Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

https://morgenradio.de

subscribe
share






Expl0382: Roboter im OP


In den allermeisten Science-Fiction-Filmen werden medizinische Probleme durch Roboter gelöst. Und tatsächlich werden ja auch schon ferngesteuerte Roboter bei Operationen eingesetzt. Aber die versprochene Revolution durch die Telerobotik im OP blieb aus. Das hat gute Gründe…

Download der Episode hier.
Beitragsbild: Von Nimur aus der englischsprachigen Wikipedia, CC BY-SA 3.0
Opener: „Robot Pepper latest performance september 2015.“ von Re Dream
Closer: „Klaatu Barada Nikto“ von Noel Leonard
Musik „I Wanna Be“ von Quentin Hannappe / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Es ist 20:00 Uhr, als mich Dr. Ashutosh Tewari vom Mount-Sinai-Hospital in New York anruft. Meine OP sei vorverlegt, ich solle in einer Stunde im zuständigen Telerobotik-OP in meinem Viertel sein, teilt er mir per Skype mit. Wir hatten meinen Fall schon gründlich durchdiskutiert. Es war klar, die Prostata muss raus. Und keiner kann das besser als Dr. Tewari.

Punkt 21:00 h betrete ich den kleinen OP bei mir um die Ecke. Eine speziell ausgebildete Fachkraft und der Anästhesist warten bereits. Welche Musik da im Hintergrund spielt, als ich einschlafe, werde ich mir schon nicht mehr merken können.

Um 24:00 h ist die OP abgeschlossen, man sieht auf der Bauchdecke einen kleinen Schnitt, der mit zwei Stichen vernäht ist. Um 2:00 h bin ich wieder zu Hause. Um eine Prostata leichter, aber hoffentlich weder inkontinent noch impotent.

Dr. Tewari hat das prima hingekriegt, er ist halt weltweit die Koryphäe für diese OP. Und hat sein Büro in New York nicht einmal verlassen müssen, denn die OP durchgeführt hat ein Roboter, den er von seiner Konsole in New York aus gesteuert hat.

So oder so ähnlich wurde uns die Zukunft beschrieben, als im Jahre 2000 so ein Da-Vinci-Robot die allererste Zulassung für Fern-OPs weltweit bekommen hat. Das von Chirurgen gesteuerte Roboter für einige Operationen besser geeignet sind als nur der Arzt und sein Skalpell, das lag damals schon offensichtlich auf der Hand.

So ein Da-Vinci-Roboter besteht zum einen aus einer Konsole. Die schaut ein bisschen aus wie so ein 80er-Jahre Videospielgerät. Da sitzt der Dottore bequem davor und muss nicht die ganze Zeit in gebeugter Haltung über dem Patienten stehen. In der Konsole sind hochauflösende 3D-Bildschirme und frei bewegliche Arme, die mit den Fingern und Händen gesteuert werden. Schaut ein bisschen nach Ballett aus, wenn ein Profi das bedient.

Der andere Teil des Da Vinci ist der Roboter selber. Ein fester, klobiger Fuß, lange Roboterarme mit Gelenken, an denen dann noch einmal vier kleine, schwarze Stangen sind. Das sind die eigentlich operierenden Arme. Jeder Arm besitzt ein anderes OP-Instrument, die nur für den Da Vinci entwickelt wurden. Diese sind in allen Achsen komplett dreh- und bewegbar, ein Vorteil gegenüber der menschlichen Hand.

Bei minimal-invasiven Eingriffen, wie dem aus meinem Beispiel benötigt man normalerweise zwei Ärzte, denn einer muss ja das Endoskop bedienen, während der andere operiert. Der Da Vinci aber hält das Endoskop ohne zu zittern oder zu ermüden alleine stabil.

Und mit dem System kann der Arzt viel präziser arbeiten. Zum einen, weil die 3D-Ansicht zehnmal vergrößert ist, und zum anderen, weil die Bewegung untersetzt ist. D.h. z.B. bewegt der Chirurg seine Hand einen Zentimeter, bewegt sich die Roboterhand nur um einen Millimeter. Man kann also viel, viel feiner arbeiten.

Alles in allem eine gute Sache für alle. Für den Patienten, der weniger blutet, besser und schneller verheilt und für den Chirurgen, der präziser arbeiten kann und dabei auch keinen Buckel bekommt.
Deswegen sind diese Roboter auch verbreitet. In den USA sind über 1400 im Einsatz. 85% aller Prostata-Entfernungen und 20% aller Gebärmutter-Entfernungen werden dort schon so vorgenommen.

In Deutschland stehen immerhin 14 solcher Systeme. Weil unseren Kassen die Roboter-OPs noch zu teuer sind, sie kosten im Durchschnitt 1400,- € mehr als die üblichen, Nicht-Robot-OPs.

Aber: Das mit der Telerobotik ist immer noch in weiter Ferne. Das wäre aber ein wichtiger Teil der Technologie. Tatsächlich könnten sich Chirurgen so ja viel genauer spezialisieren, denn sie könnten ihre Dienste in ihrem jeweiligen Kompetenzfeld ja weltweit anbieten.
Aber so ist es jetzt, 16 Jahre später, immer noch nicht.

Gott sei Dank brauche ich in Wirklichkeit ja keine Operation an der Prostata – oder noch nicht – aber wollte ich mich von Dr. Tewari behandeln lassen, dann müsste ich mich schon auf den Weg nach New York machen. Denn das funktionert nicht mit den OPs über das Internet.

Das hat viele Gründe.

Unser Internet ist zu langsam. Und nicht nur hier in Deutschland, sondern weltweit. Und Verzögerung ist für diese feinen Arbeiten tödlich. Bei einem umfangreichen Experiment im Jahre 2012 stellte sich heraus, dass schon eine Verzögerung von 250 Millisekunden die Operationen deutlich erschwert und die Ergebnisse auch der erfahrensten Chirurgen verschlechtert.

Uuund das Internet ist nicht breit genug. Mehrere Kanäle hochauflösendes 3D-Video – und wir sprechen von viel mehr als dem gängigen HD-Standard, man denke an die Vergrößerung – hochauflösendes 3D-Video braucht Platz. 2 Mbit in der Sekunde reichen da nicht, um eine ruckelfreie Übertragung zu garantieren. Und man möchte nicht auf ein Wartesymbol starren, wenn man gerade eine Arterie angeschnitten hat.

Uuund das Internet ist nicht sicher genug. Klar kann man sagen, wer hackt schon einen OP-Roboter? Aber die Regel ist: Wenn etwas gehackt werden kann, wird es gehackt. Ein sinnvoller Einsatz von OP-Robotern wäre ja zum Beispiel die Front. Man kann ja nicht in jedem Camp einen Herzchirurgen vorrätig halten. Wenn sich jetzt aber der Gegner in meinen Roboter hacken kann, dann ist der auf einmal keine Hilfe mehr, sondern eine Waffe.

Uuund die Gesetze sind nicht da. Wer heutzutage so ein Da-Vinvi-System einsetzt, der arbeitet in einer Grauzone. Stellen wir uns vor, bei so einer OP kommt es zu einer zu großen Verzögerung. Dadurch erwärmt sich einer der Arme zu stark und lebenswichtiges Gewebe verschmort. Patient schwer behindert. Wer trägt die Schuld? Der Roboter, der Arzt, die Klinik in der der Roboter steht, oder die Klinik in der der Arzt sitzt? Oder ist der Internet-Provider dran, wegen der Verzögerung?

Uuund die Roboter sind zu teuer. 2 Millionen Euro muss man schon hinblättern für ein System. Um dann – zumindest in Deutschland – bei jeder OP draufzahlen zu müssen. Eben diese 1400 € Differenz. Die 14 Kliniken, die das machen in Deutschland, machen das aus Image-Gründen. Weil die OPs weniger blutig sind und die Heilung tatsächlich schneller geht. Das spricht sich rum, der Name des Hospitals wird aufgewertet – so die Idee.

Schuld an den Kosten sind die Hersteller. Die Firma Intuitive Surgical hat in den 90ern den einzigen Konkurrenten geschluckt und hat jetzt ein Monopol. Die erwähnten, speziellen Instrumente zum Beispiel zählen mit, wie oft sie verwendet wurden und stellen ihren ihren Dienst nach 10 Einsätzen kategorisch ein. Muss man ein neues kaufen für mindesten 300 $. Und vier Arme hat der Da Vinci.

Und dann bleibt noch ein kleiner Grund übrig. Es schaut so aus, als wäre der Da Vinci doch nicht so irre toll und überlegen. Bei der Prostata schlägt er sich wohl wacker, aber bei der Hysterektomie z.B. nicht. Das ist die Komplettentfernung der Gebärmutter und eh’ schon ein umstrittener Eingriff.

Letztes Jahr wertete eine Studie im „Journal of the American Medical Association“ mehr als 264.000 dieser laparoskopischen Eingriffe aus, und siehe da: Da Vinci war an keiner Stelle besser als seine menschlichen Konkurrenten. Das ist ziemlich enttäuschend.

Wahrscheinlich sind diese Roboter tatsächlich die Zukunft der Chirurgie. Aber bis so eine Art C3PO einem schnell ‘mal nebenbei eine neue Hand anmontiert, kann es noch Jahrzehnte dauern.

/Clip BB8 – Leg’ das Skalpell weg BB8! Ich sagte, leg’ es weg! Scheiss-Sprachsteuerung!


fyyd: Podcast Search Engine
share








 February 15, 2016  12m