Trixi im Morgenland

Trixi wohnt im Morgenland, das ist an sich schon verrückt, weil das Morgenland sich selbst verändern kann und so durchaus mal eine Straßenkreuzung einem Rodelberg weichen muss. Trixi aber ist das gewohnt, schließlich ist sie in dem Land zwischen Normwelt und dem Strom geboren worden und wie jeder andere Morgenländler, kann sie sich nicht nur im Notfall in ihr Seelentier verwandeln. Nun hat das Morgenland entschieden: Trixi ist bereit für einen Passanten. Sie kann jetzt mit ihrem Kinderzimmer durch den Strom aus Zeit, Gedanken, Bytes, Molekülen und noch vielem mehr Reisen. In dieser ca. 10 stündigen Hörserie, begleiten wir das junge Mädchen Trixi auf dem Weg in das Erwachsensein und durch eine Welt in der alles möglich ist und die Liebe regiert.

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episode 10: Azet


Ein Gastbeitrag von Philipp Wohlwill (www.wortwohl.de)

Trixi wachte früh am Morgen auf und atmete tief. Ihre Decke fühlte sich besonders weich an und ihr Zimmer schien ihr wie ein gemütlich gepolstertes Nest voller Erinnerungen. Sie kuschelte sich einmal mit dem Gesicht ins Kissen und richtete sich danach langsam auf. Als sie die Beine auf den Boden stellte, spürte sie sofort wie ihr Körper zum Boden gezogen wurde. Ihr Füße fanden nicht nur Halt und eine Standfläche, sondern auch die Energie der Erde. Sie spürte ihre Verwurzelung in der Erde, ihre Verbindung mit der Natur. So verlieh ihr die ewig fließende Energie des Lebens große Stabilität. Sie richtete sich auf und während sie sich streckte und ihre Arme zum Himmel hinauf zeigten, spürte sie, wie die Erde sie mit Lebensenergie füllte. Sie floss durch sie hindurch. Von tief unten aus dem Ursprung durch ihre Füße bis in den Kopf und von dort in den Himmel. Aber auch aus dem Himmel spürte sie den Fluss der allumfassenden Energie des Lebens. Sie drang durch ihren Scheitel in den Körper und aus den Füßen heraus zurück in die Tiefe der Erde. Sie spürte wie der Fluss sie reinigte und dafür sorgte, dass alle Teile, aus denen sie bestand, die Arbeit aufnahmen.

Trixi spürte die Luft in ihre Lungen fließen und wie das Blut angetrieben von ihrem Herzen den Sauerstoff darin in die Muskeln transportierte. Sie spürte den Fluss in ihrem Körper. Auch ihr Magen wurde wach und meldete prompt Durst und Hunger.

In ihrem eigenen Tempo, in dem Tempo, das ganz alleine ihr entsprach, begann sie den Tag. Es war kein Schneckentempo und keine Blitzgeschwindigkeit, es war Trixi-Tempo, Trixiness-Fluss, ihre eigene Bewegung auf ihrem eigenen Pfad, in ihrer eigenen Welt, mit ihren eigenen Regeln. Sie spürte ihre Seele aus der Mitte ihres Körpers hell scheinen, sie spürte wie die Energien ihrer Umwelt durch ihre eigenes System verarbeitet wurden. Sie spürte das Erwachsenwerden in wirklich jeder Zelle ihres Körpers. Dazu gehörte auch eine ganz neue Art der Liebe. Eine Liebe für die Schöpfung, ganz ohne die Abhängigkeit, die sie manchmal ihren Eltern gegenüber spürte und ohne die Verpflichtung, die sie Aram gegenüber spürte aber irgendwie auch ohne das schlechte Gewissen, das sie manchmal hatte, wenn sie glaubte sich selbst zu lieben sei nicht gut. Es war eine pure Liebe, die sich ganz aus der Gegenwart speiste und in die Zukunft floss.

Trixi ließ sich und ihre Seele in dieser Liebe treiben während sie den Tee trank, den sie sich eben gekocht hatte. Brennesseltee. Sie liebte den leichten Geschmack von Kräutern und das Aroma einer lebendigen Erde, den die Brennesseln im heißen Wasser entfalteten. Auch der Tee reinigte sie. Ihre Zellen nahmen die frische Flüssigkeit auf und gaben Reste des Wassers und der Energien des Vortages ab.

Trixi spürte einfach ihrer Existenz nach und atmete tief und bedächtig. Langsam ordnete sich alles in ihr. Sie spürte deutlich, dass das Ende der Reise durch ihren Passantenurlaub bevor stand, sie spürte aber auch, dass es für sie noch einige Prüfungen zu bestehen gab. Wenn dieser Abschnitt enden würde, dann würde schließlich in der gleichen Sekunde ein Neuer beginnen. Sie schaute durch das Küchenfenster auf das Morgenland, das genau wie sie selbst langsam zum Leben erwachte.

Als sich ihre Gedanken sortiert hatten und sie ihren Durst gelöscht und ihren Hunger gestillt hatte, da sagte sie zu sich selber „Azet“ und wusste, dass dieser Versprecher Diotimas sie zu der Seele führen würde, die ihr fehlte. Sie wusste nicht ganz genau warum, aber die selbstlose Liebe, die sie in sich spürte, verlangte danach sie zu suchen. Trixi war gerne bereit diesem Gefühl nachzugeben.

Zunächst aber war es an der Zeit mal wieder mit Rosie zu sprechen. Das Gespräch machte ihr keine Angst, dass sie wieder Aufgaben bekommen würde, zu denen sie keine Lust hatte. Sie wusste, dass ihre nächste Aufgabe war, herauszufinden wer, wo oder was Azet war. Auch Rosie würde daran nichts ändern. Noch hatte sie zwar frei, aber sie wollte wissen, was ihre nächste Aufgabe sein würde. Sie hinterließ also ihren Eltern einen Zettel auf dem Küchentisch und machte sich langsam auf den Weg durch das morgendliche Morgenland zu Rosie. Eine Sonne schien bereis aber die Kühle der Nacht lag noch auf den Dingen und der Wind trug sie durch das Morgenland, damit sie der Wärme des Tages platz machte.

Bei Rosie angekommen trat sie ein und begann sofort damit Kaffee und Tee für die beiden zu kochen. Sie deckte den Tisch im Garten und begrüßte das Eichhörnchen, das dort wohnte, mit ein paar Nüssen, die sie im Schrank beim Zucker gefunden hatte. Sie nahm auch eine Schale voll verschiedener Nüsse und Trockenfrüchten mit in den Garten und stellte sie zu den Getränken auf den Tisch. Mittlerweile fühlte sich Trixi hier Zuhause und merkte, dass einiges, was sie bei Rosie gesehen und gelernt hatte, schon Teil von ihr war. Inzwischen gehörte Rosie für sie zur Familie und sie ahnte, dass das für ihre Eltern wohl schon lange der Fall war.

Mit kleinen Augen und einem Stirnrunzeln trat Rosie durchs Wohnzimmer in den Garten. „Hallo Trixi.“ sagte sie verschlafen und erfreut, gähnte und streckte sich inmitten der Natur, die sie umgab. Trixi sah Lebensenergie durch Ihre Lehrerin, die Bäume, die Erde, den Himmel, die Luft, die Tiere und alle anderen lebendigen Dinge strömen und spürte große Zufriedenheit.

„Oh mein Gott“ freute sich Rosie. „Du hast ja Kaffee gemacht.“ Sie umarmte Trixi kurz und setzte sich dann mit einem glücklichen Lächeln an den Tisch. Mit einem fast schon kindlichen Eifer und freuderoten Wangen schenkte sich Rosie einen Kaffee ein, rührte einen Löffel Zucker und einen Schluck Milch hinein und schlürfte den ersten Schluck. Sie seufzte glücklich. Dann stand sie wieder auf und umarmte die überraschte Trixi noch einmal. „Weißt du, wann ich das letzte Mal aufgestanden bin und jemand hatte bereits einen Kaffee für mich gekocht?“ freute sie sich. „Nein,“ gab Trixi zu, „aber das schien ja mal wieder höchste Zeit gewesen zu sein.“ „Was kann ich für dich tun?“ fragte Rosie ihren Besuch. „Nichts“ antwortete Trixi. Rosie nahm das erst mal gerne so hin und widmete sich wieder ihrem Kaffee. Sie saßen im Garten, knabberten Nüsse und Trockenfrüchte und genossen es am leben zu sein, die Wärme der zweiten Sonne, die klare Luft, das Aroma des Kaffee und die Geräusche der Natur genügten ihnen in diesem Moment zum glücklich sein.

Nachdem Rosie ganz im Tag angekommen war, beobachtete sie Trixi einen Moment, um herauszufinden, was sie hierher geführt hatte. Auch wenn sie gerade nichts von ihr wollte, musste es dennoch einen Grund geben, dass sie so früh am Morgen hierher kam. „Genießt du deine freie Zeit?“ fragte sie ihre Schülerin. Trixi löste sich aus der Betrachtung eines Baumes. „Ja, sehr“ sagte sie. „Ich glaube, ich verstehe langsam, worauf es ankommt in meinem Leben. Ich beginne auch den Sinn meiner Lebensaufgabe zu verstehen und ich weiß Seelenblüte ist der richtige Name für mich. Ich habe gestern mit Aram das Fließen kennen gelernt.“ Trixi drehte sich zu Rosie und schaute ihr in die Augen. „Ich glaube, ich verstehe auch langsam, was der Original in meinem Passanten zu suchen hat.“ Rosie wurde hellhörig und richtete sich in ihrem Stuhl auf. Trixi sah das und ihr war klar, dass Rosie ihr hier nicht mehr würde weiter helfen können, sie verstand nicht mehr als Trixi von dieser ganzen Geschichte. Vielleicht sogar weniger. „Ich glaube, das Fließen ist durch irgendwas ins stocken gekommen. Der Fluss zwischen Morgenland, Strom und all den vielen anderen Welten ist irgendwie gestört oder verlangsamt. Wie, wenn man einen großen Stein in den Bach wirft. Das Wasser wird seinen Weg immer weiter finden, immer weiter fließen, weil es unaufhaltsam ist, aber es fließt anders, langsamer oder weniger bis jemand erkennt, dass der Stein dort stört und ihn entfernt.“ sagte Trixi und beendete den Gedanken. „Ich glaube, ich muss noch einen Stein aus dem Fluss des Morgenlandes holen, bevor meine Gogyo-Ki ganz abgeschlossen ist.“

Rosie war von dieser Erkenntnis sehr beeindruckt. „Ich glaube es ist Zeit für deine Reflexion“ sagte sie. Trixi schaute sie nur fragend an. „Die Reflexion ist eine Art Tagebuch“ erklärte Rosie während sie sich einen weiteren Kaffee in ihre Tasse goss. „Dabei geht es darum, dass du aufschreibst, was du alles erlebt hast. Nur das, sonst nichts. Keine Lehrer, keine Überprüfung. Deine Reflexion geht nur dich etwas an, sie wird genauso aussehen, wie du es möchtest. Du ganz alleine entscheidest auch wie schnell du damit fertig bist und welche Erlebnisse aus deinem Passsantenurlaub oder von deiner Gogyo-Ki du aufschreiben möchtest. Du sollst dabei lernen, ehrlich zu dir selbst zu sein. Was war wichtig? Wann warst du traurig oder glücklich? Was hat dir gefallen oder Angst gemacht? Das sind Fragen, die du in deiner Reflexion niederschreibst. Du musst nicht alle beantworten und vielleicht ist keine davon wichtig, aber was wichtig ist: Ohne deine Reflexion ist deine Gogyo-Ki nicht abgeschlossen und deine Energie nicht vollkommen umgestellt, dann liegt noch ein Stein in deinem Fluss.“ beendete Rosie indem sie Trixis Vergleich übernahm.

Eindringlich fügte sie aber hinzu: „Es geht dabei nicht um das Morgenland oder deine Eltern oder die Probleme von jemand anderem, sondern nur um die Steine in deinem Fluss. Diese Reflexion ist eine Übung. Das Buch, das ich dir gleich gebe, ist mit deinem Passanten verbunden. Es ist eine Art Brille, durch die du deine Vergangenheit sehen kannst, indem du deine Worte liest. Es hat aber auch ganz eigene Kräfte. Jedes Mal wenn dein Fluss eine Reflexion benötigt, wenn du noch einmal in dich gehen solltest, um etwas aufzuklären, wird es eine freie Seite hinzufügen. Dein Leben lang kannst du dieses Buch konsultieren, um zu sehen, ob du etwas reflektieren solltest, um deinen Fluss zu heilen. Abgesehen davon darfst du bitte nicht vergessen, dass Steine in einen Fluss gehören, ohne Steine wird das Wasser trüb und fließt ebenfalls nicht mehr so gut.“ Rosie stand auf und ging bedächtigen Schrittes ins Haus.

Sie kehrte nach einiger Zeit mit einem Buch zurück. Sie hatte sich außerdem ihre Tageskleidung angezogen. Sie setzte sich wieder und legte das Buch vor Trixi auf den Tisch. Es war nicht größer als ihre Handfläche und eine breite Schlaufe aus Leder war daran befestigt. In der Schlaufe befand sich ein kleiner Stift. „Schreib etwas hinein.“ forderte Rosie ihre Schülerin auf. Trixi nahm den Stift aus der Schlaufe und in dem Moment vergrößerte sich das Buch auf die Größe eines normalen Blatt Papier. Trixi schlug das Buch auf und blätterte darin. Es befanden sich lediglich drei leere Seiten darin. „Deine Reflexion beginnt ja erst“ lächelte Rosie als Trixi sie fragend ansah. „Puhh“ machte Trixi. „Ich dachte schon, ich müsste alles auf drei Seiten schreiben. Das hätte nie gepasst.“ „Aktiviere mal deinen Passanten“ bat Rosie ihre Schülerin. Trixi steckte den Stift zurück in die Schlaufe, das Buch verkleinerte sich. Sie nahm den Stein von ihrem Armband. Ihr Passant hing als Anhänger an ihrem Handgelenk. Sie strich am unteren Ende ein mal rund um den Stein. Ihr Passant vergrößerte sich. Das Buch umgab plötzlich ein blau grünliches Licht, das sich Richtung Passant ausbreitete. Der Passant nahm den Lichtkegel auf und es entstand eine Verbindung zwischen den beiden Dingen. „Das Buch und der Passant synchronisieren sich. Du kannst also auch in deinen Passanten etwas schreiben oder tippen und das Buch kopiert sich die neuen Einträge dann automatisch. Das Licht verwandelte sich in ein ganz leichtes lila und der Passant saugte das Buch quasi auf. Trixi strich über ihren Original, sodass das Menü aufgerufen wurde. Unter B erwartete sie den Eintrag Buch, dort war aber nichts neues zu finden. Sie scrollte also weiter nach unten und fand unter R den Eintrag Reflexion. Sie tippte darauf und der Passant spuckte das Buch wieder aus. Trixi schloss das Menü, das Buch verband sich wieder mit dem Passanten. Sie verkleinerte ihn und hängte den Anhänger wieder an ihr Armband. „Was nun?“ fragte sie. Rosie lächelte. „Du hast noch einige Tage frei, dann schreibst du deine Reflexion und dann bist du durch mit deiner Gogyo-Ki.“ Trixi freute sich und umarmte Rosie zum Abschied. Auf dem Weg nach draußen nahm sie ihr Board wieder mit. Sie fühlte sich erleichtert. Rosie schaute ihr nachdenklich hinterher, sie war gespannt, was noch alles passieren würde bis Trixi den Einstieg in die Energie eines erwachsenen Menschen abgeschlossen hatte.

Trixi stieg auf und rollerte langsam los. Sie war ein kleines bisschen unschlüssig wie sie weiter vorgehen sollte. Eines war sicher, sie würde wieder in die Normwelt gehen und endlich die Seele finden, die sie rief. Sie wusste aber noch nicht genau wie sie das anstellen sollte. Es würde wahrscheinlich länger dauern als einen Tag und sie wollte nicht so viel Zeit damit verschwenden wieder nach Hause zu fahren und am nächsten Tag den ganzen Weg erneut hinter sich bringen zu müssen. Ohne Abkürzung und ohne Hilfe des Morgenlandes. Sie traf ihre Entscheidung, sie konnte nicht alles alleine machen. Sie rief im Menü ihres Passanten die Option Kommunizieren auf und suchte nach dem Eintrag Aram. Sie war sich nicht ganz sicher, wie gut sich Aram inzwischen mit seinem Passanten auskannte. Die beiden hatten sich ja vor einigen Stunden erst getrennt. Es überraschte sie aber nicht besonders, dass sie Aram bereits eine Nachricht schreiben konnte. Sie schrieb: „Hi Aram. Seelensuche in der Normwelt? Habe meine letzte Aufgabe bekommen.“ Auf die Antwort musste sie nicht lange warten: „Sehr gerne. Reflexion? Ich auch! Ich habe eine Überraschung für dich. Komm bei mir vorbei. Ich bin in der Garage.“ Trixi bestätigte noch mit einem einsilbigen „Unterwegs.“ und fuhr los.

Als sie die Garage betrat, war Aram in seinen Passanten vertieft. Er hatte offensichtlich bereits einen Großteil der Funktionen entdeckt bzw. herausgefunden, wie man sie aufrief. Gerade war er im Internet unterwegs. Das Wort in seinem Suchfeld lautete „Azet“. Als seine Freundin die Garage betrat, unterbrach er seine Suche, stand auf und lenkte Trixis Blick zur Werkbank, die Travis für ihn angeschafft hatte. Darauf befand sich ein altes rotes Tuch, unter dem sich etwas verbarg. „Für dich“ sagte Aram. Trixi trat vor die Werkbank und zog das Tuch mit einem Ruck weg. Darunter befand sich eine kleine silberne Metallbox und zwei neue Achsen für ihr Board. Trixi war begeistert. „Voll Cool. Ein Motor für mein Board! Danke!“ „Gerne. Ist nicht ganz selbstlos. Ich hatte keine Lust dich wieder durch das ganze Normland zu ziehen und ich glaube, wir werden einiges an Strecke machen müssen. Schau dir das mal an.“ Er ging zu seinem Passanten und rief den Monitor wieder auf. Trixi begann sich durch seine Suchergebnisse zu lesen. Sie vertiefte sich sofort total und rief nebenbei auch ihren eigenen Bildschirm auf, um Arams Ergebnisse weiter zu recherchieren. „Reflexion“ sagte sie und Aram wurde hellhörig und blieb an Trixis Board gelehnt kurz hinter Trixi stehen. Ihr Passant gab das kleine Notizbuch frei. Trixi nahm den Stift, das Buch vergrößerte sich und sie legte es unter den beiden Bildschirmen, die sie vor sich in die Luft projizierte, ab. Sie hatte eine erste Adresse gefunden und notierte diese in ihrem Buch. „Hmm,“ machte Aram, „ich denke das ist ein Tagebuch und kein Notizbuch.“ Trixi drehte sich um. „Ist bisher nicht alles, was wir seit der Gogyo-Ki kennen gelernt haben, mehr gewesen als uns gesagt wurde?“. „Stimmt“ überlegte Aram. „Ich baue mal dein Board um.“ verabschiedete er sich in Richtung Werkbank.

Während Aram werkelte suchte Trixi weiter. Aram hatte schon einiges über Azet heraus gefunden. Es handelte sich um einen Namen aus dem Arabischen, der so viel bedeutete wie der Freie und der Unabhängige. In der Normwelt gab es nur sehr wenige Menschen mit diesem Namen, vor allem in dem Gebiet, das sie mit ihren Boards zu erkunden im Stande waren. Die meisten Azets gab es in arabischen Ländern und in Ländern, in denen die persische Kultur verbreitet war, wie dem Iran. Diese Gegenden aber waren für die beiden unerreichbar. Mit ihren Zimmern hätten sie dort hin reisen können, aber sie konnten die Zimmer nicht entsprechend lenken. Selbst mit Arams Zimmer, das sich so hervorragend kontrollieren ließ, war es nicht möglich ein Ziel zu wählen. Das hätte der Natur des ewigen Fließens einfach zu sehr widersprochen. Das verstand Trixi inzwischen und sie verstand auch, dass das Morgenland da selber nichts gegen machen konnte, es war schließlich selber Teil dieses ewigen Fließens, des großen Ganzen.

Trixi nahm einen tiefen Seelenzug und verband ihr bewusstes Sein mit ihrem Ursprung. Sie schöpfte Kraft und Ruhe aus der Stille und neue Energie aus dem Fließen. Dann wendete sie sich wieder der aktuellen Aufgabe zu. Sie konnten nicht alle erreichen, sie mussten einfach mit dem anfangen, was möglich war. Aram hatte bereits einen Radius eingezeichnet, den sie mit den Boards erreichen konnten, ohne verspätet zurück zu kehren und die entsprechende Aufmerksamkeit zu erregen.

„So geht‘s nicht,“ bemerkte Trixi. „Moment,“ erwiderte Aram, schraubte die zweite Achse zu Ende fest und ging dann zu Trixi rüber. „Es gibt im Umkreis drei Azets,“ begann sie und Aram forderte sie mit einem knappen „Ich weiß,“ zum weitersprechen auf. „Wir können mit dem Radius nur einen davon erreichen“, fuhr sie also fort. „Wenn wir den Radius unserer Suche verdoppeln, dann können wir wenigstens die Vier erreichen, bei denen das ohne Auto überhaupt möglich ist. „Klar, aber das heißt, dass wir im Normland übernachten müssen.“ gab Aram zu bedenken. „Ja, aber wer soll uns denn das jetzt verbieten?“ fand Trixi. „Niemand“ lächelte Aram und dachte, dass Trixi manchmal zu vergessen schien, dass sie nicht am Rande des Erwachsenseins standen, sondern am Rande des Erwachsenwerdens. Sie waren einfach keine Kinder mehr aber bis sie Erwachsene waren, würde noch viel Zeit vergehen. „Die Frage ist doch viel mehr, was wir wollen, das unsere Eltern über das, was wir tun, wissen.“ taktierte Trixi weiter. Beide überlegten schweigend, während sie die Monitore anstarrten, auf denen eine Karte des Teils der Normwelt zu sehen war, den sie in zwei Tagen mit ihren Boards erreichen konnten.

„Ich schlaf bei dir, du schläfst bei mir“ sagte Trixi „Das merken die doch“. Aram schüttelte den Kopf. „Mir egal“ tat Trixi kund. „Die sollen uns einfach mal in Ruhe lassen“. Aram stimmte zu „Du hast recht, aber dann sagen wir einfach, wir zelten und sagen nicht wo. „Stimmt,“ sagte Trixi, „wozu lügen?“. „Wir schreiben gemeinsam an unseren Reflexionen, weil wir so viel zusammen erlebt haben und dabei wollen wir nicht gestört werden.“ Die beiden tippten jeweils kurze Texte in das Kommunikationsfenster ihres Passanten und schickten sie ihren Eltern.

„Okay, dann machen wir diese drei heute und morgen“. Trixi kreiste drei Adressen ein, die fast wie ein Dreieck auf der Karte verteilt waren. Dann begann sie damit die Adressen in ihr Buch zu übertragen und eine Reihenfolge und Strecke festzulegen. Aram ging zurück zur Werkbank und beendete seine Arbeit an Trixis Board. „Wir essen noch was.“ beschloss er „Ich habe Hunger“. „Ich hole eben meine Sachen.“ beschloss Trixi. Ein Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit. „Dann kann ich gleich Probefahren“. Sie bedankte sich noch einmal mit einer Umarmung, stellte sich auf ihr Board und bekam von ihrem besten Freund die Fernbedienung in die Hand gedrückt. Schon sauste sie los. Aram ging ins Haus, packte einige Sachen zusammen, machte Spiegeleier auf Brot und zum Nachtisch Bananen gefüllt mit Schokolade.

Trixi düste währenddessen durchs Morgenland und schaffte es nur ganz kurz den Geschwindigkeitsregler voll aufzudrehen. Die Geschwindigkeit war wirklich atemberaubend. Als sie zuhause war, packte sie ihre Sachen, nahm ihr gesamtes Normwelt-Geld mit und legte, bevor sie sich auf den Rückweg zu Aram machte, noch ihre gesamte Sicherheitskleidung an. Sie würden schnell unterwegs sein müssen, um die vielen Kilometer hinter sich zu bringen, die drei Azets voneinander trennten.

Aram und Trixi aßen schweigend und gingen jeweils für sich die Reise einmal durch. „Wo schlafen wir?“ fragte Trixi, nachdem sie aufgegessen hatten. „Hotel“ sagte Aram und zeigte ihr eine ziemlich beeindruckende Menge Bargeld. „Damit könnte man ganz leicht alles kaufen, was man für eine Woche in der Normwelt braucht“.

Die beiden machten sich startklar und fuhren los. Durch das Morgenland zum Normtor, zu Fuss durch das Normtor und dann durch die Normwelt in Richtung des ersten Azet. Die Strecke zu fahren kostete sie mehr als drei Stunden und sie mussten drei Pausen machen. Sie machten ihre Pausen immer in kleinen Restaurants oder an anderen Stellen wo sie etwas zu essen und zu trinken kaufen konnten. Sie wollten ihre Zeit nicht noch mit kochen verschwenden oder damit Brote zu schmieren und ganz bestimmt wollten sie auf den schnellen Boards nicht für zwei Tage Proviant transportieren. Das hätte die Reise langsam und gefährlich gemacht.

Sie kamen an der ersten Adresse an und machten auch hier erst eine kurze Pause, zogen ihre Schutzkleidung aus und beruhigten ihren Herzschlag und ihren Atem bevor sie an der Tür des Wohnhauses klingelten, in dem angeblich ein Azet wohnen sollte.

Ein älterer Herr mit vollem weißen Haar öffnete ihnen. „Guten Tag“, begrüßte er die beiden. „Wir suchen Azet“ sagte Trixi fast schon fordernd. „Wer seid ihr denn?“ wunderte sich der Mann. „Wir sind Trixi und Aram“ sagte Trixi offen und ehrlich. Die beiden merkten, dass sie sich auf dieses Gespräch nicht hinreichend vorbereitet hatten. Sie konnten ja nicht einfach sagen, dass sie aus dem Morgenland kamen. Sie konnten das eigentlich nur dem Azet sagen, den sie suchten und vielleicht nicht mal dem. Trixi schaute Aram an und Aram schaute den Mann an. „Wir wollen Sie was fragen.“ begann Aram langsam, mehr um Zeit zu schinden, als um etwas zum Ausdruck zu bringen. „Wir haben ein Problem“ fuhr er langsam fort. „Oh“ sagte Azet sofort. „Wo sind den eure Eltern?“. „Verdammt!“ dachte Aram. Trixi sprang ein: „Ein Projekt haben wir, eigentlich haben wir ein Projekt. Kein Problem, wir haben kein ernstes Problem oder so“. Mit einem „Ahhh“ brachte der ältere Herr seine Erleichterung und sein Verständnis zum Ausdruck. „Ein Schulprojekt?“ vermutete er. „Genau“ sagte Aram und auch in seiner Stimme schwang Erleichterung mit. „Na, was kann ich denn für euch tun?“ fragte der Mann und lächelte. Trixi lächelte zurück. „Ehrlich gesagt geht es um ihren Namen“, sie hatte das Gefühl so würde sie so wenig wie möglich lügen. „Ich habe mich doch noch nicht vorgestellt, ich bin Azet“. „Super“ freute sich Aram, das hatten wir gehofft. „Man kann ja in Büchern und im Internet viel lesen aber nachdem wir gesehen haben, dass sie gar nicht so weit weg wohnen,dachten wir, wir kommen einfach mal vorbei und fragen sie, ob sie Lust haben mit uns über ihren Namen zu sprechen.“

Azet überlegte keine Sekunde. Was folgte, waren zwei lange Stunden, in denen Aram und Trixi kaum zu Wort kamen. Sie erfuhren viel über die Herkunft und die Familie von Azet und über die kulturellen Zusammenhänge, die seinen Namen historisch zu etwas besonderem machten. Das sah jedenfalls Azet so. Er kannte sich richtig gut aus. Zwischendurch fragte er einmal „Wollt ihr eigentlich überhaupt nichts mitschreiben?“ woraufhin Trixi schnell behauptete, sie würde alles mit ihrem Handy aufnehmen. Azet runzelte die Stirn „Ohne mich zu fragen?“. Die beiden selbst ernannten Detektive machten große Augen und sagten wie aus einer Kehle. „Oh nein, das müssen wir vergessen haben.“ Und Aram fügte schuldbewusst hinzu: „Ist das okay? Oder können sie uns sonst vielleicht alles noch mal von vorne erzählen?“ Dazu hatte Azet natürlich auch keine Lust, also nahm er den Jugendlichen das Versprechen ab, weder seinen vollen Namen noch seine Adresse zu benutzen und erzählte dann einfach weiter. Nachdem Azet geendet hatte, war klar, dass er mit dem Morgenland nichts zu tun hatte. Die beiden verabschiedeten sich also höflich.

Eine einzelne, aber dennoch warm scheinenden Sonne empfing sie und die warme Luft roch nach Freiheit. Sie verabschiedeten sich noch ein mal vom ersten Azet und versicherten ihm, dass er ihnen sehr weiter geholfen hatte und sie ihr Schulprojekt jetzt ganz locker schaffen würden. Sie fuhren los und brauchten gute zehn Minuten, bis sie in einem kleinen Dorf ankamen. Dort suchten sie sich einen Lebensmittelhändler, kauften Wasser und Schokolade, tranken, aßen und legten sich einen Plan für den nächsten Azet zurecht. „Wir müssen lügen“ sagte Aram zu Trixi und nicht weniger zu sich selbst. „Warum?“ fragte Trixi mehr im allgemeinen als Aram. „Weil wir Geheimnisse haben.“ antwortete der trotzdem. „Wer Geheimnisse hat muss lügen, sonst kann er die Geheimnisse nicht hüten. Hier in der Normwelt tragen alle Morgenländler die Bürde dieses Geheimnisses“. Grübelnd legten die beiden ihre Schutzkleidung wieder an. „Dann bleiben wir bei der Geschichte mit dem Schulprojekt.“ beschloss Trixi. „Gerne“ sagte Aram. Nachdenklich fügte er hinzu „Trotzdem hast du Recht. Azet hat sich entschieden hier zu leben. Er hat sich entschieden sein Leben lang zu lügen. Warum entscheidet man sich so?“. Trixi stand auf, kickte ihr Board hoch, lehnte sich darauf, wie sie es immer tat und sagte „Fragen wir ihn“. Aram nickte und stand ebenfalls auf. Die beiden schauten in die Richtung, in die sie fahren mussten, schalteten ihre Motoren ein und düsten los.

Eine schweigende halbe Stunde später waren sie bereits an der Haustür des zweiten Azets angekommen und klingelten. Ein junges Mädchen öffnete die Tür. „Können wir deinen Papa mal sprechen?“ fragte Trixi. „Der ist arbeiten.“ sagte die Kleine und wollte die Tür bereits schließen. „Heißt dein Papa Azet?“ fragte Trixi noch schnell. „Nein!“ sagte sie und öffnete die Tür trotzdem wieder etwas mehr. Im Hintergrund kam ihre Mutter durch den Flur auf die drei zu. „Hallo.“ sagte sie freundlich „Was können wir denn für euch tun? Müsstet ihr nicht in der Schule sein?“. „Wir machen gerade ein Schulprojekt.“ sagte Trixi schnell und das beruhigte die erwachsene Frau genauso wie es den ersten Azet beruhigt hatte. Trixi merkte sich das. Schulprojekt schien ein Prima Grund für schulpflichtige Kinder zu sein, sich während der Schulzeit auf der Straße aufzuhalten. „Heißt ihr Mann Azet?“ fragte Trixi. Auf das Stirnrunzeln der Frau hin erklärte sie: „Wir machen ein Schulprojekt zum Namen Azet. Seine Bedeutung und Herkunft und so. Ja und ähhh,“ hilfesuchend schaute sie Aram an. Der sagte wieder seinen Satz auf, das man im Internet ja viel lesen könne und so weiter. Die Frau schien das zu verstehen, unterbrach ihn aber irgendwann. „Alles klar, ich verstehe, aber leider seit ihr hier an der falschen Adresse.“ Trixi und Aram wussten wieder nicht genau, was sie machen sollten und es entstand ein kurzes Schweigen. „Ich weiß nicht genau, ob ich euch das überhaupt erzählen darf.“ fing die Frau dann langsam wieder an. „Es gibt ja eine Privatsphäre und ich kann die betreffende Person ja nicht fragen, aber hier hat mal ein Azet gewohnt.“ Trixi und Aram waren ganz Ohr. „Können sie uns bitte sagen wo der hin ist?“ bettelte Trixi, machte ihre besten Hundeaugen und fügte hinzu „Für das Schulprojekt“. Aram fiel es sehr schwer ein Grinsen zu unterdrücken. „Okay“ brummte die Frau. „Ich wundere mich aber ohnehin, dass ihr seine Adresse nicht gefunden habt. Ich glaube, er hat in der nächsten Stadt ein Yogastudie auf gemacht. Wir haben ihn nie kennen gelernt, aber das Studio heißt: Die drei Sonnen.“ Trixi schlug das Herz bis in den Hals und Aram rutschte seines in die Hose. „Sie bedankten sich höflich und verabschiedeten sich.“

Schon nach wenigen Metern flüsterte Trixi „Die drei Sonnen. Das kann kein Zufall sein.“ Aram war kreidebleich und nickte nur. Trixi hingegen glühte. „Was ist los?“ fragte sie Aram. „Ich hab Angst“, gab der zu, „ich weiß nicht was passiert. Was finden wir jetzt wieder raus?“ hilfesuchend blickte er in Trixis Augen. „Schließ die Augen.“ sagte Trixi. Dann atmete sie tief ein und aus und machte das so lange, bis Aram ganz von alleine ihrem Beispiel folgte. Die beiden atmeten gemeinsam, dann sagte Trixi: „Denk an das Gefühl, das du auf Naturia hattest.“ flüsterte sie. „Denke an das Gefühl der Verbundenheit, daran, dass du für dich selbst entscheidest, dass niemand dich zwingen kann und du dennoch immer einen Platz hast.“ Eine kurze Atempause, dann flüsterte sie weiter „Fühle dich in deinem Ursprung, sei ganz du und spüre die Verbindung, die du für dich ganz alleine mit dem großen Ganzen hast.“

Arams Gesichtsfarbe kehrte zurück und Trixis normalisierte sich. Sie stiegen auf und fuhren los. Endlich ihrem Ziel entgegen. Endlich den Antworten entgegen. Endlich in die Zukunft.

Als sie in der kleinen Stadt ankamen, senkte sich bereits die einzelne Sonne des Normlandes in Richtung Horizont und es wurde dunkel. Seit einiger Zeit trieben die beiden Suchenden ihre Boards wieder mit den Füßen an. Es handelte sich zwar nur um eine kleine Stadt, der Verkehr, der hier herrschte, war für die beiden Morgenländler trotzdem ein bisschen viel. Sie kamen durch einen Park und Aram bat Trixi „Lass uns hier noch einmal kurz Pause machen.“ die beiden setzten sich und betrachteten wie eine rote Sonne hinter den Häusern der Stadt verschwand und der Mond begann sich vom dunkler werdenden Himmel abzusetzen. Sie unterhielten sich kurz darüber, was sie sagen wollten, blieben bei der Geschichte mit dem Schulprojekt und nachdem Aram noch ein zwei mal beruhigend durchgeatmet hatte, gab er Trixis Drängen nach und die beiden machten sich auf die letzten paar Meter in Richtung ihres Schicksals. Sie waren beide sicher, dass sie nun die Person treffen würden, die Trixi in ihrem Traum gesehen hatte.

Als sie an der Adresse ankamen, sahen sie einen großen Bungalow. Drinnen brannte Licht, aber einige leichte Gardinen versperrten den Blick ins Innere. Trixi und Aram gingen zu einer Tür. Darauf war ein Bild zu sehen. Drei Sonnen die sich überschnitten. Darum herum war in einem Kreis geschrieben „Yogastudio drei Sonnen“. Die beiden traten ein. Der kleine Raum wurde von einem Empfangstisch in zwei Hälften geteilt. Eine junge Frau saß im hinteren Teil des Raumes an einem Schreibtisch, und drehte sich nicht von ihrem Computerbildschirm zu den beiden um, als sie sie hereinkommen hörte.

„Hallo“ sagte Aram. Trixi konnte nichts sagen, sie hatte einen Kloß im Hals. Aram machte also weiter. „Wir suchen den Besitzer, Azet.“ Die junge Frau hinter der Theke lächelte. „Oha, da hat wohl einer ziemlich übertrieben.“ Sie drehte sich um und als sie Aram sah, blieb ihr der nächste Satz im Hals stecken. „Einen Moment.“ brachte sie noch raus, nahm ihr Handy, tippte kurz darauf herum und bat die beiden dann sich zu setzen.

Diesen Moment, in dem Trixi dort saß und wartete, würde sie ihr ganzes Leben lang nicht vergessen, es war das gespannteste Warten, das sie jemals hatte durchleben müssen. Als Azet dann auftauchte war alles klar und gleichzeitig gar nichts. „Ich glaube, du hast hier einiges zu erklären.“ sagte die Frau, die bestimmt acht oder zehn Jahre älter war als Azet. Azet konnte nicht älter als 14 sein vielleicht fünfzehn. Er sah Aram so ähnlich wie ein älterer Bruder. Er konnte unmöglich der Besitzer sein.

Als Azet seinen kleinen Bruder sah, schluckte er kurz und sagte: „Sie haben es wirklich getan“, dann lief er auf Aram zu und umarmte ihn. Trixi und die junge Frau, die inzwischen um den Tresen herum gekommen war, standen daneben und betrachteten die beiden. Als die Umarmung nicht aufhören wollte, ging die junge Frau zu Trixi. „Hallo, ich bin Kori.“ Trixi musste sich von dem Anblick erst losreißen. Während sie sich Kori vorstellte, realisierte sie, dass es sich nicht um einen Traum handelte. Sie hatte es tatsächlich geschafft. Da war die Seele, die sie gerufen hatte. Er stand direkt vor ihr und es war Arams Bruder. Ihre Gedanken rasten, von Diotima zu Travis, zu Rosie. Alles was passiert war fügte sich langsam zusammen, das Puzzle gab schon fast ein Bild. Der Hintergrund des ganzen waren auf jeden Fall diese beiden Brüder. Die sich hier gefunden hatten. „Ich glaube, ihr habt viel zu besprechen“ bemerkte Kori in den Raum hinein. „Geht doch nach nebenan. Wenn Phil fertig ist kommen wir dazu. Ist eh der letzte Kurs für heute.“

Kori wandte sich wieder ihrem Computer zu. Jetzt war es vorbei mit Trixis Zurückhaltung. Sie ging auf Azet zu umarmte ihn und sagte dabei: „Endlich haben wir dich gefunden.“ Dann löste sie die Umarmung und fügte hinzu „Wir haben Unmengen von Fragen“. „Seid nicht enttäuscht, wenn ich nur wenige beantworten kann.“ warnte Azet. „Kommt mit“, er wandte sich zum gehen, musste aber noch auf Trixi und Aram warten, die sich auch noch einmal sehr dringend umarmen und sich gegenseitig zu dem überwältigende Erfolg gratulieren mussten.

Gemeinsam gingen sie durch einen langen Flur und traten durch die Hintertür des Studios auf einen Innenhof, an dessen anderem Ende ein altes zweistöckiges Wohnhaus stand. Schweigend überquerten sie den Hof, aber in Trixis Kopf spielten die Gedanken fangen. „Ist Diotima deine Mutter?“ schoss es plötzlich aus ihr heraus, sie vergaß alle Vorsicht, aber sie dachte, die wäre Azet gegenüber nicht nötig, womit sie absolut recht hatte. „Ja, und Travis ist mein Papa“. Aram blieb wie vom Blitz getroffen stehen. „Dann ist Diotima auch meine Mutter.“ Aram liefen schweigend Tränen über die Wangen. Trixi nahm ihn noch einmal in den Arm, legte ihren Arm dann auf seine Schulter und führte ihn hinter Azet her ins Haus.

Als sie drinnen angekommen waren und es sich in einer schönen alten und wunderbar warmen Küche gemütlich gemacht hatten, fand Aram seine Sprache wieder „Ich habe einen Bruder und eine Mutter“ sagte er und ein seeliges Lächeln machte sich in seinem Gesicht breit. Zumindest einen Anflug dieses Lächelns behielt Aram für die nächsten Tage. „Weißt du etwas über deine Geburt?“ fragte Trixi. Azet überlegte: „Nicht viel. Ich weiß, dass Mama eigentlich keine Kinder bekommen konnte. Papa und sie haben aber irgendwie doch geschafft eines zu bekommen. Aber frag mich nicht, wie das funktioniert hat. Ich glaube, es hat etwas damit zu tun, das in der Morgenhöhle und durch den Morgenfelsen der Strom, dass lebendige Morgenland, und der Ursprung mit dem großen Ganzen verbunden sind. Ein ewiger Fluss von Energie, die zwischen allen Zuständen wie materiell oder mental, fiktiv oder real existiert und so auch alles hervorbringen und aufnehmen kann. Jede Geburt geht mit der Energie dieses Stromes einher. Ich vermute ehrlich gesagt, dass Aram und ich aber ausschließlich durch diese Energie geboren sind. Ich glaube, wir sind nie im eigentlichen Sinne gezeugt worden. Unsere Zeugung war der Wille unserer Eltern. So habe ich es mir erklärt.“

Schweigen folgte bis Aram fragte: „Wie war es denn so mit Mama?“. „Hmm“ machte Azet. „Sie wirkte eigentlich immer etwas abwesend. Wir haben einige Jahre hier gemeinsam gelebt. Sie hat dieses Yogastudio mit aufgebaut. Kori und Phil waren damals ihre Schüler. Dann wollte sie aber unbedingt zurück und ich wollte unbedingt hier bleiben.“ „Sie war nicht im Morgenfelsen“ rief Aram erstaunt. „Im Morgenfelsen?“ fragte Azet nicht weniger erstaunt zurück.

Trixi erklärte Azet wie es um Diotima im Moment stand. Azet wurde traurig, schaute dann Aram an, küsste ihn auf die Stirn und sagte: „Danke, dass ihr hier seid. Ich weiß noch, dass Mama mit mir manchmal darüber geredet hat, wie es wäre einen kleinen Bruder zu haben. Nachdem sie gegangen war, habe ich sie am nächsten Tag im Morgenland noch einmal gesehen, habe einen Passanten bekommen und seitdem bin ich hier.“

„Du hast einen Passanten“ rief Trixi und stand auch schon. Einer der Gedanken, der seit ihrem Eintreten in das Studio in ihrem Kopf hin und her flipperte, war der an das Turiseder Artefakt. „Klar, Moment“ sagte Azet, verschwand und kam einen Moment später mit einem grauen Stück Stein zurück.

„Ich benutze ihn so gut wie…“ Azet konnte vor erstaunen nicht weiter reden, denn sein Passant begann zu schweben. Er leuchtete hell und klar und wurde ganz durchsichtig. Auch Trixis Passant begann zu schweben und normalisierte seine Größe, er zog an Trixis Armband, also löste sie es von dem Stein. Trixis Passant wurde ebenfalls glasklar und gab so den Blick auf das Turiseder Artefakt darin frei, das immer noch aussah wie Diotima, nun aber rot glühte. Der Passant in Form einer Statue bewegte sich durch Trixis Passanten hindurch und blieb schwebend und glühend neben Azets Passanten in der Luft stehen. Arams Rucksack begann ebenfalls sich vom Boden zu erheben. Aram lief schnell rüber und öffnete einen Reißverschluss. Sein Passant entschwebte dem Rucksack. Er war ebenfalls durchsichtig geworden, hatte aber eine grüne Farbe angenommen. Die drei Passanten begannen wie Flüssigkeit in der Luft herum zu wabern, veränderten ihre Form und wurden jeweils zu einem oben runden und unten spitzen Kegel. Die drei Kegel verbanden sich zu einer Kugel. Kurz schwebte die Kugel rot glühend im Raum und dann endete der Zauber so schnell, wie er angefangen hatte. Es gab einen Blitz und ein Zischen und der Ball knallte mit einem lauten Rumms auf den Küchenboden. Aram und Azet schauten sich ratlos an.

Trixis Gedanken überschlugen sich und plötzlich fiel ihr ihre Lebensaufgabe ein. Jetzt machte sie plötzlich einen sehr aktuellen Sinn und wirkte überhaupt nicht mehr allgemein. „Wir müssen zu eurer Mama.“ beschloss sie mit fester Stimme.

„Lasst uns noch kurz warten.“ beruhigte Azet sie. „Ich will eben noch Kori und Phil Bescheid geben, dass ich vielleicht ein Weile weg bleibe und ich muss noch einige Sachen einpacken. Einen Moment“. Azet verschwand wieder in einem Raum und diesmal dauerte es ein wenig. Trixi und Aram versuchten während dessen ihre Gedanken zu sortieren. Im Flüsterton fragte Aram „Glaubst du, wir bekommen Mama da wieder raus?“. Entschlossen sagte Trixi. „Warum nicht? Du hast doch gehört, was Azet gesagt hat. Vielleicht ist es wirklich so und wenn man schon nicht direkt Lebensenergie verschenken kann, so können wir vielleicht dabei helfen, dass Diotima Energie aus dem Strom erhält. Wir müssen es probieren. Erinnerst du dich noch an meine Lebensaufgabe?“ Aram überlegte angestrengt. „Bekomme ich jetzt nicht mehr zusammen. Wieso?“

„Schaffe Leben aus dem Stein, du sollst meine Blüte sein.
Wasche mich von Schleier rein, meine Seele zu befreien.“

sagte Trixi. Sie konnten sich aber nur noch annicken, denn da betraten Kori und Phil das Haus. Azet musste sie gehört haben, jedenfalls kam er auch aus seinem Zimmer. Trixi konnte sich nicht helfen, sie musste Azet einfach genau betrachten. Mit der Mode der Normwelt hatte er sich offensichtlich beschäftigt. Er sah verdammt cool aus. Er ging mit den beiden Erwachsenen ins Wohnzimmer und unterhielt sich mit ihnen eine Weile im Flüsterton. Dann kam er zu den wartenden Morgenländlern zurück und sagte „Wir können, ihr seid mit Boards gekommen oder?“ „Ja,“ bestätigte Trixi, „was haben die beiden gesagt.“ Azet lächelte. „Die wollten uns natürlich fahren, aber ich habe gesagt, es ist gleich um die Ecke. Jeder hat doch so seine kleinen Geheimnisse.“ Sie verließen das Wohnhaus und waren wieder im Innenhof. Azet ging an einen kleinen Fahrradschuppen, holte ein Board heraus, das denen von Trixi und Aram recht ähnlich war, nur deutlich länger und sagte „Los geht‘s“. Im Flüsterton fügte er hinzu: „Zum Normtor“. „Nimm noch ein Stück Seil mit“ empfahl Aram und nur wenig später sausten die drei durch eine sternenklare Nacht dem Morgenland entgegen. Trixi und Aram hatten Azet im Schlepptau. Das Gefühl des Erfolges, das sich in den Seelen der Abenteurer aus dem Morgenland immer weiter ausbreitete, war überwältigend schön. Sie fühlten, dass sie ihre Aufgabe wahrnahmen. Sie kamen ihrer Verantwortung dem großen Ganzen gegenüber nach und fühlten wie ihnen das Rückenwind gab.


Trixi im Morgenland von Integralis e.V. ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz

 

Date Title Duration 2. Dezember 2019 10:15 Das Ende ist nur der Anfang
0:38:19 12. November 2019 10:19 Freiheit für die Liebe
0:37:21 14. Oktober 2019 12:12 Azet
0:46:54 14. August 2019 11:51 Naturia
0:45:17 8. Juli 2019 12:03 Zeit
0:41:39 21. Mai 2019 10:51 Alte und neue Wunden
0:37:44 6. März 2019 11:06 Verlockungen der Normwelt
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Der Beitrag Trixi im Morgenland Folge 10: Azet erschien zuerst auf trixiness.de.


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 October 14, 2019  46m