Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0342: Chanukka


Ich wusste lange überhaupt nichts vom jüdischen Lichterfest. Chanukka kam irgendwann in einem Film oder einer Serie vor. Vielleicht Seinfeld? Als ich dann jüdische Freunde hatte, lernte ich mehr. Und unlängst habe ich mich auch ‘mal um die historischen Hintergründe gekümmert. Hier also eine Kurzeinführung in Sachen Chanukka.

Download der Episode hier.
Opener & Closer: „Adam Sandler – Original Hanukkah Song Video“ von TheJennwag
Musik: „Age of Glory“ von Sunset / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Chag Chanukka Sameach! Ein fröhliches Chanukkafest an alle, die es seit gestern feiern. Also an alle jüdischen Hörenden! Das Chanukkafest ist das jüdische Lichterfest und hat einige Jahre mehr auf dem Buckel als das christliche Weihnachtsfest.

Es ist wahrscheinlich, dass die seltsame christliche Sitte eine Kerze nach der anderen am Adventskranz anzuzünden, von Chanukka abgekuckt ist. Denn das Kerzenanzünden ist das Herzstück dieses Festes. Tatsächlich ist die Chanukkia, ein achtarmiger Leuchter, eine Extrakerzenständer nur für dieses Fest. Und oft hat der achtarmige Leuchter neun Arme – don’t get confused: Der in der Mitte ist nur der Anzünder, der zählt nicht. Das ist der Diener. Oder auch Schammes. An dessen Flamme werden die acht eigentlichen Kerzen angezündet. An jedem Tag von Chanukka eine mehr. Und wenn ihr Leuchter seht, die weder 8 noch 9 Arme haben, sondern sieben, dann ist das eine Menora. Dat is ‘wat janz anderet.

Die 8 ist superwichtig, denn sie verweist auf den Ursprung des Festes zurück. Und das erzählt man normal so: Einst hatten die Griechen Israel erobert. Und entweihten den Tempel. Und wollten, dass im Tempel statt ha’Schem – also dem namenlosen Gott der Torah – Zeus angebetet wird. Und die aßen sogar Schweinefleisch! Da kommt unser Schimpfwort „Schweinepriester“ her.

Aus dem 1. Buch der Makkabäer, das – zusammen mit dem zweiten – aus rätselhaften Gründen in der katholischen Bibel gelandet ist. Denn in die jüdischen „Bibel“ – ihr hört die Anführungszeichen – den Tanach, haben es die Makkabäer nicht geschafft.

Diese Makkabäer, das sind die heldenhaften Rechtgläubigen, die über die Griechen bei einem Aufstand siegten und diese aus Jerusalem warfen. Als der Tempel dann gereinigt und neu eingeweiht wurde – Chanukka heißt Weihung – war in der Menora nur noch Öl für einen Tag.

Aber die Menora musste unablässig brennen! Neues, koscheres Öl herzustellen, das dauert 8 Tage. Da kann man nicht schnell ‘mal eine Handvoll Oliven auspressen oder bei der Nachbarin fragen. Da gibt’s Regeln für! Aber es geschah ein Wunder! Der Leuchter brannte die acht Tage durch, bis endlich das neue Öl fertig war. Also eine Art Zeichen Gottes, dass er mit den neuen Mietern in seinem Tempel durchaus zufrieden war.

Und darum feiert man Chanukka. An jedem Abend wird eine weitere Kerze an der Chanukkia angezündet. Und weil es um Öl geht, gibt’s da auch extra Gerichte mit Öl zu essen. Z.B. in Öl gebackene Krapfen oder Latkes. Das sind im Prinzip Kartoffelpuffer. Oder Reiberdatschi, wie mia song in Minga.

Ach, und da gibt’s für die Kinder noch den Dreidel. Das ist eine Mischung aus einem Kreisel und einem Würfel und kann vier verschiedene Buchstaben anzeigen. Nun, Gimel, Heh und Schin. Dies sind die Anfangsbuchstaben des Spruches: „Nes Gadol Haja Scham“, zu deutsch: „Ein großes Wunder geschah dort.“

Mit dieser Tätigkeit haben die Schrifttreuen das Studieren von Torah und Tanach vor den unterdrückerischen Griechen getarnt. Der Legende nach.

Und weil die allermeisten Juden auf der Welt genauso lasch mit ihren religiösen Traditionen umgehen wie die meisten Christen, hat sich eine neue Form dieser Feier entwickelt. Zuerst hier in Deutschland, als wir unsere jüdischen Mitbürger noch nicht vertrieben oder getötet hatten. „Weihnukka“ nennt sich das. Denn es gibt das sogenannte Dezember-Dilemma für jüdische Eltern. Die christlichen Mitschüler werden zu Weihnachten mit Geschenken überhäuft. Und man will ja natürlich nicht, dass die eigenen Sprößlinge ihr Judentum als Nachteil empfinden.

Darum gibt es in vielen jüdischen Haushalten einen Chanukkabaum. Zum Beispiel mit kleinen Leuchtern geschmückt. Und am achten Tag Geschenke für den Nachwuchs. Wir wissen z.B. von Theodor Herzl, dass er das auch so gehalten hat. Und das ist ja auch o.k. So wie der Adventskranz in die eine Richtung, können ja auch Baum und Geschenke in die andere Richtung adaptiert werden. Und so machen wir Menschen das schon immer. In diesem Fall freut sich auf jeden Fall der Einzelhandel.

Und wie ist die geschichtliche Perspektive auf diese Vorkommnisse, die die Ursache für das Fest sind? Denn die Makkabäer sind in der Wissenschaft mittlerweile ein bisserl in Verruf geraten. Das war gar kein Widerstandskampf, sondern ein Bürgerkrieg, sagen die einen. Oder, noch krasser, die Makkabäer seien die ersten Fundamentalisten. So eine Art Taliban.

Fangen wir von vorne an. Die Griechen aus der Legende, das sind die Seleukiden. Alexander der Große hatte ja das größte Weltreich aller Zeiten erobert. Das natürlich kurz nach seinem Tod gleich auseinanderbrach. Seine Feldherren, die sogenannten Diadochen, teilten sich das in Scheiben.

Seleukos war einer dieser neuen Könige und der bekam Babylon ab. Und da gehörte dann Syrien und bald darauf Israel auch dazu. Und während seine Nachfolger da so vor sich hinherrschten, fand ein Prozess statt, den man Hellenisierung nennt. Das heißt im Prinzip, das die Untertanen in den Diadochenstaaten die griechische Kultur adaptierten. Es hat schon seine Gründe, warum das neue Testament in Griechisch geschrieben ist. Oder griechisch im Römischen Reich das war, was heute weltweit Englisch ist. So eine Art Lingua Franca.

Viele Juden, gerade in den großen Städten vergriechten also schleichend. Vor allem die Oberschicht natürlich, denn das machte einen den Herrschern sympathischer. Ein Prozess, der also überall im ehemaligen Reich Alexanders zu beobachten war.

Und was dann weiter passierte, dafür gibt es eigentlich zu wenige Quellen. Denn die beiden Bücher der Makkabäer sind von diesen selber in Auftrag gegeben und zeichnen uns höchstwahrscheinlich sehr etwas einseitiges Bild.

Wurde im Tempel tatsächlich Zeus verehrt? Oder nur – wie es westsemitische Sitte war – ein heiliger Stein? Und wurde das Judentum gar verboten? Das wissen wir alles nicht.

Wir wissen nur, dass der seleukidische Herrscher, Antiochus IV., in Kämpfe im Osten seines Reichs verstrickt war. Und dass eine Guerillatruppe der Familie der Hasmonäer Jerusalem – und damit den Tempel – zurückeroberten.

Die hatten vorher schon einige andere Orte zurückerobert und waren dabei nicht gerade zimperlich. Zwangsbeschneidung klingt nicht gerade zivilisiert. Aber Kriegsführung in der Antike war nie nur Jux und Dollerei. War es eigentlich natürlich nie. War das übertrieben grausam? Weiß ich nicht. Kommt mir nicht so vor.

Und ob die ganze Bewegung so tief religiös war, wie das die Anhänger der Taliban-Hypothese behaupten, das wage ich auch zu bezweifeln. Die Makkabäerbücher sind auf jeden Fall Geschichtsbücher und haben – religiös gesehen – keinerlei Tiefe. Das sind eher Propagandawerke.

Tatsache ist aber: Das ist das erste historische Beispiel, dass militärische Aktionen hauptsächlich religiös begründet werden. Und man kann auch behaupten: Es war dieser Konflikt zwischen Hellenismus und jüdischen Sitten, der das Judentum überhaupt erst geschaffen hat. Vorher waren Juden halt die Menschen, die in Israel lebten und bestimmte Sitten hatten.

Ohne die Makkabäer wäre das Judentum einfach im Hellenismus aufgegangen. Wie so viele andere Ethnien und Religionen auch. Und dann hätte es auch – 160 Jahre später – diesen Juden Jesus nicht gegeben. Und ohne den gäbe es schließlich auch kein Weihnachten.
Fazit: Von meiner Seite, lieber Jehuda Makkabi – Anführer des Aufstands, vielen Dank!


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 December 8, 2015  14m