Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0357: Die unbekannte Venus


Ich musste recht alt werden, um zu erfahren, dass der Abendstern und der Morgenstern ein und derselbe Planet sind. Die Venus nämlich. Warum wissen wir so viel mehr über den Mars als über die Venus? Das hat politische Gründe.

Download der Episode hier.
Closer: „Venusian and Venerian Extraterrestrials“ von Big Head Scientist
Musik: „Orchestra plays Microsoft Windows – the Waltz“ von Rainer Hersch Fan Channel

+Skript zur Sendung
Wisst ihr, was der Morgenstern ist? Richtig, die Venus! Und auch, was der Abendstern ist? Genau, auch die Venus! Das war mir ewig nicht klar. Was soll das auch, bitteschön? Abendland und Morgenland sind ja auch nicht auf dem gleichen Kontinent! Was ist das denn für eine Unordnung in der Astronomie!

Aber natürlich hat das einen Grund. Denn die Venus ist kein richtiger Nachtstern. Als eines der Gestirne, die man untere Gestirne nennt, ist sie halt nur am Abend oder am Morgen zu sehen. Um Mitternacht amüsiert sich die Göttin der erotischen Liebe wahrscheinlich woanders.

Denn natürlich ist der Planet nach dieser römischen Göttin benannt. Und weil sie nach dem Mond das am leichtesten zu beobachtende Phänomen am Himmel ist – die Sonne kann man nun ja wirklich nicht übersehen – ist sie auch schon seit Urzeiten beschrieben, besungen und gemalt.

Ihr astronomisches Symbol ist das gleiche, wie es in der Biologie für das Weibliche schlechthin verwendet wird. Oder wie es die Feministinnen der zweiten Welle als Symbol für ihren Kampf nach Emanzipation verwendeten. Ihr wisst schon, der Kringel mit dem Kreuzchen unten dran. Was übrigens nicht ein Symbol für die Gebärmutter ist, wer denkt sich denn solche chirurgischen Feinheiten aus? Sondern das Symbol stellt den Handspiegel der Venus dar. Sexy halt, aber auch eitel.

Die Venus ist unser Nachbarplanet. „Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten.“ Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und… ach so. Schade, Merkspruch kaputt, Pluto ist ja kein Planet mehr.

Und kommt uns auf seiner Bahn auch noch näher als der Mars. Und auch sonst haben die beiden Planeten viele Gemeinsamkeiten. Gleiche Größe, gleiches Gewicht, beide in der habitablen Zone. Und wohl beide ähnliche Zusammensetzung an Inhaltsstoffen.

Leider konnte man wegen der dichten Bewölkung nie so richtig sehen, ob die Venusianer große Städte gebaut haben oder Autobahnen oder eine chinesische Mauer. Aber die Möglichkeit, dass es Leben auf der Venus gibt war lange, lange Zeit genauso plausibel, wie die Theorie, dass die Marsmännchen Kanäle in ihren Planeten gegraben haben.

Leider wissen wir es heute besser. Klar, wenn man sich einen friedlicheren Planeten als die Erde vorstellen möchte, kann man die Venus schon verwenden. Aber sie könnte auch lässig den Wettbewerb als unattraktivstes Urlaubsziel aller Zeiten gewinnen. Tourismus wird für die Venus nie ein Problem.

Fangen wir doch einmal mit dieser Bewölkung an. Die den Planeten komplett umgibt. Immer. Das sind nun aber keine süßen Cumulus-Wolken aus Zuckerwatte, oder eben Wasser, um wissenschaftlich zu werden. Sondern das sind Gebilde aus Schwefelsäure. Die dann ab und an auch abregnet.

Aber keine Sorge: Man muss deswegen auf der Oberfläche keine Schirme aufspannen, denn noch auf dem Weg nach unten zerbröckelt die Schwefelsäure in der Hitze zu ihren Bauteilen, S02, H2O und Sauerstoff. Die dann wieder zurücksegeln und sich wieder zusammenbasteln.

Ach ja, wegen dieser Hitze. Die kommt hauptsächlich vom Treibhaus-Effekt. Denn die Atmosphäre der Venus besteht aus C02. Denn Rest kann man vergessen, 3,5% Stickstoff machen das ganze Gemisch auch nicht atembarer.

Und wegen dieser Mega-Klimaerwärmung wird es kuschelige 400 Celsius warm auf der Oberfläche. Statt geschätzten 40 Grad Celsius, die dort bei einer erdähnlichen Atmosphäre herrschen würden.

Allerdings würde der Venus-Tourist, noch bevor er am Erstickungstod verendet, erst einmal ordentlich zerquetscht werden. Denn CO2 ist ordentlich schwer und deswegen drücken den Urlauber da 90 bar zu Boden. Also das 90fache von Mallorca. Das ist so wie ein Tauchgang in 1000 Meter Tiefe im Ozean. Was nicht geht. Ohne U-Boot.

Aber das eigentlich Interessante ist etwas anderes. Denn obwohl viele Leute etwas über den Mars erzählen können, trifft man selten Menschen, die über die Venus nur irgendetwas wissen.

Ich meine, es gibt eine Reihe von Hollywoodfilmen, die auf dem Mars spielen und einer ist sogar ganz gut. Aber keine, die auf der Venus spielen. O.k., ich weiß, das Klima. Wer will da hin?

Aber ich vermute einen ganz anderen Grund. Nämlich den kalten Krieg. Über den Wettlauf ins All habe ich ja schon einmal geplaudert im Podcast über den Sputnik-Schock, Sendung 294, ist noch online.

Aber der machte da natürlich nicht Schluss. Und irgendwie haben sich die beiden Großmächte die Planeten geteilt. Das Hauptinteresse der USA lag auf dem Mars. Und nachdem es da keinen Blumentopf für die Sowjetunion zu gewinnen gab, haben die sich der Venus zugewandt.

Die Russen haben ordentlich Gas gegeben und wollten den ersten Vorbeiflug am Mars haben. Klappte nicht. Und als sie auch das Rennen um den ersten Lander verloren hatten, wandten sie all’ ihre Aufmerksamkeit der Venus zu.

Wusstet ihr, dass es der Sowjetunion zweimal gelang, eine Sonde auf der Venus zu landen? Das wir Photos von der Oberfläche haben? Zuerst gelang der Sowjetunion mit Venera 7 die allererste Landung einer menschlichen Sonde auf einem anderen Planeten überhaupt. Und mit Venera 9 eben auch eine Landung mit Erinnerungsfotos.

37 Missionen haben sich der Venus gewidmet. 7 amerikanische und 28 sowjetische. O.k. 13 Versuche sind glorios gescheitert, aber 15 Missionen sind gelungen und 13 haben ihre Aufgabe auch komplett erfüllt.

Das klingt jetzt nicht nach viel, aber für die Anfangstage der interplanetaren Raumfahrt ist das eine ordentliche Bilanz. Und eine bessere, als sie die USA mit dem Mars aufweisen können. Da ist die Quote eher so 50/50.

Und weil jede gelungene Mission auch ein Propagandawerkzeug für die wissenschaftliche Überlegenheit war, haben wir im Westen halt über die Venus nichts erfahren. Weil halt unser Gegner im Kalten Informationskrieg da weit in Führung lag.

Die Venus ist also ein schönes Beispiel dafür, wie auch nach der Aufklärung, die Politik die Wissenschaft bestimmt hat. Und natürlich immer noch bestimmt.

Mittlerweile ist das Rennen im Weltraum ja geschlagen. Und darum interessiert sich auch jetzt noch im Westen keine Sau für die Venus. Als die Sonden Galileo und Cassini an der Venus vorbeiflogen, hat man sie einfach ausgeschaltet. Beide haben bei ihrem Vorbeiflug keine Daten gesammelt. Denn es war kein Geld da für die Auswertung.

Weltraumforschung, abgeschaltet. Kein Interesse an der Venus.


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 January 11, 2016  12m