Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0335: Viva la Revolucion!


Tyrannen und Diktatoren. Freiheitskämpfer und Guerilleros. Der kalte Krieg war auch eine Zeit von Revolutionen und Machtwechseln. Den bitteren Freiheitskampf meines Heimatlands Olivien haben die Medien aber leider vergessen. Darum heute eine Aufzeichnung von der allerersten Ansprache des neuen Präsidenten.

Download der Episode hier.
Opener: „Woody Allen Bananas – Funny Montage Scene“ von Devin’s Channel
Closer: „fidel simpsons“ von dajnezajebavajteme
Background „Whoosh“-Werbung: Background: “Clear Day” – Composed and performed by Bensound / CC BY-NC-SA 3.0
Musik: „Pulga Presidente“ von Atajo / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Es gab endlich die ersehnte Revolution! Und bald wird der neue Präsident im Fernsehen seine erste Ansprache halten. Die Bürger sind schon sehr gespannt. Und der neue Präsident auch. Wir sehen ihn an einem aufgeräumten Schreibtisch im luxuriösen Anwesen des gestürzten Tyrannen sitzen. In seiner Guerilla-Uniform wirkt er etwas verlassen in dem großen Raum voller Spiegel. Vor ihm steht eine Fernseh-Kamera mit gelangweilter Crew. Mehrere Scheinwerfer sind auf ihn gerichtet.

Doch er blätter noch nervös in seinen Notizen. In ein paar Minuten beginnt die Übertragung!

„Volksgenossen und Volksgenossinnen von Olivien!
Nee, das geht nicht. Das klingt ja nach Sozialismus pur. Und gegendert ist es auch noch. Hm, was mach ich nur?
Bürger, Bauern und Freunde! Wir haben es geschafft!
Das ist ja noch schlimmer. Bürgerinnen, Bäuerinnen und Freundinnen – wie klingt das denn?
An alle Menschen, die hier leben! Wir haben…
Das ist ja nun wieder zu beliebig. Die ersten Worte müssen stark sein.
Olivianer und Olivianerinnen…
Olivianer? Nennt man unsere Leute so? Das hab’ ich mir noch nie überlegt…

Oh, mein Gott! Ich komme nicht weiter!
Wo ist Alvarez, wenn man ihn braucht? Muss ich das alles alleine machen, verdammt?
Bringt mir sofort Alvarez! Wo treibt der sich rum?
Und apropos Rum – bringt mir einen Rum! Das schaffe ich sonst nicht!“

Es vergeht nicht viel Zeit, bis erst der Rum kommt und in einem Zug geleert wird.
Und dann kommt Alvarez. Der beste Freund und Kampfgefährte des Präsidenten. Viele sagen ja, er wäre das Hirn der Revolution gewesen.

„Alvarez, bester Freund und Kampfgefährte!“
„El Presidente, alte Schweinebacke – Du schaust ja wieder scheisse aus!“

Die beiden Männer umarmen sich kameradschaftlich. Viele Schultern werden geklopft.

„Alvarez, ich hänge bei meiner Rede fest! Du musst mir helfen. Viele sagen ja, Du wärst das Hirn der Revolution gewesen!“
„Ich? Ooch nein! Wer sagt denn sowas? Woran hakt es denn?“
„Wie nennt man eigentlich unsere Bevölkerung? Olivianer? Was ist der richtige Sammelbegriff?“
„Wie wäre es mit Idioten?“

„Oh. Ich sehe – die Arbeit mit den Bürgerräten läuft nicht so gut, oder?“
„Es ist die Hölle, die pure Hölle! Kindergarten, sag’ ich Dir. Ach ‘was, schlimmer! Elternabend! Ich meine, kaum haben wir eine Demokratie, schon meint jedermann, seine Bedürfnisse anmelden zu können! Und es fehlt an Geld, vorne und hinten!“
„Da müssen wir gleich drüber sprechen, aber jetzt muss ich diese Ansprache halten. Ich trage Dir ‘mal vor, was ich schon habe, ok?“
„Ach, wegen der Ansprache…“
„Also: Olivianer und Olivianerinnen! Es ist geschafft! Wir haben nach langem, entbehrungsreichen und leider auch blutigem Kampf das Joch der Tyrannei abgeworfen!“
„El Presidente – wegen der Ansprache, da gibt’s ein kleines Problem!“
„Niemand wir je wieder die guten und rechtschaffenen Bürger unseres schönen Landes versklaven und ausbluten lassen! Ab jetzt gilt in Olivien gleiches Recht für alle!“
„Hallooo! Ich muss Dir ‘was wegen der Rede sagen!“
„Nach eine noch nicht genau bestimmten Zeit des Übergangs werden meine Kampfgefährten und ich die ersten freien Wahlen in Olivien ausrufen. Und jeder Bürger, egal wie alt, welchen Geschlechts und welchen Einkommens hat genau eine Stimme!“
„(schreit) Halt! Das wird nicht die Rede sein, die Du hältst!“

„Was? Wieso? So schlecht? Ich dachte eigentlich…“

„Presidente, kannst Du Dich noch an die guten alten Zeiten unseres Kampfes erinnern? Wo wir uns im Dschungel verstecken mussten? Und meistens nichts zu fressen hatten? Und uns zu dritt eine Kalaschnikov teilen mussten?“
„Klar kann ich mich daran erinnern! Das ist gerade ‘mal drei Wochen her!“
„Genau. Und dann bin ich mit einem Haufen Geld gekommen. Erinnerst Du Dich?“
„Natürlich. Und wir konnten Waffen kaufen. Und vor allem die Nationalgarde bestechen. Das hat alles geändert“
„Genau. Und das Geld, das stammt von einem Sponsor.“
„Sponsor? Ich dachte von irgendwelchen olivianischen Milliardären…“

„Presidente, das ist ein Oxymoron.“
„Ein was?“
„Ein Ausdruck, der sich selbst widerspricht. So wie schwarzer Schimmel. Oder konstruktive Bürgerräte. Verstehst Du?“
„O.k. aber was hat das mit meiner Ansprache zu tun?“
„Unser Sponsor, der hat richtige Medienprofis. Leute, die schreiben können. Die wissen, wie man Menschen motiviert. Die sich mit solchen Dingen auskennen. Und die haben die Ansprache schon für Dich gemacht – Du musst sie nur noch vorlesen!“

„Oh! Prima! Das ist ja eine gute Nachricht! Wo ist sie?“
„Hier! Und jetzt setz’ Dich, Presidente! Das wir alles toll – in 15 Sekunden geht’s los!“

Der neue Präsident von Olivien setzt sich wieder an den Tisch. Nervös richtet er seine Uniform. Jemand pudert ihm noch schnell zwei, drei Schweißtröpfchen von Stirn und Oberlippe.
Jemand zählt einen Countdown runter, die Ziffern drei, zwei und eins zeigt er mit den Fingern. Die Kamera läuft.

„Bewohner unserer geliebten Heimat! Heute ist ein großer Tag für unsere Nation. Auch wenn unsere Geschichte schmutzig war und voller Blutflecken – bin ich mir hier und heute sicher, dass wir diese Flecken entfernen können und sauber, nein, sogar rein in die Zukunft blicken können!
Wir müssen alle gemeinsam an einem Strang ziehen um endlich ein Land zu schaffen, in dem unsere Kinder spielen können, ohne ständige Furcht vor… Grasflecken?
Wo jeder Hausmann und jede Hausfrau seine Waschmaschine auch bei niedrigen Temperaturen waschen lassen kann und trotzdem erstaunliche Sauberkeit erreicht.
Ich verspreche euch allen eine neue, weiße und saubere Zukunft. Nein, nicht nur sauber, sondern rein!“

Ein sexy Hausmann und eine sexy Hausfrau setzen sich unvermittelt links und rechts neben El Presidente auf den Schreibtisch und halten mit einem breiten Grinsen eine Packung „Whoosh“-Waschmittel in die Kamera.

„Whoosh! Nur einmal gewaschen und alle Flecken sind weg! Rein und sauber auch bei niedrigen Temperaturen! Entfernt hartnäckigste Grasflecken und sogar Blut! Empfohlen vom Revolutionsrat und von unserem Präsidenten! Whoosh! Jetzt in der revolutionären 3-Kilo-Trommel!“

„Gute Nacht. Bewohner unserer sauberen und reinen neuen Heimat!“

Der Mann hinter der Kamera ruft „Cut“ und „Gut gemacht, El Presidente!“
Alle verlassen den Raum. Nur Alvarez bleibt.
El Presidente starrt immer noch mit großen Augen in die Kamera. Er presst die Kiefer zusammen. Fest. Sehr fest. Man kann das hören.

„Und? Presidente? Hat doch gar nicht wehgetan, oder? Wegen der Finanzprobleme, über die wir vor Deiner großen Ansprache – übrigens total glaubwürdig rübergebracht, Respekt – geredet haben. Ich hätte da eine Idee. Und sogar schon einen Partner. Wie denkst Du eigentlich so über Katzenfutter?“


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 November 27, 2015  14m