Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0347: Küssen


Könnt ihr euch noch an euren ersten Kuss erinnern? Im Ernst? Ich nämlich leider nicht. Was ich noch weiß, ist, dass ich das als Kind eine sehr verstörende Vorstellung fand. Irgendwie klang das wie eine seltsame Idee, einem anderen Menschen die Zunge abzulecken. Denn so stellte ich mir das vor. Darum heute alles, was es zum Thema Kuss so zu wissen gilt. Übrigens: Ich habe meine Meinung geändert…

Download der Episode.
Beitragsbild: “French Kiss” by KoS – Own work. Licensed under CC BY-SA 3.0 via Commons.
Opener: „Seinfeld – Janeane Garofalo kissing“ von Chris Spaceman
Closer: „Chris Rock – First Kiss“ von WooM
Musik: „Ready, Set, Stay“ von Grace Kelley / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
„Weißt Du, mein Kleines, wenn die Mami und der Papi sich ganz, ganz dolle lieb haben…“
„Dann tun sie Geschlechtsverkehr machen, gell?“
„Äh. Ja, das auch. Aber das meinte ich jetzt gar nicht. Dann steckt die Mami dem Papi die Zunge in den Mund. Oder umgekehrt. Oder beide. Und drücken die Lippen aufeinander.“
„Iiiih! Das ist ja so eklig! Warum das denn? Ich will nie, nie, nie erwachsen werden!“
„Das nennt man Küssen. Das machen alle Menschen. Und das war schon immer so!“

Tja, wie wissen nicht, welche Neurosen dieses Aufklärungsgespräch hinterlassen wird. Aber – mal ganz ehrlich – haben wir nicht alle so oder so ähnlich reagiert, als wir vom „Küssen“ gehört haben. Gar noch „mit Zunge“?

Trotzdem irrt sich das aufklärende Elternteil hier. Wir denken, das Küssen sei etwas Urmenschliches, etwas Universelles. Weil es auch immer so komisch erklärt wird. Zum Beispiel, dass es sich aus dem Füttern entwickelt hat. Ja, irgendwelche Evolutionsbiologen sind der Meinung, dass es einst völlig normal war, wenn Mami morgends die Rühreier und die Vollkornsemmel erst einmal vorgekaut hat. Und dann den Speisebrei per Kuss dem Junior verfütterte.

Eine andere populäre Erklärung ist die, dass wir damit das Erlebnis gestillt zu werden noch einmal wiederholen wollen. Ich z.B. bin, wie viele, viele Menschen in meiner Generation nicht einmal gestillt worden. In den Sechziger und einem Gutteil der Siebziger galt das gegenüber der Nes-Milch aus der Flasche als die schlechtere, ungesündere und vor allem unhygienischere Alternative.

Das sind halt beides nur Theorien. Wahrscheinlicher ist eher etwas völlig anderes. Nämlich, dass es sich um eine recht moderne Kulturtechnik handelt. Die nicht einmal besonders alt ist. Der Philosoph Alexandre Lacroix beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem Küssen. Was ihn übrigens zu einem Philematologen macht. So der Name dieses Forschungsfelds.

Im Süddeutschen Magazin Nr. 18 aus dem Jahr 2013 berichtet er.
„Der Kuss als Zeichen der Liebe ist erst mit den großen Liebesfilmen wie „Vom Winde verweht“ um die Welt gegangen, also ungefähr vor siebzig Jahren. Er hat sich ähnlich schnell verbreitet wie die Pizza, die heute auch auf der ganzen Welt gegessen wird.“

Und bevor dieser romantische Kuss also seinen Siegeszug antrat, da gab es halt regionale Unterschiede.

Die Römer z.B. unterschieden Küsse ähnlich wie wir. Osculum war das Bussi, Basium ein Kuss auf die Lippen und bei Savolium ist die Zunge dabei. Was übrigens keine Tiere tun außer uns. Selbst Schimpansen küssen sich zwar bei geöffneten Lippen, aber brav ohne Zunge. Deren Vettern und Basen, die sexsüchtigen Bonobos, die küssen mit Zunge – aber das ist eher ein Lecken und hat etwas Äffisches. Sorry.

In Afrika zum Beispiel küsste man sich nicht. Und noch heute beobachtet man das eher in den großen Städten als auf dem Land. Afrikaner fanden diese weiße Sitte wohl eher als eklig.

Und auch in Asien gab es den Kuss, aber er war halt eine Sexualpraktik, die man daheim, bei geschlossenen Türen anwandte. Oder eben nicht. Auch jetzt küssen z.B. Franzosen und Italiener sieben Mal am Tag währen man in den asiatischen Ländern auf durchschnittlich zweimal die Woche kommt. Und da sind Gutenacht-Bussis gleich mitgezählt.

Im Endeffekt, so Lacroix, ist also Clark Gable für das neurotisierende Aufklärungserlebnis vom Sendungsanfang verantwortlich. Dabei ist das nicht einmal ein schöner Filmkuss, finde ich, denn Rhett Butler zwingt im Film ja Scarlett O’Hara den Kuss richtig auf. Eine Kuss-Vergewaltigung, sozusagen.

Aber die Wirkung dieser romantischen Filmküsse war natürlich gewaltig. Die Filmemacher steckten da die ganze erotische Spannung rein, die sie nur aufbauen konnten. Denn wegen des sogenannten Hayes-Codes, siehe die Sex-im-Film-Sendung vom Donnerstag, war das ja schon der Gipfelpunkt an Erotik.

Und, ehrlich gesagt, ich finde, „Vom Winde verweht“ braucht eigentlich auch keine der mittlerweile typischen Hollywood-Sexszenen. Das kann ich mir gar nicht vorstellen.

Jetzt noch schnell ein paar Faktoide zum Küssen, damit ihr wieder einmal auf der nächsten Party brillieren könnt.

Der längste Kuss der menschlichen Überlieferung dauerte 31 Stunden, 30 Minuten und 30 Sekunden. Ob das gut war für die Beziehung ist nicht überliefert, das Pärchen hat auf jeden Fall keinen Versuch unternommen, diesen Zahlenwert zu überbieten.

Wenn sich zwei Menschen küssen, dann tauschen sie Bakterien. Klingt schlimm, ist aber ganz normal. Es sind zwischen 10 Millionen und einer Milliarde Kleinstlebewesen, die da den Besitzer wechseln. Das ist gut für beide Immunsysteme. Dazu kommt noch der angeregte Speichelfluss, der für beide beteiligten Mundräume gut ist. Küssen schützt nachweislich vor Karies.

Zwei Drittel aller Menschen neigen ihren Kopf instinktiv nach rechts beim Küssen. Ein Drittel nicht. Das kann ein bisschen peinlich werden, wenn man die Nasen nicht aus dem Weg kriegt. Was aber auch nicht wirklich ein Problem ist. Denn 95% aller Menschen sagen, sie finden es schön, wenn sich die Nasen beim Küssen reiben…

Ach, das ist ja ein Eskimokuss. Dabei ist das wieder eine Erfindung, denn Inuit küssen sich genauso wie Du und ich. Das, was Forscher da beobachtet haben, dieses Nasenreiben, ist eine spezielle Form der Begrüßung, die man wohl „kunik“ nennt.

Wenn wir schon bei Worten sind: Sprachforscher glauben, dass „KUSS“ ein sehr altes Wort ist. Und das es wohl lautmalerisch das Geräusch beim Küssen wiedergeben soll. Ich weiß ja nicht…
Entweder die Sprachforscher oder die ollen Germanen sind wohl eher grobe Küsser, denn das klingt eher wie zwei hohle Schädel, die aufeinanderdotzen….

Eher das Gegenteil ist ein gepflegter Zungenkuss, der immerhin 34 Muskeln im Gesicht in Anspruch nimmt. Im Gegensatz zu zwei Muskeln beim Bussi. Da vor allem den Orbicularis Oris, den man auch den Kussmuskel nennt. Heute wäre auch „Duckface-Muskel“ angemessen…

Die Römer unterschieden übrigens Küsse ähnlich wie wir. Osculum war das Bussi, Basium ein Kuss auf die Lippen und bei Savolium ist die Zunge dabei. Was übrigens keine Tiere tun außer uns. Selbst Schimpansen küssen sich zwar bei geöffneten Lippen, aber brav ohne Zunge. Deren Vettern und Basen, die sexsüchtigen Bonobos, die küssen mit Zunge.

Und verbrauchen dabei, ähnlich wie wir Menschen ca. 6 Kilokalorien pro Minute. Ist jetzt nicht so dolle zum Abnehmen wie z.B. Sex aber doch besser als z.B. gepflegt Flanieren.

Ach, übrigens, das „X“, das die Angelsachsen als Symbol für den Kuss verwenden, soll die beiden Lippenpaare darstellen, die sich in der Mitte berühren. Süß, oder?

Das war’s für heute!


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 December 15, 2015  11m