Trixi im Morgenland

Trixi wohnt im Morgenland, das ist an sich schon verrückt, weil das Morgenland sich selbst verändern kann und so durchaus mal eine Straßenkreuzung einem Rodelberg weichen muss. Trixi aber ist das gewohnt, schließlich ist sie in dem Land zwischen Normwelt und dem Strom geboren worden und wie jeder andere Morgenländler, kann sie sich nicht nur im Notfall in ihr Seelentier verwandeln. Nun hat das Morgenland entschieden: Trixi ist bereit für einen Passanten. Sie kann jetzt mit ihrem Kinderzimmer durch den Strom aus Zeit, Gedanken, Bytes, Molekülen und noch vielem mehr Reisen. In dieser ca. 10 stündigen Hörserie, begleiten wir das junge Mädchen Trixi auf dem Weg in das Erwachsensein und durch eine Welt in der alles möglich ist und die Liebe regiert.

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episode 9: Naturia


Ein Gastbeitrag von Philipp Wohlwill (www.wortwohl.de)

Trixi wachte auf, gähnte und fühlte sich gut. Sie streckte sich bis ihre Muskeln zitterten und spürte wie ihr Herz das Blut in alle Zellen beförderte. Sie stand auf, streckte sich stehend noch einmal und ging zum Fenster. Sie schob die Gardinen beiseite und öffnete das Fenster. Sie atmete tief durch und die frische Luft machte ihre Sinne wach.

Trixi konnte fühlen, wie der Schlaf ihren Körper geheilt hatte. Ihr Geist war ebenfalls ausgeruht und unbelastet. Das Wasser in ihrem Glas so klar wie lange nicht. Beinahe hatte sie das Gefühl sogar klarer sehen zu können als je zuvor. Sie stand schweigend am Fenster und genoss das Gefühl einen klaren Geist und einen starken Körper zu besitzen.

Dass sie diesen Stolz empfinden konnte, war für Trixi der Beweis, dass sie eine Seele hatte, denn wenn sie sich über ihren Geist und ihren Körper freute, dann musste doch noch etwas Drittes da sein, das Geist und Körper betrachten, ihren Zustand beurteilen konnte. Das musste ihre Seele sein, das wusste sie einfach.

Trixi liebte diese Momente, in denen alles stimmte. In denen nichts aufzuholen war und nichts abzuwarten. Sie liebte das Gefühl, bereit zu sein für den Tag, ohne einen Zwang zu verspüren, darin irgendwelche Beschäftigungen unterbringen zu müssen. Diese Augenblicke, in denen ihre Umgebung die gleiche Stimmung ausstrahlte, die sie auch in sich fühlte und die Harmonie die darin lag, beruhigten sie und ließen sie Glück empfinden.

Es war zwar schon spät, aber Trixi hatte kein schlechtes Gewissen mehr, seitdem Rosie sie beiseite genommen hatte und ihr klar gemacht hatte, dass sie außergewöhnliches leistete. Die zweite morgenländer Sonne ging gerade auf und kündigte eine heiße Mittagszeit an. Trixi zog eine kurze Hose und ein Muscleshirt über, ohne daran zu denken, ob sie zueinander passten. Sie ging ins Badezimmer. Sie putzte sich ihre Zähne und wusch sich kurz. Als sie in den Spiegel blickte, fragte sie sich, wie sie es jemals doof finden konnte, Zähne zu putzen. Gerade fand sie das saubere Gefühl im Mund einfach wunderbar.

Sie lächelte sich selber im Spiegel an und nickte sich aufmunternd zu. Dann sah sie plötzlich ein kleines Mädchen im Spiegel. Eigentlich nur ihr Haar. Dann kamen zwei kleine Hände über dem Waschbeckenrand zum Vorschein, die sich am Becken festhielten während das Mädchen auf einen kleinen Hocker kletterte. Dann war das Gesicht des Mädchens im Spiegel zu sehen, es war Trixi vor zehn Jahren. Auch die kleine Trixi lächelte sich selbst im Spiegel an.

Trixi fühlte sich als würde das Mädchen sie durch die Zeit hindurch anlächeln und so war es auch. Trixi verstand in dem Moment, wie es doch möglich war, durch die Zeit zu reisen. Gerade beobachtete sie ihr jüngeres Ich durch ihre eigenen Errinerungen. Sie schloss die Augen und konnte nun das kleine Mädchen ganz deutlich sehen, das sie mal gewesen war. Sie öffnete die Augen wieder und lächelte alle ihre vergangenen und zukünftigen Ichs im Spiegel an, bevor sie das Badezimmer verließ.

Das Frühstück schmeckte ihr unglaublich gut. Sie machte sich alles selber und alles genauso wie sie es mochte. Pappsatt stand sie nach einer knappen Stunde wieder auf. Sie hatte das Gefühl, ihr Körper saugte die Kraft aus dem Essen und lagerte sie direkt in ihren Muskeln ein. Lebensenergie dachte Trixi, so füllt man sie auf. Dazu braucht kein Mensch einen Passanten. Sie lächelte, setzte sich auf die kleine Bank vor dem Haus, auf der ihre Eltern gerne saßen und Kaffee tranken. Sie beobachtete die Nachbarschaft. Das wurde recht schnell langweilig, also schnappte sie sich ihr Longboard und begann langsam, gemächlich und wunderbar ziellos durch das Morgenland zu rollen.

Nach einiger Zeit aber fand sie sich in Arams Straße wieder und wurde sich darüber klar, dass sie wohl die ganze Zeit nicht vollkommen ziellos gewesen war. Sie hatte heute keine Lust, sich um ihre eigenen Sachen zu kümmern, aber wie es so bei Aram stand, interessierte sie doch ziemlich. Sie rollerte also langsam die Straße herunter und freute sich, ihren besten Freund fröhlich im Vorgarten zu finden. Er spielte gerade mit den Hunden der Umgebung. Tiere hatten Aram schon immer geliebt.

Arams Passant allerdings lag auf der kleinen Schaukel und schaukelte unbeachtet im Wind. „Hallo, Aram“, begrüßte Trixi ihren Freund und Leidensgenossen. Er schaute auf und man sah, dass er etwas erleichtert war als er seine Freundin über den Rasen auf ihn zugehen sah. „Hallo“ muffelte er allerdings etwas übellaunig als Trixi auf Hörweite herangekommen war. „Ich habe eine Idee“ munterte sie ihn auf. „Toll“, freute sich Aram. Er hatte eigentlich gar keine schlechte Laune, aber er war mit seinem Passanten noch nicht weiter gekommen. Trixis Anwesenheit allerdings weckte seine Reiselust wieder. „Erzähl mal deine Idee“ sagt er. „Komm mit“ forderte Trixi ihn auf. Aram verabschiedet sich von den Hunden und folgte Trixi über den Rasen in Richtung Schaukel. „Dein Passant ist ja wie du weißt der Schlüssel zu deinem Zimmer“, „Ja“ bestätigt Aram und macht sich auf einen von Trixis berüchtigten Vorträgen gefasst. „ Ich glaube, wir müssen das Schloss finden, so habe ich mein Reisezimmer aktiviert. Dein Passant selbst sagt dir, wo du suchen musst.“ Trixi nahm das kleine Gebilde in die Hand und betrachtete es von allen Seiten. „Ich habe so einen Passanten noch nie gesehen.“ murmelte sie.

Passanten nahmen oft die Form von Dingen an, die die Kinder sehr geliebt hatten als sie noch klein waren. Teddybären, Schnuffeltücher, Spielfiguren. Der Passant von einer Freundin von ihr, war sogar ein runder Tropfen Apfelsaft von der Größe eines kleinen Apfels. So sehr liebte sie Apfelsaft. Man konnte den Tropfen nicht auseinander reißen, er blieb immer zusammen, deshalb machte er auch nie etwas nass und man konnte ihn in die Tasche stecken oder ein Band dran binden, um ihn nicht zu verlieren.

Arams Passant aber bestand aus einem dicken Stab, der etwa so lang war wie ein Finger. Am unteren Ende klebte ein Kegel mit einem Loch darin und am oberen Ende eine fingerdicke Scheibe mit einem Loch darin. Das ganze Gebilde war ziemlich schwer und man konnte Kegel und Scheibe bis zur Mitte des Stabes und um den Stab herum verschieben. “Gib mal her“, holte Aram sich seinen Reiseschlüssel zurück. Aram hatte großes Vertrauen ins Leben. Er wusste, dass viele Dinge sich von ganz alleine erledigten. Aber manchmal, dass wusste er auch, war es unerlässlich selber tätig zu werden.

Aram begann sich vollkommen auf seinen Passanten zu konzentrieren. Die Hunde hatten seinen fiebrigen Geist abgelenkt und beruhigt. Mit einem erholten Blick begann er erneut seelenruhig damit seinen Passanten zu betrachten. Zunächst untersuchte er den Stab, der dunkelgrau war und aus einer Art Metall oder Stein. Er fühlte sich kalt an. Ungefähr in der Mitte hatte er eine kleine Einkerbung, die einmal vollständig darum herum lief. Die obere Seite des Stabes war vollkommen flach, die untere aber hatte eine Spitze. Als nächstes betrachtete Aram die Scheibe ganz genau. Sie war aus dem gleichen Material, aber nicht ganz so kalt wie der Stab. In der Mitte befand sich ein Loch und man konnte die Scheibe genau bis zu der Einkerbung in der Mitte des Stabes herunter und bis zum Ende des Stabes herauf schieben. Weiter aber als bis zur Kerbe ging es auch nicht, wenn Aram seine ganze Kraft benutzte. Aram drehte die Scheibe einmal ganz um den Stab und wieder zurück, er versuchte sie vom Stab zu lösen, aber er konnte sie drehen und wenden wie er wollte, eine Stelle der Scheibe blieb immer am Stab haften, genau wie bei einem Magnet. Aram erstarrte kurz und Trixi wurde ganz aufgeregt, sie konnte ganz klar in seinem Gesicht erkennen, dass er eine Idee hatte. Sie musste sich wahnsinnig zurückhalten ihm den Passanten nicht aus der Hand zu reißen. Sie kannte die Lösung auch nicht, aber sie hatte wie immer ein drängendes Bedürfnis, es selber auszuprobieren.

Aram betrachtete nun den Kegel ganz genau. Er schien seine These bestätigt zu sehen, atmete tief durch, fasste die Scheibe an und stülpte sie von oben über den Stab. Fast von ganz alleine glitt die Scheibe ans obere Ende des Stabes und als Aram sie so positionierte, dass der Stab durch das Loch gleiten konnte, glitt der Stab, nun wirklich von ganz alleine, durch das Loch der Scheibe und die Scheibe bewegte sich ganz von alleine bis zur der Stelle, wo die Kerbe war. Dort schien sie sich einen Millimeter zusammen zu ziehen und als Aram daran ruckelte saß sie plötzlich bombenfest. Er nahm den Kegel, führte die flache Seite ans spitze Ende und wie von Geisterhand glitt der Stab in das Loch des Kegels und verband sich bei der Einkerbung mit der Scheibe. Nun schloss der Kegel perfekt mit der Spitze des Stabes am unteren Ende ab. Es war ein kleiner Kreisel aus dunkelgrauem Metall entstanden.

Trixi jubelte und klatschte und sprang im Vorgarten herum. Aram sah auf seinen Passanten, konnte es kaum glauben und schloss sich dann Trixis Freudengeschrei an. Die beiden rasten durch den Vorgarten, Trixi sprang durch die Schaukel und rief dabei „Trixiness“ und Aram sprang hinterher, sie machten Purzelbäume und riefen dabei die ganze Zeit. „Juhhuuu, jahhhaaa“ oder „Geschafft“. Aram wiederholte mit einem stolzen Grinsen und einer sich überschlagenen Stimme immer wieder das Wort „Ja!“ in allen Stimmlagen und Lautstärken.

Langsam fanden sich die Kinder der Nachbarschaft ein und tanzten erst mal mit, es entstand ein Freudenfest in Arams Vorgarten, das so lange dauerte, bis alle völlig außer Atem und heiser auf den Rasen fielen und jemand fragte „Worüber freuen wir uns eigentlich?“. Großes Gelächter war die erste Antwort.

Aram bekam bei der Frage aber sofort neue Energie und sprang auf. Er rannte zu seinem Passanten und zeigte ihn allen. Sie setzten sich in einem Kreis auf den Rasen und wussten alle was zu tun war. Aram startete den Kreisel und der drehte sich. Selbst auf dem unebenen Rasen. Er wurde sogar immer schneller und begann einige Zentimeter über der Erde zu schweben. Der Kegel begann zu glühen, Aram murmelte etwas, wahrscheinlich sein Codewort, es machte Plop, wie beim Öffnen einer Flasche und plötzlich saßen alle Kinder in Arams Zimmer und der Jubel ging von vorne los. Diesmal hielt er nur kurz an, weil Trixi fragte: „Sind wir in deinem Haus oder ist dein Zimmer in deinem Vorgarten?“. Die Kinder schauten sich um, aber Arams Zimmer hatte keine Fenster mehr, er schaute Trixi fragend an. „Stell dir einfach eines vor und dann stell dir die Wand vor, in der es sein soll“. Schwuppdiwupp hatte das Zimmer ein riesengroßes Fenster und die Kinder sahen, dass sie sich immer noch im Morgenland in Arams Vorgarten befanden. Alle starten ihn an und Trixi sagte, was alle dachten: „ Aram, dein Passant kann dein Zimmer dahin rufen, wo du gerade bist!“ Aram staunte seinen Passanten mit großen Augen und offenem Mund an und dann kam auch schon Travis aus dem Haus gelaufen, um seinem Sohn zu gratulieren.

Während die beiden sich in den Armen lagen und drückten, fragte Trixi sich was eigentlich Arams zweiter Name war und wie sein Codewort lautete und worin seine Lebensaufgabe bestand. Nachdem alle sein Zimmer verlassen hatten, schrie Aram ohne jegliche Scham über dieses Codewort „Paaaapaaa“ und mit dem gleichen Ploppen, mit dem es aufgetaucht war, verschwand das Zimmer wieder. Genau wie bei Trixis Zimmer war das zweite Rufen des Codewortes das Zeichen für das Reisezimmer sich wieder in das Haus der Eltern einzurutschen. Trixis Zimmer allerdings konnte lediglich vom Morgenland in den Strom und zurück reisen, nicht aber innerhalb des Morgenlandes und möglicherweise sogar innerhalb des Stromes. Oder vielleicht doch? Trixi hatte das einfach bisher nicht für möglich gehalten und deshalb nie ausprobiert.

Trixi wurde aus ihren Gedanken gerissen als Aram sie an der Hand mit sich in sein Haus zog. Den anderen Kindern winkten sie zum Abschied.

Arams Professor für den Passantenurlaub war ein alter Freund von Travis. Er hatte eine deutlich weniger strenge Auffassung von der Ernsthaftigkeit des Passantenurlaubes als Rosie und so reichte ein kurzes Telefonat und Aram hatte die Erlaubnis, seine erste Reise sofort und nur mit Trixi zusammen anzutreten. Trixi wollte ihn wenigstens kurz darüber aufklären, wie er seinen Rucksack für seine erste Reise zu packen hatte und was er immer und unter allen Umständen auf jede Reise mitführen musste. Aram zeigte ihr einen fertig gepackten Rucksack, der reisebereit in seinem Zimmer stand. „Schau einfach rein“, erlaubte er Trixi und zu seiner Verwunderung kontrollierte die den Inhalt tatsächlich auf Vollständigkeit. Es war fast alles dabei. „Du hast das Wichtigste vergessen“ tadelte Trixi dennoch. Aram drehte sich verdattert um. „Was habe ich vergessen?“. „Wasser!“ sagte Trixi in einem Ton, der sie selber ein wenig an Rosie erinnerte. Aram war offensichtlich erschrocken und holte sofort zwei große Flaschen Wasser aus der Küche und packte sie zu seinem Rucksack.

„Dann wollen wir mal sehen“, er stellte sich in die Mitte seines Zimmers, seinen Passanten in der Hand und ein Glühen in den Augen. Trixi wollte Einspruch erheben, denn sie war in ihrer kurzen Hose und einem leichten Shirt unterwegs und hatte keinen Rucksack dabei. Sie rief „Stooop“ aber Aram schloss die Augen, konzentrierte sich, drehte den Kreisel in der Luft und rief „Paaapaaa!“. Der Kreisel blieb in der Luft stehen, beschleunigte und dann war wieder das unspektakuläre Plo zu hören. Es war nicht wie bei Trixi, kein rütteln kein schaukeln, kein licht. Nur das Plop. Dann sah sie aus dem Fenster von Arams Zimmer und sah den Baum in ihrem Vorgarten, in dem sie so gerne einmal schlafen wollte.

Sie lächelte, dann kreischte sie, weil das Zimmer fiel. Es fiel zwei Meter und knallte mit einem dumpfen Rums in den Vorgarten der Lichterts. Mit einem schiefen Grinsen schaute Aram seine besten Freundin an und sagte „Uuups, ich glaube man sollte den Kreisel auf dem Boden drehen um auf dem Boden zu landen. Aber immerhin habe ich euren Vorgarten getroffen“, sagte er nicht ohne Stolz.

Mama und Papa Lichtert kamen aus dem Haus geschossen. Der Schreck war ihnen in die Gesichter geschrieben und man sah, wie die Erleichterung übernahm, als sie Trixi und Aram wohlbehalten das Zimmer verlassen sahen. Trixi packte so schnell wie möglich und so Gewissenhaft wie nötig ihre Sachen zusammen und nahm noch ein paar Lebensmittel zusätzlich mit. Als sie zurück kam, erwartete Aram sie bereits sitzend in seinem Zimmer. Er rief noch drei Mal laut „Trixiness!“´und Trixi stimmte beim zweiten Rufen mit ein, bevor Aram seinen Kreisel drehte.

Das Zimmer drehte sich, taumelte wie eine Nussschale auf einer Riesenwelle, rutschte tief hinab wie eine Achterbahn aus dem Universum und zitterte dann kurz und heftig, Aram und Trixi wurden auf dem Boden sitzend leicht hin und her geschüttelt. Schließlich begann das Zimmer seicht zu schaukeln. Sie waren im Strom angekommen. Trixi wurde klar, dass das Zimmer sich nur so verhielt, wenn es in den Strom gezogen wurde. Aram stand auf, hielt die Luft an und öffnete die Tür. „Bitte nicht zehn Mal Weltraum“, hoffte Trixi.

Feuchte Hitze empfing die beiden Abenteurer. Sie traten aus dem Zimmer und waren in einer Art Dschungel. Es gab riesige Pflanzen mit Blättern, die sie groß waren wie ein Hausdach. Die Bäume waren so hoch, dass die Kronen nicht zu sehen waren und der Rasen, der aus der Erde sprießte, reichte den beiden bis unters Kinn. Alles lag in einem feuchten Nebeldunst, wie in einem Badezimmer, in dem man sehr lange geduscht hat. Aram schritt langsam voran.

„Vorsicht!“ rief Trixi plötzlich. Von einem der riesigen Blätter rollte ein Wassertropfen herab und in Richtung Aram. Der Tropfen war so groß wie ein Auto. Aram schaute nach oben und konnte noch rechtzeitig zur Seite springen. Der Tropfen aber war so riesig, als er auf der Erde zerplatzte, wurden beide klitschnass. Trixi schaute sich und Aram an und sagte: „Na Gott sei Dank haben wir noch zwei Liter Wasser eingesteckt.“ Beide grinsten.

Trixi verkniff es sich wie üblich die Führung zu übernehmen, obwohl sie das Gefühl hatte, dass Aram es sich wünschte. „Las uns irgendwo rauf klettern, da können wir vielleicht mehr sehen“ schlug er schließlich vor, nachdem er sich ein wenig umgeschaut hatte.

Die beiden suchten sich eine Pflanze, die so groß war wie ein Baum. Als sie am oberen Ende angekommen waren und es ihnen gelang, eines der schweren Blätter zur Seite zu schieben, merkten sie, dass sie nicht sehr weit nach oben gekommen waren. Jetzt sahen sie die Bäume dieser Welt zwar etwas besser, aber die Baumkronen waren noch immer nicht wirklich zu sehen.

„Einen bewegenden Tag wünsche ich euch“. Die beiden schreckten herum und sahen den riesengroßen Kopf einer Schnecke, die gerade dabei war, die Pflanze, auf der die Freunde saßen, zum Frühstück zu verspeisen. „Dir auch.“ sagte Trixi, die gelernt hatte, die Wesen anderer Welten so weit wie möglich in deren Sprache anzusprechen. Grüße und Verabschiedungen, Glückwünsche und Sprichwörter sagten viel über eine Gemeinschaft aus und waren außerdem ein wichtiges Erkennungszeichen. Der richtige Gruß ließ vermuten, dass man sich auskannte und half so erstes Vertrauen zu schöpfen. Deshalb wiederholte Trixi „Dir auch einen bewegenden Tag“.

„Wo sind wir denn hier?“ fragte Trixi. „Auf einer Pflanze.“ kam die Antwort. Die beiden wussten nicht genau, was sie sagen sollten. Dann veränderte sich das Gesicht der Schnecke ganz langsam. Im Schneckentempo wanderten ihre Mundwinkel nach oben und die Augen gingen auf. Außerdem stellte die Schnecke allmählich die Fühler auf und so entwickelte sich nach einigen Sekunden ein wirklich sympathisches Lächeln. Die Schnecke hatte einen Witz gemacht und nachdem Trixi und Aram zum ersten Mal in ihrem Leben in das lächelnde Gesicht einer Schnecke geschaut hatten, begannen sie unbewusst ebenfalls zu lächeln.

Dann begann die Schnecke zu erzählen: „Ihr seid in Naturia. Hier wächst alles, hier verändert sich alles, hier bewegt sich alles, diese Welt ist ein ständiger Fluss. Deshalb auch der Gruß, denn das Leben ist nichts anderes als eine fortwährende Bewegung. Und glaube mir, niemand kennt sich mit fortwährender Bewegung so gut aus wie ich.“ Trixi und Aram schauten erstaunt. „Ja, gerade wir Schnecken wissen viel über Bewegung, denn in unserem Leben ist sie keine Nebensache. Die Bewegung selbst ist die Hauptsache, weder das Ankommen noch das Wiederkehren spielt für uns eine besondere Rolle. Wir sind ständig in Bewegung und deshalb ist uns bewusst, das Ankommen und wiederkehren nur sehr kurze Momente sind. In der Reise, der Bewegung, dem Fortschreiten, der Veränderung liegt das eigentliche Leben. Steigt auf.“ forderte sie die beiden beeindruckten Reisenden auf.

Erst wussten Trixi und Aram nicht genau was gemeint war, aber dann raschelte es in der Pflanze und das mächtige Schneckenhaus der Schnecke tauchte aus den Blättern auf. Trixi nahm Anlauf, raste über einen Blattstiel, ein Blatt hinauf und rief laut „Trixiness“ als sie vom Blatt absprang und auf dem Schneckenpanzer landete. Aram tat es ihr nach.

Die Schnecke lief einfach weiter. „Wohin gehen wir?“ fragte Aram die Schnecke. „Ich gehe“, antwortete die Schnecke, „Du sitzt“. Aram schaute Trixi an und verdrehte die Augen. Trixi lächelte. Aram versuchte es erneut „Wohin bringst du uns?“. Die Schnecke schien zufrieden „Diese Frage entspricht doch der Realität schon viel mehr“ fand sie. „Jetzt will ich aber erst mal was über euch erfahren. Ihr seid doch Menschen, oder? Wo kommt ihr her und wo geht ihr hin? Das sind doch für Menschen zwei der wichtigsten Fragen, oder? Also sagt mir doch erst mal, wo ihr her kommt“. „Wir kommen aus dem Morgenland“ sagte Aram mit Stolz. Er fand es toll endlich mal über seine Herkunft sprechen zu können. In der Normwelt hatte er das ja nie gedurft. „Und seit ihr Morgenländler? Oder Normweltler? Kommt ihr aus dem ewigen Tal oder seid ihr Wanderer? Einige Turiseder kenne ich auch. Es gibt so viele von euch Menschen, in so vielen Welten und manchmal da werdet ihr in einer Welt geboren, lebt in einer zweiten und sterbt in einer dritten“.

Trixi und Aram schauten sich erstaunt an. „Naja, wir kommen aus dem Morgenland und sind dort auch aufgewachsen und von Wanderern habe ich noch nie gehört, aber Turiseder kenne ich auch.“ informierte Trixi. „Wie heißt du eigentlich?“ Wollte Aram wissen. Mein Name ist Aram.“ „Ich bin Trixi“ fügte Trixi hinzu und streichelte der Schnecke zur Begrüßung über das Schneckenhaus. „Und ich bin eine Schnecke“ klärte die Schnecke auf und fügte etwas schnippisch hinzu „kein Hund“.

Diesmal verdrehte Trixi die Augen während sich die beiden anschauten und Aram verkniff sich ein Lachen. „Mein Name ist lang.“ sagte die Schnecke und machte eine bedeutungsvolle Pause. Trixi konnte sich nicht verkneifen zu sagen: „Hallo Lang, klingt irgendwie chinesisch“. Aram und Trixi lachten, der Kopf der Schnecke schwang herum und wieder war auf ihrem Gesicht dieses ausdrucksstarke Lächeln zu sehen. „Der war gut!“ freute sie sich und hielt den beiden einen ihrer Fühler zum Abklatschen hin. Kurz bevor die beiden den Fühler berühren konnten, zog das langsame, aber humorvolle Tier den Fühler blitzschnell wieder ein und begann zu lachen. Das Lachen der Schnecke sah aus wie ein heftiger Niesanfall in Zeitlupe. Sie schüttelte sich und nickte mit dem Kopf und ein tiefes Glucksen brach aus ihrem Innersten hervor. Es brachte ihren gewaltigen Körper zum Hüpfen. Die beiden Kinder aus dem Morgenland lachten aus voller Seele mit und alle drei wussten, dass sie in diesem Moment von Fremden zu Freunden wurden.

Der Schneckenkopf schwang wieder nach vorne und ein Räuspern kündigte eine wichtige Information an „Mein Name ist Waldemar Fühlerbart Gleitfix Schleichblitz-Klebemann, Graf vom feuchten Wege.“ Trixi und Aram verkniffen sich einen erneuten Lachanfall, sie wollten Waldemars Gefühle nicht verletzen. Statt dessen fragte Aram „Warum ist es so wichtig, dass es uns Menschen in vielen Welten gibt? Schnecken gibt es doch fast überall.“

Waldemar atmete tief ein und ganz langsam aus und erklärte dann: „Ja, es gibt auch in vielen Welten Schnecken, aber wir fallen eben nicht so auf. Wir kommen einfach klar. Menschen ja nicht. Ihr sagt von euch zwar ihr wäret Meister der Anpassung aber, ihr seid nur Meister darin, die Welten, in denen ihr lebt, auf eure Bedürfnisse anzupassen.“ Waldemar schnaufte und fuhr in einem versöhnlicheren Ton fort: „Ihr gestaltet die Welten, in denen ihr euch niederlasst, mit viel Sinn und Verstand nach euren Bedürfnissen, aber leider gänzlich ohne Seele. Die braucht man aber, um das große Ganze zu sehen. Ihr seht leider immer nur einen Teil der Realität und glaubt, darin die Bedeutung von allem zu finden. Ihr habt einfach Angst davor, das große Ganze zu sehen, weil ihr nicht wissen wollt, wie klein ihr seid im Vergleich dazu.“ Trixi und Aram schwiegen.

„Ihr könnt ja noch richtig gut zuhören“ bemerkte Waldemar nach einer Zeit des Schweigens, in der die beiden einfach die Natur betrachtet hatten. „Kannst du mir ein Beispiel für das nennen, was Menschen nicht sehen wollen?“ fragte Aram. Waldemar überlegte keine Sekunde. „Ihr behauptet zum Beispiel, ihr könntet fliegen. Könnt ihr aber nicht. Das ist einfach nicht die Realität.“ „Und was ist dann die Realität?“ hakte Aram nach. „Danke für diese wichtige Frage“ lobte Waldemar. „Die Realität ist, dass ihr einen Apparat gebaut habt, der es unter Aufwand einer unnatürlichen Menge Energie schafft, euch auf dem Luftweg in einer unnatürlichen Geschwindigkeit von einem Ort zum anderen zu transportieren. Eure Leistung dabei besteht darin, euch aus dem Auto fallen zu lassen, eure untertrainierten und überversorgten Körper einige hundert Meter in das Flugzeug zu schleppen und das ganze nach dem Landen in umgekehrter Reihenfolge zu wiederholen.“ Waldemar hatte sich etwas in Rage geredet und vergass seine sonst so vorbildliche Höflichkeit. „Wenn Hunde euch nicht so mögen und euch nicht zum täglichen Training zwingen würden, dann stünde es um eure Körper in vielen Fällen doch noch viel schlechter. Das ist die Realität und ihr macht daraus eine Welt, in der ihr die einzigen intelligenten Lebewesen seid.“ Waldemar schüttelte langsam den Kopf. „Bei euch im Morgenland sieht es ja nun ein bisschen anders aus“ schränkte Herr Schleichblitz-Klebemann, Graf vom feuchten Wege ein. „Warum eigentlich?“ fragte Trixi mehr sich selbst als die anderen.

Waldemar merkte das, antwortete aber trotzdem. Er schien gern zu reden, er schien aber auch viel zu wissen. „Ihr lebt mit einer alten Seele, dadurch lernt ihr anders und mehr. Ihr gestaltet etwas weniger und seit dadurch etwas mehr im Moment als viele andere Menschen. Ihr reist im Strom und habt dadurch sehr viel mehr Einblick in das große Ganze und wisst mehr über das, was die Welt bewegt. Die Normweltler hatten auch mal so eine Seele, aber sie haben daraus ihre eigene Realität geformt und ihn zu dem gemacht, was ihnen moralische Überlegenheit garantierte, einen rachsüchtigen Gott, den es zu vertreiben galt. Über den Kampf mit sich selbst und ihrer Umgebung haben zu viele Normweltler im Laufe vieler Jahrtausende irgendwie vergessen, dass sie überhaupt Seelen besitzen.“

„Wie meinst du das?“ wunderte sich Aram. „Es gibt nicht mehr vieles, was aus der Seele stammt und bewusster Teil der Realität eines Normweltlers ist.“ meinte Waldemar. „Wer gestaltet, braucht viel Wissen. Es ist sonst unmöglich das große Ganze zu verstehen und die Konsequenzen der eigenen Eingriffe abzuschätzen. Durch das Fehlen der Stimme der Seele, ist, was Menschen tun, oft verantwortungslos. Denn Verantwortung bedeutet, die eigenen Handlungen so zu gestalten, dass andere darunter nicht leiden. Eigentlich ist Verantwortung sogar die Pflicht, für andere zu sorgen.“

Trixi dachte an die unglaubliche Leistung, die die Menschen der Normwelt erbracht hatten, als sie die Autobahnen durch viele ihrer Länder bauten und sie dachte gleichzeitig daran, was für katastrophale Folgen das für die Natur der Normwelt gehabt hatte. Nachdenklich sagte sie: „Die meisten Menschen wissen nicht bevor sie handeln, sondern erlangen Wissen durch ihre Handlungen. Das kann sehr zerstörerische Folgen haben.“ In das grübelnde Schweigen seiner Passagiere hinein ergänzte Waldemar: „In der Realität ist es egal, ob man Öl, Wachs, Holz, Benzin oder Gas verbrennt. Wenn Millionen von Feuern tausende von Jahren brennen, dann wird auch ein ganzer Planet irgendwann zu einem Backofen.“

Nachdem sie einige Zeit lang einfach die beeindruckende Natur betrachtet hatten, wurde Trixi ganz ruhig. Sie spürte die Lebendigkeit ihrer Umgebung, den Fluss der Dinge um sie herum. Sie fragte sich, ob das an der Langsamkeit ihrer Bewegung lag, oder an der beeindruckenden Größe der Dinge in dieser Welt, die Trixi eine ganz neue Perspektive eröffnete. Sie atmete tief und schloss die Augen. Sie hatte das Gefühl, auch mit geschlossenen Augen alles wahrnehmen zu können. Sie fühlte nicht nur Ruhe in sich, sondern auch Stille. Ihr Geist tauchte zum Grund ihres Wasserglases und weit darüber hinaus bis zum Ursprung. Bis zum dem Ursprung, der immer gleich blieb, dessen Natur trotzdem die Veränderung war. Bei diesem Ursprung, der in Waldemars Welt allgegenwärtig schien, verharrte Trixi einen Moment und spürte vollkommene Zufriedenheit.

Trixi öffnete die Augen und sah Aram an. Wie vor einem unscharfen Hintergrund sah sie sein Seelenblühen klar und deutlich. Das Element Feuer bahnte sich seinen Weg von der Fußsohle bis zur Schädeldecke. Das Element Holz zeigte sich in einer Verwurzelung im Boden, einer energetischen Verbindung mit der Umgebung. Einer Verbindung zur Erde. Als Trixi das sah, spürte sie, dass in ihr gerade genau das gleiche vor ging. Eine eigene Verbindung mit der ewig fließenden Energie des Kosmos entwickelte sich. Trixi und Aram wurden zu einem eigenständigen Teil der Mutter allen Lebens. Ihnen wurde gezeigt, dass sie Teil der Natur waren, in ihr funktionierten, einen Platz, eine Aufgabe hatten. Das war das, was die Schnecke mit der Realität gemeint hatte. Das war die eigentliche Realität der Menschen, ihren Platz im Gefüge der Dinge zu finden.

Eine eigene, verantwortungsbewusste Verbindung zur allgegenwärtigen Macht der Veränderung, zur Natur, war offensichtlich unverzichtbarer Teil seelischer Reifung, dachte Trixi, während sie diesem neuen Gefühl nach spürte. Diese Verantwortung lastete nicht und verpflichtete nicht, sie gab lediglich die rRuhe, die man für besonnene Entscheidungen brauchte. Verantwortliches Handeln konnte Menschen Ruhe zeigen. Eine Wahrheit, die Trixi so nicht erwartet hatte.

Sie wartete ab bis auch Aram wieder mit offenen Augen seine Umgebung in sich aufsog und sagte dann „Ich bin mir meiner Veränderung bewusst“, murmelte Trixi, „aber ich glaube ich bleibe eigentlich immer so wie ich bin.“ „Natürlich ist das so.“ kommentierte Waldemar. „Deine Veränderung ist dein Fixpunkt. Dein eigenes Tempo ist deine Ruhe. Die Bewegungen der Anderen und deiner Umgebung nimmst du aus der Perspektive deines eigenen Tempos war. Deshalb stehst du noch lange nicht still. Du veränderst dich ständig, aber da an deinem Ursprung immer nur du bist, bleibt es aus deiner Sicht immer gleich. Dein ich bleibt also aus deiner Perspektive immer gleich, weil es immer nur ganz alleine du bist, nur eben du mit neuen Erfahrungen.“

Trixi war ganz überwältigt von den Gefühlen, die diese neue Verbindung in ihr auslösten. Ihr Geist aber war dennoch wach und wollte unbedingt das große Wissen, das Waldemar offensichtlich über die Zusammenhänge von Leben und Energie hatte, für sich nutzen.

„Kann man Lebensenergie verschenken?“ fragte sie. „Nein“, sagte Waldemar, „das widerspricht dem Prinzip des Lebens. Leben ist Erleben. Nur wer Energie einsetzt, lernt auch welche zu generieren.“ „Du kennst doch das Morgenland, oder?“ fragte Trixi gespannt. „Ja“ bestätigte Waldemar kurz, denn auch er war gespannt, worauf Trixi jetzt hinaus wollte. „Du hast doch vorhin schon von der alten Seele gesprochen, die über das Morgenland herrscht.“ „Stop, Stop, Stop!“ rief Waldemar so schnell wie er eben konnte. „Das kann nur ein Normweltler gesagt haben.“ empörte er sich. „Das Morgenland wird nicht beherrscht. Es wird unterstützt und geliebt und mit voller Hingabe und großer Sorgfalt gestaltet. Die Natur ist nicht perfekt, sie ist erst dann funktional, wenn jeder Teil das richtige tut. Sie stirbt zwar eigentlich immer und wird auch ständig neu geboren, aber auf das Leben dazwischen kommt es ja an und das ist nur dann für alle Beteiligten sinnvoll, wenn alle sich daran auch wirklich beteiligen und es nicht bloß nutzen. Damit die Natur für alle da sein kann, braucht sie die Hilfe von allen. Diese alte Seele, über die wir sprechen, ist Teil des Morgenlandes. Es existiert nicht ohne sie und sie existiert nicht ohne es.“ „Aber es stiehlt ganze Wälder aus anderen Welten.“ sagte Trixi ärgerlich. „Es stiehlt nicht!“ sagte Waldemar wütend. „Wer erzählt denn so einen Quatsch? Wer bringt euch so was bei?“ Er war stinkesauer. „Das Morgenland ist eine Existenz und es existiert eben so wie es existiert und daran ist nichts falsch. Und wenn man als Mensch so was sagt, dann kann ich nur sagen, dass ihr jeden Tag tausende von Tieren verzehrt. So sieht es nämlich aus.“ machte sich Waldemar Luft. „Das ist die Realität“ murmelte Trixi. Aram fasste ihre Hand, sah ihr in die Augen und sagte aufmunternd „Trixiness!“

Waldemar hatte sich beruhigt und wollte jetzt tatsächlich wissen, wer gesagt hatte, das Morgenland würde stehlen. Trixi erzählte ihm von Travis und ließ sicherheitshalber aus, dass der das Morgenland als künstlich bezeichnet hatte, weil sie nicht wollte, dass Waldemar sich noch mehr aufregte.

Als Trixi geendet hatte, seufzte Waldemar und flüsterte „Der Tänzer und die Göttin.“ „Was hast du gerade gesagt?“ riefen Aram und Trixi gleichzeitig, sodass Waldemar sich erschrak. „Es gibt eine Geschichte“, sagte Waldemar, „die genau zum Thema passt. Götter sind den Menschen nämlich in vielem gleich und dazu gehört mit Sicherheit auch, dass sie dazu neigen, das große Ganze zu ignorieren und lieber sich selbst zum einzigen Zweck des Lebens im Kosmos erklären. Götter noch viel mehr als Menschen. Aber eben auch Götter sind nicht allmächtig. Davon handelt die Geschichte. Von einer Göttin, die keine Kinder bekam und einem Tänzer, der sie ihr dennoch schenkte. Beide wollten nicht verstehen, dass es keine Perfektion gibt und ignorierten die Realität, dass sie keine Kinder bekamen. Sie machten sich welche. Sie wollten einfach nicht verstehen, das etwas nicht zu haben manchmal einfach nur bedeutet, etwas nicht zu haben und etwas nicht zu können, einfach nur bedeutet, etwas nicht zu können.“ „Was ist mit den beiden passiert?“ fragte Aram mit brüchiger Stimme, ihm war sehr wohl bewusst, dass in jeder Geschichte etwas Wahrheit steckte. Er sah seine Lebensgeschichte in der Erzählung von Waldemar. „Was mit allen passiert, die sich übernehmen, sie blieben stecken, sind Gefangene ihres eigenen Unvermögens geworden, bis sie gelernt haben, was ihnen noch fehlte und sich mit dem Wissen aus der Überforderung befreien. Erst dann werden sie wieder Teil des ewigen Flusses werden.“ Arams Herz pochte wie wild.

„Wir sind da.“ sagte Waldemar und stoppte. „Also gab es doch ein Ziel.“ triumphierte Trixi und Waldemar sagte: „Klar gibt es immer ein Ziel, dort endet nur nichts, nicht mal der Weg.“ Er grinste noch mal. Trixi und Aram standen auf. Sie merkten die Reise auf der Schnecke schmerzhaft in ihren Hinterteilen. Unter einem Blatt von einem Busch parkte Waldemar rückwärts ein. Trixi und Aram sprangen ab. Waldemar setzte sich wieder in Bewegung. „Hey!“ rief Aram ihm hinterher. „Wo gehst du hin?“ „Nach Hause.“ rief Waldemar Fühlerbart Gleitfix Schleichblitz-Klebemann, Graf vom feuchten Wege über die Schulter zurück. „Wo ist das?“ wollte Trixi wissen. Waldemar sagte: „Überall!“, strich zärtlich mit den Fühlern über sein Schneckenhaus und verschwand so unvermittelt wie er gekommen war in einem Wald aus Brennneseln.

Aram und Trixi waren wieder allein. Sie setzten sich, aßen, tranken und Aram erzählte Trixi alles von seiner Gogyo-Ki. Seine Lebensaufgabe war es ein schönes Leben zu haben und Diotima hatte ihn fast die ganze Zeit auf dem Schoß gehabt und umarmt und geweint und Aram hatte gewusst, dass es das gewesen war, was ihm sein Leben lang gefehlt hatte. Nun fragte er sich, ob das die Zuneigung einer Mutter war oder ob es sich für ihn nur so angefühlt hatte. Dann sagte er: „Ich glaube, ich weiß, welche Seele dich ruft“ vermutete er. „Diotima hat mich versehntlich Azet genannt. Ich glaube, wir suchen eine von den Seelen die in einer Welt geboren sind und in einer anderen leben. Wir müssen einen Morgenländler finden, der in einer der anderen Welten lebt.“ Jetzt begann Trixis Herz zu rasen. Sie wusste noch nicht ganz genau wie aber sie wusste, dass sich langsam alles zusammenfügte. Der Passant in ihrem Passanten, Diotimas Rolle in der Gogyo-Ki, Travis neues Lebensgefühl, die Geheimnisse, die ihre Eltern vor ihr hatten, Rosies Verbindung nach Turisede. Alles hing zusammen und diese verirrte Seele war Teil der Lösung. Aram hielt seinen Passanten hoch und schaute Trixi fragend an. Sie nickte müde und Aram rief sein Zimmer, rutschte es in sein Elternhaus ein und schaffte es nicht mal mehr Trixi zur Tür zu bringen, weil er so müde war.

Langsam schlenderte Trixi durch das unglaublich schöne Morgenland, das ihr nun wieder wie ein Teil des Paradieses vorkam und dachte nach. Sie brauchte jetzt einen Plan und es könnte gefährlich werden ihn auszuführen, denn sie musste viele Regeln brechen um herauszufinden wie all die Dinge zusammenhingen. Sie war auf der Jagd nach dem ganzen Bild, sie wollte verstehen, wie alles zusammenhing.

Zuhause umarmte sie ihre Eltern und legte sich zu Bett. Der Schlaf übermannte sie bevor sie zu Ende denken konnte.


Trixi im Morgenland von Integralis e.V. ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz

 

Date Title Duration 2. Dezember 2019 10:15 Das Ende ist nur der Anfang
0:38:19 12. November 2019 10:19 Freiheit für die Liebe
0:37:21 14. Oktober 2019 12:12 Azet
0:46:54 14. August 2019 11:51 Naturia
0:45:17 8. Juli 2019 12:03 Zeit
0:41:39 21. Mai 2019 10:51 Alte und neue Wunden
0:37:44 6. März 2019 11:06 Verlockungen der Normwelt
0:55:41 28. Januar 2019 12:17 Das Turiseder Artefakt
0:42:47 19. Januar 2019 17:40 Reisen
0:36:58 29. November 2018 17:21 Trixis Gogyo-Ki (Teil 2)
0:35:13 1. November 2018 17:16 Trixis Gogyo-Ki (Teil 1)
0:33:43 31. August 2018 16:54 Trixi findet ihr Seelentier
0:20:58 1. August 2018 10:57 Kurzgeschichte: "Trixi sucht die Freiheit"
0:35:54

Der Beitrag Trixi im Morgenland Folge 09: Naturia erschien zuerst auf trixiness.de.


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 August 14, 2019  45m