Musikstück der Woche

Beethoven oder Fauré, Pergolesi oder Bach, gespielt von Orchestern, Ensembles und Chören aus der ganzen Welt: Klassik-Werke aus unserem Archiv zum Anhören und Downloaden.

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Tabea Zimmermann spielt Johannes Brahms: Sonate für Viola und Klavier f-Moll op. 120 Nr. 1


Die Meininger Hofkapelle war nicht nur für Johannes Brahms ein ungemein wichtiger Klangkörper, unter Dirigent Hans von Bülow entwickelte sich das Orchester rasch zu einem Spitzenklangkörper in Europa. Der Autodidakt Richard Mühlfeld (1856-1907) war im Orchester zunächst als zweiter Geiger angestellt. Bald avancierte er zum zweiten Klarinettisten und vertrat immer öfter auch seinen Kollegen am ersten Pult, dessen Platz er schließlich auch einnahm. Mühlfeld wurde zum „Kammervirtuosen“ ernannt und 1890 zum Musikdirektor. Es begann eine rege solistische Tätigkeit. In diese Zeit fällt auch die persönliche Bekanntschaft und Freundschaft mit Johannes Brahms, der dem Orchester seit Jahren treu verbunden war. Nach dem Klarinettentrio und -Quintett schrieb er seinem Freund 1894 in Ischl schließlich auch die beiden Klarinettensonaten auf den Leib. In gemeinsamen Konzerten begleitete er Mühlfeld fortan auch am Klavier. „Quasi dasselbe, mit anderen Worten“ Was Umberto Eco in seinem Buch über das Übersetzen und Übertragen so kurz und knapp auf den Punkt bringt, lässt sich auch über die beiden Klarinettensonaten sagen. Denn unser Musikstück der Woche mit Tabea Zimmermann ist die Version für Bratsche und Klavier, die Brahms selbst herausgegeben hat. Für die Frankfurter Aufführung des Jahres 1894 hatte er auch den Geiger Joseph Joachim eingeladen. Für den Fall, dass sein Klarinettist Mühlfeld verhindert sein sollte, hatte er vorsorglich auch eine Bratschenstimme vorbereitet und mitgebracht. Zwar kam sie bei dieser Gelegenheit nicht zum Einsatz – Mühlfeld spielte –, Brahms sandte sie aber später ebenso wie die Klarinettenstimme an seinen Verleger Fritz Simrock. Die Version für Bratsche existiert also spätestens seit den Monaten der ersten Aufführungen. „Die Musik, welche uns der Meister in seinen beiden Sonaten bescheert [!] hat, verzichtet, wohl absichtlich, auf das Gefallen der grossen Menge; um so herzlicher wird sie aber von allen Denen gewürdigt werden, welche ihre vielen inneren Schönheiten und Herrlichkeiten verstehen; ihnen bietet sie eine Quelle der reinsten Freuden […].“

Quelle: Musikalisches Wochenblatt, 07.02.1895

Mehr zu Brahms' Sonate für Viola und Klavier f-Moll op. 120 Nr. 1 Den Regeln der Instrumentierungspraxis folgend, ist die Bratsche natürlich ein hervorragendes Substitut für die Klarinette. Sie fängt ihren warmen, obertonreichen Klang wunderbar ein und präsentiert doch auf ihre eigene Weise neue Aspekte und Klangschattierungen. Quasi dasselbe, aber mit anderen Worten. Nach einer kurzen Einleitung des Klaviers erscheint das Thema des ersten Satzes in der Bratsche. Fast herbstlich und nostalgisch kommt es daher, mit einer sehr expressiven Coda. Im zweiten Satz, dem Andante un poco adagio, herrscht eine große nocturale Wehmut. Doch langsam lichtet sich die trübe Stimmung in ein strahlendes A-Dur. Diese Mediant-Tonart führt uns auch in das Allegretto grazioso. Der Trio-Teil ist wieder in f-Moll gehalten und zeigt die ganze Bandbreite farblicher Nuancen der tiefen Lagen einer Bratsche. Tabea Zimmermann gestaltet in unserer Live-Aufnahme einen feinen und wohl artikulierten Gegenpart zu der ausbalancierten Klavierbegleitung von Thomas Hoppe. Ein finales Rondo Vivace rahmt die Sonate und endet versöhnlich in F-Dur. Brahms‘ Schwanengesang? Um die Sonaten für Bratsche einzurichten, musste Brahms die Urfassung teils bearbeiten. Figurationen wurden umgeschrieben, Doppelgriffe hinzugefügt und Melodien ergänzt. Brahms‘ letzte Kammermusikwerke, die beiden Klarinettensonaten und ihre jeweilige Bratschenfassung, zeugen von einer großen Sensibilität für die unterschiedlichen und doch ähnlichen Klanglichkeiten der beiden Soloinstrumente. Das warme Timbre, die herbstlich anmutende Stimmung: Musik voller Inbrunst und Resignation. Sie zeichnen sehr intim und gefasst das Empfinden am Lebensabend des Komponisten.
„Ich bin vor allem Musikerin. Und in zweiter Linie Bratschistin“, sagt Tabea Zimmermann.
Im Januar 2020 hat sie den Ernst von Siemens Musikpreis verliehen bekommen, den „Nobelpreis der Musik“. SWR2 Zeitgenossen porträtiert sie am 21. Mai. In unserem Musikstück der Woche spielt sie die Bratschensonate von Johannes Brahms.


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 May 16, 2020  23m