Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0355: „Erfolgreiche“ Filme


Ich mag es nicht, wenn Filme immer über ihren Erfolg vermarktet werden. Denn dieser Erfolg bedeutet einfach immer nur: Wie viel Geld damit verdient wurde. Und das ist mir eigentlich völlig egal. Noch dazu ist da ein großer Rechenfehler im System.

Download der Episode hier.
Link zur Facebook-Page von Zoo Escape
Closer: Star Wars: „The Father Awakens – Kid Snippets“ von Bored Shorts TV
Musik: „Eyes Closed“ von TAB / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Der Winterschlaf ist vorbei, der Explikator ist zurück! Ich habe das Senden richtig vermisst und freu’ mich, dass ihr mir wieder alle zuhört. Für den Januar sind einige Änderungen geplant, heute gab es erst einmal das neue Intro zu hören. Komponiert, eingespielt und produziert von David Wunderlich. Der sich sicher freuen würde, wenn ihr die Facebook-Page seiner Band liken würdet. Link auf der Homepage.

Mehr Änderungen folgen, aber jetzt lasst uns erst einmal wieder in die Vollen gehen!
Denn mir liegt da etwas am Herzen. Es belastet mich schon fast. (gespielt schwer) Drückt mich als Filmfan regelrecht zu Boden. Und es nervt tierisch. Es ist der sensationelle Erfolg des neuen Star-Wars-Streifens.

Wir werden gerade Zeugen, wie der erfolgreichste Film aller Zeiten seine Laufbahn nimmt. Schon jetzt hat „The Force Awakens“ so viele Rekorde gebrochen, dass das tatsächlich schon wieder ein eigener Rekord ist. Es stimmt: Noch nie hat ein Film so schnell so viele Rekorde gebrochen wie dieser Film. „Das Erwachen der Macht.“

Zum Beispiel: Stärkstes Eröffnungswochenende. Am ersten Wochenende 500 Mio $ weltweit. Und das ist eine wichtige Zahl. Denn die entscheidet, wie lange dieser Film gezeigt wird. Da schließen die Verleiher mit den Kinobetreibern genaue Verträge ab. „Wenn das Wochenende so und so stark ist, dann musst Du den Film so und so lange zeigen.“ Also eine wichtige Kennziffer für das Business.

Aber er hat auch das erfolgreichste zweite Wochenende und das erfolgreichste dritte Wochenende. Und die nächsten wird er sich auch noch holen und „Avatar“ da Schritt für Schritt verdrängen.

Noch nie war ein Film so gut besucht wie dieser. Anders ausgedrückt: Noch nie waren die Kinos bei jeder verdammten Vorstellung so voll wie bei „The Force Awakens“. Er verdient pro Kinosaal also mehr als jeder andere Film in der Geschichte des Kinos. Ever.

Noch nie hat ein Film so schnell 100 Mio verdient. Oder 200 Mio. Oder dreihundert Mio. Oder vierhundert Mio. (gähn) Na, seid ihr auch schon so gelangweilt wie ich? O.k.
Noch nie hat ein Film so schnell 1.5 Milliarden Euro verdient wie diese Episode. Und BB8 und die anderen neuen Hauptfiguren haben noch lässige 8 Wochen Zeit, „Avatar“ in allen Kategorien zu schlagen, die das Box Office so hergibt.

Wow! Das ist: Der erfolgreichste Star-Wars-Film aller Zeiten. Der erfolgreichste Lucasfilm. Ach, wenn man die Statistik auf boxofficemojo.com anschaut, dann schlägt einem der Zahlenhorror nur so entgegen. Platz 1, Platz 1, Platz 1, Platz 1….

Ich hab’ ihn noch nicht einmal gesehen, aber hege jetzt schon ein bisschen Antipathie.
Erfolg macht halt neidisch. Oder misstrauisch.

Denn: Warum ist dieser Film so erfolgreich?
Ich meine jetzt nicht: Welche filmerischen Tricks, welche erzählerischen Kniffe, welche speziellen Computerspezialeffekte. Denn das weiß ich. Der Film ist so erfolgreich, weil wir alle hoffen, unsere allererste Erfahrung mit einem Star-Wars-Film noch einmal machen zu dürfen. Und weil nicht unbedingt der Film gut sein muss, sondern das Aufbauen des Hypes vorher. Und das war einfach sehr gefickt eingeschädelt.

Aber das meine ich gar nicht. Warum ist dieser Film so erfolgreich? Diese Frage hat eine andere Antwort. Weil wir nämlich den Erfolg eines Films an seinem Umsatz messen. Also an der Kohle, die er verdient. Am Kinoschalter. Was übrigens das deutsche Wort für „Box Office“ ist.

Kann man machen. (CEO Voice) Ein Film ist erfolgreich, wenn er Kohle verdient. Nachdem er viel Geld kostet, ist das ja nur gerecht. Die Investoren wollen einen Gewinn sehen. So funktioniert der Kapitalismus, Baby! Take it or leave it!

„Na ja…“, sagen da die Europäer! Wichtig ist doch wieviele Menschen einen Film sehen. Wir zählen lieber die Besucher hier in Europa. Denn die Eintrittspreise sind ja so unterschiedlich, das wäre ja doof. Ein Super-70-Imax-4D-Feelorama-Film mag 16 € kosten, aber dieser kleine Kunstfilm nur € 6,-

Die Wichtigkeit misst sich doch nicht am Brutto, sondern an der Zahl der Menschen, die einen Film sieht. Da sagen meine amerikanischen Freunde: You multiply, we divide.

Anders ausgedrückt: Wir in Europa nehmen die Besucherzahlen und multiplizieren sie mit dem durchschnittlichen Eintrittspreis, um zu berechnen, wieviel Kohle ein Film macht. Und die Amis nehmen die Kohle und teilen das durch den Durchschnittspreis, um die Besucherzahl zu errechnen.

Fair enough. Da ist ‘was dran. Und es ist beides scheiße.

Man könnte doch auch andere Argumente für den Erfolg eines Filmes finden. Die ich als Späthippie echt gerne diskutieren würde. Z.B.: Welcher Film hat am meisten das Leben der Menschen verändert, die ihn betrachtet haben? Matrix? Samsara? Donnie Darko? Life of Pi? Oder doch „Wille zum Sieg“ von Leni Riefenstahl?

Oder: Welcher Film hat die intensivsten emotionalen Reaktionen ausgelöst? Vom Winde verweht? Human Centipede? Clockwork Orange? Fight Club? Super Size Me? Die fabelhafte Welt der Amelie? Oder vielleicht doch Bambi?

O.k. Ich geb’ auf. Ich meine wahrscheinlich die wichtigsten Filme. Und nicht die erfolgreichsten. Erfolg ist halt Kohle. Wir sind halt mittlerweile alle Kapitalisten. Selbst ich will ja jetzt Kohle von euch – aber dazu später mehr. Also gut (extrem genervt), was sind die erfolgreichsten Filme aller Zeiten?

Es sind: Avatar, Titanic, Jurassic World – ja, der letzte mit Chris Pratt, Fucking Force Awakens – jetzt schon, Die Avengers, Furious Seven, Avengers Teil II, Harry Potter – der letzte Teil, Frozen – auf deutsch: Die Eiskönigin – Völlig unverfroren; und Iron Man, Teil 3.

Noch einmal eine Beobachtung als Späthippie: Schöne eskapistische Filme, aber ganz sicher keine Filme, die Leben verändern oder gar die Gesellschaft (hust, hust). Und warum stammen die alle, alle – bis auf Titanic – aus den letzten 6 Jahren?

Das hat einen Grund. Weil die Eintrittspreise nicht die Inflation berücksichtigen. Es geht nur um die verdammte Gesamtzahl an Dollars oder Euros, die ein Film einspielt. Und das ist extrem unfair. Denn für Fucking-Force-Awakens werde ich € 12,- zahlen. Während ich früher jede Woche für 8 DM ins Kino gegangen bin. Also für 4 Euro.

Oder früher, vor hundert Jahren, hier um die Ecke, im ältesten noch bestehenden Kino der Welt – ja, in München – der Eintritt 10 Pfennig gekostet hat. Ist das nicht unfair? Es geht nur um die Gesamtzahl an Dollars und Euros, Mark, Schillingen oder Räpplis! Was, wenn wir das alles rausrechnen?

(Reverb, marktschreierisch) Alltime Best, from 10 to 1, adjusted for ticket-price-inflation.

10: Schneewittchen und die sieben Zwerge von Walt Disney, 1937
09: Der Exorzist, 1973
08: Doctor Schiwago, 1965
07: Der weisse Hai, 1975
06: Die zehn Gebote, 1956
05: Titanic, 1997
04: ET, 1982
03: Meine Lieder, meine Träume. 1965. Auf englisch ganz groß: „The Sound of Music“. Hat bei uns nicht gefunzt, kennt hier keine Sau. Weil böse Nazis vorkommen.
02: Star Wars. Der Star Wars. Der von 1977. So gehört sich’s!
01: Gone with the Wind. Vom Winde verweht.

Das schaut doch besser aus. Wenn man also berücksichtigt, was eine Kinokarte damals, 1939, gekostet hat, dann ist „Vom Winde verweht“ der erfolgreichste Film aller Zeiten.

O.k. Damit kann ich leben. Aber noch wichtiger: Der einzig echte Star Wars ist auf Platz 2. Der Streberfilm von JJ Abrams erst auf Platz 21. Hat gerade eben erst „Die Reifeprüfung“ geschlagen.

Also: Wenn’s schon um die Kohle geht, dann aber fair! Erfolgreichster Film aller Zeiten – hah!


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 January 7, 2016  13m