Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0379: Fledermausbomben


Wirklich seltsam am Superhelden namens Batman ist doch eigentlich die Tatsache, dass er sich ausgerechnet die Fledermaus zum Wappentier gemacht hat. Um Angst und Schrecken unter den Verbrechern Gothams zu verbreiten. Wirklich? Eine fliegende Maus? Aber es gab durchaus Fledermäuse, die richtig gefährlich waren. Nämlich die Fledermausbomben aus dem Zweiten Weltkrieg.

Download der Episode hier.
Opener: „Weird Weapons of WW2“ von airbomb34
Closer: „Louis CK 2015 – So I called the Batman…“ von Kickass Comedy
Musik: „Our Place“ von Arrow & Olive / CC BY-SA 3.0

+Skript zur Sendung
„Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König. Die einen macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien.“ Sagte zumindest Heraklit. Der offensichtlich aus kriegerischeren Zeiten stammt als wir hier in der Moderne.

Aber natürlich werden viele Dinge im Krieg entwickelt. Die Gebrüder Wright sind 1903 zum ersten Mal mit einem Flugzeug vierzig Meter gehüpft. Am Ende des Zweiten Weltkriegs hatten wir Düsenjäger. 50 Jahre nach diesem ersten Hüpfer wurde die Schallmauer durchbrochen. Eine Entwicklung, die wegen des militärischen Nutzens der Flugzeuge so rasend von statten ging.

Aber der Krieg ist auch der Vater von viel Bizarrem. Wie z.B. der Fledermausbomben.

Der Held der heutigen Story ist ein amerikanischer Kieferchirurg mit dem Namen Lytle S. Adams. Ein findiger Mann, ein Tüftler und Bastler. In den Zwanzigern hatte er ein Post-System entwickelt, dass es Flugzeugen möglich machte, Post einzusammeln und abzuliefern, ohne dabei landen zu müssen. Hatte sich leider nicht durchgesetzt…

Dieser Mr. Adams weilte im Dezember des Jahres 1941 in seinem Urlaub in New Mexico. Am 7. Dezember besuchte er dort die berühmten Carlsbad Caverns. Riesige Höhlen, in denen Millionen von Fledermäusen leben. Wenn sie bei Sonnenuntergang alle ausschwärmen, verdunkelt sich der Himmel, so dicht ist die Wolke. Und innerhalb von fünf Minuten sind die Höhlen mäuseleer. Ein beeindruckendes Naturschauspiel.

Wieder in der Ferienwohnung angekommen, hört Mr. Adams im Radio vom Angriff der Japaner auf Pearl Harbour. Nicht nur für ihn, sondern für die allermeisten Amerikaner ein Riesen-Schock. Die Pazifikflotte war beinahe komplett vernichtet. Was sollte man der japanischen Flotte noch entgegensetzen? Das war der Grund für den Kriegseintritt der USA.

Als findiger Mensch setzten sich die beiden Bilder im Kopf von Herrn Adams schnell zusammen. Wäre es nicht famos, wenn man am Feind Rache nehmen würde, indem man ihn mit Fledermäusen bombardiert? Nicht „normalen“ Fledermäusen, sondern mit Fledermäusen mit kleinen Sprengstoffsätzen im Gepäck. Nagerbomben. Kamikaze-Mäuse.

Wie es der Zufall so will, kannte Mr. Admas die Gattin des amtierenden Präsidenten: Eleonara Roosevelt. Die hatte er schon einmal in den Zwanzigern geflogen, um sein Postverteil-System zu erklären.

Und so landete sein Konzeptpapier auf dem Schreibtisch von Franklin D. Roosevelt. Am 12. Januar 1942 – ein bisschen mehr als ein Monat später.

Das ging ungefähr so: Die japanischen Städte sind ja hauptsächlich aus Holz und Papier. Man könnte jetzt Fledermäuse abwerfen. Die sind in der Lage das Zwei- bis Dreifache ihres Körpergewichts zu fliegen. Und die würden dann in Dächern, unter Brücken, in Türmen, in Schuppen, Ställen und Wohnhäusern Schutz suchen. Und binnen kurzer Zeit in einem Radius von vielen Kilometern Abertausende von Bränden auslösen. Das würde Angst und Schrecken verbreiten und den Gegner auf Dauer zermürben.

„Der Mann ist kein Irrer. Das sollte man überprüfen“ schreibt der Präsident auf das Papier und reicht es weiter. An das National Research Defense Committee, dass den Plan auf Herz und Nieren prüfen sollte. Es landet auf dem Schreibtisch von Donald Griffin. Der auch kein Unbekannter ist, der hatte das Echolot entwickelt.

Der meinte: „Das Konzept wirkt bizarr und visionär. Aber meine Überzeugung ist, wenn das kompetent umgesetzt wird, hat es jede Chance auf Verwirklichung.“

Und als Mr. Adams vor hochrangigen Vertretern vorführte, wie Fledermäuse eine Last trugen, die schwerer und größer war als sie selber, bekam er von der US Air Force den Auftrag die Fledermausbomben zu entwickeln.

Fledermäuse waren eben praktisch. Nicht nur wegen der großen Nutzlast, sondern auch, weil es Abermillinonen gab, die man einfach mit Keschern aus den Höhlen angeln konnte. Und richtig gut gekühlt fielen sie in den Winterschlaf und waren prima zu lagern und zu transportieren.

Es war Ende März und hektisch wurde an der Umsetzung des Plans gearbeitet. Für die Entwicklung der Minibombe verpflichtete man Louis F. Fieser, dem die Welt das Napalm verdankt. Schöne Grüße aus Vietnam übrigens, Herr Fieser – nomen est omen.

Der bastelte eine kleine Bombe von 28 Gramm Gewicht, die aber in der Lage war, vier Minuten eine 25 cm lange Feuersäule zu produzieren. Und auch den Zündmechanismus tüftelte er aus. Diese Mini-Brandbomben wurden dann mit einer Schlinge chirurgisch an der Brusthaut der schlafenden Fledermäuse befestigt. So weit sah alles gut aus, aber es waren noch ein paar Probleme zu lösen.

Der erste Rückschlag war, als bei der Entwicklung Dutzende von Fledermäusen zu früh wach wurden und durch ein geöffnetes Fenster flohen. Und die Gebäude der Versuchsanlage in Flammen aufgehen ließen. Und das Auto eines besuchenden Air-Force-Generals. Peinlich irgendwie, aber irgendwie auch ein proof of concept.

Bald hatte man 5000 Fledermäuse zu Bomben umgebaut und ein erster Test erfolgte. Man verlud die Fledermäuse – eisgekühlt – in großen Pappkartons auf einen B52-Bomber, flog auf 1500 Meter Höhe und schüttete die Nager aus den Bombenschächten.

Es war natürlich enttäuschend, als dann die possierlichen Tierchen alle tot aufschlugen. Man hatte unterschätzt, das die armen Minisoldaten doch einige Zeit mehr brauchten, um nach ihrem künstlichen Winterschlaf wieder fit zu werden.

Also entwickelte man für die kleinen Bomber eine große Bombe, um sie in den großen Bomber zu laden. Darin waren 23 Plattformen voller kleiner Nester, in die man die gekühlten Fledermäuse legte. Über tausend Exemplare hatten in diesem Behälter Platz.

In der richtigen Höhe klappten die beiden Außenteile weg, die Plattformen entfalteten sich wie ein Akkordeon und ein Fallschirm verlangsamte den Fall. So hatten die kleinen Biester Zeit zum Gähnen und sich rekeln. Bevor sie dann auf ihre explosive Mission aufbrechen konnten.

Man hatte in der Nähe von Carlsbad – wo praktisch der Nager-Nachschub wohnte – eine kleine japanische Stadt nachgebaut. Und beim nächsten Test ging der Plan scheinbar auf. In Relation zum Gewicht der Bomben erzeugte eine normale Bombardierung dieser Größenordnung 167 bis 400 Brandherde. Die Fledermäuse würden zwischen 3600 und 4700 Brandherde produzieren. Auf einer größeren Fläche. Und an empfindlicheren Punkten.

Doch das Projekt – getauft Project X-Ray – wurde eingestellt. Denn bis jetzt hatte man schon 2 Millionen Dollar investiert und der frühest mögliche Einsatz wäre Ende 1945 möglich. Da nahm man das Geld lieber und steckte es in die Atombombe.

Mr. Adams hat das immer bedauert. Er ist sich sicher, dass seine Fledermausbomben mehr Angst und Schrecken produziert hätten und bei weitem nicht so viele Menschenleben gekostet hätten wie die beiden Atombomben zusammen.

Aber dieser Rückschlag hielt ihn nicht vom Weiter-Erfinden ab. Als nächstes wollte er die Prärie begrünen, in dem er Bomben mit Samenpaketen darüber abwarf. Eine pazifistische Weiterentwicklung, wenn man will. Und abschließend entwickelte er noch einen Automaten, der auf Knopfdruck Chicken McNuggets frisch frittieren konnte.

Schlecht für die Hühner, gut für die Fledermäuse.


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 February 10, 2016  12m