Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0417: Geschichte des G.U.I.


Meinen ersten PC habe ich mir 1986 gekauft – einen Fat Mac. Und dabei zum ersten Mal ein Graphical User Interface benutzt, ein GUI. Das war eine ganz andere Erfahrung als vorher mit dem C64 oder dem DOS der IBM-PCs. Eine Revolution. Und die passierte so…

Download der Episode hier.
Bildbeitrag: By Source (WP:NFCC#4), Fair use, https://en.wikipedia.org/w/index.php?curid=42256455
Closer: „Steve Jobs vs Bill Gates. Epic Rap Battles of History“ von ERB
Opener: „Macworld Boston 1997-The Microsoft Deal“ von The Apple History Channel
Music: Musik: „Lemon Pop“ von The Verandas / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Die Geschichte geht ungefähr so: Ganz am Anfang gab es Computer. Die waren Spielzeuge für Nerds. Wer keinen Lötkolben bedienen konnte und Assembler-Code träumte, der konnte damit nichts anfangen. Dann kam Gott, in der Gestalt von Steve Jobs, und erfand den Personal Computer. Den Mac. Und mit dem Mac ein Betriebssystem mit Fenstern, Dokumenten, Ordnern, Malprogramm und einem Papierkorb.

Das GUI war geboren. Das Graphical User Interface. Die grafische Schnittstelle zum Benutzer. Dann schlich heimlich Bill Gates in die Apple-Labore und kopierte alles. Klaute die genialen Erfindungen des hochkreativen Teams und Gottes, in der Gestalt von Steve Jobs. Damit war das nächste GUI geboren, nämlich Windows.

Dann hatten die beiden Firmen einen laaangen Rechtstreit und haben sich dann außergerichtlich geeinigt. Aber jeder Apple Fanboy glaubt immer noch, heimlich, dass Bill Gates nur ein Dieb ist und Steve Jobs eben Gott.

Und tatsächlich ist das GUI der entscheidende Schritt in der Computer-Revolution gewesen. Jeder hat heute einen Rechner, die meisten von uns arbeiten an einem Rechner und praktisch jeder Rechner hat ein GUI, auch die Smartphones, die wir benutzen.

Mittlerweile arbeitet schon eine ganze Generation mit Rechnern, die nicht mehr weiß, wie das war vor den GUIs, vor Windows, vor dem MacIntosh. Und das ist auch gut so, denn es war eine Krankheit. Lassen wir jetzt ‘mal außen vor, dass die allerersten Computer überhaupt keinen Monitor hatten, sondern nur per Lochkarten bedienbar waren. Das sind so Dinger wie man sie bekommt, wenn man an der Tankstelle in die Waschstraße fahren will.

Dann kam der Monitor. Ein kleines Rechteck blinkte einen an. Meistens in grün. Mehr nicht. Um jetzt irgend etwas machen zu können, musste man die Sprache des Computers sprechen. Wenn man die Befehle nicht kannte, dann blinkte das Rechteck nach Ausgabe einer Fehlermeldung vorwurfsvoll weiter.

Um z.B. ein richtiger DOS-Profi zu sein, musste man schon fünfzig Befehle kennen. Und die Parameter dazu auch noch. Schön und gut. Aber was kann man jetzt im Büro mit so einem Computer anfangen? Wie kann man Texte bearbeiten?

Stellt euch also vor, ihr tippt einen Text in das Gerät. Und dann entdeckt ihr einen Tippfehler. In der dritten Zeile. Was jetzt? Das Wort anklicken? Geht nicht. Keine Maus. Hochscrollen. Geht nicht, kein Fenster, kein Scrollbalken, kein Scrollen. Den Text noch einmal eingeben und den Fehler nicht noch einmal machen? Wäre eine Option.

Bei den ersten Text-Editoren gab es Befehle wie: „Ändere das dritte Wort in der 10. Zeile von Grmpflos in Grundlos. Drucke den Text aus.“ So ungefähr ging das. Diese Befehle musste man kennen und eintippen. Und drucke den Text aus – PRINT – ist ein Befehl, der bedeutet, dass man den Text noch einmal komplett am Monitor sieht.

Eine Qual, aber schon ein Fortschritt zur Schreibmaschine. Die kannte nur eine mögliche Fehlerkorrektur. Das war eine milchige, klebrige Masse, die man auf den Fehler schmierte. Das Tipp-Ex.

Trotzdem. Mit so einer Maschine konnte man also Texte erfassen. Aber nur mit getippten Wörtern, nur mit DOS-Befehlen malt man kein Bild und bearbeitet man keinen Ton.

Der wichtigste Durchbruch in dieser Entwicklung war also natürlich die Maus. Und die hat nicht Gott in der Gestalt von Steve Jobs erfunden, sondern Bill English und Douglas Engelbart. 1963 erfanden sie einen Holzkasten mit zwei Rädern unten dran und einem roten Knopf oben drauf.

Damit konnte man jeden beliebigen Punkt auf dem Monitor anrollen. Aber ein GUI ist das noch nicht.

Die Geschichte geht mit Fotokopierern weiter. Da gab es eine große Firma, die die herstellte, die hieß XEROX. Vor Computern war der Bedarf an Kopien in einem Büro riesig. Jeder Schriftwechsel erzeugt bei jedem eine Kopie. Ein gutes Geschäft. Im Amerikanischen gibt es den Ausdruck „to xerox“ für kopieren. Aber schon in den Sechzigern faselten die Computernerds von der Zukunft. Vom papierlosen Büro. /Clip: Laughter

Deswegen steckte XEROX einen Haufen Geld in eine verrückte Truppe von solchen Nerds und gründete im sonnigen Kalifornien das PARC. Palo Alto Research Center.

Da arbeitete bald auch Bill English, der mit der Maus. Und der heimliche Leiter dieser Truppe war Robert Taylor, dem es gelang eine hochkreative Atmosphäre zu erzeugen, die jeder Idee eine Chance gab.

Jahrelang hatte das Team Zeit, die Revolution vorzubereiten. Damit XEROX ein Teil davon sein kann und auch in Zeiten des papierlosen Büros /Clip: Laughter mitverdienen kann.

Und das gelang im Prinzip auch. Diese Menschen erfanden das Graphical User Interface. Um in einem Dokument etwas zu ändern, rollte man mit der Maus dahin und änderte das. Und sie erfanden WYSIWIG. Ein Designprinzip, das übersetzt bedeutet: Was man auf dem Monitor sieht, ist mit dem identisch, was man ausdruckt. Ach ja: Den Laserdrucker erfanden sie auch. Und den ersten PC, den XEROX Alto. Mit Tabellenkalkulation, Kartenprogramm, Nachschlagewerk, Textverarbeitung, Zeichenprogramm und mit Email. Denn Ethernet haben sie auch gleich erfunden.

Jeder, der die kleine Kiste namens Maus über den Tisch schieben konnte und den Knopf drücken, konnte auch den Computer bedienen. Keine Befehle mehr zu lernen. Und was man auch machte, das passierte live auf dem Monitor. Die Arbeit dieser Gruppe machte die PC-Revolution erst möglich.

Das alles interessierte in der Firmenleitung in New York aber keine Sau. Nur der Laserdrucker, den nehmen wir, hamse dann gesagt, das ist ja im Prinzip wie ein Fotokopierer. Vielen Dank!

Aber dann kam Bill Gates und ließ sich das alles vorführen und war völlig von den Socken. Richtig, Bill Gates. Erst danach kam Gott in Gestalt von Steve Jobs in das PARC-Labor und war auch völlig von den Socken. Aber im Gegensatz zu Gates unternahm er etwas. Einige Konzepte nahm er mit. Dieses Recht hatte er mit Apple-Aktien tatsächlich bezahlt. Was der Firmenleitung von Xerox gefiel, die konnten eh’ nichts damit anfangen.

Und einige Entwickler warb er gleich mit ab für sein MacIntosh-Entwicklerteam.

Und mit dem MacIntosh und dem Finder entstand dann wirklich das GUI, wie wir es heute kennen. Die Schreibtisch-Metapher stammt von dort. Also der Desktop; Dateien, die wie Dokumente aussehen; Ordner, die wie Hängeregister aussehen und die süße, kleine Mülltonne, die anschwillt und sich mit Geräusch leeren läßt.

Und weil der MacIntosh entgegen der Legende ein Desaster war, ein Riesenflop, lizensierte Apple das Interface an Microsoft weiter. Wegen Geld. Ja, Microsoft hatte das Recht, Teile des Mac-Interfaces zu kopieren. Als es dann mit Windows 3.0 endlich auch benutzbar war, taten alle ganz überrascht. Für die Medien war klar: Bill Gates hat das geklaut!

Ein Rechtsstreit entbrannte. Apple behauptete, Microsoft habe nicht nur die lizensierten Ideen wie Fenster, Dokumente und so weiter geklaut, sondern das ganze „look & feel“. 180 Dinge zählte Apple auf, die Microsoft geklaut hätte. 170 davon lehnte das Gericht ab, die seien mit dem Vertrag zwischen den beiden Firmen abgeleistet. Über 9 könnte man reden, aber die habt ihr beide bei Xerox abgekuckt. Nur die süße, kleine Mülltonne – die dürft ihr behalten. Die darf euch keiner nachmachen.

Und so haben nur Rechner von Apple eine süße, kleine Mülltonne. Alle anderen müssen einen Papierkorb benutzen. Und der darf – rein juristisch – nicht anschwellen, wenn Dokumente drin sind.

1997 dann war Apple pleite. Und sie holten Gott in Gestalt von Steve Jobs wieder an Bord. Und der holte sich 150 Millionen Dollar von seinem Freund Bill Gates. Damit war der Rechtsstreit beendet.

Im Prinzip benutzen die meisten Computer auch heute noch diese Metapher, die der Mac 1984 etablierte. Nur die Smartphones, die sind ein bisschen anders. Aber das lässt sich anscheinend nicht übertragen, wenn man sich die Windows 8 so betrachtet. Da wollten alle wieder ihren Desktop. Und ihren süßen, kleinen Papierkorb.


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 April 6, 2016  14m