Neil Gaiman, ein durchaus erfolgreicher Schriftsteller, hat bei einer Rede einmal berichtet, wie er oft die Angst hat, dass eines Tages ein Mann mit einem Klemmbrett auftaucht und ihm eröffnet, dass er jetzt entlarvt sei. Aufgeflogen als der Hochstapler, der er eben ist. Das nennt man das Hochstapler-Syndrom und es betrifft viele Menschen.
Download der Episode hier.
Opener: „Holli Mosley – I’m not who you think I am“ von Rodney Hall
Closer: „They Might Be Giants – Kiss Me, Son Of God“ von iamalonelyimmortal
Beitragsbild: „Do not pay Impostor“ von Tom Woodward / CC BY-SA 3.0
Musik: „I Am Not Alone“ von Funky Stereo / CC BY-NC-ND 3.0
Und von dem, was Du in Deinem Job machst, hast Du eigentlich keinen Schimmer. Das hat so gar nichts mit Deiner Ausbildung zu tun, das müsstest Du doch selber gemerkt haben, oder?
Nein, Dein Erfolg steht Dir überhaupt nicht zu. Wir haben das gerade untersucht und in Deinem Fall ist es zu einer Häufung von glücklichen Zufällen gekommen. Also, glücklich für Dich, eher schlecht für uns als Gesellschaft.
Jetzt ist es raus! Du bist entlarvt! Du bist nur ein Hochstapler!“
Schon ‘mal solche Gedanken gehabt? So empfunden? Solche Ängste gefühlt?
Dann könnte es sein, dass auch Sie an einer furchtbaren psychischen Krankheit leiden, dem mittlerweile berühmten Hochstapler-Syndrom. Clip:dramatic
Aber keine Angst, es ist gar nicht so schlimm, wie ich hier tue. Denn irgendwie ist das Hochstapler-Syndrom gerade in Mode. Manche kennen es auch unter dem englischen Begriff „Impostor Syndrom.“
Es beschreibt das Gefühl, dass einem erreichter Erfolg nicht zustehe. Betroffene können, so die Formulierung, Erfolge nicht internalisieren. Zurück bleibt das Gefühl, dass das Erreichte nicht eine eigene Leistung ist, sondern nur durch Glück oder Beziehungen oder ähnliche äußere Faktoren zustande kam.
Und das kann im ernstesten aller Fälle direkt in eine ausgewachsene Depression münden. Klar, wenn man sich stets unsicher fühlt und inkompetent. Wenn man dauernd so tun muss, als hätte man etwas auf dem Kasten. Aber in Wirklichkeit glaubt man, im tiefsten Inneren, dass man das alles, was man machen muss, gar nicht wirklich kann.
Und das muss ja nicht einmal auf den Job beschränkt sein. Auf einmal Mama oder Papa zu sein, kann das auch sehr gut auslösen. Denn, wenn man erst einmal Nachwuchs hat, dann beginnt das große Schwimmen. Denn in Wirklichkeit weiß keiner, wie das so geht. Diese Erziehung. Nicht die schlauen Ratgeber, nicht die eigenen Eltern und schon gar nicht die anderen Mama und Papas, die in der Krabbelgruppe so einen selbstsicheren Eindruck machen.
Dabei ist das Hochstapler-Syndrom überhaupt kein Syndrom. Also in keinster Weise eine Diagnose oder eine anerkannte Krankheit. Aufgefallen ist dieses Gefühlsproblem den beiden Psychologinnen Pauline Rose Clance und Suzanne Imes 1978. Und sie bestehen in ihrem Paper auch auf dem Ausdruck „Impostor Phänomen“. Aus gutem Grund.
Denn irgendwie ist es gerade schon fast modern zu gestehen, dass man am Hochstapler-Syndrom leidet. Das ist ein um-die-Ecke-gedachtes Kokettieren. Denn, wenn man das Problem hat, eigene Erfolge nicht anzuerkennen, dann hat man ja wenigstens Erfolge. Das öffentliche Bekennen des Hochstapler-Syndroms kann so der Ausdruck des eigentlichen Gegenteils sein. Das gibt es auch, das nennt man den Dunning-Kruger-Effekt. Wenn der Betroffene zu doof ist, seine Beschränktheit zu erkennen.
Woher aber das Hochstapler-Syndrom rührt, darüber herrscht Unwissen. Da öfter Frauen betroffen sind als Männer, gibt es die Vermutung, dass es von den klassischen Rollenbildern herrührt. Als Frau habe man empathisch und mitfühlend zu sein. Und sein Licht bescheiden unter den Scheffel zu stellen. Und wenn man dann Erfolge hat, redet man sich die halt lieber klein.
Es gibt auch die umgekehrte Theorie. Wenn man den Kindern ständig einbläut, wie intelligent und schlau und toll sie sind, dann müssen sie halt die ganze Zeit auch so tun, als wären sie große Leuchten. Auch, wenn sie sich gar nicht so fühlen. Und der Banknachbar doch viel intelligenter ist. Obwohl er die schlechteren Noten schreibt.
Ich persönlich glaube an eine ganz andere, viel einfachere Theorie. Es liegt ganz einfach darin begründet, wie wir unsere Arbeitswelt organisiert haben. Das dauernde Gelaber, dass man alles mit der richtigen Einstellung schaffen kann – tschacka! – und der dauernde Vergleich mit anderen, das muss einen sensiblen Menschen doch verunsichern, oder?
Und habt ihr schon einmal Stellenanzeigen genau gelesen? Die Anforderungen, die da gestellt werden, die kann ja kein normaler Mensch erfüllen. Da muss man jung und dynamisch sein, aber gleichzeitig umfangreiche Erfahrungen haben. Ein Teamplayer sein, aber selbständig. Detailorientiert und visionär. Kritikfähig und selbsbewusst.
Es ist klar, dass man sich dann beim Vorstellungsgespräch durchbluffen muss. Das raten ja auch die vielen Ratgeber, die man für diesen Zweck konsultieren kann. Fake it, till you make it.
Das ist der Algorithmus des Erfolges bei uns, oder?
Und klar ist auch, dass kein Vorgesetzter der Welt in allen Bereichen die Kompetenzen seiner Mitarbeiter überbietet. Der Boss ist nicht der, der alles am besten weiß und kann. Aber er muss im Zweifelsfall halt so tun. Der arme Boss. Och…
Und dann kommt noch dazu, dass einen kein Studium so richtig wirklich auf die Arbeitswelt vorbereiten kann. Sobald man einen speziellen Job hat, gilt es, den erst einmal zu lernen. Und zu improvisieren und sich anzupassen. Das ist vielleicht überraschend und verwirrend, aber in allen Fällen normal. Aber klar kann man sich da denken: Wenn die anderen nur wüssten, wie ich hier am Rum-Lavieren bin, dann wäre ich geliefert!
Die Umstände sind also denkbar schlecht geeignet, kein Hochstapler-Syndrom zu entwickeln. Wenn man nur ein bisschen intelligent ist. Im Gegenteil: Vielleicht ist das Anerkennen der Tatsache, dass Glück und Zufall tatsächlich für die eigenen Erfolge mitverantwortlich sind, nur anständig und richtig. Vielleicht ist es die normale und richtige Reaktion, so etwas wie ein Hochstapler-Syndrom zu entwickeln. Weil das Bild, das wir uns alle so von einem erfolgreichen Menschen gezimmert haben, von niemanden zu erreichen ist.
Trotzdem kann da eben in schweren Fällen nur eine Therapie helfen. Man muss das durchaus ernst nehmen, wenn Betroffene einen hohen Leidensdruck haben. Aber auch in diesem Fall habe ich den Eindruck, dieser Leidensdruck kommt nicht aus einer verbogenen Psyche, sondern von außen, von der Gesellschaft. Von uns allen, die wir dieses Erfolgs-Spiel mitmachen.
Ich persönlich schütze mich vor dem Hochstapler-Syndrom ja, indem ich einfach Erfolge vermeide. Bei dem Plan, in den nächsten drei Jahren die Weltherrschaft zu erreichen, ist es aber auch einfach verdammt schwierig, Erfolge vorzuweisen. Das könnt ihr mir glauben!