Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0425: Monogamie


Ein braver Mensch, so wie ich, der lebt auch brav in der Monogamie. So hat es der liebe Gott vorgesehen und das liebe BGB auch. Bloß, dass das leider nicht geklappt hat. Wie die meisten Menschen bin ich serieller Monogamist. Aber ist Monogamie überhaupt „normal“? Und warum denn, bitte schön?

Download der Episode hier.
Quelle: Disease dynamics and costly punishment can foster socially imposed monogamy
Opener: „Why Be Monogamous? – Brit Lab“ von Brit Lab
Closer: „The Simpsons S24E01 Thats what marriage is“ von jenquest
Musik: „Felix Mendelssohn Bartholdy, Hochzeitsmarsch aus der Bühnenmusik zu Ein Sommernachtstraum (op. 61).“

+Skript zur Sendung
Pampashasen tun es. Kanadische Biber tun es. Dikdiks, Marmosetten und Rotkehl-Nachtaffen tun es. Und wir Menschen halt auch.

Die meisten anderen aber eher nicht. Eigentlich tun es nur 3% der Säugetierarten. Ob es jetzt Primaten sind oder nicht. Nämlich monogam leben. Das scheint nicht unbedingt das Erfolgsmodell der Evolution schlechthin zu sein.

Bei den meisten Primaten dominiert das stärkste, aggressivste Männchen die ganze Affenbande. Und begattet möglichst alle Weibchen. Weicheier und Warmduscher haben so keine Chance sich zu vermehren. Aber natürlich versuchen auch die anderen Macho-Affen, ihr Erbgut möglichst breit zu streuen, so dass sicher das eine oder andere Kuckuckskind geboren wird.

Das macht evolutionsbiologisch ja auch Sinn. Survival of the Fittest. Nicht wenige Forscher sind der Meinung, dass das auch das Fortpflanzungsmodell ist, dass in unseren Genen steckt.

Untersuchungen an der mitochondrialen DNA zeigen für die Zeit der menschlichen Expansion, die so vor ca. 100.000 Jahren beginnt eine deutliche Zunahme der weiblichen Population. Nicht der männlichen. Wir stammen also alle von sehr wenigen Männchen ab. Weil über Jahrzehntausende Menschen sich eben genauso fortgepflanzt haben wie auch heute noch die meisten Primaten.

Aber irgendwie haben wir uns irgendwann für einen anderen Weg entschieden.
Warum? Monogam…

Darauf wäre über Jahrhunderte die Antwort gewesen: Weil es Gottes Wille ist! Aha. Woher wissen wir das? Das sagt der Papst! O.k., dann, wenn Du meinst. In der Bibel findet sich da nicht sooo viel, um diese Behauptunng rechtzufertigen. Laut 1. Könige 11,3 hatte Salomon 700 Ehefrauen und 300 Nebenfrauen und auch Abraham, Jakob oder David sind ganz klar keine Monogamisten.

Aber das mit dem Papst stimmt schon. Die christliche Kirche hat das zum Ideal der sexuellen Bindung erhoben. Das hatten sie praktisch als Erbe aus dem Römischen Reich mitgenommen, wo spätestens seit Augustus die Einehe das moralisch Richtige war. Für uns einfache Leute zumindest.

Aber nicht nur im christlichen Kulturkreis hat sich die Monogamie zum Standard entwickelt. Azteken, Maya, die Hindus-Kultur in Indien, China oder Japan. Zumindest in Eurasien und Südamerika hat sich die Monogamie durchgesetzt. Und zwar unbeeinflusst voneinander.

Und ungefähr zu einem ähnlichen Zeitpunkt. Nämlich irgendwann vor ca. 15.000 Jahren. Je nach Region plus oder minus 5000 Jahre. Auf einmal bildeten Menschen feste Paarbindungen. Und erhoben das dann auch schnell zum gesellschaftlichen Muss.

Über die Gründe dieser Verhaltensänderungen wird schon lange trefflich gestritten. Hauptsächlich fällt diese Frage in den Bereich der Soziobiologie. Und dort bemüht man gerne das Verhalten anderer monogamer Tiere. Z.B. der Gänse. Es wäre dann wohl die Brutpflege, die den Ausschlag gäbe. Eier hin, Säuglinge her.

Denn wenn das Männchen nicht ununterbrochen darum kämpfen muss, einen möglichst hohen Sozialstatus zu erreichen, hat es mehr Zeit für sein eines Weibchen. Wenn es nicht in einer Tour alles begatten muss, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, hat der Papa auch einmal Zeit, die eine oder andere Schicht Babysitting zu übernehmen.

D.h. mehr Menschlein würden überleben und der evolutionäre Vorteil wäre gegeben. So könnte man die Monogamie direkt aus der Evolution ableiten.

Dem widerspricht eigentlich nur die Beobachtung, dass die Monogamie auch beim Menschen ein eher seltenes Verhalten ist. Die Schätzungen weichen hier weit voneinander ab, aber nur 20-50% der menschlichen Kulturen haben dieses Modell entwickelt. Und die haben sich aber durchgesetzt. Obwohl das in Wirklichkeit weniger Babies bedeutet und nicht mehr.

Die zweithäufigste Begründung ist der Pflug. Oder der Ackerbau. Oder, wenn man will, Eigentum. Besitz. Mein Acker, mein Haus, meine Frau, mein Sohn, mein Erbe. Das Weibchen wird sicher versorgt, das Männchen weiß, dass seine Felder an die eigene DNA gehen.

Schon Friedrich Engels entwickelte 1884 in „Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats“ die Theorie, dass Männer die Monogamie erfunden haben, um die weibliche Sexualität zu unterdrücken. Um eben ihr Privateigentum gezielt an nur ihre Nachkommen zu vererben.

Darum haben alle frühen kommunistischen Bewegungen die Monogamie erst einmal abgelehnt. Aber in allen kommunistischen Staaten dann doch beibehalten.

Gegen diese sehr plausible Theorie spricht nur die Tatsache, dass es dann ja reichen würde, wenn jede Frau nur einen Jungen bekäme. Zum Beerben. Und ein Mädchen. Für den Arterhalt. Denn der Zweitgeborene bekommt in der Regel nichts. Weil die Felder sonst schnell zu klein werden. Der Besitz zu gering.

Egal aus welchen Gründen, die Monogamie scheint aber ein Erfolgsmodell zu sein. Wäre aber trotzdem schön, zu verstehen, warum dass so ist. Weswegen jede neue Theorie erst einmal interessant ist. Und just am 7. April lässt sich da auch etwas Interessantes in der nature communications finden. Chris Bauch & Richard McElreath haben eine neue Idee: Es ist der Tripper! Oder die Chlamydien. Oder die Syphillis. Geschlechtskrankheiten halt.

Dazu haben sie sich eine Computersimulation gebastelt. Mit kleinen Polygamisten, Momogamisten und Monogamisten, die keine Polygamisten dulden. Dann haben sie noch eine Meta-Geschlechtskrankheit gebastelt. Die entweder nur krank macht oder unfruchtbar oder tötet.

Und die tritt dann in den verschiedenen Modellen so ca. alle 70 Jahre auf. Es stellte sich folgendes heraus: Leben nur einige Dutzend Menschen polygam zusammen, eine kleine steinzeitlicher Jäger-Sammler-Sippe z.B. dann überwindet die Gruppe Geschlechtskrankheiten wieder spontan.

Ab Gruppengrößen von 300 Polygamisten wird diese Riesensippe aber die Infektion nicht mehr los. Dauernd ist irgendjemand krank und steckt immer wieder neu andere an. Immer mehr Individuen werden unfruchtbar oder sterben.

Besonders resistent waren aber Sippen mit über 300 simulierten Menschen, die strikt monogam lebten. Wie schon oben erklärt führt das zwar zuerst zu einer niedrigeren Geburtenrate, aber auf Dauer eben zu einer gesünderen Population.

Wir haben also vielleicht die Monogamie entwickelt, weil unsere Gesellschaften sesshaft wurden und durch den Ackerbau so groß, dass Polygamie keinen Schutz vor Geschlechtskrankheiten mehr bot. Die strikten Monogamisten haben sich also doch rein evolutionär durchgesetzt.

Wobei, was heißt da strikt. Ganz genau praktizieren wir heute ja das, was man in der Biologie serielle Monogamie nennt. 50% der Ehen werden geschieden, die Durchschnittsdauer beträgt mittlerweile 17 Jahre. Über Seitensprünge weiß man nicht so richtig viel, aber auch hier ist wahrscheinlich jede zweite Ehe betroffen. Aber die Zahlen divergieren von Staat zu Staat so weit, dass das eher eine mutige Schätzung ist.

Evolutionsbiologie… Christliche Moral… Sicher ist: Keiner kann wissenschaftlich begründen, wozu der Mensch nun wirklich gebaut ist. Ob der Original-Bauplan Polygamie oder Monogamie vorsieht.
Es steht zu befürchten, dass das heute jeder für sich entscheiden muss. Tripper hin, Tripper her.

 


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 April 18, 2016  14m