Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Superheldenselbsthilfe


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Dank der Filme und Fernsehserien über Superhelden, die seit zehn Jahren auf uns einprasseln, haben wir uns mit dem Gedanken angefreundet, dass es Menschen mit Superkräften gibt.

Wenn man aber selber entdeckt, dass man zu diesen Auserwählten gehört, kommt es vor, dass man Rat und Unterstützung anderer Betroffenen braucht. Dafür gibt es die „Anonymen Superhelden“ und wir hören heute einmal bei einem Treffen zu!

Download der Sendung hier.

Musiktitel: „SuperHero“ von Adam Tyler / CC BY-SA 3.0

Was denkst Du? Deine Meinung über diese Geschichte bei uns im Forum.
(Nur für Unterstützer)

Die Geschichte zum Lesen

Thomas: Hallo? Bin ich hier richtig? Das ist schon der Gemeindesaal der methodistischen Kirche, oder?
Thekla: Ja, sicher! Blöd, gell, dass da nirgends Schilder sind?
Thomas: Und ihr, ihr seid die Selbsthilfegruppe?
Thekla: Ja, genau!
Thomas: Das hier ist „Anonyme Superhelden“?
Thekla: Ja, da bist Du völlig richtig! Gut, dass Du den Schritt gewagt hast, hierher zu kommen, das ist keine kleine Sache, wir wissen das hier alle! Ich bin Thekla, komm‘ doch zu uns!

Thomas: Ja, das war wirklich schwierig zu finden. Die Website ist auch eher von 1890. Javascript ist keiner der Superstärken, die hier vertreten ist, oder? (Lacht verklemmt)
Thekla: Äh, keine Ahnung, was Javascript ist. Vielleicht nimmst Du Dir einfach den freien Stuhl – Vera kommt heute nicht, die lässt sich entschuldigen wegen Superheldinnenmenstruationsbeschwerden, ihr Lieben – hängst Deine Jacke drüber und machst es Dir gemütlich!

Thomas: Ja, äh, danke! Also, sorry, ich wollte jetzt niemandem zu nahe treten, oder so!
Thekla: Kein Problem! Jeder von uns war zum ersten Mal hier, musst Du wissen. Man ist nervös und sagt manchmal Dinge, die man nicht so meint! Kein Problem! Vielleicht willst Du Dich erst einmal vorstellen?

Thomas: Ja, gerne! Also: Mein Name ist Thomas und ich habe eine Superkraft!
Alle: Hallo, Thomas!
Thekla: Möchtest Du zum Anfang vielleicht erklären, was Deine Superkraft ist und warum Du Hilfe suchst?
Thomas: Ja, klar. Also … Ich habe vor kurzem entdeckt, dass ich Feuer speien kann. Also, in echt, nicht im übertragenen Sinn. So wie ein Drache sozusagen. Ich muss mich auch nicht extra aufregen, oder so. Als ich das dann zum ersten Mal intensiv ausprobiert habe, da habe ich auch gleich mein halbes Apartment abgefackelt.

Und das mit dem Feuerspeien habe ich aber niemandem erzählt. Na ja, weil das klingt ja ziemlich nach Freak, oder? Na ja, auf jeden Fall macht mich das sehr unsicher und ich habe echte Probleme mit normalen Menschen und so. Kurz gesagt: Jetzt suche ich Hilfe, wie ich damit umgehen kann. Das ist auch erst einmal alles, was ich so sagen kann…

(Peinlich lange Pause, Textil, Räuspern, Gähnen)

Thekla: Danke Thomas! Und noch einmal willkommen! Schön, dass Du hier bist! Wir kommen, so wie der Zeitplan aussieht, wahrscheinlich sogar heute noch auf Dich zu sprechen. Als Du gekommen bist, wäre eigentlich die Anja drangekommen. Die sagte beim vorletzten Treffen, sie hätte ein dringendes Anliegen. Anja, willst Du vielleicht weitermachen?

Anja: Ja, danke. Also ich bin die Anja!

Alle: Hallo Anja!

Anja: Also, vor zwei oder drei Wochen war ich in dieser Bar. Und da hab‘ ich ein paar Cocktails getrunken. Aber ich war nicht betrunken oder so, nur guter Laune. Echt! Das mit dem Betrinken, das habe ich schon lange gelassen. Weil ich dachte, das wäre mein Problem. Aber …

Na ja, egal. Ich erzähl mal weiter: Da, in der Bar, hab‘ ich diesen Typen kennengelernt. Total hübsch und männlich und so. Wie der junge Tom Cruise, wisst ihr? Und wir fanden uns ganz sympathisch und ich habe ihn mit nach Hause genommen und so. Vor allem „und so“. Und ich war mit sicher, dass er wieder anruft. Bei dem war ich mir echt sicher. (Weint leise)

Ich dachte mir: Anja, dieses Mal ist es anders, dieses Mal wird das eine Beziehung. Aber nichts! Gar nichts! Kein Anruf! Und gestern gehe ich wieder in diese Bar …

Thomas: (unterbricht): Äh, Moment mal. Das ist hier schon Anonyme Superhelden, oder?

Thekla: Ja, klar, Thomas. Also, ich möchte die Anja jetzt ungern unterbrechen, aber vielleicht ist das ja wichtig: Warum fragst Du?

Thomas: Na ja, Anja redet über Männer und nicht über Superkräfte oder so. Hast Du überhaupt eine Superkraft?

Anja: Ja, ich verlieb‘ mich immer in Arschlöcher!

Thomas: Ja, schade für Dich. Tut mir leid. Blöde, klar. Aber das ist doch keine Superkraft!

Thekla: Thomas, wenn Du hier mitmachen willst, dann musst Du Dich an gewisse Regeln halten. Wir geben uns hier echt Mühe, nicht über andere zu urteilen. Du klingst so, als würdest Du Anja aburteilen. Das wollen wir in dieser Umgebung unbedingt vermeiden!

Anja: Ja, echt jetzt! Du urteilst über mich! Du bist echt ein Arschloch … Übrigens, hast Du nachher schon was vor?

Thekla: Äh ja, danke Anja. Wer will weitermachen? Jörg, wie war Deine Woche, ich habe Dein Problem hier auf Wiedervorlage alle drei Monate?

Jörg: Äh ja. Äh. Also, hallo erst einmal. Ich bin der Jörg, wie ihr ja schon wisst …

Alle: Hallo Jörg!

Jörg: Ja, also danke der Nachfrage, war nicht so toll. Wie ihr wisst, kämpfe ich ja schon lange damit, mit meiner Superkraft zurechtzukommen. Das war nicht so einfach. Meine Frau hat mich verlassen, ich habe meinen Job verloren und die Wohnung wurde mir auch gekündigt.

Alles, weil ich mit meiner Superkraft nicht zurechtkomme. Aber ich habe jetzt beschlossen, mich nicht weiter fertig machen zu lassen. Wie ihr mir geraten habt. Es ist wichtig, dass ich mich selber annehme und nicht innerlich ablehne. Nicht im Unreinen bin mit mir selber. Sondern stolz zu sein auf meine Fähigkeit! Genau! Das bin ich jetzt! Aber es ist schwierig …
Thomas: Entschuldigung …
Jörg: Ja?

Thomas: Was ist Deine Superkraft?
Jörg: Ich kann Spuckeblasen machen!
Thomas: Wie bitte? Ich bin etwas verwirrt …

Thekla: Das können wir alle verstehen, Thomas, so erging uns das allen am Anfang! Es ist für alle verwirrend mit der eigenen Superkraft zurechtzukommen. Selbst, wenn man sich so viel Mühe gibt wie Jörg und …
Thomas: Nein, nein. Ich meine, wieso man wegen Spuckeblasen seinen Job verliert!
Jörg: Ach so. Klar. Na ja, Alkoholiker bin ich auch.
Thomas: Also haben Deine Probleme nicht mit den Spuckeblasen zu tun?
Jörg: Nee, alle Probleme haben damit zu tun, dass meine Umwelt nicht damit zurecht kommt, dass ich ein Superheld bin. Und weil ich immer zu spät und besoffen in die Arbeit gekommen bin. Im Badeanzug meiner Frau.

Thekla: Thomas, jeder geht mit der schockierenden Tatsache, Superkräfte zu haben, anders um. Es ist nicht einfach, anders gebaut zu sein als andere Homo sapiens. Keiner möchte sich über andere Menschen erheben, keiner gibt gerne zu, zur Gattung Homo superior zu gehören, da geht jeder seine eigenen Irrwege. Jörg hat halt getrunken, weil es so schwierig war …
Jörg: Eigentlich habe ich schon vor den Spuckeblasen getrunken. Echt viel sogar…
Thekla: Aber dann hast Du Deine Kraft entdeckt und Dein Umfeld konnte einfach nicht damit zurechtkommen, dass Du …

Jörg: Nee, die waren eigentlich alle schon weg. Wegen des Alkohols vielleicht.
Thekla: Du bist sehr bescheiden. Aber wir verstehen Dich alle hier, Jörg. Wir fühlen mir Dir, Jörg. Du willst also sagen, dass man mit einer Superkraft viel gewinnt und auch viel verlieren kann.
Jörg: Echt? Will ich?
Thekla: Das war sehr bewegend, Jörg! Wir danken Dir alle für Deine Offenheit und Deine klaren Worte! So, wenn ich auf die Liste kucke, dann kommt als Nächster … Peter, möchtest Du weitermachen?

Peter: Wie? Ich? Ja, ok. Also ich bin der Peter!
Alle: Hallo Peter!
Peter: Also, ich war die Woche im Park, kurz nachdem ich aus der Haft entlassen wurde wegen meiner Superkraft und meinem Superheldenkörper. Mit den Superheldenkörperteilen. Und ich war froh, dass ich wieder von vorne anfangen konnte.
Thomas: Superheldenkörperteile?
Thekla: Thomas, es wäre schön, wenn Du Peter nicht unterbrechen würdest.

Peter: Ja, also, da war ich in diesem Park, war ich. Die Sonne hat gescheint. Und es war richtig schön. Und friedlich. Ich fühlte mich richtig gut und eins mit mir und der Natur.
Thomas: Oh je. Das wird heiter.
Peter: Und da kam diese Frau auf mich zu. Und plötzlich hatte ich diesen Drang und ich konnte nicht anders …
Thomas: Ich hab’s geahnt, ich hab’s geahnt.
Peter: Ich musste ihr meine Superhelden-Genitalien zeigen!
Thomas: Da ist es!
Peter: Und das war so befreiend, ich musste allen im Park dann meine Superhelden-Genitalien zeigen!

Thomas: Genug! Schluss! Peter, Du bist einfach ein Exhibitionist. Jörg, Du bist ein Säufer, jeder Mensch kann Spuckeblasen machen und Du Anja, Du bist einfach dumm! Hat hier überhaupt jemand eine Superkraft? Was ist Deine Superkraft, Thekla!“

Thekla: Das ist sehr, sehr unangemessen, Deine Reaktion Thomas. So wirst Du hier keine Unterstützung finden!
Thomas: Nein, im Ernst! Was ist Deine Superkraft? Wenn hier nur eine Person eine wirkliche Superkraft hat, dann bleibe ich und entschuldige mich bei jedem! Also, Thekla: Butter bei die Fische!
Thekla: Gut, es ist dann aber Dein persönliches Problem, wenn Du Dich schämen musst!
Thomas: Ich höre!
Thekla: Ich kann den Inhalt eines Buches aufgrund der Gestaltung seines Umschlags einschätzen.
Thomas: Das reicht. Das ist lächerlich! Ich gehe!

SFX: Schritte, Türknallen, peinliche Stille

Peter: So ein Arschloch.
Anja: Also, ich fand ihn ganz nett.
Thekla: Ach, der Arme. Der hat noch einen weiten Weg vor sich. Es ist eben nicht einfach mit so einer Superkraft zurechtzukommen. Ich habe so die Ahnung, der kommt wieder. So eine Superheldinnenahnung.
Jörg: Da bin ich mir sogar sicher.

Thekla: Echt? Kannst Du jetzt hellsehen, oder was?
Jörg: Nee, er hat seine Jacke vergessen…


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 July 2, 2019  23m
 
 
curated by shiller in Gartenzwerg | July 4, 2019