Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0367: Narkolepsie


Als die Garfield-Comics in Deutschland populär wurden, war ich auch ein Fan des sarkastischen Katers mit der Adipositas. Vielleicht, weil ich auch bereit bin, einiges für eine gute Lasagne zu tun. Und wirklich witzig war seine Narkolepsie. Also seine Schlafanfälle. Aber jetzt hab’ ich ‘mal gekuckt, was das wirklich ist. Und es ist wirklich nicht lustig.

Download der Episode hier.
Opener: „Snoring Sound Effect“ von Consuming Fire Artistic Creations
Closer: „Why Don’t You Go to Bed (song) from Fancy Monkey Studios“ MuffinGirl7771
Musik: „Who cares?“ by Sam Brown / CC BY-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Habt ihr auch Schlafprobleme? Ich schon. Allerdings würde ich trotzdem keine der Videos auf YouTube verwenden, die als Hintergrundsound den Schlaf fördern sollen. Wellengang, leiser Regen und Vogelzwitschern leuchten mir da zwar durchaus ein. Aber das Hintergrundrauschen der Enterprise? Oder 12 Stunden Schnarchgeräusche wie gerade im Opener? Nee, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen…

Aber meine Schlafproblemchen sind auf jeden Fall ein Kinderspiel gegen die sogenannte Narkolepsie. Das ist nämlich nicht so eine drollige kleine Störung, über die man sich prim lustig machen kann. Sondern eine ernsthafte Nervenerkrankung.

Die Diagnose der häufigsten Form heißt laut der ICD – der International Classification of Diseases – Narkolepsie und Kataplexie. Wenn man sich die Symptome einzeln anschaut, wären da zuerst einmal die exzessive Tagesmüdigkeit. 95% der Narkoleptiker fühlen sich tagsüber, als hätten sie seit mindestens 24 oder 48 Stunden nicht geschlafen. Oder noch müder. Und das, egal ob sie ausgeschlafen haben oder nicht.

Darum schlafen sie dann auch bei sich bietenden Gelegenheiten ein. In der leichten Ausprägung ist das ein bewusstes Nickerchen auf dem Sofa, wie Du und ich, und in der schwersten Version halt auch bei Aktivitäten. Wie Autofahren, Einkaufen gehen oder sich unterhalten.

Man kann sich leicht ausmalen, dass das nicht nur das Leben entscheidend verändert, sondern eben auch ganz schön gefährlich sein kann.

Dann kommt noch die Kataplexie hinzu. Das ist ein plötzlicher Entspannungsanfall der Muskulatur. Klingt besser als es ist. Aber tatsächlich schalten bei einer Kataplexie eine Reihe von Muskeln einfach mal ab. Zum Beispiel die Nackenmuskeln, oder die Gesichtsmuskeln. Oder die Beine. Das sind die drei häufigsten Ausprägungen. Auch das ist nicht ungefährlich und betrifft immerhin noch 90% aller Erkrankten.

Immerhin die Hälfte der Narkoleptiker kennen noch ein anderes Symptom, nämlich die sogenannte Schlafparalyse. Paralyse heißt Lähmung. Wir alle kennen die Schlafparalyse. Die hat sich der liebe Gott nämlich ausgedacht, als die ersten Menschen ihre Träume immer aktiv nachgespielt haben. Wir werden also alle nachts gelähmt, um nicht in Wirklichkeit vor den bösen Wölfen davonzulaufen. Wie, solche Alpträume kennt ihr nicht? Niemals als Kind Wickie gekuckt, oder?

Narkoleptikern passiert das aber am hellichten Tag. Der Körper schläft sozusagen ein, der Geist aber nicht. Plötzlich, von einem Moment auf den anderen. Das dauert dann einige Minuten.

Und, um den Reigen der Schrecken noch ganz voll zu machen: Ca. die Hälfte aller Erkrankten haben auch noch hypnagoge Halluzinationen. Das kennt man als Nicht-Narkoleptiker ja auch, beim Einschlafen oder Aufwachen befindet sich unser Hirn in einem seltsamen Zwischenzustand und da kann es vorkommen, dass man sich sozusagen etwas einbildet. Der Mantel am Haken ist dann kurz ein ausgewachsener Einbrecher. Oder es sind halt wirklich Monster unter dem Bett. Oder gar Wölfe. Narkoleptikern kann das aber jederzeit passieren. Dann sehen sie Dinge, die nicht da sind, hören vielleicht Stimmen oder spüren eine Berührung, die nicht stattfand. Gruselig.

Alles in allem ist die Narkolepsie also wirklich keine harmlose Sache, sondern eher eine furchtbare. Das hat gar nichts mit den drolligen Schlafanfällen eines fetten, filosofischen Katers mit Namen Garfield zu tun. Nach diesen Recherchen kommt Narkolepsie auf jeden Fall in meinen Hypochonder-Katalog von Krankheiten, die ich nie, nie, nie haben will. Ist eine lange Liste, übrigens.

Der Grund für all’ diese schrecklichen Symptome ist auch einigermaßen bekannt. Es scheint sich klar heraus zu kristallisieren, dass bei den Betroffenen der Hypothalamus nicht genug Hypocretin bildet. Oder, wie man moderner sagt, Orexin. Und damit gerät der ganze Schlafrhythmus aus den Fugen. Der Körper weiß sozusagen nicht mehr, ob er wach ist oder nicht.

Aber, Moment einmal, Orexin? War da nicht was? So vor ca. 10 Jahren? Und tatsächlich! Da haben die Zeitschriften von der Abschaffung des Schlafs gefaselt. Ein Nasenspray würde uns immer wach halten. Das basierte alles auf einer Studie von Professor Jerry Siegel von der University of California in Los Angeles.

Der hatte tatsächlich ein Orexin-Nasenspray entwickelt und auch getestet. Indem er eine Gruppe von Schimpansen 36 Stunden nicht schlafen liess. Die teilte er dann auf. Die einen haben das Nasenspray bekommen, die anderen nicht. Und dann führte er eine Art von Intelligenztest durch, keine Ahnung, wie man das mit Affen macht. Und die Orexin-Gruppe zeigte die gleichen Resultate wie eine normale, gut ausgeschlafene Horde Schimpansen.

Das er den Schlaf abschaffen wolle, das hätte er nie gesagt, meinte er in einem Interview von Motherboard. Er wollte eigentlich die Narkolepsie behandeln helfen. Denn, wie oben erwähnt, ist es genau dieses Orexin, dass Narkoleptikern fehlt.

Bis jetzt hilft da nämlich gar nichts. Man kann einige Symptome lindern, indem man zum Beispiel Modafinil oder Methyphenidat verabreicht. Dann fühlen sich die Betroffenen nicht mehr ganz so müde. Aber diese Medikamente haben natürlich auch Nebenwirkungen, die kann man nicht ohne Konsequenzen ein Leben lang einnehmen.

Wenn das jetzt also schon seit 10 Jahren machbar wäre, warum gibt es das dann noch nicht zu kaufen?

Tja, da kommt der Haken. Es gibt einfach nicht genug Narkoleptiker. Denn auch wenn z.B. die Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin schätzt, in Deutschland wären 40.000 Menschen betroffen, so leben hier doch nur 4000 die auch tatsächlich diese Diagnose bekommen haben.

Und für so wenige Betroffene lohnt es sich für die Pharmafirmen einfach nicht weiterzuforschen an Jerry Siegels Erkenntnissen. Um ein Medikament zu testen, muss man es schließlich an Hunderten von Menschen getestet haben. Die dann alle auch noch einen Arzt brauchen, der das dann auch überwacht und protokolliert. Und das kostet richtig viel Geld.

Und dann gibt’s noch ein Problem für die Pharmafirmen: Nachdem Orexin ein Neuropeptid ist, dass genau in dieser Form in unserem Gehirn vorkommt, kann man es nicht patentieren. Und ohne Patent darf das Medikament jeder nachbauen. Ungestraft.

So ist es also, wenn man das Gesundheitswesen dem Kapitalismus überlässt. Den freien Mächten des Marktes. Da gibt es also Abertausende von Menschen, die durch die oben ausführlich geschilderte Hölle gehen müssen, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Und da gibt es auch ein Medikament, dass ihnen helfen würde.

Aber, weil man damit nicht genug Geld verdienen kann, wird es nicht weiterentwickelt.
Das macht die Narkolepsie in meinen Augen noch brutaler.


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 January 25, 2016  12m