Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0426: Selbstverteidigung


Alt und dick geworden wollte ich etwas für meinen Körper tun. Und da war noch dieser Jugendtraum, irgend ‘was mit Bruce Lee. Aber wenn schon trainieren, dann sinnvoll. Und so bin ich beim Krav Maga gelandet. Und deswegen traue ich mich, heute etwas über Selbstverteidigung zu sagen.

Download der Episode hier.
Website vom besten Kampfkunststudio der Welt.
Bildbeitrag: By Jane Davees – Own work, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8523050
Opener: „Creed Scenes – Strike, Scream, Run“ von Jordon de Hoog
Closer: „The Simpsons – Krav Maga VS Karate“ von watermellon989
Musik: „My Misfit Ways“ von Christophe Marc / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Eigentlich ist Selbstverteidigung keines meiner Lieblingsthemen. Zwar bin ich Mitglied im besten Kampfkunststudio der Welt, dem sogenannten Kampfkunststudio. Und habe auch einen Aufnäher herumliegen, der mich als Practitioner Level 4 im Krav Maga ausweist. Aber generell sind die meisten Menschen enttäuscht, wenn sie mit mir über Selbstverteidigung reden.

Aber gerade in letzter Zeit habe ich viel Haarsträubendes zu diesem Thema gehört, gerade auch und nicht zuletzt, von intelligenten Menschen. Anscheinend haben besonders die Ereignisse von Köln, Hamburg und Stuttgart die Bürger für dieses Thema sensibilisiert. Die Polizei meldet einen drastischen Anstieg an Anträgen auf den sogenannten kleinen Waffenschein.

Fangen wir also damit an. Es gibt eine Reihe von Waffen, die ein Siegel tragen. Nämlich das der Physikalisch-Technische Bundesanstalt. PTB. Das sind meist sogenannte Signal-, Reizstoff- und Schreckschusswaffen. Sagen wir ‘mal ganz simpel, Pistolen, aus denen keine „echten“ Kugeln rauskommen.

Mit einem kleinen Waffenschein darf man diese Waffen mit sich führen. Aber nur in Notwehr-Situationen benutzen. Einen kleinen Waffenschein kann jeder volljährige Bürger bekommen, so lange er nicht vorbestraft ist. Und nicht drogen- oder alkoholabhängig. Und nicht psychisch krank.

Zusammengefasst: Mit einem kleinen Waffenschein kann man eine Pistole mit sich führen, sagen wir eine Schreckschusspistole. Die verschießt per Gasdruck Munition mit Reizgasen. Sozusagen Pfefferspray-Patronen. Und macht dabei einen Höllenlärm. Vom Aussehen ähneln die echten Pistolen.

Fallstudie: Drei unfreundlich aussehende Individuen kommen des Nachts bedrohlich auf Dich zu. „Was schaust Du so blöd?“ sagen sie, der eine schubst Dich auch noch. Jetzt ziehst Du Deine Schreckschusspistole. Was passiert? Kriegen die jetzt alle drei Angst? Laufen die weg? Oder zückt vielleicht der links vor Dir erst recht sein Messer? Oder noch schlimmer: Vielleicht hat einer von denen auch eine Pistole dabei. Bloß dummerweise eine echte.

Mit einer Waffe eskaliert eine Verteidigungssituation immer. Was ab dann passiert, kann niemand genau sagen. Denn bei der Selbstverteidigung regieren die Hormone. Adrenalin übernimmt die Kontrolle. Manche werden stocksteif, andere rasend.

O.k. dann also keine Waffen. Wie wäre es mit einer Kampfsportart?

Kampfsport nennt man Disziplinen, in denen sich zwei Gegner nach bestimmten Regeln messen. Nehmen wir einfach Boxen als Beispiel. Da ist genau reglementiert, wie das funktioniert. Wie schwer die Handschuhe sind, mit welcher Fläche man den Gegner damit hauen darf und wohin man nicht hauen darf. Herr Klitschko darf seinem Gegner nicht in die Augen stechen, nicht in die Eier treten, nicht den Kehlkopf eindrücken, nicht mit dem Ellenbogen schlagen oder gar treten.

Was diese Techniken wahrscheinlich gut geeignet für eine Selbstverteidigung in einer lebensgefährlichen Situation macht. Kampfsport ist also nicht schlecht, aber nicht optimal.

Dann gibt es noch Kampfkünste. Kung Fu, Karate, Aikido, Jiu Jitsu und so weiter und so weiter. Die tragen den Namen „Kunst“, weil es primär um die Körperbeherrschung geht, ergänzt oft noch von einem spirituellen Hintergrund. Das sind sehr komplexe und schwierige Techniken, die man oft jahrelang mühsam erlernen muss. Ein geübter Kampfkünstler wird sicher besser in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen als ein unbedarfter Passant. Aber in einer Adrenalin-geladenen Situation vielleicht doch nicht den richtigen Nervenpunkt treffen. Kampfkunst ist auch nicht schlecht, aber auch nicht optimal.

Dann gibt es Systeme, die sich explizit auf die Selbstverteidigung konzentrieren. Wie z.B. mein Lieblings-System, das Krav Maga. Das wurde einst für das israelische Militär entwickelt und hat seit einigen Jahrzehnten auch einen zivilen Arm. Die erlernten Techniken sind extrem effektiv. Hier ist alles erlaubt, wenn es das eigene Leben oder das von Schutzbefohlenen, verteidigt. Also alles, was Herr Klitschko nicht darf, gehört zu diesen Techniken. Na, den Kehlkopf lassen wir ‘mal weg. Aber sonst…

Aber selbst hier gilt: Was dann unter Hormoneinfluss passiert, das lässt sich nicht vorhersagen. Wer jemals in einer Schlägerei war, weiß, dass das sehr, sehr unschön ist. Sehr hektisch, sehr ungenau, meistens dreckig. Und das geht irre schnell. Stundenlang prügeln gibt’s nur im Kino und in Asterix-Comics.

Und selbst der Trainierteste kann im Ernstfall Opfer eines Glückstreffers werden. Klar, hat man z.B. Krav Maga geübt, dann verbessern sich die Chancen natürlich schon. Aber d.h. nur, dass man gegen einen Messerangriff ein paar Prozentpunkte mehr geschützt ist als Null. Oder bei einem Angriff von mehreren Bösewichten. Da ist nämlich in der Regel Ende Gelände.

Darum beschränken sich gute Studios auch nicht auf das Einüben von tödlichen Killertechniken. Was macht jemand, der ein Spezialist in Selbstverteidigung ist, wenn ihn jemand bedroht und sagt: „Gib’ mir Dein Geld, Alter!“

Die Antwort ist wahrscheinlich enttäuschend, aber im Kampfkunststudio hat noch nie ein Instructor etwas anderes gesagt als: „Dann gibst Du ihm das Geld, das ist doch logisch!“

Und obwohl man saftige Tritte in die Eier geübt hat und Ellenbogenschläge auf das Schlüsselbein – wenn es die Situation erlaubt, dann wird der Spezialist als erstes eines tun: Wegrennen!

Wenn das alles nicht hilft, dann wird er erst einmal laut um Hilfe rufen. Kein Scherz. Und Passanten gezielt ansprechen: „Sie da, mit dem rotzgelben Hemdchen, rufen Sie die Polizei! Ich werde bedroht!“ Na, das mit dem Hemd war vielleicht nicht so schlau…

Und Abstand einhalten. Ja, die berühmte Armlänge. Für die Kölns Bürgermeisterin Henriette Rieker soviel Häme abgekommen hat. Diese Armlänge Abstand findet sich in allen Selbstverteidigungs-Systemen wieder. Aus dieser Distanz versucht man De-Eskalation. Ruhig, gefasst, aber nicht bedrohlich. Also das Gegenteil von Ich-ziehe-meine-Smith&Wesson-Gaspistole.

Und wenn der Bedrängende den Abstand immer noch nicht einhält, dann schreit man ihn erst einmal ordentlich an. Kann einem schon wieder eine Schrecksekunde Vorsprung beim Wegrennen geben.

Wenn das alles nichts fruchtet und man also wirklich in einer Notwehr-Situation ist, erst dann packt man das Geübte aus. Und wenn man Glück hat, fügt man dem Angreifer in Sekundenbruchteilen soviel Schmerz zu, dass man weglaufen kann.

Ernüchternd, oder? Ich sagte ja, die meisten Menschen sind enttäuscht. Aber diese Ratschläge würdet ihr so auch von jedem Polizisten hören.

Damit das jetzt nicht so langweilig endet, so mit unmännlichem Hilfeschreien oder Wegrennen noch zwei Dinge, die man in guten Selbstverteidungs-Systemen lernt:

Das eine ist eine Veränderung des Selbstbewusstseins. Alleine das Wissen darum, dass man eventuell gefährlichen Situationen mit einer verbesserten Chance auf Heilbleiben entgegen sehen kann, hilft. Das man diesen dunklen Dingen einfach ‘mal ins Auge geschaut hat, hilft. Das man schon einmal eins auf die Nase bekommen hat, hilft auch. Und das man seine natürliche Schlaghemmung schon einmal überwunden hat, hilft. Und dazu passt noch eines: Das Ganze ist ja auch ein ganz schön anstrengendes Ganzkörper-Workout. Das verändert unweigerlich auch die Haltung. Man schaut automatisch nicht mehr wie ein leichtes Opfer aus.

Das zweite ist die Aufmerksamkeit. Scannen nennt man das im Krav Maga. Man tut gut daran, nicht seine gesamte Aufmerksamkeit auf das Handy-Display zu richten, wenn man sich unwohl fühlt. Man lässt niemanden zu nahe kommen. Man ist anwesend. Man sieht Dinge auf sich zukommen. Arschlöcher z.B.

Mein drei Lieblingsregeln der Selbstverteidigung sind nämlich:
1) Gib’ Dich nicht mit Arschlöchern ab.
2) Gehe nie dahin, wo Arschlöcher sind.
3) Wenn Arschlöcher dahin kommen, wo Du bist, dann mach’ einen großen Bogen.

Zu guter Letzt wollen wir eines nicht vergessen: Die Polizeistatistiken bundesweit zeigen, dass die Flüchtlingswelle die Kriminalität nicht gesteigert hat. Gewalttaten sind seit Gründung der Bundesrepublik immer weniger und weniger geworden.

Selbstverteidigung ist gut und recht. Aber jetzt nicht überlebenswichtiger als letztes Jahr oder vor 10 Jahren. Nicht bange machen lassen! Trotzdem kann ich das Training nur empfehlen: Macht nämlich einen Riesenspaß! Macht fitter als das Fitness-Studio und ist bei weitem nicht so öde.


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 April 19, 2016  15m