Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0337: Gute Nachrichten


Gerade nach dem13. November ist Angst ein weitverbreitetes Symptom. Nicht nur rechte Idioten sorgen sich um Deutschland. Alles wird schlechter und war früher besser. Das ist aber einfach nicht wahr. Die Krise, die wir wirklich haben, ist die Krise des Journalismus: Denn gute Nachrichten muss man mühevoll suchen, schlechte kriegt man jeden Tag in die Fresse. Hier also ‘mal ein paar gute Nachrichten.

Download der Episode hier.
„The World Is Not Falling Apart“ von Steven Pinker und Andrew Mack bei Slate
Opener: „I’m Afraid“ von koit
Closer: „George Carlin ‘We Like War‘“ von CappyNJ’s channel
Musik: „HoPe“ von Ezdrash / CC BY 3.0

+Skript zur Sendung
Es ist zur Zeit zum Mäusemelken: Egal, mit wem ich spreche, alle haben Angst vor der Zukunft. Freunde von mir überlegen z.B. ob sie an einem kommenden Wochenende überhaupt nach Berlin fahren sollten – wegen des Terrorismus. Andere tippen, dass Deutschland spätestens 2100 ein muslimisches Land sein wird. Gefühlt denken die meisten, die Gewalt, der Hunger, gefährliche Krankheiten, die Überbevölkerung und die Musik von Justin Bieber bedeuten den Untergang der Zivilisation.

Dabei stimmt das nur in einem der genannten Punkte. Das Problem ist nicht die Welt oder die politische Lage oder nachprüfbare Fakten: Das Problem ist die Berichterstattung der Medien. Die Fremdenfeindlichkeit der Pegida haben Spiegel, Focus, Stern und Bunte selber mit produziert.

Wenn so etwas wie in Paris passiert, dann überschlagen sich alle, wirklich alle Medien, darin, immer grausamere und detailliertere Informationen zu verteilen. Dann springen Politiker hektisch in die Höhe und sondern Paniklösungen ab und betroffene Schein-Intellektuelle geben ihr Spezialistentum in den allesamt unerträglichen Talkshows zum Besten. Ich finde es zum Kotzen.

Die einzige Möglichkeit, heute geistig gesund zu bleiben, ist es, diese Medien zu verweigern. Und sich selber die Informationen zu suchen, sich selbst ein Bild von der Realität zu malen. Das ist mühsam, aber auf den Journalismus kann man sich nicht mehr verlassen.

Darum habe ich heute ein paar gute Nachrichten gesammelt, die ihr vielleicht so noch gar nicht gehört habt. Weil sie in unseren Medien nicht vorkommen. Ich bin sicher niemand, der behauptet, wir leben im Paradies. Viele Dinge auf dieser Welt sind unerträglich und belasten auch mich. Aber heute ‘mal ein paar Dinge, die in dieser Welt auch erfreulich sind.

Fangen wir doch mit der Armut in der Welt an. Die UNO hat eine unvorstellbare Grenze für die extreme Armut. Nämlich Menschen, denen weniger als $ 1,25 am Tag zur Verfügung steht. Man kann sich vorstellen, dass das gerade die Grenze ist, an der man von Überleben sprechen kann.
1990 traf diese Definition auf 2 Milliarden Menschen auf diesem Planeten zu. Also fast auf die Hälfte. Jetzt, 2015, gilt da nur noch für 830 Mio. homo sapiens, was ca. 15% ausmacht. Das ist immer noch zuviel, aber habt ihr das irgendwo gelesen?

Wir sind auch dabei, den Hunger dauerhaft zu besiegen und keinen freut’s. Im 21ten Jahrhundert sind bislang 600.000 Menschen verhungert. Also, grob gerechnet, 40.000 im Jahr. Das ist immer noch keine tolle Nachricht, aber ratet ‘mal, wie viele Menschen z.B. 1960 jedes Jahr verhungert sind? Fünf Millionen! Jedes Jahr! Noch in meiner Kindheit und Jugend waren großflächige Hungerkatastrophen eher die Regel als die Ausnahme. In den letzten 20 Jahren hatten wir nicht eine einzige.

Oder die Kindersterblichkeit. Noch im Jahr 1990 starben weltweit fast 13 Mio. Kinder unter fünf Jahren. Jetzt, 25 Jahre später sind es nur noch 6 Millionen. 54% weniger. Das ist die niedrigste Zahl, die es in der Geschichte der Menschheit jemals gab. Und, natürlich, immer noch zuviel. In Afrika ist die Chance heute immer noch 1:12, das ein Kind nicht fünf Jahre wird und in Deutschland so wie 1:150. Aber trotzdem ist das doch ein Erfolg! Auch die Müttersterblichkeit bei der Geburt hat sich halbiert.

Und die Position der Frau weltweit auch. Zwar ist immer noch eine von drei Frauen von körperlicher oder sexueller Gewalt bedroht, klar. Aber – hey, Vergewaltigung in der Ehe ist auch bei uns in Deutschland erst seit den Neunzigern straffällig! Die Lebenserwartung der Frau ist mittlerweile weltweit bei 72 Jahren. Mehr Frauen bleiben in der Schule, immer mehr Frauen gehen einer bezahlten Arbeit nach und Zahl von Gewaltstraftaten gegen Frauen hat sich nicht nur in den USA oder Deutschland halbiert, sondern eben auch weltweit.

Ach ja, bleibt der böse Terrorismus. Logisch ist ein Problem. Aber auch da hört man bevorzugt die falschen Nachrichten:

Wie wäre es stattdessen damit, dass Boko Haram wahrscheinlich innerhalb der nächsten Monate sein gesamtes Territorium verloren haben wird? Denn seit dem Regierungswechsel in Nigeria geht’s denen richtig schlecht. Ihr erinnert euch an Boko Haram? Die letztes Jahr die 250 Mädchen aus der Schule entführt haben? Die ganze Dörfer ausgelöscht haben? Und eine Fläche, etwas größer als die Schweiz, mitten in Afrika kontrollierten. Die Hälfte hat sich das nigerianische Militär schon wieder geholt und auch ausländische Quellen teilen die Einschätzung, dass die andere Hälfte nächstes Jahr dran ist.

Allgemein: Wir leben jetzt gerade in den friedlichsten Zeiten der Menschheit!
Massentötungen nehmen weltweit seit 1992 stetig ab. Da ändert weder ISIS noch die Amokläufer etwas daran. Kriege werden immer unblutiger und fordern immer wenige Opfer. Und die Anzahl an Morden nimmt nicht nur in Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder den USA ständig ab, sondern auch in Ländern von denen man das nicht erwartet. Nimmt man den Zeitraum seit 2010, dann ist die Anzahl an Toten durch Gewaltverbrechen in Mexiko um 90% gefallen, in Kolumbien um 85%, in Sao Paolo um 70% in Rio de Janeiro um sechzig Prozent und hat sich in Russland und Südafrika halbiert.

Steven Pinker and Andrew Mack habe sich die Zahlen angeschaut und schätzen, dass die Wahrscheinlichkeit durch Gewalt zu sterben noch 1950 mehrere tausend Mal höher war als jetzt. Ich habe den Artikel verlinkt.

Noch nie sind so wenig Babies gestorben, noch nie so wenige Menschen durch Gewalt, noch nie wurden Menschen so alt wie heute, noch nie starben so wenige in Kriegen, noch nie war die Position der Frau besser, niemals gab es weltweit eine bessere medizinische Versorgung. Das sind die Fakten.

Und wir sitzen mit unseren dicken Bäuchen vor den Fernsehern und schlottern vor Angst. Das liegt natürlich nicht nur am Journalismus, aber hauptsächlich an diesem. Ein Video im Abendprogramm zu zeigen, wo psychopathische Terroristen einer Geisel den Kopf mit einem Messer abschneiden, das ist einfach unverantwortlich.

Das liegt natürlich auch daran, dass wir mitterweile 2 Milliarden Menschen haben, die jederzeit eine Videokamera dabeihaben. Und daran, dass uns schreckliche Nachrichten aus allen Ecken der Erde jederzeit erreichen.

Aber es liegt auch an uns. Unser Hirn bastelt sich Wahrscheinlichkeiten nämlich danach, was es gesehen hat und nicht nüchtern an Zahlen. Und wir sehen halt ununterbrochen Bilder von den Grausamkeiten der Welt. Es lässt sich gar nicht vermeiden.

Und der letzte Grund: Auf den sozialen Medien kann jeder seiner Angst und seinem Hass freien Lauf lassen. Da denkt man schnell, alle Menschen haben die Meinung A oder die Angst B. Und wenn das so ist, dann wird doch wohl schon ‘was dran sein, oder?

Ist es nicht. Die meisten Menschen haben nämlich gar keine eigene Meinung, sondern quasseln nur etwas nach, was sie irgendwo gehört haben. Lasst euch nicht verrückt machen: Die Welt ist ein gefährlicher Ort. Und ihr werdet irgendwann sterben. Aber sie war noch nie so wenig gefährlich wie heute.


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 December 1, 2015  12m