Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0420: Fünf Alltagsfragen


Angeblich hat Max Plancks Patenonkel ihn verspottet, als er „Physiker“ als seinen Berufswunsch nannte. Weil ja die Physik zu Ende geforscht war. Werch ein Illtum! Und auch heute sind noch Millionen Fragen offen. Hier also fünf Beispiele aus dem Alltag.

Download der Episode hier.
Opener: „SoLa 2009 – Die Wissenschaft hat festgestellt“ von DasSommerlager
Closer: „The Simpsons Springfield’s Science Riot“ von heatseekerx51
Musik: „Spinning (2016)“ von LIV MARGARET / CC BY-NC-ND 3.0

+Skript zur Sendung
Auch nach längerer Suche habe ich keinerlei Quellen gefunden zu der These, dass Zigaretten Heu enthalten. Aber die Wissenschaft hat trotzdem schon das eine oder andere festgestellt. Zum Beispiel, dass im Zentrum der Milchstraße, in 28.000 Lichtjahren Entfernung wahrscheinlich ein riesengroßes schwarzes Loch alles antreibt. Oder dass das Higgs-Boson eine Masse von ca. 2,25 · 10 hoch -25 kg hat.

So umfangreich ist wissenschaftliche Erkenntnis, dass manche Menschen der Meinung sind, eigentlich wüssten wir ja schon genug. Warum noch einen Partikelbeschleuniger bauen oder noch eine Raumsonde ins Weltall schicken?

Vor hundert Jahren gab es schon einmal so eine wissenschaftliche Sattheit. Man hatte mit der Thermodynamik eigentlich sein mechanisches Weltbild komplett. Die Physik war ausgeforscht. Alles konnte höchstens noch genauer gemessen werden. Aber dann kamen Max Planck und Albert Einstein. Und stellten alles erst einmal auf den Kopf.

Dabei kann die Wissenschaft viele einfache Alltagsfragen immer noch nicht beantworten. Hier einmal fünf Beispiele.

Warum fliegen Motten ins Licht?
Sind die alle lebensmüde? „ Oh nein! Menschen, mit einer Kerze? Wie schrecklich! Das halte ich nicht mehr aus!“ Pssccht. Die gängige Theorie ist eigentlich nicht ‘mal so viel anders und geht ungefähr so. „ Da leben also diese armen Motten, und die kennen ja nur Mondlicht. Und dann haben sie ihren Flugkurs in einem Winkel zum Mond berechnet. Und dann kam der Mensch mit Lagerfeuer, Straßenlaternen und Taschenlampen. Und macht den Motten-Navi kaputt. Und schon verrechnen sie sich zu Tode.
Aber ‘mal ehrlich: Ihr doofen Motten, passt euch ‘mal an! Schon homo habilis hat Feuerchen geschürt, ihr hattet ca. drei Million Generationen Zeit euch anzupassen. Schaut euch den Birkenspanner an. Der wurde in ein paar Generationen schwarz, um sich an verschmutzte Birkenborke anzupassen. Und noch ‘was: Warum sollten Motten transversale Navigation benutzen? Die Hälfte der Mottenarten migriert nicht einmal.
Tatsache ist, wir wissen einfach nicht, was dieses Kamikaze-Verhalten auslöst. Und die Theorie, die wir haben, ist nicht besonders tragfest.

Wenn wir schon bei selbstmörderischem Verhalten sind: Warum wollen Paranüsse im Müsli immer zuerst gegessen werden? Ist das Dasein in der Müslitüte so deprimierend? Rotzige Rosinen, herrischer Hafer und keifende Quinoa? Die Tatsache, dass die Paranüsse im Müsli immer nach oben transportiert werden, das nennt man tatsächlich den Paranuss-Effekt. Ein bestimmtes Verhalten der Entmischung oder Segregation. „Beim Transport des Müslis entstehen Hohlräume, in die die kleineren Bestandteile rutschen und so die großen nach oben transportieren.“ So die Theorie. Denn dieser Effekt ist ja nicht auf Müsli beschränkt, sondern gilt für die Dynamik aller Granulate. Das beschäftigt die Geophysik durchaus. Denn es gibt – und jetzt wird’s verwirrend – den umgekehrten Paranuss-Effekt auch. In bestimmten Müslimischungen können die großen Nüsse auch unten landen. Oder anders ausgedrückt: Wir haben in Wirklichkeit nicht den Hauch einer Ahnung, was da passiert.

Ich hatte einen Physiklehrer, der an der Schule berüchtigt war. Weil seine Experimente immer glorreich scheiterten. Eines Tages kam er mit einer großen Metallkugel herein. Dann pickte er ein Mädchen mit langen Haaren als Unfreiwillige heraus. Und arbeitete sich heftig an einer Kurbel ab, bis er völlig außer Atem war. Und als Christine Jasny dann die Kugel berührte, passierte: Nichts. Drei-Wetter-Taft hatte gewonnen. Ach, die Achtziger.

Demonstrieren wollte er statische Elektrizität. Reibt man bestimmte Objekte aneinander, entsteht ein Elektronenfluss. Und dann ist ein Material mit einer statischen Ladung versehen und das andere mit der umgekehrten. Und wenn sich das entlädt, dann kann das schon an den Fingern britzeln. So die Theorie. Die übrigens, nebenbei erwähnt, seit 2011 ziemlich im Wanken ist. Aber gehen wir ‘mal davon aus, dass da was dran ist: Warum fließen denn die Elektronen bei Reibung nur in eine Richtung? Warum nicht in beide? Kann mir das jemand erklären? Nö, kann keiner. Wir wissen es nicht.

Ich gehöre zu den zehn Prozent. Und zwar zu den zehn Prozent, deren Motorik links besser ausgeprägt ist als rechts. Ja, ich bin Linkshänder. Und zwar einer, dem es in der ersten Klasse noch ausgetrieben werden sollte. In der zweiten hatte ich dann eine modernere Lehrerin und durfte alles, was ich geschrieben habe, wieder verschmieren. Wie das Linkshändern in einer Kultur, die von links nach rechts liest, nun einmal so geht. Aber warum gibt es das? Linkshänder und Rechtshänder? Warum sind wir nicht alle Beidhänder?

Die Theorie besagt, dass Rechtshänder besser ausgebildete neuronale Netzwerke auf der Seite des Gehirns haben, auf der das Sprachzentrum sitzt. Und sprechen ist in hohem Grade Feinmotorik. Weil diese Hirnregion links sitzt, ist die rechte Hand beweglicher. Klingt das ein bisschen weit hergeholt? Ist es auch. Denn das Sprachzentrum sitzt nicht bei allen Rechtshändern links. Und nur bei der Hälfte der Linkshänder. Auch all’ die anderen Behauptungen rund um die Händischkeit sind meist Mambo Jumbo. Linke sind nicht kreativer, Rechte nicht verkopfter – das sind alles Behauptungen für die es keine statistische Grundlage gibt.
Doch warum es das überhaupt gibt, dass eine Seite dominiert, das wissen wir nicht. Und warum die Verteilung nicht 50/50 ist, sondern 90/10 schon gar nicht.

Wenn ihr euch bisher gelangweilt habt, dann habt ihr vielleicht das eine oder andere Mal gegähnt. Warum gähnen Menschen eigentlich? Tja, das wissen wir auch nicht. Die Theorie, dass es der vermehrten Sauerstoffaufnahme dient, ist schon länger entkräftet. Egal, wieviel Sauerstoff oder CO2 eine Atmosphäre enthält, wir gähnen gleich häufig. Es gibt Theorien, dass es der Kühlung des Hirns dient. Oder eine Drohgebärde war, die wir quasi als Rudiment noch mit uns rumschleppen. Oder dass es dem Schmieren der Kieferknochen dient. Oder einen kleinen, benötigten Hormonschub auslöst – einmal schön gähnen hat ja ‘was Befriedigendes. Merkt man besonders, wenn man versucht, sich’s zu verbeißen – dann gibt’s keine Belohnung. Man steckt dann irgendwie in der Mitte fest.

Aber viele Theorien heißt auch: Keine Erklärung. Und beim Gähnen kommt ja gleich noch eine Frage auf: Warum ist es so verdammt ansteckend? Ja ja, schon klar. Das sind die Spiegelneuronen. Hirnzellen, die für die Nachahmung und die Empathie verantwortlich sind. So darf man das überall lesen. Hat zwei Haken: Warum ahmen wir dann Lächeln so viel weniger zwingend nach? Oder Nasenbohren z.B. gar nicht?

Und der zweite Haken sind die Spiegelneuronen selber: Die sind zwar tatsächlich seit 2010 im menschlichen Hirn nachgewiesen. Aber bis jetzt gibt es keine einzige Untersuchung zu den möglichen Funktionen. Geschrieben wurde sehr viel, vor allem von begeisterten Laien, aber die wissenschaftliche Wahrheit ist: Die Zellen sind da, aber keiner weiß, wofür die gut sind.

Bleibt also die Frage offen, warum wir Gähnen und warum das so ansteckend ist. Ich kann aus einem Selbstversuch berichten, dass schon das mehrfache Schreiben des Wortes „Gähnen“ selbiges auslösen kann.

Das waren fünf Beispiele dafür, dass wir von lauter offenen Fragen umgeben sind. Etwas wie ein Ende der Forschung sehe ich in den nächsten fünf Millionen Jahren nicht am Horizont.


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 April 11, 2016  12m