Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0393: Sex und Christentum


Woher kommt eigentlich unser komischer Umgang mit Sex? Auf der einen Seite sind wir alle so verklemmt, auf der anderen ist Sex ein Dauerthema. Es ist sicher nicht falsch, in diesem Zusammenhang das Christentum zu verdächtigen. Aber wo hat das Christentum wiederum seine Ideen her?

Download der Epsiode hier.
Beitragsbild: By Jenny Mealing – Flickr, CC BY 2.0
Opener: „Christian Dating Advice – Should I Have Sex Before Marriage?“ von Chelsea Crockett
Closer: „Christian Sex Hotline“ von JaclynGlenn
Musik: „I Cleaned Up“ von Jara / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Ich bin mir ziemlich sicher, dass eine Umfrage unter Menschen, die die westliche Kultur – unsere Kultur – ablehnen, als Nummer-Eins-Grund für die Ablehnung Sex nennen würde. Man hasst den Westen wegen Sex. Weil wir alles damit verkaufen, ununterbrochen darüber reden oder Witze machen. Der Ausdruck „Porno-Industrie“ z.B. bedeutet, dass Milliarden damit verdient werden, dass Menschen andere Menschen beim Geschlechtsverkehr filmen. Was dann Dritte sich anschauen.

Das ist, wenn man darüber nachdenkt, ja wohl das bizarrste Geschäftsmodell, das man entwickeln kann. Und ein Klasse-Beleg dafür, dass unser Umgang mit Sex immer noch irgendwo tief gestört ist. Wir reden die ganze Zeit über Sex, weil wir alle in Wirklichkeit nicht so locker flockig drauf sind, sondern – gesamt als Kultur – verklemmt und schwer verstört.

Wenn man darüber nachdenkt, woran das liegt, kommt man um den Schluss nicht herum, dass es am Christentum liegt. Asiatische Kulturen kennen durchaus auch Sex, sonst gäbe es ja keine Asiaten, aber das war halt etwas, was man zu Hause machte. Und über das man nicht viele Worte verlor. Klar, nachdem wir diese Kulturen mit Kanonenbooten zum Umgang mit uns gezwungen haben, sind die auch komisch drauf, zugegeben.

Aber woher hat das Christentum seine sexfeindliche Haltung? Und seine frauenfeindliche, denn das gehört zusammen. Fangen wir also mit Jesus an. Der Jude war. Und das Judentum ist nun in keiner Weise eine sexfeindliche Religion. Man könnte sagen, das Augenmerk war so stark auf das Fruchtbar-Sein und Sich-Mehren gerichtet, dass Sex gewünscht war. Die Ehe war von Gott gewollt und selbstverständlich. Beste Lebensform. Wir können durchaus davon ausgehen, dass auch Jesus verheiratet war. Sonst hätten die zwei jüdischen Autoren der Evangelien das wohl als sehr bemerkenswerten Fakt erwähnt. Mit 33 Jahren war man einfach verheiratet. Basta. Das muss man nicht erwähnen.

Alle antiken Kulturen waren mehr oder weniger frauenfeindlich, da ist auch das Judentum keine große Ausnahme. Es gibt ein sehr altes jüdisches Gebet, in dem – frei übersetzt – Gott gedankt wird. Weil er so gütig war, einen nicht als Heiden, Ignoranten oder als Frau geboren zu haben.

Doch eigentlich finden wir in den Evangelien nichts über Sex. Das scheint kein Thema für Jesus zu sein. Am ehesten sind da noch seine Äußerungen gegen die Scheidung geeignet. Da war er kein Fan von – im Judentum waren die aber nicht verpönt. Wenn eine Frau nicht genug Nachwuchs zeugte, ließ man sich scheiden. Siehe oben.

Aber zur Zeit Jesu war noch eine andere Kultur wichtig, nämlich der Hellenismus. Das ist die Kultur, die sich nach Alexander dem Großen im ganzen östlichen Mittelmeerraum verbreitet hatte. Und deswegen ist das Christentum ein Amalgam aus griechischem und jüdischem Gedankengut.

Der wichtigste Einfluss hier ist Paulus, aus dessen Denkschule mehr als die Hälfte des Neuen Testaments stammt. Und der aus der kleinen innerjüdischen Sekte ein Erfolgsmodell schmiedete. Das einige wichtige Persönlichkeiten in dieser Christensekte Frauen waren, kann er nicht ganz verschweigen, aber es ist ihm ein Dorn im Auge. Frauen sollten doch bitte in der Kirche schweigen. Und Kopftuch tragen, nebenbei erwähnt. Und Bischöfe sollten besser nicht Heiraten.

Denn mit Paulus und dem Hellenismus kommen auch Platon und Aristoteles in das christliche Denken. Und die haben schweren Schaden hinterlassen. Platon war der Meinung, dass es Fleisch gibt und Geist. Und alles Fleischliche ist verderblich. Und sogar eine Illusion. Nur der Geist zählt, nur der Logos ist wahr. Fleischliches ist abzulehnen. Lust ist fleischlich. Also bäh.

Und Aristoteles geht noch einen Schritt weiter. Dessen Thema ist Natur. Was ist natürlich, was ist widernatürlich. Sex dient nur der Fortpflanzung und ist ein Übel, um das man nicht herumkommt. Darum sind einige Positionen in Ordnung, andere aber widernatürlich. Könnte zu zuviel Lust führen. Ja, die Missionarsstellung ist eigentlich eine Idee von Aristoteles.

Und weil jedes Spermium ein kleiner Mensch ist, und die Frau nur eine Brutkammer, ist natürlich auch Masturbation igitt. Und Homosexualität auch. Logisch. Ist sozusagen Babyverschwendung.

Das sind die Puzzleteile, die die Machos, die man Kirchenväter nennt, dann zusammenbastelten. Denn man wollte sich ja von den Römern und Griechen und auch den Juden unterscheiden. Und da kamen auch diese nagelneue Mönchsbewegung wie gerufen. Die da auf einmal in Syrien auftauchte. Männer, die dem Sex komplett abschworen. Und in großen WGs zusammenlebten. Und beteten.

Das ist der richtige Weg! Am besten gar kein Sex! Das sind heilige Männer. Die Ehe ist auf einmal nur zweite Wahl, Der schlechtere Lebensentwurf. Der Zölibat, die Keuschheit, das ist der Weg, den sich der liebe Gott wünscht. Heilige sind allesamt Jungfrauen. Oder eben Junker. Oder wie man das beim Mann halt nennt…

Dann kommt noch der größte Sexfeind von allen. Augustinus. Wenn man sich einen Frauenfeind vorstellen will, dann kann man ruhig Augustinus als Archetyp nehmen. Seine Schriften enthalten viele Weisheiten, aber Mann, Mann, Mann hatte der ‘was gegen Frauen.

Vor dem Sündenfall, so seine Theorie, da hatten Adam und Eva volle Kontrolle über ihre Geschlechtsteile. Er spricht vom „stillen Paaren im Paradies“ – das ist fast schon wieder drollig. Aber nachdem sie vom Baum der Erkenntnis schnabuliert hatten, strafte sie Gott – mit Lust. Und dem bösen Orgasmus. Und mangelnder Triebkontrolle, so wie Augustinus das versteht.
Heilig, das ist das Gleiche wie Kontrolle.

Aber die Frau, die Apfelbringerin, die ewige Verführerin, die immer Lust will – die ist der Feind des Christenmenschen. Das muss aufhören, dieser Sex-Scheiß. Na gut, so weit ist er dann doch nicht gegangen. Vielleicht weil er durchaus wusste, dass Religionen, die ganz ohne Sex auskommen wollen, meist nach einer Generation ausgestorben sind. Vielleicht.

Augustinus von Hippo ist auch so wichtig, weil er in Latein schreibt. Und damit einer der Kirchenväter der katholischen Kirche ist. Denn die Sollbruchstelle zwischen orthodoxem Christentum im Osten und katholischem im Westen war die Sprache. Und darum kam es auch zum Schisma. Und zum alleinigen Führungsanspruchs des Bischofs von Rom. Dem Papst. Dem Papismus.

Und der setzt dann – gegen die Interessen der meisten seiner Angestellten – im 11ten und 12ten Jahrhundert die sexuelle Enthaltsamkeit für alle seine Priester durch. Jeder Prediger hatte zu leben wie ein Mönch. Weil, so geht halt heilig. Weil, weil, so halt!

Das wurde erst anders durch die Reformation. Luther, ein Ex-Mönch, heiratete demonstrativ. Eine Ex-Nonne. Und salbaderte über seine Sexualpraktiken in Worten, die diese Sendung zu einer Über-18-Sendung machen würden. Jetzt durften Pfarrer wieder heiraten. Aber Sex war immer noch nicht enttabuisiert. Und hatte nur in der Ehe stattzufinden. Und immer noch ist die arme Eva an allem schuld. An der Erbsünde eben. Denn im Prinzip sind Menschen schlecht, Frauen noch ein bisschen mehr als Männer…

Die ganzen jungen Amerikanerinnen und Amerikaner, die sich den Sex bis zu Hochzeit verkneifen – wie die junge Frau aus dem Opener – das sind alles Evangelische. Kein Grund stolz zu sein, Herr Luther. Oder Herr Calvin. Oder herr Zwingli. Oder Jan Hus – wen ihr auch wollt.

Es hat dann noch einmal 500 Jahre gedauert, den Einfluss der Kirche zurückzuschrauben. So dass Amy Schumer jetzt ausgiebig über verkaterten Sex mit fremden Männern in bizarren Stellungen witzeln darf. Auch, wenn das in keinster Weise souverän und selbstsicher daher kommt. Denn eigentlich ist das eben witzig, WEIL wir noch alle verklemmt sind.

Na ja, wahrscheinlich dauert’s noch einmal 500 Jahre, bis wir wirklich frei sind von den dummen Ideen mürrischer alter Männer aus der Antike. Bis dahin toben wir im Westen uns jetzt aus und reden wahrscheinlich die nächsten 500 Jahre nur noch über Sex.

Sorry, Judentum. Sorry, Islam. Sorry, Buddhismus.
Ich weiß, wir nerven. Sind Aufräumarbeiten…


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 March 1, 2016  14m
 
 
Sendungsvorbereitung
curated by stillesoe in Adrians Schnupperfeed | May 8, 2017