Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0388: Unstatistik


Statistische Zahlen sind immer schön, um etwas zu belegen. Ich bin da selber sehr anfällig dafür. Aber weil die meisten Menschen überhaupt nicht damit umgehen können – Journalisten anscheinend insbesondere nicht – ist ihnen meistens zu misstrauen. Auf „Unstatistik“ wird jeden Monat der schönste Blödsinn analysiert. Hier einige Beispiele.

Download der Episode hier.
„Unstatistik“ – der statistische Unsinn des Monats.
Beitragsbild: By en:User:Qwfp (original); Pbroks13 (talk) (redraw) – en:Image:Fisher iris versicolor sepalwidth.png, CC BY-SA 3.0
Musik: „Oh Laura!“ von Ben K. Adams / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Überall tauchen Statistiken auf. Und wir können damit gar nicht richtig umgehen. Denn Statistik ist nicht so einfach und intuitiv. Aber wir sollten das können. Sonst werden wir planmäßig verarscht.

Ein Beispiel? O.k. Erinnert ihr euch nach an die Meldungen letztes Jahr: Wurst ist tödlich. Wurst sei so krebserregend wie Asbest oder Zigaretten, so schrieb hier die Abendzwitung. Aber auch viele anderen Medien beteiligten sich am Wurst-Horror-Rennen. Die Bild dichtete auf dem Titelblatt: „Wurst und Schinken als krebserregend eingestuft!“. Aber auch die „Zeit“ war mit „Rauchen kann töten, Wurst essen auch?“ beim Panikreigen dabei.

Schuld hatte damals die Weltgesundheitsorganisation WHO, die in einer Pressemitteilung formulierte, das Darmkrebsrisiko steigere mit jeder 50-Gramm-Wurstscheibe um 18%. Das klingt ja auch wirklich gefährlich. Denn: Mit etwas weniger als 300 Gramm wäre es dann bei 100%. Was natürlich völliger Unsinn ist.

Schaut man sich das genauer an, stellt es sich gleich ganz anders da. Denn, wie so oft, relative und absolute Zahlen werden gerne vertauscht. Das allgemeine Risiko an Darmkrebs zu erkranken, liegt annähernd bei 5%. Menschen, die täglich 50 Gramm Wurst oder mehr essen, erhöhen das relative Risiko um 18%. Dann liegt die Wahrscheinlichkeit fast bei 6%.

Es ist dies ein Beispiel von vielen, wie ständig Statistiken in den Medien missbraucht werden, um Meldungen knackiger zu machen. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Statistikern, die das öffentlich anprangern und gegen diese Meldungen anschreiben.

Beim RWI Essen bloggen z.B. der Psychologe Gerd Gigerenzer, der Ökonom Thomas Bauer und der Statistiker Walter Krämer monatlich dagegen an. Und veröffentlichen die Unstatistik des Monats. Von dort stammen drei der Beispiele dieser Sendung. Link auf der Homepage explikator.de. Ein Buch zu diesem Thema mit dem Titel „Warum dick nicht doof macht und Genmais nicht tötet – Über Risiken und Nebenwirkungen der Unstatistik“ haben sie auch veröffentlicht.

Gut so. Das ist wichtig. Denn der falsche Umgang mit Statistik ist eines der großen Probleme, die der moderne Journalismus hat. Mit kleinen Kniffen können eigentlich harmlose Meldungen sensationell aufgehübscht werden. Damit sie bedrohlicher klingen. Sensationeller.

Das machen Journalisten im Kampf um den Klick und die verkaufte Zeitung. Ohne im geringsten ein schlechtes Gewissen zu haben, dass sie eine hysterische, verängstigte Bevölkerung produzieren.

Nehmen wir z.B. den – tatsächlich besorgniserregenden – Klimawandel. Da berichtet die Tageszeitung „Österreich“ doch glatt: Im Januar war es 337% zu warm! Es sei dies der wärmste Winter aller Zeiten.

Was natürlich doppelt Blödsinn ist. Die Durchschnittstemperatur der Erde im Devon lag bei ungefähr 50 Grad. Und wie kommt man zum Ergebnis, es sei 337% zu warm? Das geht so: Die Durchschnittstemperatur in Wien ist im Januar 0,8 Grad Celsius. Jetzt aber – im wärmsten Winter aller Zeiten – lag sie bei 3,5 Grad. Also 2,7 Grad wärmer.
Aber wie klingt das denn? Blass, farblos und langweilig.

Also schnell ‘mal 2,7 durch 0,8 geteilt, und: Tada! 337% zu warm. Das ist wieder der gleiche Trick mit den relativen und den absoluten Zahlen. Wäre der Ausgangspunkt Fahrenheit statt Celsius, dann wäre der Wiener Durchschnitt bei 33,4 Grad Fahrenheit und der vergangene Jänner bei 38,3. Das wäre dann ein relativer Anstieg um 15%.

Warum aber hieven die das auf die Titelseite? Weil es Angst macht. Und wir das erst einmal glauben. Prozent, Statistik, das klingt gleich so wissenschaftlich und objektiv.

Manchmal sind es aber nur simple Denkfehler, die einfach in Kauf genommen werden, um schöne Nachrichten zu bekommen. Erst letzten Monat kursierte wieder die Oxfam-Meldung durch das Netz: „Den 62 reichsten Menschen gehört die halbe Welt!“ Und, etwas genauer: Die 62 reichsten Menschen besitzen genauso viel wie die gesamte arme Hälfte der Menschheit. Aber, Moment mal: Da fehlt doch ‘was?

Denken wir das ‘mal durch. Wir nehmen als die Menschheit, 7,2 Milliarden Menschen und sortieren die nach Einkommen. Dann schauen wir uns an, was die unteren 3,6 Milliarden zusammen so besitzen. Und dann nehmen wir soviel Reiche von oben wie es braucht, um auf diese Summe zu kommen. Und siehe da: Laut Forbes können wir dann bei 62 Menschen aufhören zu zählen. Voila! Den 62 reichsten Menschen gehört die halbe Welt.

Fällt euch ‘was auf? Z.B. die Kleinigkeit, dass da 3,6 Milliarden Menschen komplett weg gelassen werden? 3,6 Milliarden Menschen, die natürlich viel mehr Geld haben als die 3,6 Milliarden Ärmsten? Und auch viel mehr als die 62 Reichsten? Das Ganze ist eine absichtliche Fehlinformation und schadet einer guten Sache, statt ihr zu nutzen.

Der falsche Umgang mit Zahlen, Prozenten, Statistiken und Mittelwerten ist aber nicht nur ärgerlich, weil es die Bevölkerung verunsichert. Die ja sowieso viel zuwenig statistisch denkt und dadurch nur noch misstrauischer wird. Sondern, weil auch die Politiker nicht richtig mit Statistiken umgehen können, entstehen so Lügengebilde wie der drohende demografische Wandel. Fachkräftemangel, Ärztemangel, Sozialkürzungen, Riester-Rente, alles Schlagworte um etwas, das es gar nicht gibt.

Aber das wird eine Extra-Sendung. Zum Abschluss ein besonders schönes Beispiel, wieder von der Unstatisik-Seite. Professor Bauer vom RWI Essen hat sich die nervige Parship-Werbung vorgeknöpft. Und etwas Wahrscheinlichkeits-Rechnung drauf geworfen. Keine Angst, wird ganz einfach. Da behauptet Parship – auf dem gleichen Poster – dass es 5 Mio. Singles registriert hat UND dass sich alle 11 Minuten ein Single dort verliebt.

Machen wir das erst einmal runder. Sagen wir, es sind 10 Minuten. Aber dafür sind es eben zwei Menschen, die sich da verlieben, das ist ja großzügig von uns. Weiters scheiden die dann aus und werden durch neue Singles ersetzt, so dass die Zahl bei 5 Mio bleibt. (Wollen wir mal hoffen für Parship, denn es muss sich ja lohnen, ganz Deutschland mit wunderschönen Singles zu bekleben.)

Ich zitiere: „Wenn sich alle 10 Minuten zwei Singles verlieben, dann passiert das 6-mal in der Stunde, 144-mal am Tag oder 52.560-mal im Jahr. Die Wahrscheinlichkeit, an einem beliebigen dieser 52.560 Zeitspannen von 10 Minuten Erfolg zu haben, beträgt 2 zu 5.000.000 (die anderen 4.999.998 suchen weiter). Damit beträgt für ein zufällig ausgewähltes Mitglied die Wahrscheinlichkeit einer neuen Liebe pro Jahr kaum mehr als 2%.“

Tja, nicht nur Journalisten können keine Statistik, Werber eben auch nicht. Wir alle nicht. Aber wir müssen das lernen. Und genau aufpassen. Denn Statistik kann auch beruhigen. Nach Köln ist die Wahrscheinlichkeit für eine Frau, begrapscht zu werden, nicht signifikant gestiegen. Nach Paris ist die Wahrscheinlichkeit bei einem Terroranschlag zu sterben nicht signifikant gestiegen.

Das ist eben auch wahr.

 


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 February 23, 2016  12m