Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0398: Ohrwürmer


Warum, zum Teufel, gibt es eigentlich Ohrwürmer? Wie entstehen die? Hat das jeder? Oder nur einige Menschen? Wie funktionieren die? Und gibt es irgend etwas, was wirksam dagegen hilft? Sonst werde ich noch verrückt!

Download der Episode hier.
Beitragsbild: By gbohne from Berlin, Germany (Forficula auricularia – “Gemeiner Ohrwurm”) [CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons
Musik: „The Duck Song“ von forrestfire101

+Skript zur Sendung
Ja, richtig gehört. Das Intro dieser Sendung ist das Outro von gestern. Das hat auch einen Grund. Weil das dämlich Ding mir seitdem nämlich nicht mehr aus dem Kopf geht! Dabei ist das nicht einmal ein richtiges Lied! Wie kann man so etwas Stupides als Ohrwurm haben? Warum überhaupt muss man Ohrwürmer haben? Ist das der Beweis, dass es Satan doch gibt!

Ich habe da sowieso eine Tendenz, die stupidesten und doofsten Sachen als Ohrwurm zu haben. Es sind nie Schnipsel aus Beethoven-Symphonien. Eher so doofe Sachen wie das hier. /Clip:Loituma Das geht ja noch. /Clip:Bananphone Auch das hier ist erträglich. /Clips Aber es könnte auch das, das oder – unerträglich! – das hier sein.

Scheinbar bin ich anfällig für die allerdümmsten Melodien. Die mir dann den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ihr kennt das auch, oder? Oder? Oder?

Ohrwürmer sind durchaus auch erforscht. Viele namhafte Forscher haben sich damit auseinandergesetzt. So z.B. Theodor Reik, Sean Bennett, Oliver Sacks, Daniel Levitin, James Kellaris, Philip Beaman, Vicky Williamson,und Peter Szendy.

Wir wissen deshalb, dass tatsächlich 98% aller Menschen ‘mal einen Ohrwurm erwischen. Frauen und Männer erwischt es gleich oft. Aber bei Frauen dauert der Befall länger und wird auch als unangenehmer wahrgenommen.

Daniel Levitin hat ein ganzes Buch zum Thema geschrieben. Das heißt: This Is Your Brain on Music: The Science of a Human Obsession. Darin behauptet er, zum einen, dass besonders Musiker davon betroffen sind – was eigentlich keine Überraschung ist. Und er ordnet das Phänomen nahe der Zwangsstörung an. Denn Psychopharmaka können den Hintergrund-Loop im Kopf abmildern oder beenden.

Musiker bin ich nicht, Zwangsstörung? Hmm…

Was genau da im Hirn passiert, wurde auch schon erforscht und vermessen. Allerdings gibt es zwei verschiedene Theorien. Die eine, von einer Forschergruppe um Ira Hyman, besagt, dass sich ein Orhwurm besonders dann festsetzt, wenn das Arbeitsgedächtnis nicht völlig ausgelastet ist. Also z.B. beim Autofahren, Spazierengehen. Oder beim Auf-Die-Kaffeetasse-Starren beim Frühstück.

Sie empfehlen einfache Rätselaufgaben zur Behandlung, wie z.B. Sudoku oder Kreuzworträtsel. Kurioserweise darf aber die Denkaufgabe auch nicht zu schwierig sein. Denn, wenn das Arbeitsgedächtnis überlastet ist, wird der Bereich im Hirn, der denn Song abspielt, gar nicht erst freigegeben. Das Hirn erkennt anscheinend, dass es überfordert ist und spart sich von Anfang an das Freigeben von Speicherraum.

Eine weitere Forschergruppe hat 2006 verschiedene Konzepte getestet, um Ohrwürmer wieder loszuwerden. Sie empfehlen, „die Aktivierung von motorischen Programmen der beim Sprechen beteiligten Organe.“ Und schwören Stein auf Bein auf das Kaugummikauen als Therapie. Das Hirn denkt dann, man redet und es werden bald die auditiven Funktionen benötigt. Klappt bei mir aber leider nicht. Wahrscheinlich wegen meiner Zwangsstörung…

Vielleicht funktioniert nämlich der Mechanismus ganz anders. James Kellaris hat einen andere Theorie. Dazu hat er 15 Studenten gebeten, sich aus einer Liste bekannter Songs einige auszusuchen, die sie besonders gut kennen. So wie Bohemian Rhapsody oder Satisfaction. Oder die Neunte von Beethoven.

Dann wurde ihr Hirn gescannt und sie durften dabei diese Titel hören. Aber plötzlich hielten die Forscher die Wiedergabe an. Es war nun klar ersichtlich, dass der auditive Kortex im Hirn den Song einfach weiterspielte. Wenn man eine Melodie gut kennt, dann können wir bekannte Stücke unbewusst ergänzen.

Daraus erwächst eine Theorie, dass ein Ohrwurm einfach eine Endlosschleife ist, weil unser Hirn praktisch das Lied, den Song, das Stück noch nicht zu Ende gespielt hat. Das führt zu dem logischen Tipp, einfach den betreffenden Song in seiner Gänze anzuhören. Dann macht das Hirn ein Häkchen dahinter und alles wird gut.

Aber ich will mir beim besten Willen nicht alle paar Tage „Barbie Girl“ anhören. Bitte nicht!

Der Musikwissenschaftler und Musikpädagoge Hermann Rauhe hat versucht, herauszufinden, ob die klassischen Ohrwürmer bestimmte Merkmale miteinander teilen. Das sie zwischen 15 und 30 Sekunden lang sind, wäre schon einmal eines. Das haben auch zwei weitere Forschungsarbeiten so ermittelt.

Das Grundmotive eines Ohrwurms besteht seiner Meinung nach aus drei Tönen, die oft wiederholt werden. Aber nicht zu oft. Zwei oder dreimal ist ideal und der Suchtcharakter nimmt zu, wenn nach diesem Motiv eine akustische Überraschung folgt. So wie der Sextsprung bei Tea for Two etwa oder bei Strangers in the Night. Und natürlich picken wir uns aus solchen Songs meistens die Hookline heraus. Zum Ewig-Wieder-Abspielen vor unserem geistigen Ohr.

Dieser Analyse liegt die Idee zugrunde, dass wir die Ohrwürmer mögen. Auch wenn uns der Audioschnipsel so langsam in den Wahnsinn treibt: In Wirklichkeit, ganz tief in unserem Unbewussten, da lieben wir das betreffende Stückchen. In meinem Fall also „Barbie Girl“. Irgendeine Instanz in mir liebt also „Barbie Girl“. Das finde ich noch schlimmer, als eine Zwangsstörung zu haben! Eine Frechheit!

Viele schwören ja auf sogenannte Eraser-Tracks. Radierer-Songs sozusagen. Wenn einem also so ein blödes Motiv wie Sigmund Freud auf den Geist geht, dann schaltet man seinen Lieblings-Eraser-Song an und der vertreibt dann den Ohrwurm.

Diese Methode funktioniert bei mir prima. Aber wenn ich statt „Sigmund Freud“ den ganzen Tag Gene Kellys Pfeifmelodie von „I’m singing in the rain“ im Kopf habe, dann nervt micht das irgendwann genauso.

Wir wissen also etwas über Ohrwürmer. Wissenschaftler arbeiten daran, seid guten Mutes! Irgendwann haben wir die ultimative Behandlung für diese Geisel der Menschheit. Kann halt sein, dass wir vorher den Krebs besiegen. Oder das Altern. Denn alle Patentrezepte funktionieren nicht so richtig. Wahrscheinlich wegen meiner Zwangsstörung.

Was mir wirklich hilft, ist eines: Sich einfach nicht darüber aufregen. Je mehr Aufmerksamkeit man dem Viech nämlich zuteil werden lässt, desto schlimmer wird es. Ich versuche dann, ganz genau und aufmerksam zu hören, was es gerade zu hören gibt. Da ist bei der belebten Straße, an der ich wohne und arbeite, nämlich immer was geboten. Dann wird „Barbie Girl“ wenigsten ein bisschen leiser.

So eine Art Waffenstillstand zwischen mir und dem Ohrwurm. Den Gott sei Dank ist es ja nicht wirklich ein kleines Insekt, sondern ein Teil von mir. Von meinem Hirn. Mein Hirn, das mich nerven will. Soll es doch. Macht mir doch nichts. Pah!


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 March 8, 2016  13m