Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0369: Bibliothek von Alexandria


Als Kind hab’ ich jeden Sandalenfilm verschlungen. Besonders toll fand’ ich „Kleopatra“ von 1963. Mit Elizabeth Taylor und Richard Burton. Und Rex Harrison als Cäsar, der – einfach so – die Bibliothek von Alexandria abbrennt. Und das hab’ ich auch immer so geglaubt. Aber, wie immer, wenn man genauer hinschaut: Es war wohl doch alles ganz anders…

Download der Episode hier.
Opener: „Carl Sagan introduces the library of Alexandria“ von ulver22
Closer: „When People Tell You They Don’t Read“ von ThePerksOfBooks
Musik: „Library Blues“ von LEVI / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Es heißt, man erkenne einen Historiker daran, dass er auch heute noch richtig traurig wird, wenn die Bibliothek von Alexandria erwähnt wird. Manche sagen auch, wenn diese Forschungsstätte niemals abgebrannt wäre, dann wären wir schon auf dem Mars. Wieder ganz andere, so wie ich, sagen: Was wissen wir eigentlich wirklich über die Bibliothek von Alexandria?

Die allgemein bekannte Version geht so: Da in Ägypten war die größte, schönste und beste Bibliothek der Welt. Und dann kam Cäsar und hat sie abgebrannt. Weil die Römer halt Banausen waren. Und wegen dieses Verlusts an Wissen gab’s dann das Dunkle Mittelalter. Na ja…

Diese Version ist natürlich auch nicht gaaaanz falsch. Aber fast. Richtig ist sie nicht. Tatsächlich haben wir hier ein schönes Beispiel davon, wie schwierig es ist, Geschichte zu rekonstruieren, selbst wenn man zahlreiche schriftliche Quellen hat.

Die Geschichtsschreiber der Antike hatten nämlich keinen naturwissenschaftlichen Ansatz, sondern eher einen erzählerischen. Klar achtete man darauf, nicht unbedingt den größten Blödsinn zu verzapfen. Aber wenn z.B. eine beschriebene Region weit weg war, dann konnten da doch durchaus Zyklopen leben. Oder riesige goldene Ameisen. Oder Griffins, Wesen, die halb Löwen und halb Adler waren. Meinte zumindest der sogenannte „Vater der Geschichtsschreibung“, nämlich Herodot.

Aber fangen wir von vorne an. Bei einem blonden jungen Mann aus Makedonien mit dem Namen Alexander. Der brachte zwei wesentliche neue Strategien mit auf seiner großen Sauftour durch Asien. Das eine war ein flexibler Umgang mit der Kavallerie und das andere die Phalanx. Etwas, gegen das in ganz Asien, von Persien über Arabien bis nach Pakistan kein Kraut gewachsen war. Und deswegen hat er viele Städte gegründet. 18 davon hießen Alexandria. Bescheiden inspiriert von seinem eigenen Vornamen. Und eine davon liegt in Ägypten.

Als er sich zu Tode gesoffen hatte, zerfiel sein Reich in viele kleinere. Eines davon entstand in Ägypten und wird nach einem General Alexanders mit Namen Ptolemäus ptolemäisch genannt. Das hielt gut 300 Jahre und starb erst mit der bekannten Kleopatra aus.

Und dieser Ptolemäus, der Einfachheit halber der Erste genannt, gründete die Bibliothek von Alexandria. Sagen die einen. Die anderen sagen es war sein Sohn. Ptolemäus mit der Ordnungszahl Zwei. Wurst: Auf jeden Fall fiel die Gründung und die Blüte in die Zeit der Ptolemäer.

Wenn wir uns diese Bibliothek jetzt vorstellen wie eine große Stadtbücherei, in der man Flüstern muss und Strafe zahlen, wenn man seine Papyri nicht rechtzeitig abgibt, dann… lägen wir daneben. Darum machen wir das nicht. Die Bibliothek war eher so etwas wie es Universitäten in den angelsächsischen Ländern sind. Eine Art Campus. Klar gab es einen Raum mit Schriftrollen, aber auch eine Peripatos zum Flanieren und Philosophieren, Räume zum Speisen, sich Treffen, Vortragen, Gärten und Vorlesungshallen. Ein Gebäude, um Schriften zu erwerben und ein anderes zum Katalogisieren. Also, wahrscheinlich. Aber dafür gibt es immerhin einige Quellen.

Wiederum wahrscheinlich war die Bibliothek in ein Musaeum eingebunden, d.h. oben drauf gab’s dann noch zahlreiche Räume und Labors zur wissenschaftlichen Forschung. Astronomie, Astrologie und exotische Tiere waren wohl Spezialgebiete. Alles, was Rang und Namen hatte, hat ihr einmal geforscht, gewohnt, recherchiert und gearbeitet. So z.B. s Euclid, Archimedes, Eratosthenes, Hipparchus, Aristarchus bis hin zu Hypatia.

Im Kulturraum des Mittelmeers war dies auf jeden Fall lange die wichtigste Bibliothek. Nicht nur wegen der schieren Menge an Schriften, sondern auch wegen der ordentlichen Katalogisierung und den Copyshops rundrum. Denn in Alexandria hatte man einen Rohstoff in Hülle und Fülle, den es in Griechenland z.B. nicht gab. Und das ist Papyrus. Das Papier der Antike. Wie man gut hören kann.

Der Bedarf an Papyrus, den die Bibliothek verbrauchte, war so hoch, dass man sogar hier, mitten im Hauptanbaugebiet für diese Pflanze, bald neue Methoden entwickeln musste. Und so wurde, für die Bibliotheken, das Pergament als zusätzliche Quelle entwickelt. Allerdings noch nicht in Buchform.

Wie groß ist also groß? Da wird’s dann leider schon nebulös. In antiken Quellen kommt öfter die halbe Million als Zahl vor. Moderne Historiker gehen von maximal 400.000 Schriftrollen aus und von minimal 40.000. Aber auch 40.000 Schriftrollen brauchen viel Platz, denn die kann man ja nur begrenzt stapeln. Und bestimmte „Bücher“ – man beachte die Anführungszeichen – erstreckten sich ja auch über mehrere Rollen. Mark Anton hat Cleopatra angeblich 200.000 Schriftrollen geschenkt. Die hatte er von der großen Konkurrentin, der Bibliothek von Pergamon.
Ach, Pergamon ist der Namensgeber für das Pergament von gerade eben. BTW.

Wir wissen also gar nicht, wie groß oder wie wichtig genau die Bibliothek vor ihrer Vernichtung war. Und damit sind wir bei der Vernichtung.
Und jetzt wird’s noch ein bisschen nebulöser als bei der Anzahl an Rollen.

Wahrscheinlich spielt Cäsar da eine Rolle. Der hatte ja gegen seine ehemaligen Mitgesellschafter der SPQR GmbH einen Bürgerkrieg entfacht. Und als in Pompejus im Hafen von Alexandria belagerte, zündete er seine eigenen Schiffe an und ließ sie in die gegnerische Flotte treiben. Dabei geriet auch die Bibliothek in Brand. Sagt zumindest Plutarch. Und bei dem haben sich das dann die Historiker Ammianus und Orosius abgekuckt. Lucan und Florus, nochma andere Historiker, sagen, dass stimmt gar nicht, so ein Quatsch!

Und wahrscheinlich stimmt’s auch nicht, denn die Bibliothek gab’s nachher noch. Sagt zumindest der griechische Historiker Strabo, der dort danach noch forschte. Und sie war noch da, als Kaiser Aurelian um 270 nach Christus da Aufständische bekämpfte und dabei die Bibliothek auch wieder zerstört haben soll. Tatsächlich hatte man wohl wichtige Schriften ins Serapeum ausgelagert. Einem Tempel. Oder auch nicht, wenn man wieder Ammianus glauben will.

391 nach Christus auf jeden Fall wurde es im Römischen Reich offiziell verboten, heidnische Götter anzubeten und alle Tempel wurden in Alexandria dem Erdboden gleich gemacht. Und damit auch das Serapeum. Sagt der Historiker Sokrates von Konstantinopel.

Laut einigen arabischen Quellen gab es die Bibliothek aber auch anno 642 noch, als Amr ibn al Aas Alexandria eroberte. Laut dem Historiker Bar-Hebraeus verbrannte er alle Schriften und äußerte dabei das geistvolle Bonmot: „Wenn die Schriften den Koran bestätigen, dann brauchen wir sie nicht. Wenn sie ihm widersprechen, dann müssen wir sie erst recht vernichten.“
Oder etwas in der Art, das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Legende.

Wenn man jetzt all’ den Nebel anschaut und sich ein Bild machen will, dann wird es wohl die eine große Vernichtung der Bibliothek sooo nicht gegeben haben. Sondern eine Reihe von Katastrophen und einen langsamen Niedergang. Aber ich erwähnte vorher ja schon die zahlreichen Copyshops. Die wichtigen Schriftrollen und Inhalte waren schon längst in anderen Bibliotheken vorhanden.

Sowohl in Konstantinopel als auch in Persien und in Bagdad existierten umfangreiche Schriftensammlungen, die zusammen den Umfang von selbst 400.000 Schriftrollen leicht überboten. Wir können also durchaus davon ausgehen, dass uns nicht viel verloren ging bei der Vernichtung der Bibliothek, die es so nicht gab. Logisch, oder?

Wahrscheinlich also nur eine schöne Legende. Aber genau wissen wir das nicht.

Denn, was garantiert verloren gegangen ist, dass ist die Liste mit all’ den vorhandenen Titeln. Der berühmte Pinakes des Callimachus. Der erste Bibliotheks-Katalog überhaupt. Und wahrscheinlich die Schriftrolle, die für uns heute am allerallerwichtigsten gewesen wäre.


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 January 27, 2016  14m