Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0428: Rudolfo Valentino


So war es nicht geplant. Aber Fritz Kreisler von gestern und Rudolfo Valentino waren Zeitgenossen. Doch Kreisler war bei beiden Geschlechtern beliebt, Valentino aber war Amerikas Männern ein Gräuel. Wie konnten all’ die Frauen nur so einer weibischen Memme verfallen?

Download der Episode hier.
Opener: „Rudolph Valentino Sings Two Songs (1923)“ von transformingArt
Closer: „Rudolph Valentino Documentary“ von ZhgbTv
Musik: „If I had a man like Valentino“ von valentinolover70

+Skript zur Sendung
Auf einem arabischen Schimmel,
in jeder Hand eine Nachtigall,
schwarzgekleidet wie ein Infant,
so seh ich dich vor mir.

Stiefel, gedrechselt aus Elfenbein,
im Herzen ein Bankrotteur
in der Manege der ausverkauften Eitelkeit,
so seh ich dich vor mir.

Sang André Heller einst von ihm. Von Rodolfo Alfonso Rafaelo Pierre Guglielmi di Valentia d’Antonguella. Sohn eines Tierarztes aus Castellaneta im Süden Italiens. Den die Welt in den verrückten Zwanzigerjahren als Rudolfo Valentino kennenlernen sollte.

Der erste Superstar des Kinos. Der Mann für den der Ausdruck „Latin Lover“ erfunden wurde – kein Witz. Von den Frauen hysterisch – so sagte man damals noch – verehrt, von den Männern lautstark verachtet und heimlich kopiert. Und das ist aus heutiger Sicht besonders interessant. Die Valentino-Zeit ist hundert Jahre her, aber so weit entfernt auch nicht. Wenn man die Artikel von einst durchblättert, dann erinnert mich das an die ganze Diskussion um „Fifty Shades of Grey“. Wo das männliche Feuilleton einhellig „Pfui“ bellte. Und die Frauen sagten: „Aha. Mir wurst.“

Aber von vorne. Rodolfo war ein mäßiger Schüler, entweder doof oder faul. Oder aber zu eingebildet. Nachdem er die Landwirtschaftsschule absolviert hatte, verließ er Italien. Die Wirtschaftskrise schüttelte das Land heftig und in Amerika sollte es Jobs én masse geben.

Also wurde er Wagenwäscher, Gärtner und dann bald Eintänzer und Gigolo in den New Yorker Nachtclubs. In dieser Funktion erregte er die Aufmerksamkeit von John de Saulles, einem einflussreichen Geschäftsmann. Rodolfo war wohl dessen Frau zu nahe gekommen, so dass er sich plötzlich wegen Unzucht im Knast wiederfand.

Tanzen konnte Valentino eben gut. Aber, weil er wohl nicht singen konnte, wurde es mit dem Job beim Musical leider nichts. Also versuchte er sein Glück in Hollywood. Und schon bei den ersten Probeaufnahmen fiel er auf. Wie er mit den Nüstern zuckte. Wie er verhalten, aber ungeheuer vielversprechend lächeln konnte. Und seine Augen. Wie sie sich weiteten. Und schlossen.

Bald war klar, dass die Frauen ihm verfallen waren. Seine Studiobosse waren natürlich Männer und so dauerte es etwas, bis sie bemerkten, dass sie da mit dem Süditaliener eine Gelddruckmaschine im Portfolio hatten.

Bald spielte Rudolfo leidenschaftliche argentinische Gauchos, romantische arabische Scheichs oder stolze Torreros. Es mag sich heute nicht mehr erschließen, aber wenn ER den Tango tanzte, dann war das der pure Sex. „Bleib’ liegen, Du Närrin“ sprach er. Im Film „Der Scheich.“ Und im Film „Der Sohn des Scheichs“. Frauen verstanden das. Männer nicht.

Valentinos Ruhm entstend in der Zeit der Prohibition. Der Gipfelpunkt amerikanischer Bigotterie. Offiziell war der Alkohol verpönt und verboten. Aber in den Jazzclubs und den Flüsterkneipen floss er deswegen nur umso ungehemmter. Die Regierung, die verachtete man schon damals.

In diesen Etablissements wuchsen die Flappers. Flatterer würde man das übersetzen. Ein neuer Typ Frau, selbstbewusst und selbst bestimmt. Die Zigaretten mit Spitze rauchten, ordentlich mittrinken konnten und sexuellen Abenteuern gegenüber offen waren. Der Ausdruck „Petting“ stammt aus dieser Szene. Aus dieser Zeit.

Und diese dünnen, jungen Frauen, die ihre weiblichen Formen hinter kurzen Röcken verbargen, ihren Busen wegbanden, diese Flapper, die vergötterten Valentino. Der für temperamentvollen Liebe stand und für leidenschaftliche Sex. Der Guardian schreibt 1926: „Valentino ist für die Generation der Flapper das, was der Prince of Wales für England ist“

Jeden Tag sechs Säcke Post. Postkarten, Liebesbriefe und Unterwäsche. Tonnenweise Unterwäsche. Ein Filmvertrag, der heute 13 Millionen Dollar wert wäre. Eine riesige Villa. Unzählige Sportwägen. Valentino hatte es geschafft. Er war der größte Star, den die Welt bis dahin erlebt hatte.

Und die Männer hassten ihn. Hassten ihn. Hassten ihn. Bei einer Straßenumfrage eines Radiosenders kann man hören, wie ein Mann über ihn sagt: „Na ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder Amerikaner gerne so wäre wie Douglas Fairbanks. Aber wie Rudolfo Valentino, na ja.“

Warum das so ist, beantwortet die unbekannte Frau, die als nächstes interviewt wird: „Er ist so verführerisch. Da erkennt man wie flach, zahm und langweilig das durchschnittliche Liebe-Machen der Gatten und Liebhaber hier so ist.“

Autsch. Das sitzt natürlich tief. In der Photoplay schreibt Dick Dorgan: „Alle Männer hassen Valentino. Er ist der Grund für mehr heftige Ehestreits und Zerwürfnisse als man in allen Zeitungen überhaupt nur drucken kann. Die Frauen sind ganz benommen wegen ihm. Wir Männer haben einen Geheimbund gegründet – dessen Präsident und Geschäftsführer ich bin, wie Sie vielleicht bemerken – um ihn zu verachten, zu hassen und lächerlich zu machen. Aus offensichtlichen Gründen.“

In der Chicago Tribune wird es deutlicher: „Homo Americanus! Warum hat, bitte schön, nicht irgendjemand schon vor Jahren diesen Rudolph Guglielmo, bekannt als Valentino, ersäuft? Hollywood bietet Rollenmodelle für die Männlichkeit und ausgerechnet Rudy, der hübsche Gärtnerjunge ist der Prototyp eines amerikanischen Mannes? Ach, Du heilige Scheiße.“

Das traf Valentino tief. Er forderte den Redakteur zum Boxkampf auf. Aber der sagte ab. Wegen seiner Tuberkulose. Die Journalisten, die sich ihm stattdessen stellten, verloren alle ihre Kämpfe. Rudolfo war ein leidlicher Fechter und Tänzer. Und die Nachhilfestunden bei Jack Dempsey mögen auch geholfen haben.

Trotzdem: Indirekt unterstellte ihm diese Generation der Journalisten natürlich die Homosexualität. Das gegelte Haar! Geschminkte Augen! Dann dieses weibische Sklaven-Armbändchen von seiner Frau! Und diese unmännliche Armbanduhr – so ‘was tragen echte Männer nicht! Und Seidenkrawatten! Und immer parfümiert!

Die jungen Männer notierten fleißig mit und ahmten genau das nach. Man nannte diese Nachäffer scherzhaft Vaselinos – wegen all’ des Haargels.

Mit 31 Jahren starb Rudolfo Valentino. Er kam schon mit heftigen Unterleibsschmerzen in die Klinik. Eine OP war notwendig, Verdacht auf Blinddarmentzündung und Magendurchbruch. Die Operation brachte aber nur eine Verschlimmerung. Die Symptome stammten in Wirklichkeit von einer Bauchfellentzündung. Ohne die Hilfe von Antibiotika verbrachte er die letzten Tage in einem Morphiumschlaf und verstarb am 23. August.

100.000 Menschen drängelten sich bei der Beerdigung in New York. Viele Frauen nahmen sich das Leben, Fenster wurden eingeschlagen und es brauchte Hunderte berittene Polizisten, um wieder Ordnung in die Gesellschaft zu bringen. Seine Verlobte, Pola Negri, erlitt einen Nervenzusammenbruch am Sarg.

Danach steckte man denselbigen – den Sarg mit Valentino drinnen – in den Zug und fuhr ihn nach Beverly Hills, wo man DEN Latin Lover noch einmal beisetzte. Es stellte sich heraus, dass er nicht nur sein Vermögen durchgebracht hatte, sondern auch noch Hunderttausende Dollars an Schulden. Seine Traumvilla kam zur Finanzierung der Beerdigung unter den Hammer.

Hinterlassen hatte gebrochene Herzen. Und ein schwerangeschlagenes Männerbild. Das erste große Loch im patriarchalen Männerbild. Die erste große Schlappe für den Macho alter Prägung. Da stehen sie, die alten Zuchthengste. Breitschulter an Breitschulter. Clark Gable, Douglas Fairbanks und Errol Flynn. Und an ihnen vorbei tänzelt der kleine Italiener mit den verführerischen Augen seinen Tango. Verfolgt von Heerscharen verzauberter Frauen, die die alten Rauhbeine keines Blickes würdigen.

Autsch. Das tat weh.


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 April 21, 2016  13m