere Gesellschaft würde lebenswerter und zukunftsicherer. Unsere Obzession mit Arbeit würde abnehmen. Denn egal ob konservativ oder Sozialdemokrat, alle definieren sich und Dich heute über die Arbeit. Das ist an sich nicht gut, weil Menschen mehr sind als ihr Beruf. In der Zukunft könnte diese alleinige Wertschätzung durch Arbeit dramatische Folgen haben: Dann werden Roboter und künstliche Intelligenzen Tausende Arbeitsplätze überflüssig machen. Darum brauchen wir dringend andere Werte. Das Grundeinkommen könnte dabei helfen.

Vorschlag 2: Statt Entwicklungshilfe zu leisten, sollten wir Geld direkt an Bedürftige überweisen

Tanja schlägt vor, Entwicklungshilfe durch Direktzahlungen zu ersetzen. Klassische Entwicklungshilfe ist teuer und wenig wirksam. Sie ist teuer, weil westliche Organisationen und Experten viel Geld kosten. Sie ist wenig wirksam, weil die Entwicklungshelfer oft nicht richtig einschätzen, was wirklich gebraucht wird und Entwicklungsnehmer das Geld schlecht einsetzen oder veruntreuen.

Über Direktzahlungen erhalten die Bedürftigen das Geld ohne Umwege auf ihr Handy und setzen es so ein, wie sie es für richtig erachten: meistens für ihre Unterkunft, Medizin oder Bildung.

Zugabe: Grundeinkommen für alle

Mein Grundeinkommen

Der Verein arbeitet seit vier Jahren an der Verwirklichung des Grundeinkommens, in dem er Grundeinkommen verlost und untersucht, wie diese eingesetzt wird.

Du kannst Dich bei Mein Grundeinkommen einfach für die Auslosung anmelden. Außerdem kannst Du das Projekt als Crowdhörnchen unterstützen. 71.000 Menschen geben jeden Monat durchschnittlich 4 Euro, um dem Grundeinkommen zum Durchbruch zu verhelfen.

GiveDirectly

Für all jene, die lieber die absolut Armen unterstützen wollen ist GiveDirectly die Lösung. Du spendest jeden Tag einen Dollar und hilfst damit einer anderen Person aus der absoluten Armut.

91 Prozent Deines Geldes landen direkt bei den Bedürftigen - das ist ein sehr hoher Anteil. Bei der Charity-Vergleichsplattform Givewell gilt GiveDirectly als Top-Charity. Der Spiegel hat eine schöne Hintergrundgeschichte zur Organisation verfasst (Englisch).


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 October 1, 2018  49m