Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

https://morgenradio.de

subscribe
share






Expl0373: Online Dating


Einst lernte man die Ziele seiner romantischen Gefühle offline kennen. Im Job, im Verein oder durch Freunde. Obwohl das anscheinend zur Fortpflanzung reicht, ist das jetzt doch viel bequemer, oder? Finde ich auf jeden Fall. Aber das Online Dating macht auch etwas mit uns. Verändert die Art, wie wir Beziehungen führen…

Download der Episode hier.
Beitragsbild: „Online Romance“ von Don Hankins / CC BY 3.0
Musik: „First Date“ von Leslie Hunt / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Bevor ich es selber benutzt habe, hatte ich die typischen Vorurteile. Über das Online Dating. Oder vielleicht um Beziehungs-Shopping, so sollte man das vielleicht eher nennen.

Kleines Vorwort: Online Dating ist nichts Schlechtes, Böses oder moralisch Verwerfliches. Ich verurteile das überhaupt nicht, wie gesagt, ich habe es selber verwendet. Und bin mit dem Ergebnis sehr glücklich. Und wenn das Internet Menschen zusammenbringt, dann ist das erst einmal eine gute Sache. Und das tut es ja, die Statistik ist da eindeutig. Immer mehr Paare lernen sich online kennen. Die Portale haben weltweit Zuwachsraten von über 70% jedes Jahr.

Aber, nach den gemachten Erfahrungen frage ich mich: Was macht Online Dating wohl aus uns und unserem Liebesleben? Wie verändert sich Sex, Liebe, Romantik und die Partnerwahl durch diese Technologie?

Behauptung eins: Online Dating lehrt uns lügen.

Schritt eins: Wir basteln uns eine Profilseite. Und dann sucht man ewig nach sympathischen Fotos. Oder zumindest nach Fotos, die nicht zu abschreckend sind. Dann werden wichtige Daten erfasst. Körpergröße, Augenfarbe, Beruf, Alter, Einkommen, Vorlieben, Lieblingsbücher, Lieblingsfilme, Hobbies usw. usw. Und aufgrund dieses Datenbergs namens Profil werden dann Paare verkuppelt.

Ist das oberflächlich? Ja, das ist ganz klar oberflächlich! Vor allem, weil alle lügen. Alle sind super sportlich, haben ein gutes Einkommen, sind über die letzte Beziehung weg, suchen eine neue feste Bindung, haben Humor – das ist immer die größte Lüge! – und sind positiv und optimistisch eingestellt.

„Isch bin der Hans-Dieter und 46 Jahre alt. Und isch bin ein bisschen unsischer, wenn ich die Wohnung verlassen muss. Das liecht, glaub ich, an meiner Flatulenz. Also, weil isch immer pupsen muss, weiss auch nisch, wieso. Aber meine Hobbies helfen mir, und diesen Herbst erst bin ich sogar Puzzle-König von meinem Ort geworden. Das hat meine Mama ganz doll gefunden.“
Danke, Hans-Dieter, aber so funktioniert das nicht! Ehrlichkeit? Dat jeht gar nicht!

Nach ein paar Kontakten glaubt man einfach keinem Profil mehr, aber man hat halt nur diese zur Orientierung. Eine Beziehung beginnt also damit, dass man sich erst einmal ein paar Schummeleien gesteheh und vergeben muss. Wildromantisch!

Behauptung zwei : Zuviel Online Dating macht zynisch.

Früher war es sehr schwierig, jemanden zu finden. Das ging meist über den Beruf oder Vereine oder Bekannte. Hatte man jemanden ins Auge gefasst oder ist ins Auge gefasst worden, dann war das ein seltenes Erlebnis. Selbst bei den promiskuitivsten Althippies.

Jetzt hat man die Auswahl an Tausenden von Profilen. Und alleine durch die schiere Masse findet jeder auch Kontakte. Niemand, mit dem ich über Online Dating gesprochen habe, hat nie jemanden kontaktiert oder gedatet. (Was eigentlich logisch ist, sonst hätten sie ja auch nicht mich gedatet, kleiner Denkfehler…)

Aber das hat zwei Konsequenzen: So ein Date standardisiert sich nach einigen Malen. Innerlich entwickelt man eine Checkliste, die man abarbeitet. Zeit ist ja bekanntlich Geld und jeder, den man trifft ist vor allem eins: Austauschbar. Gibt ja noch ein paar Dutzend Personen, bei denen es auch klappen könnte.

Das nimmt einem Date deutlich die Spannung. Man muss sich auch gar nicht mehr besondere Mühe machen, eine Tasse Kaffee im Stehen in einer Arbeitspause tut’s genauso. Das ist nicht so toll für die Romantik. Im Gegenteil.

Und die zweite Konsequenz ist noch grausamer: Menschen, die auch nach längerem Suchen niemanden finden und immer wieder eine Abfuhr erhalten, leiden beim Online Dating noch mehr darunter als im Real Life. Denn wer bei all’ diesen Optionen keinen Erfolg hat, mit dem muss irgend etwas nicht stimmen, oder?

Behauptung Drei: Online Dating gamifiziert unser Empfinden.

Da hat man sich also rausgetraut und sich ins beste Licht gestellt und wartet. Meist dauert es nicht lange und jemand rührt sich. Liket z.B. das Profil. Die Inbox klingelt – ein kleiner Hormonstoss durchflutet einen. Dann gibt es vielleicht den ersten Chat – mittlerweile hat die Inbox schon ein paar Mal geklingelt – noch mehr Hormone für das Hirn.

Und die Kontakte haben ja dann noch ihre Scores. Denn die betreffenden Websites können ja gar nicht anders, als ihre Prognosen für eine neue Beziehung abzugeben.

Das erinnert mich alles an ein Computerspiel. Und es belohnt und bestraft mit einer ähnlichen Mechanik wie ein Computerspiel. Und so wird das auf Dauer dann auch verarbeitet. Wer zu lange sein Glück auf Online-Dating-Portalen verbringt, der wird auf Dauer von diesen Hirnbelohnungen abhängig. Denn es geht ja immer noch ein bisschen besser.
Man kann den Score immer noch höhertreiben, oder?

Behauptung Vier: Online Dating führt eher zu Sex als zu Beziehungen

Wer hätte das gedacht? Auf Online Portalen suchen viele gar nicht nach einer Beziehung, sondern nach Sex. Das unterscheidet sich nach Altersstufen etwas und es sind immer noch mehr Männer, die das zugeben oder so betreiben, aber das nivelliert sich. Soviel zu Statistik: Wenn man eine attraktive Frau im Alter von 21 Jahren ist, dann sind die Chancen eine Beziehung über Tinder zu beginnen, eher schlecht bis beschissen.

Wir entkoppeln also mit dem Online Dating Beziehungen und Sex. Das ist ja an und für sich in Ordnung, können wir als Gesellschaft ja so machen. Warum nicht? Sex muss ja nicht zwangsläufig zur Ehe führen. Das Problem ist nur, dass wir das meist nicht offen kommunizieren. (Außer vielleicht in den Portalen, die auch wirklich nur für diesen Zweck eingerichtet sind.)

Und: Das Internet ist voller Blogs, wo Deppen und Deppinnen die Profilfotos ihrer Opfer einstellen. Statt Kerben im Bettpfosten, sozusagen.

Behauptung fünf: Wieder entscheidet die Kohle

Online Dating kostet Geld. Und zwar nicht wenig. Viele der Features solcher Seiten, die man braucht, sind nicht kostenlos zu haben. Willst Du Fotos sehen? Willst Du auf eMails antworten? Chatten? Kostet alles extra Kohle. Und das besonders Ärgerliche: Die teureren Portale sind auch die besseren. Aber damit steckt man schon wieder in einer sozialen Auslese drinnen. Denn da kann man schon leicht ‘mal € 60,- im Monat investieren. Und wenn der Traummann oder die Traumfrau sich das nicht leisten kann, meinetwegen wegen des Studiums oder einer Pleite, dann wird man ihn auch nicht so finden.

Schlussbehauptung: Online Dating verändert unsere Beziehungen ganz sicher. Wir werden dadurch alle oberflächlicher. Und vorsichtiger. Wir sind alle viel austauschbarer und somit auch leichter wieder abzustoßen. Es erleichtert es ungemein, jemanden kennenzulernen. Aber es macht es auch viel schwieriger jemanden kennenzulernen.

Man trifft sich zwar leichter, hört sich schneller und datet auch schneller. Und öfter. Aber man muss nicht mehr wirklich emotional investieren. Denn die Nächste oder der Nächste warten ja. Erst einmal das Profil besser nicht löschen. Wer weiß, gleich klingelt die Inbox vielleicht wieder. Und dieses Mal, das ist’s dann die Richtige oder der Richtige. Und der oder die will dann nicht nur Puzzle spielen. Wie Hans-Dieter.

Aber auch das ist kein moralisches Urteil, das sollten wir uns einfach nur bewusst machen. Und auch die Tatsache, dass all’ diese Algorithmen, die da verkuppeln, völliger Schmarrn sind.

Mich macht da ein Gedanke plötzlich unruhig: Wenn in Zukunft alle Beziehungen von Algorithmen in irgendwelchen Portalen abhängen… Züchtet das Internet dann nicht schon Menschen? Ist das die Machtübernahme der Maschinen? Ist das Skynet? Statt natürlicher Selektion eine mathematische?

Keine Angst, ich mache nur Witze! Oder? Hmm. Wenn ich so drübernachdenke…

Opener: Ich bin’s. Der Hans-Dieter. Isch bin Single. Und isch such’ nun, hier im Internet die Liebe von meinem Leben. Emails an Hans-Dieter@Explikator.de. Bitte.

Closer: Hier isch noch ‘mal der Hans-Dieter. Von vorhin. Der mit dem Puzzle, genau. Isch hab’ vergessen, dass isch stinkereich bin. Übrigens. Und ziemlisch genau ausschau, wie dieser Ryan Gosling. Wollt isch nur noch sachen. Das isch wichtig. (ins Off) War das gut so, Mama?


fyyd: Podcast Search Engine
share








 February 2, 2016  13m