Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0397: Biologie der Seele


Jeder hat Angst davor, nicht mehr gesund zu sein. Irgendwann wird eben auch jeder krank. Kann man noch so viel joggen, Weizenkleie knabbern oder Pilates trainieren. Und am schlimmsten können psychische Krankheiten sein. Denn so richtig wissen wir darüber nicht Bescheid. Wir haben keine Biomarker für eine Depression. Aber vielleicht wird das bald anders.

Download der Episode hier.
Washington Post: Brain Hacking: The Mind’s Biology
Closer: „The Sigmund Freud Song“ von Burkinsfilm
Musik: „Happy Home“ von Simon van Gend / CC BY 3.0

+Skript zur Sendung
Wir Menschen bestehen aus einem Körper. Der funktioniert wie ein Auto. Entzieht man ihm den Brennstoff, fährt er irgendwann nicht mehr. Geht ein Teil kaputt, kann man es ersetzen. Wenn alle Komponenten richtig funktionieren, dann fühlt sich das Auto toll. Nein, der Mensch natürlich.

Denn Autos fühlen ja eigentlich nichts. Hoffe ich zumindest. Für die Autos.
Aber wir Menschen fühlen eben schon etwas. Und manchmal funktionieren die Gefühle nicht so, wie wir das wollen. Eigentlich ist alles prima, die Lebensumstände sind gesichert, kein geliebter Mensch erkrankt, Partnerschaft und Körper laufen glatt.

Aber trotzdem kann man nicht aufstehen. Trotzdem gibt es kein Grund zu leben. Trotzdem hofft man jede Nacht, dass man am Morgen nicht mehr lebt. Und dann hilft es nicht, den Vergaser auszutauschen oder die Zündkerzen zu reinigen. Denn dann ist nicht der Körper erkrankt, sondern die Seele. Die Psyche.

Es ist kulturhistorisch faszinierend, wie lange wir gebraucht haben, um seelische Erkrankungen als solche anzuerkennen. Die Medizin fand einfach keine Methode, um bestimmte Symptome zu behandeln. Es war die Gebärmutter, die am Anfang der Psychotherapie steht. Berta Pappenheim besuchte seit 1880 die Praxis des Wiener Physiologen Josef Breuer zur Behandlung ihrer Hysterie.

Das Wort Hysterie kommt eben von der Gebärmutter, griechisch hystera. Also eine Krankheit, die von der Gebärmutter ausgelöst wird, so dachte man. Die liegt irgendwie falsch im Körper rum. Aber Josef Breuer, und später auch Sigmund Freud, behandelten die Symptome nicht mit Massage, sondern mit der „Sprechtherapie“. Und so wurde Anna O. – so der anonymisierte Name in der Studie – geheilt.

Seit diesem Zeitpunkt, also erst seit knappen 120 Jahren – die „Studien über Hysterie“ erschienen 1895 – gibt es eigentlich erst psychische Krankheiten. Und erst seit 120 Jahren wird daran geforscht. Denn die Melancholie oder Schwermütigkeit vergangener Tage nennt man heute Depression. Und in Deutschland sind fast 15% der Menschen irgendwann im Leben davon betroffen. Wir, als Staat, geben jährlich über 20 Milliarden für die Behandlung dieser Krankheit aus.

Und das, obwohl wir nicht wirklich wissen, was das ist, so eine Depression. Man fühlt sich als Beispiels-Patient nicht nur traurig, sondern hat keinerlei Hoffnung mehr, jemals das Tal zu verlassen, in dem man sich befindet. Und wird vielleicht noch von absurden Schuldgefühlen beinahe in den Wahnsinn getrieben.

Dann geht man zu einem anderen Menschen und erzählt ihm das. Und der stellt Fragen und sammelt Symptome. Und diagnostiziert – je nach Menge der erkannten Symptome – eine psychische Krankheit. Die im Internationalen Katalog der Krankheiten, dem ICD dann entweder F32.0 heißt oder aber gar F32.2 oder 3 oder 4 – je nach Menge an Symptomen.

Und dann verschreibt er vielleicht ein Medikament. State of the Art sind dabei momentan SSRIs. Das bedeutet übersetzt Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Das sind Wirkstoffe, die im Gehirn die Wirkung des Serotonin-Transporters durcheinander bringen. Statt also das Hormon, das uns glücklich macht, wieder zu entfernen, bleibt es im Gehirn erhalten. Also ist mehr Glückshormon im Hirnkastl und das Auto glücklicher. Der Mensch, meine ich.

SSRIs sind so beliebt, weil sie relativ wenig Nebenwirkungen haben. Aber dafür wirken sie halt nicht so irre toll. 40% der Patienten verspüren keinerlei Wirkung. Bei leichten depressiven Verstimmungen wirken SSRIs genauso gut wie Placeobos. Die – nebenbei bemerkt – bei schweren depressiven Verstimmungen immerhin auch zu 25 – 33% wirken.

Die Wahrheit ist: Nach 120 Jahren haben wir nicht wirklich tolle Ergebnisse erreicht. Denn selbst, wenn die SSRIs in hundert Prozent aller Fälle anschlagen würden, dann würden wir immer noch nur die Symptome lindern. Das ist alles. Heilung ist das nicht. Gerade bei den SSRIs z.B. ist die Rückfallquote enorm. Kann also leicht sein, dass man die ein Leben lang nehmen muss.

Was wir in Wirklichkeit immer noch nicht gefunden haben, sind wirksame Biomarker für psychische Krankheiten. Biomarker sind ganz einfach messbare Werte. Also Dinge, die wir objektiv am Körper messen können. Hippokrates z.B. schmeckte den Urin seiner Patienten. Wenn der süß schmeckte, dann hatte der Patient Diabetes mellitus. Zuckerkrankheit. Der Zucker im Urin ist ein Biomarker. Das Blutbild, das der Internist von uns macht, soll eben genau solche Biomarker finden.

Aber bei psychischen Krankheiten haben wir da: Nichts. Das soll sich jetzt ändern. Seit 2013 hat das National Institute of Mental Health in den USA verkündet, dass die Regierung ihre Forschungsgelder massiv auf die Neurotherapie wirft. Forschung, die nur auf dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders basiert – dem diagnostischen und statistischen Leitfaden für psychische Störungen – wird nicht mehr unterstützt. Da wirkungslos.

Den Begriff Neurotherapie in dieser Form gibt es in Deutschland noch gar nicht und diese Art der Behandlung ist völlig anders als die bei uns verbreitete „Manuelle Neurotherapie“. Wo Heilpraktiker nach der Diagnose eine Reflexzonenmassage zur Behandlung durchführen.

Besucht man als Patient z.B. die Praxis des Psychiaters Hasan Asif in New York, dann füllt man erst einmal einen Fragebogen aus. Haben Sie Probleme, still zu sitzen? Auf einer Skala von 0 bis 10. Oder Wortfindungsstörungen? Haben Sie Motivationsprobleme? Sind Sie pessimistisch? Und so weiter und so fort.

Jede dieser Fragen ist dabei mit einem bestimmten Hirnareal korreliert. Denn während man diese Fragen beantwortet, wird ein qEEG erstellt, der Puls gemessen, die Atemfrequenz aufgezeichnet und der Hautwiderstand abgeleitet.

Ein qEEG unterscheidet sich vom normalen dadurch, dass die Ergebnisse instantan mit einer Datenbank gesunder EEGs abgeglichen werden. „q“ steht dabei für quantitativ. Es ist danach möglich zu erkennen, welche Hirnareale beim Patienten wann aktiv sind. Und man hat belastbares Zahlenmaterial.

Bei Menschen mit chronischen Depressionen sind z.B. besonders Alphawellen in den frontalen Stirnlappen zu messen, die bei normalen Menschen unter gleichen Bedingungen nicht vorkommen. Jede psychische Erkrankung zeichnet ein anderes Bild im Hirn. Und diese Bilder, die bei der Diagnose entstehen, ist das Biomarker-Ähnlichste, was wir momentan haben.

Die Behandlungsmethode, die dann folgt, ist dem Biofeedback ähnlich und nennt sich Neurofeedback. Das geht z.B. so: Der Patient darf sich einen Film anschauen. Der nach 10 Sekunden einfach stoppt. Es sei denn, die Alphawellen im Frontallappen sinken unter einen bestimmten Wert. Dann geht der Film 10 Sekunden weiter. Wenn die Alphawellen 90 Minuten die Normalwerte nicht überschreiten, dann kann man den Film pausenfrei sehen.

Das kann man nicht erzwingen oder erdenken. Oder sich so richtig dolle anstrengen. Aber das macht nichts, das Hirn kriegt das nämlich von alleine raus. Das ist genau das Ding, das das Gehirn so richtig gut kann.

Die Vorstellung ist, dass man durch solche Übung das Gehirn neu vernetzt. Und wenn das gelingt eben auch die Depression weg ist. Die Neurotherapie ist also ein rein biologischer Ansatz in der Psychotherapie. Sie behandelt psychische Erkrankungen so, wie ein HNO-Arzt einen Hustenreiz.

Oder ein Mechaniker den Vergaser eines kranken Autos. Sie steckt durchaus noch in den Kinderschuhen, aber erste Ergebnisse sind durchaus da. Allerdings tummeln sich in diesem Feld eben auch viele Esoteriker und Beutelschneider, so dass das Gesamtbild der Neurotherapie und des Neurofeedbacks leider sehr unscharf ist.

Aber ein Anfang ist gemacht und die Forschung seit drei Jahren intensiviert. Und für viele Menschen mit Depressionen ist es alleine schon ein Segen zu wissen, dass ihre Erkrankung nicht eine rätselhafte Verstimmung ist. Oder dass sie selber daran schuld sind, so unendlich traurig und hoffnungslos zu sein. Oder dass sie sich gar nur zusammenreißen müssen.

Psychische Krankheiten sind eben auch physische Krankheiten. Eine Depression ist auch eine körperliche Krankheit. Wie eine Grippe oder ein Tumor. Und die Forschung ist auf dem Weg, dafür auch Biomarker zu finden. So das die Diagnose in Zukunft nicht nur von einem Gespräch abhängt.

Und Arzt und Patient etwas haben, dass ihnen Gewissheit verschafft.

Ein interessanter Artikel über die Arbeit eben dieses Hasan Asif aus der Washington Post ist auf der Homepage – explikator.de – verlinkt.

In eigener Sache noch ein Hinweis: Auf explikator.de/helfen findet ihr jetzt zahlreiche Möglichkeiten, diese Sendung und damit auch mich zu unterstützen. Finanziell. Und noch mehr werden folgen.
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 March 7, 2016  14m