Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0336: Inhalt: Null!


Wenn ich doch nur früher bei Mathe mehr aufgepasst hätte! Aber nachdem die Coolen alle meinten, Mathe sei langweilig, habe ich das auch gedacht. Na ja, der Unterricht war auch wirklich nicht spannend. Aber jetzt, wo ich die Schönheit der Mathematik ahne, reut es mich. Und übrigens: Die Null ist eine der schönsten Zahlen!

Download der Episode hier.
Opener: „Zero the Hero by Joan Holub & illustrated by Tom Lichtenheld“ von MacmillanChildrens
Closer: „Sargent Schultz I see nothing“ von RoosterBootsBand
Nothing Much (My Bubba & Mi) / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Ave, discipulae et discipuli! Bitte rechnet auf dem Blatt aus, was LXIII + XLII ergibt. Ich spiele derweil auf meiner Cornu ein kleines Lied. Wie bitte? Das geht nicht? Ihr könnt nicht auf dem Blatt CV ausrechnen? Und was ist mit Subtrahieren? Dividieren? Multiplizieren? Auch nicht?
/dramatic

So litten also römische Mathelehrer. Denn die römischen Ziffern, so wie wir sie kennen, sind ein sehr umständliches Zahlensystem. Angeblich stammen sie direkt von einem Kerbholz-Alphabet ab, das man zur Erstellung primitiver Schuldscheine benutzte. Auf einem Holzstock kerbte man die Ziffern ein uns spaltete den dann. Die eine Hälfte für den Gläubiger, die andere für den Schuldner. Nur mit beiden Hälften machte das Sinn, nachträgliche Änderungen wurden sichtbar und nur diese zwei Splitterstäbchen passten zusammen.

Klar, I oder X oder L, das kann man gut kerben, aber man kann nicht wirklich damit rechnen, wie wir gerade an dem Beispiel aus dem alten Rom gelernt haben. Man kann das schon auf ein Blatt schreiben, aber die Rechenarbeit bleibt dann im Kopf. Klar kannten die Römer auch Rechentricks, wie Zahlen in kleinere Einheiten zerhacken – oder eben all die anderen Kniffe, die wir auch in der Grundschule lernen.

Aber mit dem Matheunterricht ab ca. der fünften Klasse wären sie mit ihrem System wahrscheinlich überfordert. Denn der zweite der drei Haken ist, dass bei „M“ der Zahlen-Ofen aus ist. Tausend ist die höchste Zahl. Viel Spaß dabei, wenn man jetzt zum Beispiel Entfernungen im Weltraum aufschreiben will. Schon Hunderttausend schreibt man mit römischen Zahlen eben M, M, M, M, M, M, M, M… O.k., stimmt nicht ganz, aber es funktioniert nur mit Tricks. Mit Apostrophus, Vinculum, Rahmen oder in einer Multiplikationsschreibweise.

Und dann bleibt noch der dritte Haken: Die Römer kannten keine Null. Und die Null ist sehr, sehr wichtig. Dazu gleich mehr. Ihr seht also: Gut, dass wir arabische Ziffern haben! Danke, Arabien!

Zumindest dafür, unser Zahlensystem aus Indien importiert zu haben. Denn genau genommen, verwenden wir indische Zahlen. Unsere Zahlen stammen direkt aus der Brahmi-Zahlschrift, wo die Null als Kringel oder Punkt schon genauso verwendet wurde wie jetzt. Und sunya heisst, was sich gut mit „Nichts“ übersetzten lässt. Dass war wichtig, denn im Unterschied zu den Römern beschäftigte man sich in Indien durchaus mit so großen Zahlen. Und das schon dreihundert Jahre vor unserer Zeitrechnung.

Im siebten Jahrhundert besetzten die Araber den Irak und Persien und lernten so diese Zahlschrift kennen. Um das Jahr 825 herum schreibt Abu Dscha’far Muhammad ibn Musa al-Chwarizmi sein Werk über das Rechnen mit den indischen Ziffern. Das Werk liegt uns nur in einer lateinischen Version vor, „Algoritmi de numero Indorum“ wobei „Algoritmi“ eine Verballhornung des nun wirklich schwierig auszusprechenden arabischen Namens ist. Daher also unser „Algorithmus“

Aber Al-Chwarizmi erfindet gleich die Algebra mit. Sein zweites Werk heißt „ al-Kitāb al-muḫtaṣar fī ḥisāb al-ğabr wa-ʾl-muqābala“. Zu deutsch: „Das kurzgefasste Buch über die Rechenverfahren durch Ergänzen und Ausgleichen“ Al-Gabr wird bei uns zu Algebra. Und erführt die Null ins Arabische ein. Im Arabischen heißt die Null „Sifr“ – das Wort, von dem unsere „Ziffer“ abstammt.

Wahrscheinlich wegen dieser außerordentlichen Leistung nennen wir unser Zahlensystem „arabisch“. Den Sprung ins Abendland macht es erst um 1202. Im Werk „Liber abaci“ von Leonardo Fibunacci. Der nennt die Zahlen aber noch brav indisch.

Warum ist also die Null so wichtig? Eine Zahl, um Nichts zu beschreiben? Gibt’s die Null überhaupt?

Sie ist ja schon praktisch, weil ja sonst nach Neun Schluss wäre mit Zählen.
Ab 10 wiederholt sich unser System beliebig. Und selbst Erstklässler erkennen recht schnell, wie das ab 20 dann so weitergeht.

Die römischen Grundschüler hatten’s da ein bisschen schwieriger, wie gesehen.

O.k. Zugegeben: Man kann natürlich ewig Nullen miteinander addieren oder Multiplizieren, ohne dass sie mehr wert werden. Aber auf eine Frage wie „100 minus 100“ oder C – C hatten die Römer einfach keine Antwort.

Eine andere Stärke der Null ist natürlich, dass man sie an andere Zahlen dranhängen kann. Und schon wird, mit dreimal nichts aus einer mageren Eins eine imposante Tausend. Mit sechs dann eine Million, mit neun dann eine Milliarde. Ein Zahlenraum, der schon einmal für die Beschreibung unserer alltäglichen Realität völlig reicht. Für meine Kontostand z.B. reichen sogar schon zwei Nullen.

Die Null schafft also einen freien, unbegrenzten Zahlenraum, in dem sich jede beliebige Zahl mit jeder anderen beliebig addieren, multiplizieren, subtrahieren oder dividieren läßt. Eine Mathematik ohne Grenzen. Speziell, wenn man negative Zahlen berücksichtigt. Denn welche Zahl sollte wohl sonst zwischen -1 und 1 liegen?

Stellt sich halt die letzliche, hoch philosphische Frage: Gibt’s denn die Null überhaupt? Gibt es „Nichts“?

Eine berechtigte Frage, über die Philosophen, Physiker und Mathematiker trefflich diskutieren können. Weswegen wir das in Deutschland ein für allemal geregelt haben. Mit einer ordentlichen Teutschen Industrienorm.

Und zwar DIN 5473. Die „Null“, das ist seit 1995 in Bits gemeißelt, ist eine natürliche Zahl. Basta.

Ach, apropos Bits: So ein Bit kann man ja nur mit einem Wert füllen, mit „1“. Oder leer lassen. Also „0“. Ohne die Null gäbe es kein Binärsystem, keine Transistoren, keine Computer und keine Smartphones. Und auch nicht diese Sendung.

Also ist die Zahl ohne Wert die wertvollste Zahl für die Mathematik. Wer also null Bock auf Mathe hat, der steckt in Wirklichkeit schon mittendrin in der modernen Algebra!


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 November 30, 2015  11m