Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Ghostbusters


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Warum verhalten sich alle Darsteller in Horrorfilmen so, als gäbe es in ihrer Welt keine Horrofilme, von denn man lernen könnte, wie man sich verhält, wenn man vor einer Tür steht, aus der grünes Licht und Neben wabert und hinter der man Stimmen in einer fremden Sprache flüstern hören kann? Was war meine Frage?
Ach ja: Wie dumm muss man denn sein, wenn man dann die Klinke drückt, oder?

Download der Sendung hier.

Musiktitel: „Ghostbusters – Ska Cover“ von “Party like It’s”

Was denkst Du? Deine Meinung über diese Geschichte bei uns im Forum.
(Nur für Unterstützer)

Die Geschichte zum Lesen

FA: „Ich glaube, die Besitzer dieses Gebäudes finden es keine gute Idee, wenn fremde Menschen ihr Eigentum betreten.“

Elena und Harald stehen vor der Ruine eines Hauses am Rande der kleinen Stadt. Hier herrschte immer Nebel. Das Licht einer Taschenlampe tanzt über die Fassade. Alle Fenster im Erdgeschoss sind eingeschlagen, die im ersten Stock zum größten Teil, nur im zweiten ist noch die eine oder andere Scheibe ganz.

Harald zuckt nur mit den Schultern:

„Das liegt nur daran, dass das Ding baufällig ist. Das müssen die machen wegen der Versicherung, glaube ich.“

FA: „Wieso? Wem gehört das jetzt? Ich dachte, von der Familie ist seit zweihundert Jahren keiner mehr am Leben?“
HW: „Irgendjemandem gehört so ein Haus immer. Es gibt doch keine Immobilie, die niemandem gehört. Wahrscheinlich fällt das irgendwann einfach an die Gemeinde, wenn es keiner haben will.“
FA: „Und die Gemeinde macht dann ein Schild hin, auf dem steht: ‚Privatbesitz. Eintritt verboten. Lebensgefahr.‘“
HW: „Mein Gott! Die müssen die Schilder auch irgendwo kaufen. Vielleicht gab es einfach keine anderen Schilder. Ich meine: ‚Gemeindebesitz. Eintritt verboten‘ gibt es auch nicht, oder? Hast Du das schon einmal gesehen?“
FA: „Wem das gehört, ist mir eigentlich egal. Ich finde den Teil mit der Lebensgefahr viel problematischer, Du Hirni!“
HW: „Jetzt sei nicht so furchtbar vernünftig, Elena!“

Das ist ein Vorwurf, der in schlechten Geschichten, so wie in dieser, leider viel zu oft ernst genommen wird. Aus irgendeinem Grund gilt es unter Jugendlichen als schicker, nicht vernünftig zu sein.

Vernünftig wäre es gewesen für Elena und Harald, nicht nach der Party noch hier raus zu radeln, wo kein Mensch mehr ist. Das wäre vernünftig gewesen. Haben sie aber nicht gemacht.

Vernünftig wäre es auch, wenn sie sich jetzt nicht dem alten Haus nähern würden, von dem es im Dorf schon seit der französischen Besatzung heißt, dass es da spukt. Das wäre vernünftig, egal, ob man nun an Geister glaubt oder nicht.

FA: (sarkastisch) „Du findest es also spießig, wenn man Objekte nicht betritt, in denen man etwaiger Lebensgefahr ausgesetzt ist?“

Brave Elena! Sie hat natürlich völlig recht. Doch leider ist Harald vernünftigen Argumenten nicht zugänglich. In der Individuation des Homo sapiens bestehen zu mehreren Zeitpunkten akute Sicherheitsrisiken. Statistisch gehäuft um das 17. Lebensjahr leiden besonders männliche Individuen dieser Spezies unter hormonbedingtem Realitätsverlust. Darum schmettert Harald die Argumente ab und meint nur:

HW: „Sag‘ mal, bist Du das, die so auf Horrorfilme steht oder ich? So einen Dreck wie ‚Die Mächte des Wahnsinns‘ hätte ich mir ohne Dich nie angekuckt!“
FA: „Kein schlechtes Wort über diesen heiligen Klassiker! Das ist der beste Film von Sam Neill überhaupt!“
HW: „Siehste! DU gruselst Dich doch gerne! Was spricht also dagegen, so ein Gruselhaus zu besuchen? Das ist doch noch spannender als bloß einen Film zu kucken, oder?“
FA: „In meinen Horrorfilmen sterben die Menschen aber!“
HW: „Da stirbt doch niemand! Das sind doch Schauspieler! Also, komm jetzt!“

Was soll ich euch sagen? Mit diesem dämlichen Argument kommt Harald tatsächlich durch! „Wie, Du magst Superman-Filme? Selber fliegen ist cooler! Also spring vom Balkon!“

Ich nehme meine Einschätzung zurück: In bestimmten Lebensabschnitten sind männliche und weibliche Individuen der Gattung Homo sapiens von Realitätsverlust bedroht!

Die beiden schlüpfen also durch den Zaun, schleichen durch den verwilderten Garten und betreten das Haus, das seit zweihundert Jahren niemand mehr bewohnt.

Als sie über diejenigen Balken des Zimmerbodens balancieren, die nicht verrottet sind, hören sie auf einmal ein Geräusch aus dem Nebenraum! Es ist, als ob ein nasser Sack auf Beton klatscht! Beide zucken zusammen, Harald fällt die Taschenlampe aus der Hand.

FA (zischt): „Siehst Du? Es geht schon los!“
HW: „Unsinn! Das ist ein Haus, das langsam kaputt geht. Da fällt jeden Tag was runter, bis es eine komplette Ruine ist. Das ist nur der Zahn der Zeit!“
FA: „Das klang aber irgendwie organisch!“
HW: „Vermoderter Putz ist auch organisch, oder?“
FA: „Können wir nicht wieder gehen?“

Das ist doch eine wirklich berechtigte Frage! Ein wirklich guter Vorschlag! Aber, kaum das Harald die Taschenlampe wiedergefunden hat, schieben sich die beiden gegenseitig, Schritt für Schritt weiter in das dunkle Gemäuer.

Stimme: (flüstert) „Lauf‘ um Dein Leben!“
FA: (schreit auf) „Da! Eben! Gerade, die Stimme, hast Du die gehört?“
HW: „Was? Nein! Oh, mein Gott! Hast Du mich erschreckt! Was für eine Stimme denn?“
FA: „Da war so ein Wind und mir war auf einmal so kalt und da habe ich die Stimme gehört! Die hat direkt in mein Ohr geflüstert! ‚Lauf‘ um Dein Leben!‘ Hat sie geflüstert!“

HW: „Das hast Du Dir sicher eingebildet!“
FA: „Das habe ich mir nicht eingebildet!“
HW: „Du denkst, das war ein Geist? Im Ernst?“
FA: „Ja. Nein. Ich weiß nicht. Und wenn es ein Geist war? Wenn es hier spukt und wir hier ermordet werden?“
HW: „Elena, denk‘ doch einmal nach! Wenn der Geist dich umbringen wollte, was er wahrscheinlich nicht einmal kann, aber egal: Wenn er Dich umbringen wollte, dann würde er Dich doch nicht warnen!“

Ich möchte mich als Erzähler dieser Geschichte noch einmal deutlich von meinen Protagonisten distanzieren. Diese scheinbare Logik, die Harald da in seiner Argumentation verwendet, täuscht über zwei offensichtliche Tatsachen hinweg:
A) Dass sie stillschweigend die Existenz von Geistern mit Tötungsabsicht voraussetzt und B) Harald ein Volltrottel ist.

FA: „Wenn ein Geist mich umbringen will, dann ist es mir völlig scheißegal, was er vorher zu mir sagt! Ich will wieder hier raus!“
HW: „Ich aber nicht! Ich habe von draußen so ein grünes Schimmern gesehen im ersten Stock! Ich will zumindest noch kucken, was das war. Sonst haben wir ja gar nichts erreicht heute. Nur schnell mal reingeleuchtet in das Spukhaus.“
FA: „Ich will ganz sicher nicht in den ersten Stock!“
HW: „Na gut, dann musst Du halt hier warten.“
FA: „Aber ich krieg‘ die Taschenlampe!“
HW: „Nee! Mit Sicherheit nicht! Meinst Du, ich klettere die vermoderte Holztreppe im Dunkeln hoch, oder was? DA breche ich mir ja noch den Hals!“
FA: „Meinst Du, ich warte hier im Dunkeln, während Du Dir den Hals brichst?“
HW: „Dann musst Du halt mitkommen, Du Hasenfuß!“

Und so kommt es, dass zwei Jugendliche mitten in der Nacht alleine in einem baufälligen Gebäude herumklettern, außer Sicht- und Rufweite von anderen Menschen. Vorsichtig testen sie Stufe um Stufe der Treppe. Nur langsam erhöhen sie die Belastung, bevor sie sich höher bewegen.

In gebückter Haltung, die Hände ausgestreckt, die Nerven zum Zerreißen angespannt schreiten die beiden auf ihr unausweichliches Schicksal zu.

Auf einmal hört man im ganzen Haus ein unmenschliches Zischen. Ein Windhauch lässt beide Jugendlichen erzittern. Etwas schießt auf Elena zu. Instinktiv zieht sie den Kopf ein und das Etwas schlägt hinter ihr in die Wand.

Beide schreien auf!

FA: „Mein Gott! Sie werfen nach uns! Die Geister werfen mit Sachen nach uns, aber ich kann nicht sehen mit was!“
HW: „Komm, beruhige Dich! Das glaubst Du doch selber nicht!“
FA: „Aber Du hast das doch gerade auch gesehen! Das war doch was! Du warst doch dabei!“
HW: „Aber muss ja keiner was geworfen haben!“
FA: „Was war das denn sonst?“
HW: „Ich habe auch nichts gesehen. Ich habe die Tür da oben angeleuchtet. Vielleicht war das ein Tier?“
FA: „Ein Tier?“
HW: „Ja, eine Taube vielleicht, die wir aufgescheucht haben? Oder eine Eule? Irgendwie passt das Haus zu Eulen, oder?“
FA: „Eine Eule, die mir ins Gesicht fliegen will?“
HW: „Vielleicht hat sie dich im Dunkeln nicht gesehen?“
FA: „Eine Eule, die im Dunkeln schlechter sieht? Schlechter als ich? Im Ernst?“
HW: „Dann war’s vielleicht doch bloß eine Taube. Aber weißt Du, was echt interessant ist?“
FA: „Interessant? Interessanter als ein Geist, der mich umbringen will?“
HW: „Jetzt komm schon, sie nicht so melodramatisch! Du hast ja nicht einmal einen Kratzer!“
FA: „Danke für Dein Mitgefühl!“
HW: „Jetzt schau doch einmal die Tür da oben an! Fällt Dir da nichts auf?“
FA: „Was denn? Das komische Licht?“
HW: „Ja! Genau! Da kommt so ein komisches grünes Licht aus der Türritze! Da ist irgendeine Lichtquelle dahinter!“
FA: „Und?“
HW: „Komm‘! Das schauen wir uns an!“
FA: „Ohne mich! Ich dreh‘ um!“
HW: „Komm, Elena! Wir sind fast schon oben! Dauert sicher nicht lang!“
FA: „Ich gehe! Lebewohl, Harald! Nett, Dich kennengelernt zu haben!“
HW: „Dann viel Spaß im Dunkeln! Denn meine Taschenlampe nehme ICH mit!“

Entgegen aller Überlebensinstinkte, die sich über 3,5 Milliarden Evolution in die DNA gespeichert haben, folgt Elena Harald weiter in das baufällige Haus hinein, von dem es heißt, es würde dort spuken.

Sie erklimmen weiter Treppenstufe um Treppenstufe, bis sie es in den ersten Stock geschafft haben. Hier sind der Boden, die Türen und die Decke aus unbekannten Gründen weniger verrottet als im Erdgeschoß.

Man erkennt an den Wänden noch Rechtecke, wo wahrscheinlich bis vor zweihundert Jahren Bilder gehangen haben mögen.

Leise, auf Zehenspitzen, nähern sich die beiden der Tür, aus der dieser Lichtschein zu fallen scheint. Mehr noch: Sie scheint auch die Quelle des Nebels zu sein, der das Haus zu allen Jahreszeiten umgibt.

Als sie vor der Türe stehen, presst Harald ein Ohr dagegen. Elena sieht, wie seine Augen auf einmal groß werden wie Spiegeleier.

FA: (leise) „Was ist?“
HW: „Psst!“
FA: „Was hörst Du da denn?“
HW: „Da unterhalten sich zwei!“
FA: „Wer denn?“
HW: „Ich habe keine Ahnung! Ein Mann und eine Frau!“
FA: „Und was sagen sie denn?“
HW: „Keinen Schimmer. Sie streiten, glaube ich!“
FA: „Weswegen streiten sie denn?“
HW: „Ich weiß es nicht. Sie reden französisch!“
FA: „Im Ernst? Bist Du Dir sicher?“
HW: „Ja, aber irgendeinen Dialekt. Ich verstehe keine Silbe.“
FA: „Das Haus hat dem Gouverneur gehört, als die Franzosen unter Napoleon die Gegend hier besetzt hatten!“
HW: „Weißt Du was?“
FA: „Wir hauen ab?“

HW: „Nein, nein! Dann hätten wir ja nichts in der Hand!“
FA: „Wie meinst Du das? Was sollten wir in der Hand haben?“
HW: „Na, dann glaubt uns keiner.“
FA: „Was denn?“
HW: „Na, was wir gleich erleben.“
FA: „Was erleben wir denn?“
HW: „Pass auf. Ich zähle leise bis drei und dann reiß ich die Türe auf und Du filmst, was oder wer hinter der Tür ist mit Deinem Handy!“
FA: „Das mache ich sicher nicht!“
HW: „Aber das wird so cool! Weißt Du, da mache ich dann noch ein bisschen Musik drunter und dann stellen wir das auf YouTube! Das wird der Hammer!“
FA: „Das ist die bescheuertste Idee, die Du jemals hattest! Hie spukt es und die wollen uns umbringen, die Geister, und Du denkst an YouTube!“
HW: „Wenn Du nicht filmst, dann bleib ich hier einfach stehen mit der Taschenlampe. Wenn Du hier schnell rauswillst, dann filmst Du, was hinter der Tür ist! Und schon hauen wir ab!“
FA: „Das ist Erpressung, Du Arsch! Oh Mann! Na gut!“

Oh, mein Gott! Sie hat „Na gut“ gesagt! Habt ihr das gehört? Man macht ja als Erzähler wirklich viel mit, aber dieses „Na gut“ übertrifft alles! Die beiden sind in einem Spukhaus und haben bis hierher nur aufgrund jugendlicher Reflexe überlebt und jetzt soll ich noch spannend erzählen, wie es weitergeht?

Wie wir sehen, als sich die Hand von Harald so langsam der Klinke nähert? Wie sie zittert vor Angst? Das soll ich erzählen?

Und wie man Elena laut atmen hört und ein bisschen wimmern vor Angst? Und dass man die Herzen der Beiden gegen die Brustkörbe schlagen hört?

Und wie Harald dann die Klinke in die Hand nimmt und so fest in seine Faust schließt, dass sich die Knöchel weiß färben?

Ohne mich! Ich mache das nicht mit! Das ist mir zu abgedroschen und dumm! Sucht euch einen anderen Erzähler! Jeden Scheiß muss ich auch nicht mitmachen! Und tschüß! Erzählt euch die Geschichte selber zu Ende! Denkt euch doch selber ein Ende aus! Lebt wohl! Ich gehe erst einmal eine rauchen! Nee, echt nicht! Und das mir! Aberhunderte Geschichten schon erzählt und jetzt das! „Spukhaus“! My ass!


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 June 30, 2019  26m