Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0363: Grundlos glücklich?


Was mich am allermeisten an all’ den Lebensratgebern stört, ist der Befehlston. „Sei einfach Du selbst“ oder „Fühle Dich glücklich.“ Da kriege ich immer einen Schub kindlichen Trotzes. Kann ja jeder kommen! Oder? Was aber, wenn ich gar nicht glücklich sein will? Wenn es vielleicht der Versuch ist, glücklich zu sein, der genau das Gegenteil bewirkt?

Download der Episode hier.
Opener: Musik: „Sad, Depressed and Lonely“ von Dazie Mae / CC BY-NC-ND 3.0
Closer: „Unhappy – Parody of Happy by Pharrell Williams“ von Katie Hallett
Musik: „Nudelmaschine (SoftMix)“ von LOBO LOCO / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Einer der Vorteile von Amazon ist es ja, dass man sich auch anzeigen lassen kann, welche Bücher sich wie verkaufen. Die Verkaufsstatistik ist zwar wieder ein tückischer Algorithmus, der natürlich auch nicht offen liegt, aber eine Orientierung ist er halt doch.

Und da liegt bald der Verdacht nahe, dass wir – zumindest hier in Deutschland – eigentlich nicht den geringsten Schimmer haben, wie man ein glückliches Leben führt. Und deswegen Bücher um Bücher kaufen, die uns das verraten. Was haben wir denn da so?

„Mein Weg zum Glück“ von Thomas Klüh

„Die Kleeblattprinzipien: Zehn einfache und praktische Schritte in Ihr besseres Leben voller Glück“ von Harald Hanelt

„Große Lust auf ganz viel Glück: Self-Fulfilling Management“ von Simone Langendörfer

„Glück im Spiel, Glück in der Liebe: Alles ist möglich – man muss nur wissen, wie…“
von Jan van Helsing und Chander Bhatia

„77 Wege zum Glück“ von Wolff Horbach

„Auf den Schwingen des Glücks: Blockierte Energien lösen.“ von Hedy Lötscher-Gugler

„Täglich 1 x Erleuchtung: Shantidevas Weg zur Glückseligkeit“
von David Michie und Ulla Rahn-Huber

„Glücksfitness: Das individuelle Training für mehr Lebensfreude“ von Felicitas Heyne

„Vorhang auf fürs Glück: Drehbuch für mehr Lebensfreude“
von Heide-Marie Smolka und Brigitta Knoll

Na ja, ok. Wird langsam langweilig. Ihr versteht das Prinzip. Amazon findet über 25.000 Bücher, in deren Titel oder Beschreibung „Glück“ vorkommt. Wenn man nun annimmt, dass zumindest die Autoren glücklich sind, dann ist das ja toll. Aber den Käufern fehlt wohl etwas. Eben Glück.

Wahrscheinlich aber ist Glück nur ein Riesenmarkt. Es lässt sich viel Geld verdienen mit dem „Pursuit of Happiness“, wie er in der Unabhängigkeitserklärung als Menschenrecht definiert ist.

Und dieses Streben nach Glück ist ja eigentlich auch der Motor einer konsumistischen Gesellschaft wie unserer. Denn warum sollten wir alle zwei Jahre ein neues Handy erwerben, wenn wir nicht annehmen würden, das neue würde uns noch ein Ticken glücklicher machen? Oder das neue Kleid attraktiver? Der neue Anzug männlicher? Oder das neueste Kochbuch? Wir wollen als Menschen wohl glücklich sein. Punkt. Wollen Tiere ja auch. Also fragen wir uns, wie das geht.

Denn: Zahllose Studien haben ja auch bewiesen, dass glückliche Menschen gesünder leben. Und auch noch länger. Wer sich viel ärgert, der kriegt ein Magengeschwür. Und klar, dieser oder jene Tumor, der ist ja nur psychosomatisch, den hat der oder die, weil sie so unglücklich ist.

Aber das stimmt nicht. Glückliche Menschen leben nicht länger. Oder, wissenschaftlich genauer ausgedrückt: Glückliche Frauen leben nicht länger. Das ist das Ergebnis einer wirklich großen Studie aus dem Vereinigten Königreich. Der sogenannten „Million Women Study“. Die diesen Namen trägt, weil man eine Million britische Frauen zwischen 50 und 69 zehn Jahre lang begleitet hat und Fragebogen ausfüllen lassen. Das hat man mit anderen Datenbanken korreliert, so dass die Forscher von immerhin noch 720.000 Frauen wussten, wer verstorben ist und woran.

In der Annahme, dass Kranksein unglücklich macht, hat man dann alle Frauen isoliert, die bereits an Krebs leiden, Schlagänfälle hatten oder an Lungen- oder Gefäßkrankheiten allgemein litten.

Der Rest der Frauen Frauen sollte einschätzen, wie glücklich sie sich fühlen. Die Fragen waren z.B. „Wie oft fühlen Sie sich glücklich?“ Oder „in control“. Oder gestresst. Oder entspannt. Oft, normalerweise, meistens. Und jetzt verbindet man das mit der Mortalität. Also der Sterblichkeit.

Und da gibt es bei keiner dieser Fragen nur den geringsten Unterschied. Glückliche Menschen leben keinen Pups länger als unglückliche Menschen. Alle Studien davor haben einfach die Krankheiten nicht rausgerechnet. Und klar kommt man dann zu dem eigentlichen Ergebnis, dass Krebs irgendwie unglücklich macht. Aber halt nicht umgekehrt. Richard Peto, einer der Autoren, schreibt: „Es ist wie in diesem alten Witz: An welchem Ort besteht die größte Gefahr zu sterben? Na, im Bett. Da sterben die meisten.“

Glück ist nicht so wichtig, wie wir denken. Sondern nur angenehm. Glücklich ist man, wenn die Triebe befriedigt werden. Wenn Bedürfnisse erfüllt werden. Darum sind auch Tiere durchaus in der Lage, glücklich zu sein. Ein gesunder, satter Hund mit genug Beschäftigung ist glücklich.

Und das Dumme beim Glück ist, dass das Streben nach Glück es sogar verhindert. Statt all’ der Glücks-Ratgeber, die man alle einfach auch im Altpapier entsorgen kann, möchte ich hier Viktor Frankl zitieren. Buchempfehlung: Z.b. „Das Leiden am sinnlosen Leben“ oder „Der Wille zum Sinn“. In letzterem steht folgendes:

„Je mehr der Mensch nach Glück jagt, um so mehr verjagt er es auch schon. Um dies zu verstehen, brauchen wir nur das Vorurteil zu überwinden, dass der Mensch im Grund darauf aus sei, glücklich zu sein; was er in Wirklichkeit will, ist nämlich, einen Grund dazu zu haben. Und hat er einmal einen Grund dazu, dann stellt sich das Glücksgefühl von selbst ein. In dem Maße hingegen, in dem er das Glücksgefühl direkt anpeilt, verliert er den Grund, den er dazu haben mag, aus den Augen, und das Glücksgefühl selbst sackt in sich zusammen. Mit anderen Wort, Glück muss er-folgen und kann nicht er-zielt werden.“

Gut, dass liest sich ein bisschen tougher als der Abreiss-Kalender, der einem jeden Tag einen Imperativ zum Glücklichsein um die Ohren haut; oder die Bullshit-Sprüche auf dem Yogi-Tee.
Macht es aber nicht unwahrer.

Glück ist vom Leben nehmen. Bekommen. Und im Notfall eben kaufen. Dann ist das Bedürfnis befriedigt. Und das Glücksgefühl auch gleich wieder vorbei. Egal, wie lecker die Pizza auch war, der Hunger wird wieder kommen.

Einen Grund zu haben im Leben oder einen Sinn, führt aber dazu, dass wir dem Leben etwas geben. Junge Eltern sind wahrscheinlich nicht glücklicher als ihre Single-Freunde. Aber sie haben einen guten Grund nicht glücklich zu sein. Weil sie etwas geben, statt etwas zu nehmen.

Ich weiß, ich höre es euch förmlich sagen: Jetzt predigt er wieder. Stimmt ja auch. Aber das Problem ist wichtig. 60 Prozent der Deutschen haben angegeben, sie wären in 2015 glücklich gewesen. Aber nur ein Viertel sieht in ihrem Leben einen Sinn. Entfremdete Arbeit zu leisten, um das Geld zu haben, sich mit irgendwelchen Konsumgütern Glück zu kaufen, macht eben keinen Sinn. Hat keinen Grund.

Irgendwo in dieser Frage verborgen, liegt der grundsätzliche Konstruktionsfehler unserer ganzen Gesellschaft. Denn Leiden ist dem Leben immanent und kann nicht verhindert werden. Wir werden krank sein und wir werden sterben. Das ist nur mit einem Sinn auch zu tragen.

Es ist das Streben nach Glück per se, dass uns unglücklich macht.
Stattdessen sollten wir nach einem Sinn streben.

Sorry, das ist ja wirklich eine Predigt geworden – ich mach’ jetzt lieber Schluss.


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 January 19, 2016  13m