Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

https://morgenradio.de

subscribe
share






Expl0422: Frauen in Hosen


Keine Ahnung, ob es 1979 war oder doch 1980. Es war auf jeden Fall Sommer. Und ich war „Jungscharleiter“. Und wir waren auf einer „Jungscharfreizeit“. Da beschloss das Leiterteam zur Verwirrung der Kinder einen Kleidertausch. Alle Männer liefen an diesem Tag mit Röcken ‘rum und alle Frauen mit Hosen. Hier nun die Geschichte von Frauen in Hosen.

Download der Episode hier.
Opener: „VeggieTales: Pants – Silly Song“ von VeggieTales Official
Closer: „The Man Hates Pants“ von 77RazzMan
Musik: „Round and Round“Album von Lawrence Beamen / CC BY-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Heute soll es darum gehen, wer hier die Hosen anhat! Frauen oder Männer. Erst einmal Historie: Die älteste Hose, die je gefunden wurde, stammt aus dem Yanghai-Gräberfeld in China. Sie ist aus dem zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung. Denn vor der Hose kam natürlich der Rock. Denn eine Hose muss man schneidern, einen Rock kann man einfach wickeln.

Im Alten Rom dann war der Rock ein männliches Kleidungsstück. Legionäre in Germanien und Britannien aber kuckten sich die Beinkleider der Kelten und Germanen bald ab. Weil Hosen in unserem Klima einfach besser wärmen. Die Legionäre, die das taten, galten aber lange noch als Weicheier und Warmduscher. Weswegen diese Kniehosen den lateinischen Ausdruck Feminalia trugen. Hosen = weibisch.

Doch die römische Kultur verlor ihren Einfluß und die hosentragenden Kulturen übernahmen die Regierungsgeschäfte in Europa. Ab sofort war das Kleidungsstück, das laut Wikipedia „ …zur Verhüllung und Wärmung von Gesäß, Geschlechtsteilen und Beinen dient“ reine Männersache. Und Frauen durften sie nicht mehr tragen. Basta.

Wie heißt es im 5.Buch Mose so schön: „Eine Frau soll nicht die Kleidung eines Mannes tragen und ein Mann soll kein Frauenkleid anziehen; denn jeder, der das tut, ist dem Herrn, deinem Gott, ein Gräuel.“ Und darum herrscht bei christlichen Fundis in Deutschland und den USA auch heute noch Rockpflicht.

Der Rest der Frauen hat jetzt freie Auswahl. Aber das war ein langer Weg und das Beinkleid wurde zu einem wichtigen Symbol der Emanzipation. Denn das Hosenverbot für Frauen hielt bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.

Dann kam eine amerikanische Frauenrechtlerin mit dem Namen Amelia Bloomer. Und die wollte mit ihrer Reformkleidung, dass Frauen sich endlich freier bewegen konnten. 1851 stellte sie ihr Bloomer-Kostüm vor. Das verzichtete zum einen auf ein Korsett und hatte zum anderen Hosen. Sehr weit geschnittene Hosen. Über die sie noch einen Rock trug, knapp über’s Knie.

Das erregte durchaus einiges Aufsehen, aber getragen wurde es nur von ein paar Frauenrechtlerinnen. Ansonsten erntete sie nur Hohn und Spott und erklärte ihren Reformversuch zehn Jahre später für gescheitert.

Doch eine kleine Delle war in den Verteidigungswall geschlagen. Es war das Theater, das die nächste Bresche schlug. Mit Erfindung der sogenannten Hosenrollen. Das waren Frauen, die einen männlichen Part sangen oder sprachen. Eine erotische Sensation, die die Säle füllte. Das Ballett zog nach, die Röcke der Tänzerinnen wurden immer kürzer und darunter sah man: Echte Beine in Trikothosen!

Es folgten Reiterinnen, die Hosenröcke trugen oder sogenannte Breeches. Das sind weit geschnittene Kniebunthosen. Auch wenn Frauen weiterhin im Damensitz ritten, war das ein Skandal.

Und die Radfahrerinnen gingen den nächsten Schritt und trugen weite Pumphosen. Das Frauen überhaupt Rad fahren war ja schon ein Ding. Aber auch noch in Hosen! So steht in der Zeitschrift „Wiener Mode“ 1896 zu lesen: „Die heikelste Frage beim Radfahren der Damen ist zweifellos die Costumefrage. Es ist richtig, daß Frauen auch in gewöhnlicher Straßentoilette Zweirad fahren können […] Aber es scheint, daß der Rock dazu verurtheilt ist, dem Beinkleid zu weichen. […] Die amerikanischen Radfahrerinnen haben einen Congress abgehalten und darauf beschlossen, das männliche Costume anzunehmen. Die englischen Radfahrerinnen folgen diesem Beispiel und in Frankreich verschwindet der weibliche Rock gleichfalls allmählich auf den Stahlrossen […] Ja, die Pariserinnen […] lassen sich sogar schon im knappen, ach, oft nur allzuknappen Bicycle-Anzug öffentlich sehen, ohne Bicycle zu fahren.“ Knapp bedeutet hier, dass man manchmal den Knöchel sehen kann.

Es folgten Hosen für Skifahrerinnen und für arbeitende Frauen. Die ersten modischen Frauenhosen, die Culotte, sorgten um 1911 weltweit für Furore. Sie waren orientalisch inspiriert und eigentlich eher Ballonhosen, aber sie endeten eben in zwei Hosenbeinen. Sehr elegant, tres chic. In Deutschland wurden sie prosaisch Haremshosen getauft.

Der Kulturhistoriker Eugen Isolani beschreibt 1911 den Skandal mit folgenden Worten: „„Man verfolgt Frauen, die es wagen, ihren Rock ganz tief oberhalb der Füße in zwei Teile […] auslaufen zu lassen, so dass man diese Neuheit kaum bemerken und als Hose bezeichnen kann, mit spöttischem Gejohle auf den Straßen, so dass sich die unglücklichen Culotte-Trägerinnen in Häuser flüchten müssen. Und das geschah in Weltstädten, deren Bewohnerschaften gewöhnt sind, dass ihnen manche Extravaganz der Mode vorgeführt wird.“

Dann folgte der erste Weltkrieg und die daheimgebliebenen Frauen mussten die Jobs der Männer übernehmen. Und die Beinkleider eben gleich mit. Weil man einfach nicht die Kapazitäten hatte, schnell noch Frauenuniformen zu schneidern. Overalls für Fabrikarbeiterinnen und Hosen für Frauen im öffentlichen Dienst.

Danach ließen sich die Frauen die Hosen nicht mehr ausziehen. Die Zeitschrift „Neue Frauenkleidung und Frauenkultur“ schreibt 1918: „Rascher als man es ahnen konnte, hat sich infolge des Krieges die Sporthosentracht bei arbeitenden Frauen durchgesetzt, und es wäre eine dankenswerte Aufgabe, eine Rundfrage an diese Frauen zu erlassen, um zu hören, in welcher Kleidung sie sich wohler fühlen, in der Hose oder im Rock. Meine persönlichen Erfahrungen erstrecken sich nur auf einige Eisenbahnschaffnerinnen, die ihre Dienstkleidung geradezu als beglückend empfinden und nur bedauern, daß sie die Vorschrift haben, auf der Straße den lästigen Kleiderrock überzuziehen. Und dann weiß ich selbst aus der Turnstunde, was für eine Freude es auch uns nicht mehr jungen Frauen macht, wenn wir unsere Beine ungefesselt bewegen dürfen.“

Katherine Hepburn, Marlene Dietrich: In den Dreissigern waren Hosen schick und erotisch, aber natürlich noch nicht weit verbreitet. Avantgarde eher. Aber die Trägerinnen mussten nicht mehr bangen, auf der Straße verfolgt zu werden.

Auf den ersten Weltkrieg folgte der zweite. Wenn eine Frau arbeitet, dann darf sie die Hosen anhaben. Aber das bedeutet nicht, dass konservative Kreise dem Beinkleid nicht noch lange Widerstand geleistet hätten. Erst Ende der Sechziger kam mit dem Hosenanzug die erste, große Modewelle, die es allen Frauen gestattete, endlich Hosen zu tragen.

Noch 1969 wurde Senta Berger aus eine Londoner Hotel geworfen, weil sie Hosen trug. 1970 drohte Bundestagspräsident Richard Jaeger noch allen Abgeordnetinnen, sie aus dem Plenarsaal zu schmeißen, wenn sie in Hosen auftauchen. Der Mann war natürlich bei der CSU.

Und noch immer ist der Kampf um’s Beinkleid nicht ganz vorbei. Im US-Senat dürfen Frauen erst seit 1993 Hosen tragen. Und in Paris seit 2013. Ja, im Ernst, da gab es ein vergessenes Gesetz, das genau das bis 2013 eigentlich verbot.

Ein Familiengericht in Mumbai hat 2014 einem Ehemann recht gegeben. Der sich scheiden lassen wollte, weil seine Frau Jeans trug statt Sari. Wie sich das gehört. Der männliche Richter wertete das als seelische Grausamkeit.

Eine weitere Bastion ist im Januar diesen Jahres gefallen: British Airways gestattet es den Flugbegleiterinnen nun endlich auch Hosen zu tragen.

Frauen in Hosen sind also ein Sieg der Emanzipation. Und die Tatsache, dass es den Männerrock immer noch nicht gibt, beschreibt auch den Stand der Dinge recht gut. Aber in der Schwarzen Szene sieht man den ja schon öfter, vielleicht klappt’s aus der Ecke raus doch noch.

Den im Sommer ist der Rock einfach das überlegenere Kleidungsstück. Müsst ihr mal probieren!


fyyd: Podcast Search Engine
share








 April 13, 2016  13m