Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0359: Die Hölle im Paradies


Ach, wäre es nicht schön, wir könnten alle in einen paradiesischen Naturzustand zurückkehren? Und all’ die Probleme der modernen Zivilisation hinter uns lassen? Das dachten sich auch einige Aussteiger in den Dreißigern und versuchten, sich ein Paradies aufzubauen. Das aber höllisch endete.

Download der Episode hier.
Dokumentation „The Galapagos Affair“ auf YouTube.
Closer: „Worst Tarzan Yell Ever“ von vjn529
Musik: „Chilekli Devekushu“ von Aleksey Igudesman & Rusanda Panfili

+Skript zur Sendung
Wo auf Erden könnte das Paradies liegen? Die besten Lebensbedingungen für ein naturnahes Leben? Die Karibik ist da sicher keine schlechte Wahl. Wie wäre es mit den Galapagos-Inseln? Wo es das ganze Jahr durchschnittlich 24 Grad warm ist? An Land und im Wasser!
Eine dieser Inseln heißt „Floreana“ und hier suchten zwei deutsche Aussteiger im Jahre 1929 eben dieses Paradies.

Es waren der Berliner Arzt Dr. Adolf Ritter und seine Geliebte, Dora Strauch. Beide hatten die moderne Gesellschaft über und verabscheuten den Kapitalismus. „Ameisen-Gesellschaft!“ schimpft Dr. Ritter in seinen Büchern und Artikeln. Und sie hatten sich umfangreich vorbereitet auf ihr Aussteiger-Leben. Zum Beispiel hielten die beiden es für angebracht, sich vorher alle Zähne ziehen zu lassen. Damit sie nicht 1000 km fernab von jeder Zivilisation an Zahnfäule sterben würden.

Dr. Ritter hatte eine krude Philosophie entwickelt, der die beiden folgen wollten. Ein Gemisch aus Laoismus, Nietzsche, Mystizismus und Rassismus. Mit besonders ausgearbeiteten, bizarren Regeln. Kleidung an sich war schon schlecht, schwarze Kleidung schädlich, Hüte ungesund. Natürlich durfte man auch kein Alkohol, Kaffee oder Tabak konsumieren und Weizen oder Zucker waren des Teufels. Alles in allem also ein typisches Kind seiner Zeit, dieser Dr. Ritter.

In zahlreichen Artikeln berichtete er vom Dasein auf Floreana. Und stilisierte sich zu einem modernen Robinson. Und das Leben in der Natur zum menschlichen Urzustand. Besonders gern gelesen wurden seine Ausführungen über die natürliche Liebe. Und die Tatsache, dass er da mit seiner Geliebten nackt herumlief.

Und er schrieb ein Buch „Der moderne Robinson. Dr. Ritter auf der Galapagos-Insel“ Das sehr erfolgreich wurde.

Das führte natürlich bald dazu, dass auch andere Naturanbeter und Träumer das Pärchen in ihrem Paradies besuchten. Und Dr. Ritter und seine Dora wie Sektengründer verehrten. Allerdings waren die allermeisten für die äußerst bescheidenen Lebensumstände nicht gebaut. Erst 1932 – dem Jahr, in dem „Tarzan der Affenmensch“ mit Johnny Weissmüller ins Kino kam – erst 1932 ließ sich ein zweites Pärchen auf dem Eiland nieder. Das Ehepaar Wittmer aus Köln. Heinz und Margret. Und ihr Sohn Harry, der an einer ungeklärten Augen- und Lungenkrankheit litt, die durch das paradiesische Leben geheilt werden sollte.

Die beiden Pärchen respektierten sich, aber gingen sich im großen und ganzen aus dem Weg. Es mag vielleicht an der herrischen, aufbrausenden und rechthaberischen Art des Dr. Ritter gelegen haben, aber das ist nur die Meinung von Margret Wittmer.

Aber dieses beschauliche Leben sollte bald ein Ende finden. Denn drei Monate nach den Wittmers kamen drei ganz anders gestrickte Siedler auf das Inselparadies. Und zwar die selbsternannte Baroness Eloise Wagner de Bousquet. Und im Schlepptau ihre zwei männlichen Liebhaber. Der eine mit Namen Rudolf Lorenz und der andere, neuere, deutlich jüngere mit Namen Robert Philippson, genannt „Bubi“. Mit ihnen kam auch ein Haufen Baumaterial auf die Insel, denn die Baroness hatte hochtrabende Pläne. Sie wollte ein Luxushotel erbauen, die „Hacienda Paradiso“.

Das war alles noch ein Zuckerl Sex auf die Geschichte rund um Robinson und seine Geliebte und nun verkaufte auch die Baroness Artikel und Fotos in die ganze Welt.
Die Kaiserin von Floreana, wie sie sich selbst nannte, die mit dem Maschinengewehr und den Liebhabern.

Aber damit ist unser Setting erst einmal komplett. Vielleicht sollte man nicht unerwähnt lassen, dass die Artikel und Bücher der Kaiserin und des Doktors reiche, vor allem amerikanische Touristen auf ihren Jachten nach Floreana lockte. Die gerne mit Geschenken kamen. Auch ein Geschäftsmodell.

So, aber jetzt sind alle Zahnrädchen platziert und wir können zusehen, wie das Uhrwerk das Paradies nun in die Hölle verwandelt. Beginnen wir damit, dass das Luxushotel im Prinzip nur eine Wellblechhütte war. Mit ganzen zwei Räumen. Oder dass die Süßwasservorräte auf der Insel sehr begrenzt waren.

Oder damit, dass die Kaiserin von Floreana sich natürlich zum Chef der Insel aufschwang. Sie verteilte die Vorratslieferungen und die Post, sie entschied, wer auf der Insel bleiben durfte und wer nicht. Ungewollte Besucher wurden rausgeworfen. 1933 z.B. hätte sie einen dänischen Kaufmann, der in der Hacienda weilte, mit einem Bauchschuss um ein Haar getötet.

Aber auch bei der deutschen Familie Robinson lief alles aus dem Ruder. Dora Strauch war durch eine ungeklärte Krankheit schwer gehbehindert und konnte nicht mehr voll mitarbeiten. Auch sonst hatte sich das Klima zwischen den beiden Abenteurern mehr als nur abgekühlt. Mehrere Augenzeugen berichten davon, wie der Doktor seine Lebenspartnerin öffentlich misshandelte.

Und auch die Dreiecksbeziehung der Baroness und ihrer Lover funktionierte nicht mehr so richtig. Nachdem sich der ecuadorianische Diener verabschiedet hatte, war es nun Rudolf Lorenz, der für die Drecksarbeiten zuständig war. Statt also das Bett mit Eloise zu teilen, wurde er regelmäßig von Bubi Philippson verdroschen, wenn er nicht so richtig spurte.

Nachdem auch Lorenz krank wurde und nicht mehr so fleißig arbeiten konnte wie erwünscht, begann er, um sein Leben zu fürchten. Und ergriff deshalb die Flucht. Zu den Wittmers, wo er sich versteckte. Bald aber tauchte die Kaiserin auf und berichtete Margret Wittmer, dass sie und Bubi die Insel verlassen wollten, auf einer Jacht, die eben angelegt hätte. Und weil sie wisse, dass ihr Ludwig das ja auch wollte, bittete sie herzlich darum, ihm das auch auszurichten.

Sagte es. Am 26. März 1934. Und verließ die Hütte der Wittmers.
Und ward fürderhin nie mehr gesehen.
Wie auch Bubi nicht.
Spurlos verschwunden.

Ludwig verkaufte dann alles Hab und Gut der Drei an die anderen Siedler der Insel und setzte sich selber ab. Auf dem Boot des norwegischen Fischer Trygve Nuggerud, den er fürstlich entlohnen wollte, würde der ihn auf San Cristobal absetzen, eine der anderen Galapagos-Inseln. Aber dort kamen sie nie an. Es sollte bis zum November dauern, bis die Leichen der beiden auf der Insel Machena entdeckt worden. Keiner weiß, wo der Bootsjunge geblieben ist. Oder das Boot.

Fünf Tage später verstarb – zurück auf Floreana – auch Doktor Adolf Ritter. An den Folgen einer Lebensmittelvergiftung. Nach dem Genuss eines Hühnchen-Gerichts, dass ihm seine ehemalige Geliebte bereitet hatte. Die selber nicht erkrankte.

Als die Wittmers die Hütte erreichten, konnte er schon nicht mehr sprechen – ein typisches Symptom bei Botulismus. Seine letzten Worte teilte er also schriftlich mit. Sie galten natürlich Dora Strauch. Und lauteten: „Ich verfluche Dich im letzten Augenblick.“

Man muss nicht den Spürsinn eines Sherlock Holmes haben, um hier einen Tatverdacht zu formulieren, oder?

1983 schrieb der britische Journalist John Treherne ein Buch über diese Geschichte und entwickelte dabei die schlüssigste Theorie zu den Vorfällen. Der Titel des Buchs ist „Die Galapagos-Affäre“ und damit auch der Ausdruck, unter dem diese Räuberpistole in der ganzen Welt bekannt ist.

Am wahrscheinlichsten ist die Theorie, dass Ex-Lover Ludwig unter Mithilfe von Doktor Ritter nachts die Baroness und Bubi meuchelten und den Haien zum Fraß vorwarfen. Und auch, dass die geschundene Dora Strauch sich ihres Peinigers kurz darauf durch das oben beschriebene Hühner-Gericht entledigte. Dumm, dass in der g’spinnerten Vorstellungswelt von Adolf Ritter Krankheiten nur geistig geheilt werden können. Und jegliche Behandlung oder Medikamente völlig nutzlos sind.
Es wird wohl 48 Stunden gelitten haben, bevor er das Zeitliche segnete.

Dora kehrte nach Berlin zurück und schrieb ein Buch. Das sehr erfolgreich wurde und „Satan came to Eden“ hieß. Aber lange nicht in Deutschland erschien.

Und Georges Simenon schrieb ein Buch, „Die da dürstet“ seit 2006 unter dem Titel „Hotel ‘Zurück zur Natur’“ verlegt, dass sehr erfolgreich wurde.

Nachdem der kleine Harry 1953 ertrank und auch Herr Wittmer 1964 am Gehirnschlag verstarb, schrieb auch Margret ein Buch „ Postlagernd Floreana. Ein außergewöhnliches Frauenleben am Ende der Welt“, das am erfolgreichsten von allen wurde. Die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes – ja, stimmt – starb 2000 auf Floreana im Alter von 96 Jahren.

Wenn euch diese unglaubliche Geschichte interessiert, empfehle ich die Doku „The Galapagos Affair“. Das hier ist eigentlich nur ein Vorgeschmack.
Gibts auch auf YouTube, Link auf der Homepage.


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 January 13, 2016  15m