Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Hölle auf Erden


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In der heutigen phantastischen Erzählung geht es um den klassischen Handel mit der Hölle: Die unsterbliche, menschliche Seele gegen einen großen Haufen Cash!

Heutzutage läuft das natürlich anders als in mittelalterlichen Sagen und Legenden: Lilith und Lucifer müssen wohl ihr Geschäftsmodell ändern!

Download der Sendung hier.

Hintergrundmusik: Costa Rica Master Guitarist Roberto Víquez. From WeLoveCostaRica.com

Musiktitel: „Luxus“ von REGGAE NIGHT REUNION / CC BY-NC-SA 3.0

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(Nur für Unterstützer)

Die Geschichte zum Lesen

SFX: Donner, heftiger Regen, Türklopfen, Tür öffnet sich quietschend
HW: Wer ist denn da, mitten in der Nacht?
FA: Hi! Ich bin’s! Lilith. Ich hätte Dir da einen einmaligen geschäftlichen Vorschlag zu machen! Dieter!

SFX: aus

HW: Tja. So war das vor zehn Jahren. Als ich wirklich einigermaßen am Ende war und dann diesen Handel eingegangen bin. Meinen ganz persönlichen Handel mit der Teufel. Seele! Pah! Wo soll die denn sein?

(Intro)

HW: Zu meiner Verteidigung muss ich anführen, dass ich wirklich ziemlich am Ende jeder Hoffnung war. Dass es wirklich schlecht aussah! Ehrlich!

Ich muss das wirklich erst einmal erklären! Bis jetzt habe ich das nur einmal erklärt. Und das lief wirklich nicht besonders gut. Also, die Zeit sollte jetzt schon sein. Oder? Gut? Prima!

Also, alles fing damit an, dass Denise Leukämie bekam. Nein, eigentlich damit, dass ich entlassen wurde. Oder damit, dass ich ein bisschen zu früh geheiratet habe. Oder?

Vielleicht auch damit, dass ich unter sehr einfachen Verhältnissen aufwuchs, bis meine Eltern starben. Aber vielleicht sollte ich nicht bei Adam und Eva anfangen. Interessiert doch keinen!

Fangen wir also später an. Als ich mit 19 Jahren einen guten Job hatte bei Arcandor, lernte ich dort meine Frau kennen. Und nicht einmal ein Jahr später kam auch Denise, unsere kleine Tochter zur Welt.

Mit drei Jahren erkrankte sie dann an Leukämie. Der Arztbrief, der das diagnostizierte, war am gleichen Tag in der Post wie das Schreiben von Arcandor. In dem stand, dass ich gekündigt bin, weil man pleite war. Ex-Chef Middelhoff bekam aber schnell noch eine Abfindung von 2 Millionen Mark.

Es stellte sich bald heraus, dass die Krankheit meiner Tochter sehr, sehr selten, aber durchaus zu behandeln war. Allerdings zahlte die AOK natürlich nicht die teuren Zytostatika nicht, die sie brauchte. Das mussten wir alles aus eigener Tasche zahlen.

Wir hatten keinerlei Reserven, all‘ unser Geld war für die Hochzeit und den Umzug draufgegangen und unsere Konten waren schon nach zwei Monaten beide am Anschlag.

Meine Frau verbrachte jeden Tag in der Klinik, um Denise zu behüten und ich verbrachte jeden Tag damit, durch die Gegend zu fahren und jeden, den wir kannten, anzupumpen.

Wir kannten beide nicht viele Menschen. Eines Abends saß ich sehr verzweifelt über dem Berg mit Rechnungen, die wir alle absichtlich nicht bezahlt haben. Die Flasche Rotwein im System gab mir dann den Rest und ich heulte schlicht Rotz und Wasser. Ich war schon eine arme Sau, oder? Plötzlich klingelte die Tür.

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ein Gewitter aufgekommen war, aber es goss wie aus Kübeln, als ich Lilith zur Tür hereinbat.

Es ist nicht so, dass sie mich lange überreden musste, nach ca. fünf Minuten hatte ich meine Seele an die Oberteufelin verkauft. 10 Jahre Leben, 10 Milliarden Deutsche Mark, danach bekam sie meine unsterbliche Seele. Mit Blut setzte ich meinen Namen unter ein komisches Pergament. Sie lachte und war weg.

Tja. So läuft das. Der Handel mit der Hölle. Das scheint nicht oft vorzukommen. Wahrscheinlich sind Menschen nicht oft so verzweifelt wie ich. Oder sie glauben noch an so einen Quatsch wie Seele. Ich meine, wo sollte die schon sein, die Seele? Hm?

Auf jeden Fall war es ziemlich schwer, zu erklären, warum ich auf einmal 10 Milliarden Deutsche Mark auf dem Konto hatte. War ja nicht so, dass es da eine Überweisung gegeben hätte, auf der Lilith geschrieben hätte: „Wegen Ankauf von Dieters Seele.“

Das Geld war einfach da. Und bei der Postbank wäre das auch weiter nicht aufgefallen. Unsere Bekannten und Freunde, bei denen ich unsere Schulden zurückzahlte, hätten das auch nicht gemerkt.

Meiner Frau ist es aufgefallen, klar. Aber die dachte sowieso, dass ich einen Dachschaden habe, nachdem ich ihr erzählt habe, dass die Oberteufelin mit mir einen Handel abgeschlossen hat.

Vier Wochen nach dieser Gewitternacht war sie zurückgezogen zu ihren Eltern. Ein Jahr danach waren wir geschieden. Sie nahm Denise und die Hälfte meines Vermögens und zog in die Schweiz, wo die Kleine auch behandelt wurde und nach nur drei Monaten keine Krebszellen mehr im Blut hatte.

Soll der Teufel sie holen! Ich meine natürlich meine Ex, nicht die Göre.

Das Finanzamt wurde aber durch das Scheidungsverfahren sehr hellhörig. Wie kommt dieser kleine Mann, der seit über einem Jahr arbeitslos ist, zu 10 Milliarden Euro? Was ist da passiert?

Bevor mir das Konto gepfändet werden konnte, war ich abgereist nach Costa Rica. Die Schweiz Zentralamerikas. Seit den 50ern eine stabile Demokratie. Keine sozialen Unruhen, keine Bürgerkriege, keine Diktatur und kein Auslieferungsabkommen mit Deutschland.

So hatte ich als innerhalb von nur einem Jahr alles verloren und alles gewonnen. Was mir blieb, war viel Geld. Was macht also ein junger Mann, der soviel Geld hat, dass er persönlich Arcandors Schulden hätte zahlen können?

Ich stürzte mich in den Hedonismus. Was sonst? Ich kaufte alles, was man kaufen kann. Ich machte einfach alles mit. Ich folgte jeder Mode und jedem Trend, ich wurde Anhänger jeder angesagten Marke und und jeder technischen Neuerung!

Alles, was man kaufen kann, das kaufte ich. Und trotzdem schrumpfte mein Geldberg kaum. Zu dem damaligen Zinssatz kam sogar jeden Tag eine halbe Millionen an Zinsen dazu! Ich verdiente schneller Geld, als ich es ausgeben konnte!

So also lebte ich vor mich hin und investierte mein Vermögen in alle Marken, von denen ich nur hörte. Bis es auf einmal, mitten im tropischen Sommer in Costa Rica stockdunkel wurde, Blitze über den Himmel zuckten und es an der Tür klingelte.

War mir schon gleich klar, wer das war! Lilith liebt den großen Auftritt!

„Hallo, Lilith!“
„Hallo, Dieter!“
„Gut schaust Du aus! Du hast Dich kein bisschen verändert in 10 Jahren!“
„Du schon. Haben wir ein bisschen an Gewicht zugelegt?“
„Ach was? Meinst Du?“
„Na ja, höchsten einen Zentner!“

„Wenn Du schon da stehst – wie findest Du eigentlich meinen Jaguar?“
„Ach, keine Bugatti-Sonderanfertigung, so wie Cristiano Ronaldo?“
„Ist der auch Kunde bei Dir?“
„Natürlich, was dachtest Du denn?“
„Nein, das wäre mir zu proll. Das ist ein bescheidener Jaguar D-Type aus dem Jahre 1955. Und – unter uns Betschwestern – noch einmal sieben Millionen teurer als dieser potthässliche Bugatti!“
„Hübsches Haus auch!“
„Danke. Ist von David Chipperfield. Hat eine eigene künstliche Intelligenz! Musste ich dem MIT nur 50 Millionen dafür spenden!“
„Aha.“
„Ja, pass‘ mal auf. Wenn ich in mein iPhone sage: Bereite für mich und meinen Besuch Margaritas in der Loggia vor und bestelle bei René zweimal Spaghetti Cacio e Pepe.“
„Sehr stilvoll!“
„Warte kurz. Und da! Siehst Du diese kleine rollende Tonne? Habe ich mir von Elon Musk bauen lassen. Ist der erste automatische Shopping-Robot von Tesla! Hab‘ nur ich!“
„Sehr interessant!“
„Ja, der ist sogar intelligenter als die Gärtner-Roboter, die sie mir bei Google gebaut haben. Kuck mal, wie perfekt die Buchsbäume geschnitten sind!“
„Schön, schön, dass Du Dein Geld arbeiten lässt!“
„Und ob! Ich habe zum Beispiel Gucci gekauft, um meine ganz persönlichen Ideen für Herrenmode umzusetzen. Das sind immerhin 240 Arbeitsplätze direkt hier in San José.“
„Ich bin aber eigentlich aus einem anderen Grund hier.“
„Oh ja! Komm rein! Vor lauter Angeberei habe ich ganz vergessen, Dich rein zu bitten!“
„Danke!“
„Eine kleine Erfrischung?“
„Nein, danke, ich bin im Dienst.“
„Keine Angst, ist nicht alkoholisch!“
„Moment, was ist das denn? Wieso schwebt die kleine Kugel hier in der Luft?“
„Warte kurz – zack, eine kleine Erfrischungswolke! Ist eine Duftkugel! Riecht es gut?“
„Riecht sehr gut! Aber warum schwebt die Kugel?“
„Ist eine Drohne.“
„Aber macht ja kein Geräusch.“
„Next Generation. Die sind bei Samsung den Amerikanern einen Schritt voraus und ich habe früh viel Geld nach Südkorea investiert!“

„Schön, schön, aber ich wollte eigentlich nur kurz Deine Seele holen und dann weiter. Also, wenn Du nichts dagegen hast?“
„Wie, gleich hier?“
„Ja.“
„Lass uns in die Loggia gehen, da warten unsere Margaritas!“
„Nein, gleich hier!“

Na ja, dann legte Lilith mir die Hand auf die Brust. Habe ich schon erzählt, dass sie verdammt gut aussah? Genau mein Typ! Wahrscheinlich die heißeste Frau im Jenseits.

Aber ihre Hand bleibt nicht auf meiner Brust liegen, sondern sie fährt in meinen Körper. Völlig widerstandslos, als wäre ich aus Wasser. Und sie greift zu meinem Herzen. Dreimal greift sie dahin.

„Moment … Wo ist …“

Und dann sucht sie den ganzen Brustraum ab mit ihrer Hand. Und sagt nichts dabei. Sie kommt mir mit ihrem Gesicht recht nahe. Ist eine sehr peinliche Situation. Sehr peinlich. Ich kucke weg.

„Soll ich uns vielleicht Musik anmachen? Die Lautsprecher sind von Kef Muon, der Vorverstärker von Mark Levinson, die Subwoofer von Velodyne und die Verkabelung von Oehlbach.“
„Warte, die muss doch hier …“

„Ich habe das Wohnzimmer von Akustikern verschalen lassen. Und das Konzert hat Pierre Boulez exklusiv für mich aufgezeichnet. Ist eine Komposition von John Williams. Nur für mich!“

Mittlerweile sucht sich schamlos jede Ecke meines Körpers ab, jeden Winkel meines Rumpfs. Gott sei Dank spüre ich davon nichts. Gar nichts.
„Es kommt ja schon einmal vor, dass ein Stück der Seele fehlt. Wenn jemand zum Beispiel in eine Sekte gerät. Dann gibt er etwas an den Guru ab. Aber das da gar keine …“

„Du, sag‘ mal, Lilith, eine Frage: Können wir vielleicht ein Foto miteinander machen? Ich hab‘ auf Insta vier Millionen Follower. Mir folgen zum Beispiel Emma Stone, Nathalie Emmanuel, Marillon Cotillard, Zoe Kravitz oder Cobie Smulders …“

„Kenne ich nicht. Alle keine Kundinnen.“
„Egal. Aber die würden echt kucken, wenn sie mich mit so einer heißen Frau wie Dich …“

„Das gibt es doch nicht! Keiner kann seine Seele ganz hergeben. Keiner kann so vielen Sekten folgen! Das gibt es doch nicht!“
„Oder, weißt Du, was noch cooler wäre? Wir machen gleich einen Livestream auf YouTube! Da könnten sich alle zuschalten! Wenn ich vorher noch dem Eyes Magazine auf Twitter eine DM schicke, dann …“

„Oh, das ist ja nicht zu glauben!“
„Was ist denn? Warum bist DU so blass? Soll die AI eine Drohne schicken, um Frau Dr. Reese aus Mount Sinai einzufliegen? Das ist die beste Psychologin der Welt!“

„Nein, ich habe keine Krankheit …“

„Wie wäre es mit einem Scotch? Ich habe einen Dalmore 62 da. Der beste Scotch aller Zeiten. Gibt es nur 12 Flaschen von.“

„Das gibt es doch nicht. Ist es schon so weit? Das wird wahrscheinlich immer schlimmer!“
„Oder vielleicht ein Treffen mit Salman Khan? Meine Freundinnen sagen alle, das ist zur Zeit der most sexy Mann der Welt. Vielleicht wäre das mal eine Abwechslung …“

„Du machst immer weiter! Ich kann es nicht glauben!“

„Kann ich Dir denn überhaupt keinen Gefallen tun!“
„Nein! Geh‘ weg! Schau mich nicht an! Und fass mich nicht an! Ich will nichts mehr mit Dir zu tun haben! Ich will Deine Seele überhaupt nicht! Die ist sowieso schon an einem Ort, der viel schlimmer ist als die Hölle!“

„Halt, bleib! Wenigstens das Foto für Instagram!“

Tja. Das war das Letzte, was ich von ihr gesehen oder gehört habe. Sie ist so schnell weggerannt, wie sie wohl konnte. Ihr Heulen hat die Milch meiner Zwerg-Jersey-Kühe im Euter sauer werden lassen.

Pfft! Dann halt nicht! Seele! Wo sollte die schon sein?


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 May 23, 2019  25m