SPIELGEFUEHL

Menschen verbinden Medien oft mit besonderen Momenten. Der erste Kuss im Kino. Ein bewegendes Buch in schweren Stunden. Oder der Soundtrack zu einer unvergesslichen Nacht. Auch Videospiele begleiten uns durch das Leben und hinterlassen prägende Eindrücke in der Geschichte jedes einzelnen. Im Spielgefühl Podcast widmen wir uns diesen Anekdoten mit unseren Gästen in thematisch gegliederten Podcast-Staffeln, bereichert durch die jeweilige Spielmusik. Im wöchentlichen Format Puls & Minus diskutieren zudem Tim und Timo jeden Montagmorgen den Bruch, der sich durch die Digitalbranche zieht.

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Sorgenfreies Alltagsleben


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Inspiriert von einem Artikel unserer Freunde von Superlevel, präsentieren wir euch ab jetzt ausgewählte Texte verpackt in stimmungsvollen Hörspielen. Diese Artikel findet man auf der Hörspiel-Themenseite oder über Soundcloud.

Wie jeden Morgen wache ich um 6.00 Uhr auf, drehe mich nochmal kurz auf die Seite und stehe dann auf. Nach einem kurzen Blick in den Astro-Kanal “Die Götter sind dir heute gnädig gestimmt” ziehe ich meine Farmklamotten an und trete in die frische Morgenluft.  Es ist ein Tag wie jeder andere. Ich gieße meine Pflanzen. Ich öffne das Stalltor meiner drei Hühnerküken Pick, Prick und Prack und mache mich gegen 8.30 Uhr auf den Weg in den Dorfladen.

Pick, Prick und Prack mit ihrem Onkel Donald Alltagsleben in Stardew Valley

Ich bin wie immer zu früh da (Pierre macht den Laden immer erst um 9.00 Uhr auf) und vertrete mir die Beine bei einem kurzen Spaziergang. Flüchtig überlege ich, ob ich mit meiner Angel mein Glück am langsam plätschernden Fluss versuchen soll, lasse es aber dann doch lieber sein. Immerhin habe ich gestern den ganzen Tag im kalten Regenwetter am Meer gestanden und etliche Karpfen und Sardinen aus den stürmischen Fluten gezogen.

Nun ist es endlich 9.00 Uhr und ich betrete – wie immer – als erster Kunde Pierres heimeligen Tante-Emma-Laden. Während ich den allzu vertrauten Geruch von altem Holz und Heu tief in mich einsauge, begrüßt mich Pierre schon mit einem freudigen “Hallo Farmer Finn”. Wie sonst auch erwidere ich nichts und gehe lächelnd auf ihn zu. Heute kaufe ich ein paar Maissamen. Während des gesamten Kaufvorgangs reden wir kein Wort, das ist bei uns so üblich, reden um 9.00 Uhr ist eben nicht meine Art – und Pierre hat das von Anfang an respektiert.

Nachdem ich nun meinen Einkauf getätigt habe, mache ich mich, wie sonst auch, gut gelaunt auf den Weg zu Leah, einer guten Bekannten. Sie wohnt westlich der Stadt in der Nähe von Marnies Hof. Bei ihrem wunderbar gemütlichen Häuschen nahe dem Fluss schaue ich jeden Tag mindestens einmal vorbei.  

Rothaarige Bekanntschaften

Als ich ihr Zimmer betrete, werkelt sie, wie sonst auch, an einem ihrer Kunstwerke herum, ihr rotes Haar zu einem Zopf gebunden. Künstlerisch ist sie sehr begabt. Selber sieht sie das jedoch noch nicht wirklich ein. So ist ihr meine Idee, eine Vernissage mit ihrer Kunst in der Stadt zu veranstalten, immer noch nicht wirklich geheuer. In ein paar Wochen schaffe ich es vielleicht, sie von sich selbst zu überzeugen. Wie immer freut sie sich sehr, mich zu sehen und ich freue mich auch, sie zu sehen. Der Tradition entsprechend habe ich ihr auch ein Geschenk mitgebracht: Eine duftende Waldblume, die ich vorgestern bei meinen sonntäglichen Streifzügen durch den Wald am Wegesrand entdeckt habe. Sie freut sich wie zu erwarten sehr.

Vielleicht sind wir inzwischen schon mehr als Bekannte. Freunde würden manche sagen. Irgendwann vielleicht auch einmal mehr. Aber das sieht man dann, wenn es soweit ist.

Bisher reicht es mir, sie jeden Morgen zu besuchen und sie bei meinem Abendspaziergang am Strand noch einmal zu sehen. Dort steht sie fast jeden Abend knöcheltief im Wasser und beobachtet den Sonnenuntergang.

Auch heute ist wieder so ein Abend. Während ich in der warmen Meeresbrise am Strand stehe und beobachte, wie die letzten Strahlen der untergehenden Sonne ihr Haar in feuriges Licht tauchen, wird mir etwas klar: Ich habe mich verliebt.

Leahs kuschelige Fluss Hütte Heimweg voller Gedanken

Diesen Gedanken im Kopf behaltend drehe ich um und mache mich langsam auf den Heimweg zu meiner Farm. Dort angekommen schließe ich routinemäßig Pick, Prick und Prack für die Nacht ein, gebe ihnen frisches Heu zum Schlafen und falle erschöpft in mein Bett.

Ich denke noch einmal über meinen vorherigen Gedanken nach: “Ich habe mich verliebt”. Die Aussage ist so unglaublich wie wahr. Jedoch verband Amor mich nicht mit der rothaarigen Künstlerin Leah. Verliebt habe ich mich in Stardew Valley. In die dort gelebte Illusion der Einfach- und Zufriedenheit. Die Illusion, dass man mit harter, repetitiver Arbeit (“Grinden”) ein erfülltes, erfolgreiches Leben führen kann. Dass Beziehungen nur auf Fleiß und regelmäßigem Kontakt beruhen. Und dass der Tod lediglich der nächste Schritt in einem viel größeren Plan ist.

All das sind Dinge, an die ich glauben möchte, im echten Leben aber nicht kann. Meine Ratio verbietet es mir. Das echte Leben ist nunmal nicht simpel und einfach zu verstehen. Grinden ersetzt fehlendes Talent nur bedingt und führt schon gar nicht zu einem erfüllten Leben.  Beziehungen sind so viel mehr, als nur der ständige Kontakt und das Machen von Geschenken; und der Tod ist – in meiner Ansicht – voraussichtlich das Ende.

Der vorerst letzte Ruheort unseres Großvaters Pessimismus zum Schluss

Das mag jetzt alles sehr pessimistisch klingen, aber so sehe ich die Dinge nun einmal. Und genau weil ich die Welt so sehe, wie oben beschrieben, ist die Mischung aus Animal Crossing und Harvest Moon das perfekte Spiel für mich. Es ermöglicht mir ein Ausschalten meiner Ratio, eine Akzeptanz der Illusion. Für die kurze Zeit, die ich im Magic Circle des Spieles verbringe, sind alle Probleme lösbar. Ich brauche mehr Geld? Dann grinde ich eben noch eine Stunde mehr. Clint benötigt 12 Maispflanzen, aber ich habe nur 2? Dann baue ich eben 10 Maispflanzen mehr an. Ich möchte Leah heiraten? Dann schenke ich ihr jede Woche zwei Geschenke und schaue jeden Morgen bei ihr vorbei.

Alle Probleme im Mikrokosmos von Stardew Valley besitzen einen universalen, simplen Lösungsweg: Grinden. Eine Universallösung, die im echten Leben – zu manchem Leidwesen – nicht existiert. Stardew Valley gibt mir eine einfach verständliche Lösung für all meine Probleme. Es rät mir zu grinden und dann wäre alles besser. Und für dieses naive Weltbild, in dem ich bei Bedarf versinken kann, liebe ich Stardew Valley.

 

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 March 10, 2016  7m