Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0375: Groundhog Day


Gerade habe ich über den zu Unrecht vergöttlichten Bill Murray gelästert, da stelle ich hier – in der zweiten Ausgabe von Explikator’s Digest – einen Film mit ihm vor. Nämlich „Groundhog Day“, oder „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Einen Comedy-Klassiker von 1993. Manchmal verstehe ich mich selber nicht…

Download der Episode hier.
Opener: „Groundhog Day Trailer HD“ von Film Trailers In HD And HQ
Musik: „Groundhog“ von RoseBud Blue / CC BY 3.0

+Skript zur Sendung
Heute aus der Serie „Explikators Digest“ also eine Sendung zu „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Ein Comedy-Klassiker aus dem Jahre 1993. Hauptrolle: Der zu Unrecht vergöttlichte Bill Murray – siehe Sendung 339. Regie: Harold Ramis.

Ich denke ‘mal, es ist kein Spoiler, wenn ich hier verrate, dass es um einen zynischen Reporter geht, der aus irgendeinem Grund gezwungen wird, den gleichen Tag immer wieder noch einmal zu erleben. Ohne dabei aber sein Gedächtnis zu verlieren. Um 6:00 h klingelt der Wecker, unbarmherzig. Und es ist wieder der 2. Februar. Und wieder. Und wieder…

Anfangs nutzt der arme Phil, so der Name unseres Helden, das gesammelte Wissen, um so richtig die Sau raus zu lassen. Aber das wird halt auch irgendwann ‘mal langweilig. Dann versucht er auf allen möglichen Wegen, den kleinen Ort zu verlassen, aber das klappt nie. Die nächste Exit-Strategie heißt Selbstmord. Immer wieder. Aber natürlich hilft auch das nichts.

Erst als er sich zu einem Menschenfreund wandelt und allen Menschen, denen er begegnet den maximal schönsten Tag ermöglicht, ändert sich alles. Er ist auf einmal empathisch und freundlich und kein egoistisches Arschloch mehr. Darum erhört ihn auch seine Aufnahmeleiterin Rita, gespielt von der großartigen Andie McDowell. Und am nächsten Morgen…

O.k., das reicht an Spoilern. Der Film war ein großer Erfolg für Ramis und ist wahrscheinlich immer noch der wichtigste in der Karriere vom zu Unrecht vergöttlichten Bill Murray. Besonders das Zynische und Genervte scheint ihm ganz gut zu liegen, das kriegt er ganz gut hin.

Vielleicht, weil gerade während des Drehs seine Ehe zerbröselte. Könnte mit zuviel Alkohol, Kokain und dauernden Seitensprüngen zu tun haben, aber das ist ja nur meine Theorie. Oder aber vielleicht, weil er die ganzen Dreharbeiten durchgenörgelt hat. Und alle genervt hat.

Er beantwortete Anrufe nicht, die Produktionsassistenten konnten ihn nirgends finden und er weigerte sich, mit dem Regisseur zu sprechen. Also zwang man ihn, sich eine persönliche Assistentin zuzulegen, damit man mit ihm überhaupt kommunizieren konnte. Der zu Unrecht vergöttlichte Bill Murray engagierte also eine Assistentin. Eine Taubstumme, die nicht reden konnte und nur Gestensprache beherrschte. Was keiner am Set konnte…

Das passt zu seiner Rolle. Zu Phil, dem bitterbösen Wetterfrosch. Und wegen diesem „bitterböse“ hat auch der Schauspieler, der die erste Wahl von Ramis war, die Rolle abgelehnt. Nämlich Tom Hanks. Die nächste Wahl war dann Michael Keaton, der ja mit Beetlejuice gezeigt hatte, dass er sowohl böse als auch drollig sein konnte. Aber auch der sagte ab. Chevy Chase, Steve Martin – nee, die sind irgendwie zu lieb. So bekam also der zu Unrecht vergöttlichte Bill Murray die Rolle. Gott sei Dank.

Groundhog Day gibt es übrigens wirklich. Wenn der Präriehund am 2. Februar aus seinem Loch kommt und einen Schatten wirft, dann wird es ein sonniger Sommer. Oder so. Klingt bizarr, ist aber ein alter Brauch. Den es auch in Deutschland gab. Wir haben immer noch Bauernregeln, die sich darauf beziehen: „Sonnt sich der Dachs in der Lichtmess-Woche, geht auf vier Wochen er wieder zu Loche“ Das bedeutet das Gegenteil, ok – aber ihr kennt ja Bauernregeln. Da gibt’s für jeden Tag drei oder vier, die sich alle widersprechen.

Auch den Ort mit dem unausprechlichen Namen Punxsutawney gibt es in echt. In Pennsylvania. Und der ist mittlerweile durch den Filmruhm eine touristische Attraktion. Besonders am 2. Februar natürlich. Was lustig ist: Obwohl der Streifen dort handelt, wurde er aber dort gar nicht gedreht, sondern in Woodstock statt. Nee, nicht dem Woodstock, sondern in dem bei Chicago in Illinois.

Aber auch Woodstock bekommt seine Touristen. Auch hier treffen sich Jahr für Jahr Hunderte von Fans an den Original-Schauplätzen des Films. Jemand spielt das Rachmaninoff-Stück, das auch Phil im Film lernt, die Blaskapelle spielt und natürlich schaut man genau, was denn die Präriehunde so machen. Für viele ist dieser Film ein richtiger Kult.

Er war ja ein Erfolg. Kein Riesenerfolg, so etwas wie die Nummer 13 an der Kinokasse im Jahre 1993, aber doch wertgeschätzt und geliebt. Und von den Kritikern hochgelobt.

Im Amerikanischen ist er zu einer festen Redewendung geworden. „I’ve got a groundhog day“ ist ein Ausdruck dafür, dass man sich langweilt. Weil sich alles im Leben wiederholt. Gerne verwendet in den Cubicles amerikanischer Großraumbüros. Und besonders gerne verwendet beim Militär.

Und auch im Deutschen kann man Menschen „Und täglich grüßt das Murmeltier“ flüstern hören, wenn der Chef die gleiche Motivationsrede zum umzigsten Mal hält. Oder bei ähnlichen Anlässen.

Es gibt sogar ein ziemlich erfolgreiches Buch mit Namen „The Magic of Groundhog Day“, dass die charakterlichen Verwandlung unseres Helden zur allgemeinen Lebensberatung verwurstet. Und eine Band, die sich „Dismemberment Plan“ nennt. In Bezug auf eine der Versicherungen, die der arme Ned verkaufen will. Ned, kennt ihr? Das ist der Versicherungsagent, der den Zorn von Phil besonders handgreiflich zu spüren bekommt…

Im Kern lebt der Film von dieser einen, wirklich einigermaßen originellen Idee: Was, wenn ein Deja Vu tatsächlich darauf basiert, dass man genau diese Situation schon einmal erlebt hat. Und was, wenn man sich daran erinnern könnte. Und der arme Phil muss diesen einen Tag wirklich oft erleben. Wie Simon Gallagher von WhatCulture ausgerechnet hat, nämlich 12395 Mal.

Im Skript hieß es immer 10 Jahre. Aber Harold Ramis hat sich die Recherche genau angeschaut und dem freien Autor aus England recht gegeben. Diese beinahe 34 Jahre passen besser zu der Geschichte.

Besonders interessant am Murmeltier-Phänomen ist es, dass sich jede Religion damit identifiziert. Für die Buddhisten ist das eine Verfilmung des Samsara. Und Phil, der Wetterfrosch, ein Bhodisattva, der erst Erlösung findet, wenn alle Menschen auch erlöst sind.

Für den New Yorker Rabbi Dr. Niles Goldstein ist er eine Verfilmung der jüdischen Lehre. Und bedeutet, dass die Arbeit für einen Gläubigen nicht endet, bis die ganze Welt perfektioniert ist.

Die chinesische Sekte Falun Dafa verwendet den Film, um zu illustrieren, dass die menschliche Seel nur zu höheren Ebenen gelangt, wenn sie alle Fehler der Vergangenheit ausgeräumt hat.

Und für den Filmkritiker Michael Bronski ist der Bezug ein christlicher. Er schreibt: „Ganz klar, der Präriehund ist der wiedergeborene Christus, die Hoffnung auf die Erneuerung des Lebens im Frühling. Während heidnisch-christlicher Feiertage. Und wenn ich sage, der Präriehund ist Jesus, dann sage ich das mit außerordentlichem Respekt.“

Drehbuchschreiber Danny Rubin aber hatte damit nichts am Hut. Er ist der Meinung, dass sein Werk sich ausgezeichnet für Atheisten eignet. Seine Motivation war anders. „Jeder kennt ja Arschlöcher, die im ganzen Leben nicht erwachsen werden. Da dachte ich mir: Vielleicht brauchen die einfach mehr Zeit. Das war die Idee.“

Ich mag den Film besonders, weil… naja… ich meine… OK! Weil der zu Unrecht vergöttlichte Bill Murray hier richtig gut ist. Issja o.k. Lasst mich doch in Ruhe…

Und – zweiter Grund – weil das Szenario ja durchaus die Möglichkeit bietet, sehr, sehr dunkel und böse zu werden. Ich meine: Warum sollte Phil nicht jedes denkbare Verbrechen ausüben? Wenn es am nächsten Morgen ohne Konsequenzen ist? Rauben, plündern, morden. Jede Frau in Dingsbums, Puxadoreyblubb, ihr wißt schon, vergewaltigen? So würde das wahrscheinlich heute verfilmt. Mit Vin Diesel in der Hauptrolle.

Aber „Und täglich grüßt das Murmeltier“ ist da positiver. Eigentlich noch eine typische 80er-Komödie. Und deswegen immer wieder ansehbar.

Explikator’s Digest Number Two.


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 February 4, 2016  13m