Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Schöpfungsabgabetag


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Soweit ist das nett hier im Götterhimmel, sagte die allgnädige Allmutter, aber in sieben Tagen ist Abgabe für die Entwürfe für das zukünftige Universum, liebe Götter!

Verfügte die Allmächtige und alle beginnen fleißig zu werkeln. Jehova lehnte sich erst einmal zurück. Zeit, erst einmal über die Möglichkeiten nachzuträumen! Bis, Tage später, jemand an der Tür klopft!

Download der Sendung hier.

Musiktitel: „Creation Song“ von Sainkho Namtchylak

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Die Geschichte zum Lesen

„Hey, Jehova, träumst Du wieder?“

Der liebe Gott reißt erschrocken die Augen auf. Wie lange hatte er jetzt wieder verdämmert? Zehn Minuten, Stunden, Tage oder wieder Äonen? Wenn die Möglichkeiten des Universums nicht so bunt und abwechslungsreich wären! Shit, shit, Shit!

„Jehova, Du weißt, dass in sechs Stunden Abgabe ist! Wenn Du das wieder versaust, dann hast Du aber echt ein Problem!“

Was wollte dieser Ganesha eigentlich? Meinte er das freundschaftlich oder wollte er wirklich einem anderen Gott helfen? Auf jeden Fall öffnete er jetzt die Tür zu Jehovas Labor – sichtlich wollte er sich noch länger auslassen!

„Pass auf mit Deinem Stoßzahn, wenn Du reinkommst! Du verkratzt mir immer den Türrahmen so!“

„Ja, ja. Ich pass‘ ja schon auf! Das ist hier aber alles auch für winzige Götter gemacht!“

Der Elefantengott schraubte sich in das kleine Labor hinein, lächelte Jehova an und versuchte sofort, in die große Box auf dem Tisch zu spähen.

„Hey! Nicht so neugierig!“

„Ist schon gut! Da hast Du ja noch ein ganz schönes Stück Arbeit vor Dir!“

„Ach was! Läuft alles genau nach Plan mit meinem Projekt! Was willst Du?“

„Um ehrlich zu sein, es ist die allgnädige Allmutter selber, die mich schickt. Sie hält immer noch große Stücke auf Dich. Sie sagt, Du wärst von ihren Söhnen mit Abstand der Kreativste. Aber, wenn Du das mit der Schöpfung jetzt wieder verschusselst, dann kann sie Dir auch nicht mehr helfen. Sie kann ja schlecht ihre eigenen Regeln brechen!“

„Ja, ich weiß. Ganesha, um ehrlich zu sein: Ich habe echt ein Problem mit dieser Schöpfung! Ich habe einfach nicht so genaue Vorstellungen, wie meine Erde werden soll! Ich will einfach keine Möglichkeiten ausschließen, verstehst Du? Und dann denke ich nach über die Varianten und komme vom Hundertsten ins Tausendste …“

„Und dann verträumst Du wieder Deine ganze Zeit. Ich verstehe schon, Jehova. Aber ich darf Dir nicht helfen, sorry. Und Du hast nicht einmal mehr sechs Stunden!“

„Sechs Stunden? Na, dann, fange ich besser einmal an!“

„Viel Glück, Jehova!“

„Danke, Ganesha!“ – (geflüstert) „Es werde Licht!“

SFX: Knall

„War DAS erst Dein Urknall?“

„Danke, Ganesha!“

„Gut, gut, ich geh‘ ja schon!“

„Der Türrahmen!“

„Oh, sorry!“

Kaum war der massige Elefantenkörper aus dem Labor, ließ sich Jehova in seinen Stuhl fallen.

„Mein lieber Ich, wie soll ich das nur noch hinkriegen?“, sagte er verzweifelt zu sich selber. „Dieses Mal werde ich es wohl echt versauen! Wie soll ich bloß einen Planeten in sechs Stunden …?“

Er ließ seinen Kopf auf den Schreibtisch sinken. Wie sollte er sich bloß unter unendlichen Möglichkeiten für eine entscheiden? Und aus welchen Gründen? Die Aufgabe war schier unerträglich komplex. Doch auch Götter können göttliche Eingebungen haben!

„Ha! Mir sei Dank! Ich habe eine Eingebung!“

Und schon machte er sich an die Arbeit! Erst definierte er Randbedingungen wie Schwerkraft, Größe der Sonne, B-Raum, Thermodynamik, Entropie und Intensität der Quantenfluktuation – also die einfachen, intuitiven Parameter.

Dann formte er zwei Kugeln und platzierte sie in der gemäßigten Umlaufbahn um die Sonne – nicht zu warm und nicht zu kalt und dann ließ er den Dingen erst einmal ihren Lauf.

Doch das mit den zwei Kugeln war zwar eine kreative Idee, funktionierte aber nicht. Die eine stürzte in die andere! Es dauerte fast eine Stunde, die Erde abzukühlen und aus den Resten der anderen Kugel einen Mond zu basteln. Er konnte den entstandenen Schaden wieder einigermaßen reparieren, aber seine Erde eierte jetzt ein bisschen. Hoffentlich sprach ihn die Allmutter nicht darauf an!

Der nächste Arbeitsschritt galt den Landmassen. Er wusste, dass die Allmutter auf bestimmte Dinge wie zum Beispiel liebevoll gestaltete Fjorde abfuhr, aber er hatte beim besten Willen keine Zeit für solchen Kleinkram.

Stattdessen klotzte er einen großen Kontinent auf die eine Seite seiner Wasserkugel, zerbrach diesen in ein paar Stücke und erschuf die Tektonik, die sich um die Details kümmern sollte.

Gehetzt blickte er noch einmal auf die innere Uhr! Schon die vierte Stunde rum! Wie sollte er das nur schaffen! Er wusste, dass andere Götter, wie zum Beispiel dieser Streber Odin gleich mehrere verschiedene Welten gebastelt hatten, die vielfältig miteinander verwoben waren.

Als er auf seinen Planeten blickte und über alle Möglichkeiten nachdachte, wie er diesen mit Leben füllen konnte, begann er beinahe wieder zu träumen. Doch dann fiel ihm ein Wort wieder ein, dass er selber gerade geschaffen hatte: Tektonik!

Wenn er dasselbe Prinzip nun auch auf das Leben anpassen würde, hätte er dann vielleicht eine Chance? Jehova begann mit neuer Energie begeistert an seiner Schöpfung zu feilen. Er war so im Flow, dass er gar nicht hörte, wie es an der Tür klopfte.

„Jehova! Jetzt ist es soweit! Bist Du fertig?“

„Was? Ja, Ganesha! Da kannst Du Deinen Elefantenarsch darauf verwetten! Ich bin so weit! Nein, nein! Komm nicht rein! Ich komme lieber gleich raus!“

„Echt? Du hast es hingekriegt?“

„Ja. Und ich habe es angeschaut und gesehen, dass es gut ist!“

„Wow, da hätte ich kein Haruman-Haar darauf verwettet!“

„Ich auch nicht, um ehrlich zu sein!“

Als die beiden gut gelaunt das Büro der Allmutter betreten, präsentiert gerade Odin seinen Entwurf von der Gestaltung der Schöpfung.

Er steht mit einem Stock vor einem Baum, der frei im Raum schwebt. Jede seiner drei Wurzeln führen zu einer anderen Welt. In seinem Geäst thront ein namenloser Adler und zwischen dessen Augen lauert ein wachsamer Habicht.

Jeder der drei mächtigen Wurzeln der Weltenesche Yggdrasil reicht in eine eigene Welt. Außer den Menschen hat Odin noch die Asen, Wanen, Elben, Zwergen und Riesen geschaffen.

Es ist eine beeindruckende Schöpfung voller Liebe zum Detail und die anderen Götter betrachten die Arbeit mit großen Augen.

„Ach, da kommen ja noch Ganesha und Jehova!“ Die Allmutter klingt beinahe erleichtert, als sie die Augen von der Schöpfung Odins nehmen darf.

„Na, da bin ich ja hocherfreut, dass Du es noch geschafft hast, Jehova! Und danke, Ganesha, dass Du ihn an diesen Termin erinnert hast!“

Das Lächeln der Allmutter ist eine Wohltat nach diesen anstrengenden sechs Stunden. Trotzdem öffnet Jehova seine Kiste etwas beschämt. Im Vergleich zu Odins Werk ist seine kleine blaue Kugel vielleicht zu bescheiden.

Während die Erde aus der Kiste in die Mitte des Raums schwebt, damit alle Götter sie betrachten können, beschleicht ihn noch eine letzte Sorge: Hatte er wirklich Greipel vergessen?

Doch als er seine Schöpfung so im Raum schweben sieht, vergisst er seine Zweifel und gerät beinahe wieder ins Träumen. Man sieht Wolken, einen Taifun, große Kontinenten, kleine Inselgruppen und eine annähernd unendliche Vielfalt an Pflanzen und Tieren! Jeder Stein und jede Welle atmet Existenz!

Die ganze, zerbrechliche Kugel, die da mit ihrem Mond um eine verschobene Achse eierte, wirkt zum Bersten gefüllt mit dem Willen zum Leben. Alle Anwesenden sind von der Schönheit der Erde völlig gefangen. Bis auf einen.

„Wie hast Du das nur geschafft, Du Träumer?“, zischt Odin neidisch.

Die allmächtige Allmutter ist gebannt. Tränen laufen ihr über die Wangen, so erfüllt ist sie von der schier unendlichen Diversität in Jehovas Schöpfung!

„Wie hast Du das geschafft?“, flüstert sie und lächelt ihn gütig an.

„Ich habe nicht viel gemacht, ehrlich gesagt. Statt jedes Detail auszutüfteln und jedes Problemchen selber lösen zu wollen, habe ich mir gedacht: Das kann das Leben auch selber. Also habe ich meine Finger gelassen von den Details und habe stattdessen die Evolution erschaffen. Die hat dann die ganze Arbeit gemacht.“

„Das ist wunderschön, Jehova! Und so kreativ! Wir werden Deinen Entwurf nehmen, vielen Dank! Ich hätte nie gedacht, dass einer von euch auf die Idee mit der Evolution kommt und ich bin von Herzen froh, dass es doch geklappt hat! Du hast einen Wunsch frei, Jehova – was wünschst Du Dir?“

„Ich? Also, um ganz ehrlich zu sein – die letzten sechs Stunden waren echt ziemlicher Stress. Ich hätte am liebsten jetzt erst einmal eine Stunde Pause, wenn’s geht!“

„Gut, so sei es dann! Gratuliere, Jehova, ruh‘ Dich aus!“

Und so verlässt Jehova zufrieden das Büro der Allmutter. Er hört noch, wie Odin ihm ein „Streber“ nachzischt, aber die Freude auf ein Nickerchen auf seiner Couch überwiegt!

Und so lacht unser Schöpfer herzlich, bevor er sich wieder seinen Träumereien widmet.


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 July 4, 2019  24m