SPIELGEFUEHL

Menschen verbinden Medien oft mit besonderen Momenten. Der erste Kuss im Kino. Ein bewegendes Buch in schweren Stunden. Oder der Soundtrack zu einer unvergesslichen Nacht. Auch Videospiele begleiten uns durch das Leben und hinterlassen prägende Eindrücke in der Geschichte jedes einzelnen. Im Spielgefühl Podcast widmen wir uns diesen Anekdoten mit unseren Gästen in thematisch gegliederten Podcast-Staffeln, bereichert durch die jeweilige Spielmusik. Im wöchentlichen Format Puls & Minus diskutieren zudem Tim und Timo jeden Montagmorgen den Bruch, der sich durch die Digitalbranche zieht.

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Grow Home: Der Gewalt entwachsen


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Es ist ein Urinstinkt des Menschen, immer größere Höhen zu erklimmen. Genauso geht es mir auch im 3D-Plattformer Grow Home des Entwicklerstudios Ubisoft Reflections. Mit der Ausnahme, dass ich ein Roboter bin. Und eine Pflanze wachsen lasse.

Ausflug in die Natur

Tag 937 der Expedition. Das Ziel: Eine Pflanze, die sogenannte Star Plant, finden und 2 000 Meter in die Höhe reifen lassen. Als das Raumschiff über einem grünen Eiland vorbeigleitet und die Scanner sogleich das lebendige Ökosystem analysieren, wird aus dem Hoffnungsschimmer ein Gewissheitsleuchten: Sie ist da! Und so wird der Botanical Utility Droid aktiviert und über den fliegenden Felsen abgeworfen, die die Insel überdachen.

Hinter dem sperrigen Namen der mechanischen Einheit verbirgt sich ein putziger, roter Roboter, mit dünnen Gliedern und einem quadratischen Kopf, aus dem weiße, runde Augen starren. Er wird B.U.D. genannt, wirkt leicht und gebrechlich und hat die Aufgabe, die Star Plant in die Stratosphäre zu heben. Zu Beginn finde ich mich am Strand wieder, ringsherum rauscht das Meer. Die Umgebung besteht aus bunten, polygonalen Objekten. Auf der Insel selbst humpele ich dann in Ragdoll-Physik auf stachlige Blumen und schafsähnliche Tiere zu. Die einzigen mechanischen Gegenstände, die meinen Weg kreuzen, sind die Tele-Router, kleine rote Pads, die untereinander als Teleporter fungieren. Außerdem lassen sie mich Fauna und Flora einscannen, um humorvolle Informationen darüber zu erhalten. Nachdem ich beispielsweise eine „Crott“, eine karottenähnliche Pflanze, in den Schwebestrahl der Maschine gedrückt habe, werde ich in meinem Logbuch darauf hingewiesen, dass die Datenbank zwar 75 000 Rezepte für Suppe, 25 000 für Kuchen und eins für Brownies gefunden habe. Doch abseits dieser wissenschaftlich irrelevanten Antwort bleibt darin die große Frage: Wer bitte packt Wurzelgemüse in einen Brownie? Doch keine Zeit vertrödeln, auf zur Star Plant!

Über den Wolken

Zum Glück ist der mechatronische Racker stärker als er aussieht und schafft es mühelos, auch die steilsten Felswände zu erklimmen. Dafür klopfe ich abwechselnd die Schultertasten an meinem Gamepad, um B.U.D.s Arme rhythmisch in die Höhe schnellen zu lassen. Auf meinem Weg zur Star Plant, die anfangs noch einer dicken Knospe gleicht, finde ich bläulich schimmernde Kristalle, die sich meist in Felsritzen verstecken und den Roboter bei ausreichender Anzahl mit neuen Fähigkeiten versorgen. So lerne ich bei zehn dieser gefundenen Energiequellen, wie ich aus der Welt rauszoomen kann, um mir einen besseren Überblick zu verschaffen. Später erhalte ich sogar ein Jetpack, mit dessen Hilfe ich kurze Strecken in der Luft zurücklege. Als weiteres Hilfsmittel sammele ich die an zu groß geratene Gänseblümchen erinnernden „Fall Flowers“ ein, mit deren Hilfe ich B.U.D. das Fliegen lehre ─ vorausgesetzt, es lösen sich nicht vorher wieder alle Blätter ab.

Endlich bei der Star Plant angekommen, teilt M.O.M. mir weitere Instruktionen mit. M.O.M. ist übrigens der Schiffscomputer, der mich zwar zynisch, aber doch fürsorglich mit Informationen füttert. Damit die Pflanze wachsen kann, müssen die verschiedenen „Star Shoots“, also ihre Sprossen, mit den sogenannten „Energy Rocks“ verbunden werden. Das geschieht wiederum, indem ich mit B.U.D. auf die Spitze dieser Triebe klettere und sie anschließend in Richtung Fels ausschlagen lasse. Dabei wächst der Pflanzenarm in rasantem Tempo, während ich mich wie bei einem Rodeo an die festen Ranken klemme und mit dem Control Stick die Richtung anpasse. Der grün pulsierende Energy Rock rückt näher, die Sprosse verankert sich und pumpt sogleich die Nährstoffe heraus. Schon klettert die Star Plant rund 100 Meter in die Höhe und die Reise in den Himmel beginnt.

Grenzenlose Freiheit

Und die führt vom Strand durch zerklüftete, fliegende Brocken über schneebedeckte Berggipfel zu einem Wasserfall, der durch das Loch einer weiteren fliegenden Insel rinnt und mich bei meiner Ankunft willkommen plätschert. Die Nacht zieht vorbei und ich erhalte ein Achievement. Der höhnische Titel verkündet mir „What, no zombies?“ Und tatsächlich: Alles ist friedlich in der Welt von Grow Home. Es gibt keine Gegner, keinen Zeitdruck, weder Hohn noch Spott. Die einzige Gewalt ist die Natur und die folgt ihren Instinkten. Mich umringt eine Idylle und mein Forscherdrang will sie erkunden. In einer Höhle treffe ich auf grünschimmernde Würmer, die munter durch die kühle Luft rollen. Das glitzernde, klirrende Flimmern macht mich auf die Kristalle an der Höhlendecke aufmerksam, kurz darauf finde ich mich auf der nächsten Insel wieder, dann blicke ich einem Stier tief in die Augen und schaffe es gerade noch rechtzeitig, den Sonnenaufgang in 1400 Metern Höhe mitzuerleben. Dabei werfe ich einen Blick in die Tiefe und sehe Dutzende Ranken, deren Form ich bei meinen Ritten selbst bestimmt habe. Manche sind zu kurz und ausgedorrt vor dem nährenden Stein hängengeblieben. Andere umkreisen fast tänzerisch ihre Mutter, bevor sie sich unter einem Blatt hervortrauen und in den Himmel hinein stürzen. Es ist ein Kunstwerk, meine individuelle Hinterlassenschaft.

Bald bin ich in der Stratosphäre angekommen. Das ist fast traurig. Denn mir wird plötzlich wieder einmal klar, dass der Weg das Ziel ist. Warum mache ich diese Expedition? Wer steckt dahinter? Ist die Erde zerstört? Restlos ausgebeutet? All diese Fragen spielen hier keine Rolle. Es geht nur um den munteren Roboter und seine Reise durch die Natur. Und so schnappe ich mir ein Gleiter-Blatt, schwinge es auf den Rücken und düse noch einmal hinab, vorbei an allen Felsen, die ich so mühsam erklommen habe und hindurch zwischen all den Trieben, die ich gesät habe. Die Sonne taucht die Welt in ein buntes Kunstwerk ein. Und B.U.D. gluckst munter vor sich hin.

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 April 11, 2016  6m