Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0384: Die Piratenkönigin


Bevor einige Menschen aus Somalia in den Schlagzeilen auftauchten, war der Begriff „Pirat“ eher einer aus Hollywood. Aber vergesst die Somalis, Blackbeard, Jack Sparrow oder Klaus Störtebeker. Der erfolgreichste aller Piraten war eine Frau. Aus China.

Download der Episode hier.
Opener: „The Most Famous Female PIRATES of All Time!“ von IT’S HISTORY
Closer: „Spongebob – You are a pirate“ von IchigoMashimaro1990
Musik: „Live By The Code“ von Skulastic / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Das Bürgertum hat ja viele romantische Phantasien entwickelt. Angefangen hat wahrscheinlich Marie-Antoinette, die sich und den Hofstaat als Schäfer verkleidete und so das Schäferstündchen erfunden hat. Aber auch das Leben der Zigeuner, der Clochards oder der Piraten wurde verkitscht. Das Leitmotiv ist dabei immer die Freiheit – der bürgerliche Alltag ist wohl sehr grau…

Man hat wohl auch schon damals die Regierung nicht besonders geschätzt, wie sonst konnten Verbrecher wie Klaus Störtebeker oder andere Seeräuber zu Legenden werden. Natürlich war das Leben als Pirat kein Zuckerschlecken und die Lebenserwartung eher kurz. Ein Rentenmodell, das gab’s für Piraten nicht.

Na ja, außer bei dem allergrößten aller Piraten. Ich meine, DER allergrößten aller Piraten. Denn die erfolgreichste aller Piraten war eine Frau. Was wahrscheinlich auch der Grund ist, das wir nicht so irre viel wissen über sie. Jeder Artikel, den ich gelesen habe, erzählt die Geschichte anders. Die Quellenlage ist dünn und kaum belastbar.

Das beginnt schon damit, das wir gar nicht wissen, wie die Dame hieß. In Deutschland hat sich Zheng Yisao durchgesetzt. Wobei Zheng der Nachname ist, Yi der Vorname ihres Mannes und Sao einfach Frau bedeutet. Das kenne ich so, das gibt’s im Bayerischen auch. Dem Huber Sepp seine Frau sagt man. Also dem Zheng Yi seine Frau.

Die meisten Quellen gehen davon aus, dass sie 1775 geboren wurde, wahrscheinlich in Kanton. Dann hätte sie als Prostituierte gearbeitet, aber das ist nicht prüfbar. In Wirklichkeit taucht sie erst 1801 amtlich auf, als sie eben jenen Zheng Yi heiratet.

Der war schon ein erfolgreicher Pirat und die Legende will, dass sie sich erst heiraten ließ, als er ihr die Hälfte der Flotte und aller Einnahmen versprach. Kann auch gut so sein, denn das war in China damals nicht unüblich.

Die Hochzeitsreise führt die beiden erst einmal nach Vietnam, wo sie sich an der Tay-Song-Rebellion beteiligen, allerdings auf Seiten der Verlierer. Aus dieser Erfahrung lernen sie und konzentrieren sich wieder auf die Piraterie. Sie bekommen zwei Söhne und adoptieren den Geliebten ihres Mannes, der ab da Zheng Pao heißt.

1806 stirbt Zheng Yi entweder bei einem Tsunami oder bei einem Taifun oder nur bei schwerem Sturm. Entweder wird er vom Mast erschlagen, stürzt über Bord oder aber sein Schiff verschwindet spurlos. Ist ja für die Geschichte auch wurst, wichtig ist, das Zheng Yi Sao, also dem Huber Sepp seine Frau jetzt die ganze Flotte übernimmt und gewaltig ausbaut.

Und sie kommandiert verdammt viele Schiffe. Die Quellen variieren stark. Zwischen 200 Dschunken und bis zu 800 Schiffen insgesamt. Unter ihrem Befehl stehen wenigstens 50.000 aber maximal 100.000 Piraten.

Die Flotte ist in fünf Verbände unterteilt. Jeder mit eigener Flagge und eigenem Namen. Yi Saos Verband segelt unter einer roten Flagge, der Verband ihres Adoptivsohns Yi Pao unter grüner. Die haben auch alle komische chinesische Namen. „Messer im Nacken“ mag ja noch piratisch schröcklich klingen. Aber der Gruseleffekt von „Mahlzeit der Affen“ erschließt sich mir nicht.

Zheng Yi Sao wird zur eigentlichen Seemacht in der südchinesischen See und verlagert den Geschäftsschwerpunkt zunehmend landeinwärts. China ist, wie heute auch, zentral von Peking aus regiert. Und während die Kaiserfamilie und die Mandarinen im Luxus schwelgen und die Städte aufblühen, hungert man auf dem Land und die Dörfer leiden.

Yi Sao errichtet ein riesiges Spionage- und Versorgungsnetzwerk, plündert die reichen Städte und versorgt die Dörfer, die bereit sind, die Piraten zu versorgen, mit allem nötigen. Verbündete Dörfer dürfen natürlich auch nicht geplündert werden. Aber das ist keine Robin-Hood-Geschichte. Dörfer, die die Zusammenarbeit verweigeren werden rücksichtslos geplündert und vernichtet, die Bewohner versklavt.

Trotzdem sind ihre Piraten kein rechtloser Haufen. Sie schafft einen Codex, der uns tatsächlich schriftlich erhalten ist. Ein Gesetzbuch der Piraterie. Das bei Strafen meist mit Enthauptung auskommt.

Wer einem Befehl eines Vorgesetzten widerspricht: Enthaupten und über Bord.
Wer Beute versteckt oder sich bei der Gemeinschaftsbeute bedient: Enthaupten und über Bord.
Wer eine Gefangene vergewaltigt: Enthaupten und über Bord.
Wer mit einer Gefangenen auch nur Sex hat: Enthaupten und über Bord.
Und die Gefangene mit Kanonenkugeln an den Füßen hinterher.

Die gefangenen Frauen waren ihr wichtig. Vergewaltigung war, wie erwähnt, verboten. Die gefangenen Frauen sollten entweder ein Lösegeld erbringen oder sie wurden an die Piraten verkauft oder versteigert. Das galt dann aber richtig als Ehe. Zum Geschlechtsverkehr brauchte es eine Erlaubis des Kommandanten. Und sollte ein Pirat seine Frau betrügen – ihr ahnt es schon: Enthaupten und über Bord.

Aber sie kümmerte sich auch auf andere Weise um ihre Besatzung als durch Kopf abschlagen. Die ganze Truppe war hochmotiviert und die Jobs als Piraten begehrt. Erstens durfte jeder Pirat 20% seiner Beute behalten und zweitens entwickelte sie tatsächlich so etwas wie eine Renten- und Sozialkasse für ihre Männer und Frauen.

Denn bei Yi Sao teilten sich Frauen und Männer die gleichen Arbeiten. Männer mussten putzen und Frauen freibeuten. Was aber für diesen Teil Chinas um diese Zeit keine ungewöhnliche Arbeitsteilung war.

Aber natürlich achtete sie tunlichst darauf, auch selber stinkreich zu werden. Und ihr neuer Gatte auch. Das ist eben jener Zhing Yi Pao, der einst schon der Geliebte ihres Mannes war.

Der ständige Geldverlust in dieser Ecke des Reichs war ärgerlich und sorgte dafür, dass der Kaiser seine Flotte mobilmachen ließ, um diesen Piraten den Garaus zu machen. Das führte im Herbst 1808 zu zwei Feldzügen, die beide in einem Desaster endeten.

Beim ersten Mal erbeutete Yi Sao 63 Schiffe der kaiserlichen Flotte. Die Soldaten wurden vor die Wahl gestellt, entweder Piraten zu werden oder sich auspeitschen zu lassen – fast human auf eine freibeuterische Weise. Die meisten wählten die besser bezahlte und besser organisierte Piraterie. Der Admiral des Kaisers Kwo Lang nahm sich das Leben.

Der zweite Versuch war, die Piraten zu belagern und auszuhungern. Wegen der erlittenen Verluste musste man dazu sogar Fischerboote akquirieren. Aber auch diese Maßnahme war völlig ergebnislos und trieb den nächsten Kommandeur in den Selbstmord.

Die Portugiesen, deren Kolonialstädte sie auch ab und an belagerte oder ausraubte, stellten ihre Bemühungen nach starken Verlusten auch bald ein. Und auch die Schiffe der Royal Navy of Her Majesty konnten nichts gegen Yi Sao und ihre Übermacht ausrichten.

Aber natürlich war der Piratenkönigin klar, dass es nicht ewig so weitergehen konnte und so versuchte man sich mit der Regierung einig zu werden. Und der Vertrag, den sie dann für sich und ihre Männer aushandelte, ist in der Geschichte wohl einmalig.

Der Kompromiss sah so aus: 300 der ärgsten Piraten wurden verhaftet. 120 der allerärgsten sogar hingerichtet. Aber alle anderen waren frei! Und mehr als das. Sie durften ihre persönliche Beute behalten und konnten, wenn sie wollten sofort bei der Marine anheuern. Falls nicht, bekamen sie ihren Teil aus der Gemeinschaftsbeute ausgezahlt und konnten gehen.

So hatte China wieder mit einem Schlag eine schlagkräftige Flotte und gleichzeitig das Piratenproblem gelöst – die bekamen jetzt einfach Uniformen verpasst.

Ihr Mann, Zheng Yi Pao, bekam einen gemütlichen Posten als Kommandeur und sie eröffnete ein erfolgreiches Etablissement. Je nach Quelle war das ein Bordell, eine Spiel- oder eine Opiumhölle. In einer Quelle gar einfach ein Hotel. Einig sind sich alle Quellen, das sie 1844 im Alter von 60 Jahren starb. Stinkreich und glücklich.

Nicht nur die erfolgreichste Piratin aller Zeiten. Nein, im Gegensatz zu all’ den anderen berühmten Piraten nahm sie kein blutiges Ende. Sie hat als einzige das Piratenspiel gewonnen.


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 February 17, 2016  13m