Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0383: Die Nachrichtensprecherin


Es ist das Vorrecht eines alten Mannes, darüber zu staunen, wie die Welt sich wandelt. Und eben nicht zum Schlechteren, sondern auch zum Besseren. Der Feminismus lässt sich nicht aufhalten und ist seit der Affäre um Wibke Bruhns doch schon einen weiten Weg gegangen. Alles in meiner Lebenszeit.

Download der Episode hier.
Beitragsbild: By Blaues Sofa from Berlin, Deutschland (Wibke Bruhns auf dem Blauen Sofa der LBM 2012) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons
Opener: „Anne-Rose Neumann und Wibke Bruhns – erste Nachrichtenfrauen“ von TVFrauen
Closer: „Dagmar Berghoff – Das WCT Tunier“ von gottfried44
Musik: „Monday“ von NaTta / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Wirklich schön an Geschichte ist ja, dass sich gesellschaftlicher Wandel nicht wirklich aufhalten lässt. Es geht immer zu langsam und manchmal gibt es derbe Rückschläge, aber keine noch so konservative Haltung kann etwas aufhalten, dessen Zeit gekommen ist.

Und dass das Patriarchat an sein Ende gekommen ist, ist so etwas. Das man nicht aufhalten kann. Es gibt keinen Weg mehr zurück zu Kinder, Kirche, Küche. Es haben bloß noch nicht alle begriffen, dass es für alle Menschen das Bessere ist, wenn nicht das Geschlecht entscheidet, wie man zu leben und zu fühlen hat.

Klar, es ist noch immer ein weiter Weg. Und man kann noch nicht sehen, wie eine wirklich gleichberechtigte Gesellschaft wohl aussehen wird. Aber wir sind auch schon ein ganzes Stück Weg gegangen. Darum heute eine Geschichte von der ersten Nachrichtensprecherin im deutschen Fernsehen.

Die eigentlich die zweite Nachrichtensprecherin im deutschen Fernsehen war. Denn die erste war Anne Rose-Neumann, die am 8.3.1963 die Nachrichten verlas. Keiner musste sich damals aufregen, keiner hat’s bemerkt und nur wenige wissen das. Denn Anne Rose-Neumann ist auf der Ostseite der Mauer tätig gewesen. Und für die Geschichte der DDR interessiert sich ja eigentlich niemand.

In der DDR war die berufliche Gleichstellung von Mann und Frau 1961 beschlossen worden und mit Frau Rose-Neumann wurde dem auch im Fernsehen ein Gesicht gegeben. Das war nur logisch und so unspektakulär wie das Sandmännchen. Das Ost-Sandmännchen natürlich.

Anders erzählt sich die Geschichte natürlich auf der Westseite der Mauer. In der guten, alten Bonner Republik. Die BRD der alten Männer. Zwar steht im Grundgesetz brettlbreit, dass Mann und Frau gleichgestellt sind. Genau genommen steht da: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Aber das hat erst einmal keinen weiter interessiert. Vor 1968 war wenig Interesse da, das Tausendjährige Reich aufzuarbeiten. Man war mit dem Wiederaufbau beschäftigt und wollte eigentlich alles so wieder haben, wie es vor der Nazizeit war. Egal ob in der Juristerei oder der Medizin, die Altnazis haben meist lückenlos weiter gearbeitet. Nicht umsonst heißt der Bundeskanzler 1968 Kurt-Georg Kiesinger. Nicht nur Parteimitglied der NSDAP seit 33, sondern auch SA-Mann und im Dritten Reich tätig als Verbindungsmann zwischen Goebbels und Ribbentropp.

Um das noch anschaulicher zu illustrieren: Vor 1967 war es einer Frau in der BRD nicht möglich, ohne Unterschrift und Einverständnis ihres Vaters oder ihres Gatten ein Konto bei einer Bank zu eröffnen. So rückständig war die alte BRD.

Was uns zurückbringt zur zweiten Nachrichtensprecherin im Deutschen Fernsehen. Das war Wibke Bruhns. Die las am 12.5.1971 zum ersten Mal die Nachrichten bei „heute“ vor, der Nachrichtensendung des ZDF.

Mit einer unspektakulären Frisur, im hochgeschlossenen Kleid und mit einer schwarzen Hornbrille. Die ganze Aktion war bewusst geplant, aber geheimgehalten worden wie bei einer Verschwörung. So heikel war das. Eigentlich sollte Jochen Breiter sprechen, der dann sehr verwundert war, dass nun eine Frau statt seiner die Nachrichten vorlas. Die Quotenfrau. Oder einfach, wie sie selber sagt, die einzige Frau im Team.

Und dann begann das, was wir mittlerweile einen Shitstorm nennen.

Denn die Reaktion der deutschen Gesellschaft auf eine Frau, die da Nachrichten vorliest, war ungefähr auf dem Niveau von Pegidisten-Kommentaren auf Facebook. Vor allem Frauen entsetzten sich. „Eine Frau muß sich um Mann und Kinder kümmern und nicht Nachrichten vorlesen“, so der Grundtenor.

Der Kollege Karlheinz-Köpcke von der Tagesschau, also bei dem anderen deutschen Fernsehsender, empörte sich mit. „Die Nachricht verlangt sachlich unterkühlte Distanz. Bei einem Kriegsfoto muß eine Frau in Tränen ausbrechen, sie hat doch schließlich Gefühle, sonst wäre sie ja keine Frau”
Und: Schließlich gäbe es ja auch keine Metzgerinnen – ein intelligenter Vergleich.

Ein empörter Leser schickte Frau Bruhns ein Heiligenbild. Aber – es handelt sich ja um einen Shitstorm – eines, auf den er einen veritablen Haufen Scheiße platziert hatte. Alles sorgfältig eingepackt und mit der Bemerkung versehen, dass Gott Menschen bestraft, die ihren Platz nicht kennen. Danach hat sie keine Pakete mehr aufgemacht, ab da gab es dann beim ZDF eine eigene Abteilung für die Bearbeitung ihrer Leserpost.

Der damalige Chefsprecher, Wolfgang Behrend, forderte von Bruhns „neutralen Sex“. Sie müsse – so die Wortwahl – bei „Bein und Busen“ aufpassen. Worauf Wibke Bruhns erst einmal überhaupt Kleider trägt, die ein Dekollete vorweisen. Und jedes Mal, wenn sie das tat, liefen die Telefone beim ZDF heiß.

So wurde Wibke Bruhns zum bekanntesten Gesicht der Frauenbewegung – die es ja durchaus gab – ohne Feministin zu sein. Das war gar nicht ihre Absicht gewesen. Wie sie selber pragmatisch sagt: “Warum eigentlich sollten Nachrichten nur Männer sprechen können?” und „Irgend jemand muß die Tür ja aufmachen.“

Fast zwei Jahre und 380 Sendungen später verlässt sie den Platz hinter der Kamera wieder. Aber nicht, weil sie dem konservativen Shitstorm nachgeben wollte, sondern, weil das für sie der langweiligste Job der Welt war. Nachrichten vorlesen, die andere Journalisten geschrieben hatten.

Sie meint nur: „Das war ja eigentlich nur als Gag gedacht, um ein schwachsinniges Monopol zu brechen. Nicht mehr.“ Und so verfolgt sie ihre journalistische Karriere weiter.

Schon während ihrer Arbeit bei „heute“ hat sie sich auch ganz offen zur Sozialdemokratie bekannt. Das klingt heute lächerlich, wo wir eine sozialdemokratische Kanzlerin haben – mit falschem Parteiausweis, zugegeben – aber damals war Sozialdemokratie und Sozialismus in den Köpfen der meisten Deutschen genau das Gleiche. Würde Willy Brandt Kanzler werden, dann würde aus der BRD eine zweite DDR.

Aber die Zeit war reif für einen Wechsel und so spielt auch die zweite Geschichte um Wibke Bruhns von Willy Brandt. Bei einem Aufenthalt in Israel 1973, so geht die Geschichte, zieht der Kanzler die junge Journalistin in den Lift und nimmt sie mit in seine Suite. Dann verlässt sie die Räume Brandts nach 90 Minuten wieder und die Sicherheitsleute feixen sie wissend an.

Es hilft nichts, dass sowohl Brandt als auch Bruhns betonen, dass es nur ein Interview war, die Nachricht von der Romanze des Kanzlers machte die Runde. Was im Prinzip das gleiche chauvinistische Denken ist wie bei dem Skandal um die Nachrichtensprecherin.

Aber auch da verlässt Frau Bruhns nicht der Pragmatismus und sie lebt einige Zeit ganz gut davon, jeden, der solche Behauptungen publiziert in Grund und Boden zu klagen.

Sie ist und war sicher keine Feministin. Bei Günther Jauch verlautbarte sie:
„Frauen sind Frauen und Männer sind Männer. Die sind so unterschiedlich wir Stiere und Kühe. Darum haben Frauen auch keine Chancen im Kampf gegen den Sexismus.“

Aber mei. Trotzdem die Sache der Emanzipation auf ihre selbstbewusste und unkomplizierte Art voran getragen. Und nun ist eine neue Generation von Feministinnen und Feministen am Ruder. Da drücken wir ‘mal ein Auge zu. Also: Vielen Dank, sehr geehrte Frau Bruhns!


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 February 16, 2016  13m